19. Januar 2017
Bereits seit 1984 existiert eine in den USA gegründete Vereinigung von Schachsammlern, die die Geschichte des Schachspiels und der Schachfiguren erforscht. Rund 400 Mitglieder hat der Verein, wobei diese Zahl schon über neun Jahre alt ist. Genauere Zahlen sind nicht bekannt. In Deutschland gehören etwa 60 Mitglieder den Chess Collectors International (CCI) an. Die trafen sich Anfang November in Altenburg südlich von Leipzig, einer über 1.000 Jahre alten Stadt, in der 1810 das Skatspiel erfunden wurde.
Insgesamt quartierten sich für drei Tage vom 4. bis 6. November 2016 rund 80 Gäste im Parkhotel am Großen Teich ein, darunter auch Mitglieder der dem CCI nahestehenden Ken Whyld Association (KWA), einem Verein, der die Schachliteratursammler und -forscher bündelt. Aber auch einige Nichtmitglieder waren nach Altenburg gekommen, die von dem Treffen im Internet gelesen hatten.
Der Freitagabend diente dem persönlichen Kennenlernen, insbesondere mit den Neulingen so eines Treffens. Zu diesen gehörte der Autor dieses Beitrages. Dr. Michael Negele, der im Deutschen Schachbund Beauftragter für Schachgeschichte und Schachkultur ist, hatte mich dazu eingeladen. Das war für mich auch eine gute Gelegenheit um den niederländischen KWA-Präsidenten Robert van de Velde zu treffen, um über ein Webprojekt zu diskutieren.
Die meisten der Gäste des Sammlertreffens waren mir persönlich unbekannt. Einige Ausnahmen gab es natürlich, wie z.B. das CCI-Ehrenmitglied und Initiator des Treffens Thomas Thomsen, KARL-Chefredakteur Harry Schaack, NRW-Verbandspräsident Ralf Niederhäuser, Großmeister Dr. Helmut Pfleger und natürlich DSB-Präsident Herbert Bastian. Einige weitere lernte ich beim Smalltalk kennen und später beim Abendessen im Barbarossa-Festsaal des Hotels. Mit meinem Namen wußte fast keiner etwas anzufangen, wobei die Funktion Webmaster in einem nationalen Verband eher ganz unten in der Hierarchie zu finden ist. Doch selbst der Begriff "Deutscher Schachbund" oder die Internetseite schachbund.de sorgte bei einigen meiner Gesprächspartner für Fragezeichen auf der Stirn. Schachspiele- und figurensammler sind dann wohl doch eher mehr Kunstgenießer und -forscher als Schachspieler.
Alex Günsberg (64), ein in der französischen Schweiz lebender Schachspieler und Literaturpreisträger, gehörte mit seiner russischen Ehefrau zu den Gästen der abendlichen Veranstaltung. Ich saß mit an seinem Tisch, als daneben ein Mikrofon und eine Lautsprecherbox vorbereitet wurden. Günsburg trug zwei Kurzgeschichten aus seinem Buch "Geschichten über Liebe, Krieg und Schach" vor. In der ersten Geschichte ging es um den französischen Revolutionär Robespierre, der oft im berühmten Café de la Regence in Paris zu Besuch war, um Schach zu spielen. Eines Tages betrat ein junger Mann das Café und forderte Robespierre zu einer Partie heraus: "Ich schlage Ihnen eine Wette vor. Der Sieger hat einen Wunsch frei. Er erhält das Recht, vom Besiegten alles verlangen zu dürfen, was ihm beliebt. Schlagen Sie ein?" Wie die Geschichte weitergeht erfahren Sie liebe Leser im Buch von Günsberg.
Die Gäste im Altenburger Festsaal waren ergriffen bis begeistert und ermunterten Günsberg zum Vortragen einer weiteren Geschichte. Der gebürtige Italiener kam dem Wunsch gern nach, warnte aber vor dem sehr speziellen Thema der Geschichte, der Verfolgung der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus. Als ob Günsberg's Bemerkung eine Aufforderung gewesen sei, beschwerte sich wenig später ein Zuhörer, stand auf, nahm seine Begleitung an die Hand und ging. Mit seiner Meinung zu der Geschichte stand der Mann allein da. Die weitaus meisten Gäste waren fasziniert und betroffen und einige nutzten die Chance, vom Autor ein Exemplar des Werkes mit Widmung zu erwerben.
Am Sonnabend standen zu früher Stunde um 9 Uhr mehrere Vorträge auf dem Programm. Das passende Ambiente dafür stellte Uta Künzl, seit 2007 Museumsdirektorin im Residenzschloss Altenburg, bereit. Der 1906 nach mehreren Bränden wiederhergestellte Johann-Sebastian-Bach-Saal war eigens für das Sammlertreffen vorbereitet worden. Am Vormittag mit langen Stuhlreihen und einer Leinwand für die Vortragsfolien, am Nachmittag mit zwei langen Tischreihen für die Tausch- und Kaufbörse.
Nach der Begrüßung durch Thomas Thomsen und den Vorsitzenden der deutschen CCI-Sektion Prof. Wolfgang Angerstein ergriff Uta Künzl das Wort und berichtete über das Zustandekommen der Kontakte zwischen CCI und Museum: "Wir sind als Schloss- und Spielkartenmuseum Altenburg davon ausgegangen, daß wir uns vordergründig den Spielkarten widmen. Aber da wir so viele Räumlichkeiten haben und an einer großen Themenvielfalt interessiert sind, kam uns die Idee weitere Bereiche aufzunehmen. Hier hat uns der Zufall in die Hände gespielt. Im Gespräch mit einem Leipziger Porzellansammler wurde ich verwiesen an Hans Krieger aus Großhansdorf: Vielleicht besteht die Möglichkeit hier im Museum eine Ausstellung über Schachfiguren zu machen. Ich habe mit Hans Krieger in Kontakt gestanden, der mich wiederum an Dr. Thomsen verwiesen hat. So ist die Sache ins Rollen gekommen. Selten ist so eine Ausstellung so unkompliziert nach Altenburg gekommen und aufgebaut worden. Im Gespräch miteinander habe ich ihm erzählt, daß wir sehr gern mit privaten Sammlern zusammenarbeiten, weil es immer eine große Chance ist, so unterschiedliche Klientel nach Altenburg zu bekommen. Und das wir gern auch Ausrichter sind von Sammlertreffen, Symposien und Ähnlichem."
Der deutsche Spielehistoriker Ulrich Schädler (58), der seit 2002 Direktor des Schweizerischen Spielemuseums ist, war der Referent des ersten Vortrages "Spiel als Medium im kulturellen Austausch". Darin ging es weniger um Schach als vielmehr die Entstehungsgeschichte einiger anderer populärer Spiele. So zum Beispiel "Mensch ärgere Dich nicht", welches dem altindischen Pachisi ähnelt und eine Variante des englischen Ludo ist. Schädler: "Das Spiel schlug im 19. Jahrhundert in Europa wie eine Bombe ein!" Weniger erfolgreich entwickelte sich dagegen das asiatische Go-Spiel in Europa. Auf dem Brett passiert eher wenig und es gibt keinen klaren Sieger, d.h. die beiden Spieler müssen sich einigen, ob eine Stellung gewonnen ist. So etwas ist nichts für Europäer. Die mögen es kurz und knackig. Schach und Matt eben.
Das Schachspiel stand beim Vortrag von Thomas Thomsen wieder mehr im Mittelpunkt. Mit "Eine Sammlung von Kriegsgefangenen-Schachspielen von 1800 bis 1955" bekamen die Gäste im Saal wieder eine ganze Menge auf der Leinwand zu sehen. Viele der Spiele, von denen Thomsen Bilder zeigte, wurden aus Knochen geschnitzt. Die Einfachheit mancher Exponate und das schwierige Thema sorgten für Irritationen bei einigen Zuhörern. So war die Nachfrage, ob es in dem Vortrag um Schachspiele von Häftlingen aus Konzentrationslagern geht, mehr als verständlich.
Neben all den Vorträgen über Schachspiele gab es natürlich auch noch etwas für Schachgeschichtsforscher. Mario Ziegler, der mit der Zeitschrift für Schach- und Brettspielgeschichte "Caissa" in diesem Jahr ein eigenes Projekt gestartet hat, beschäftigte sich mit "Das 'Phantom' Elijah Williams – Chancen und Grenzen der Schachgeschichtsforschung". Elijah Williams war ein englischer Schachmeister der von 1809 bis 1854 lebte. Ziegler hatte dessen Biographie bei seinem Vortrag allerdings weniger im Fokus. Vielmehr ging es um die Probleme, die einem gewissenhaften Schachhistoriker begegnen. Es gibt kaum noch zeitgenössische Quellen, wozu man selbst die damaligen Schachzeitungen nicht unbedingt zählen kann. Schon da kommt es zu Verfälschungen. Später wird es nicht besser. Jeder schreibt von jedem ab und es kommen immer wieder neue Fehler hinzu. Ein anschauliches Beispiel sind Datenbanken mit Schachpartien. So ist die Megabase von ChessBase eine reiche Fundgrube für die Eröffnungsrecherche. Aber leider nicht für historische Forschungen. Immer wieder findet man Partien historischer Schachmeister, deren Zugfolge nicht mit zeitgenössischen Quellen übereinstimmt. Und manchmal sind Partien gleich komplett den falschen Spielern oder Turnieren zugeordnet.
Nach dem Mittagessen im fußläufig erreichbarem Restaurant "Brunello" wurde im Bach-Saal umgebaut und die Kauf- und Tauschbörse vorbereitet. Schachhändler und -sammler boten hier an zwei langen Tischreihen ihre Exponate an. Das interessierte sogar ganz normale nichtschachaffine Besuchergruppen, die durch das Schloss geführt wurden. Die bekamen auch noch in einem anderen Raum etwas vom Schachflair zu spüren. Einige historische Schachspiele waren dort in Glasvitrinen untergebracht und zog natürlich auch die Gäste des CCI-Treffens in ihren Bann.
Jens-Frieder Mükke hielt am Sonnabend nicht nur einen Vortrag über Metallschachspiele, sondern stellte auch kurz die neue Website von CCI Deutschland vor. Extra dafür aus Leipzig nach Altenburg gekommen waren auch die beiden Macher von der Marketingagentur MarkOp. Für mich als Ersteller und Betreiber mehrerer Webseiten war diese Präsentation natürlich besonders interessant und ich hatte später auch kurz Gelegenheit mit den Designern aus Leipzig zu sprechen. Noch bevor ich das allerdings tun konnte, versuchte ich mehr oder weniger erfolglos auf meinem Smartphone den Quelltext der Seiten anzuschauen. Eine gefühlte Ewigkeit später war ich schlauer: Hier wurde komplett ein Fremdanbieter als Hoster genutzt - Squarespace.
Webhoster wie 1&1 oder Strato bieten schon seit vielen Jahren Homepage-Baukästen an. Die Benutzer bekommen eine eigene Weboberfläche zur Verfügung gestellt, können sich ihr Lieblingsdesign aus Hunderten von Vorlagen aussuchen und es anschließend ohne Hintergrundwissen anpassen und mit Inhalten füllen. Seit einigen Jahren haben diesen Markt aber auch andere Anbieter entdeckt, zu denen neben Jimdo, Wix, Weebly - um nur die bekanntesten zu nennen - auch Squarespace gehört.
Der US-amerikanische Anbieter Squarespace ist schon seit 2004 auf dem Markt und war für die CCI erste Wahl. Die neue Website konnte schnell online gehen, die Inhalte waren fix eingefügt und um das ganze Technische (viel kann es nicht gewesen sein...) kümmerte sich die Agentur. Die CCI braucht zukünftig nur noch die Inhalte verwalten und damit das ganze System dauerhaft läuft, darum kümmert sich Squarespace. Soweit so gut.
Mit der Bindung an einen Baukastenanbieter hat sich die CCI trotz aller Annehmlichkeiten nicht nur einen Gefallen getan. So sind Datensicherungen durch den Webmaster nahezu unmöglich. Ist die Website aus irgendwelchen Gründen offline (Rechnung nicht bezahlt, Anbieter pleite) sind die Daten einfach weg. Der Einbau von eigenen PHP-Skripten oder die Benutzung von Datenbanken ist sogar gänzlich unmöglich. Damit wird auch die Weiterentwicklung einer Website erschwert, weil man eigene neue Funktionen nicht integrieren kann. Einen FTP-Zugang gibt es nicht, Änderungen an der Navigation, Mehrsprachigkeit und Benutzerrechte sind in der Regel gar nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.
Nichtsdestotrotz ist die neue Website natürlich ein Meilenstein in der deutschen Geschichte der 1984 in den USA gegründeten CCI. Und sie ist ein guter Anlaufpunkt für die deutschen Mitglieder und andere deutschsprachige Besucher. Eine sehr gute Ergänzung zu den beiden bestehenden englischsprachigen Webseiten CCI Magazine und CCI Blog.
DSB-Präsident Herbert Bastian möchte übrigens die Zusammenarbeit zwischen dem DSB und CCI/KWA intensivieren, wie er mir in Altenburg sagte. Ein erster Schritt wäre es, Nachrichtenmeldungen der Webseiten untereinander zu verknüpfen, was recht einfach über RSS-Feeds ginge. So denke ich im Moment darüber nach, Meldungen von KWA, CCI und ähnlich Webseiten in unserem Portal anzuzeigen. Ebenso könnten historisch interessante Meldungen des DSB auf den Seiten von KWA, CCI und Co. eingeblendet werden.
Wikipedia: Chess Collectors International
Leipziger Volkszeitung "Schachsammler trafen sich in Altenburg"
Frank Hoppe
Anmerkung: Dieser Text sollte ursprünglich auf ChessBase erscheinen, hatte sich aber durch eine Erkrankung meinerseits bis zum 23. Dezember 2016 verzögert. Ich habe die ursprüngliche Version noch um den Abschnitt zur deutschen CCI-Website ergänzt.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21627