30. Januar 2025
Im zweiten Teil des großen Interviews mit Gerhard Prill, dem Beauftragten des Deutschen Schachbundes für Mitgliedergewinnung geht es um das Thema „Erwachsene als neue Mitglieder gewinnen – wie geht das?“ Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit hat Gerhard Prill in Heitersheim besucht und mit ihm gesprochen. Der Schachclub Heitersheim hat in seinem Spiellokal, einem modernen Raum im Vereins- und Jugendzentrum der Stadt, ideale Bedingungen – hier können sich Jung und Alt wohlfühlen.
Gerhard, Du zielst bei der Mitgliedergewinnung auch vor allem auf Erwachsene ab. Deine These: Vor lauter Augenmerk auf die Jugend werde diese „Alters-Mittelklasse“ oft vergessen.
Ja, das sind die Leute, die im Berufsleben stehen - aber auch diejenigen, die das Rentenalter bereits erreicht haben und auf einmal viel Freizeit haben. Dazu bieten wir regelmäßige Einsteigerkurse für Erwachsene an. Solche Angebote sind wichtig, denn das sind viele potenzielle Spielerinnen und Spieler. Unsere Angebote richten sich auch an Menschen, die als Jugendliche vielleicht mal Schach gespielt haben, dann andere Prioritäten wie die Familienplanung gesetzt haben – und nun, da die Kinder aus dem Haus sind, wieder ein Hobby suchen. Diese Wiedereinsteiger muss man abgreifen. Auch weil sie, ganz nebenbei, oft auch an der Übernahme von Funktionen innerhalb des Vereins interessiert sind.
Bedeutet Einsteiger im Zweifel auch Anfänger – mit Mitte 30 oder noch älter?
Vorneweg: Um mit Schach neu oder wieder anzufangen, gibt es keine Altersgrenze. Ja, unsere Einsteigerkurse richten sich auch an klassische Anfänger. Wir werben offensiv um diese Gruppe. Klar ist aber auch: Da darf man dann als Vereinstrainer nicht ungeduldig werden, wenn die Leute im zehnten Zug die Dame einstellen oder für die Prinzipien im Schach wie zum Beispiel eine schnelle Entwicklung, König aus der Mitte und Ähnliches etwas länger brauchen. Da geht es ja nicht darum, noch Topspieler zu formen, sondern den Spaß am Schach zu vermitteln. Ich habe da ein aktuelles prominentes Beispiel vor Augen: Jan Henric Buettner.
Inwiefern passt er zum Thema? Er ist ja eher Schach-Mäzen und fördert die Jugend über seine Weissenhaus Chess Academy…
Fakt ist: Er wurde sehr spät Mitglied in unserer Gemeinschaft – und bringt unserem Sport viel. Ich habe vor kurzem bei YouTube ein Interview mit ihm gesehen, da hat er erzählt, dass er viel Geld für sein Ressort an der Ostsee ausgegeben hat – und dann überlegt hat: Wie kann ich diesen Ort, neben der Erholung, auch noch mit etwas Kulturellem ergänzen. In diesem Zusammenhang hat er sich daran erinnert, wie er an der Grundschule im Rahmen einer Schach-AG von dem Ehemann einer Grundschul-Lehrerin die wesentlichen Grundkenntnisse des Schachs vermittelt bekommen hat und wie spannend das damals war. Sein Gedanke: Schach und dieses Ressort, das hat beides Niveau – das passt prima zusammen. Solche Menschen gibt es viele da draußen. Es muss nicht immer der neue große Sponsor sein – aber ein wertvolles neues Mitglied, das sich schon beim ersten Besuch im Verein so wohl fühlt, dass alte Schach-Erlebnisse wach werden. Dazu gehört natürlich eine gute Willkommenskultur im Verein.
Und dann gibt es noch eine Erwachsenen-Gruppe: Diejenigen, die plötzlich aufhören zu arbeiten…
Eine sehr wichtige Gruppe, die oft vergessen wird. Schach spielen ist bis ins hohe Alter möglich. Gestern noch bei der Stadt angestellt, nun in Rente – und kein Hobby. Um diese Leute zu erreichen, veranstalten wir Schachkurse an der Volkshochschule. Das sorgt für einen Schulterschluss zum Vereinsleben. Wir machen da auch Turniere, bringen die Leute auf den Geschmack. Die wissen ja oft nicht, wie viele Möglichkeiten es im Schachsport gibt. Im Prinzip ist ja jeder Spielabend wie ein kleines Turnier – und für solche Menschen ein Erlebnis, das ihr neues Leben nach dem Job vielleicht wieder ausfüllt.
Onlineschach boomt ja auch – inwiefern wäre hier Potenzial für die Vereine?
Ich denke, auf dem Land hat das nicht die Bedeutung wie in der Großstadt. Im ländlichen Raum suchen sich die Leute noch ihren Verein, in der Stadt ist es oft anonymer. Meine Erfahrung ist, dass relativ wenige den Weg vom Onlineschach in den Verein finden. Hier öffnet sich noch ein Feld für neue Ideen.
Deine Gedanken und Tipps, von denen Du uns nun einige geschildert hast, verbreitest Du ja auch. Im Badischen Schachverband hältst Du Vorträge, verteilst Material…
…welches ich übrigens gerne an jeden sende, der daran Interesse hat.
Worauf ich hinaus wollte: Du hast eine Aktion im Badischen Schach-Verband im Jahr 2019 initiiert: 8000 plus. Damals hatte der BSV 8000 Mitglieder, 1001 Mitglieder mehr wolltest Du haben. Das habt Ihr mittlerweile geschafft.
Ja, die Maßnahmen haben gefruchtet – vor allem über verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Ende des Jahren 2024 haben wir tatsächlich die 9000er-Marke geknackt. Wir haben dazu einige Veranstaltungen gemacht, mit Power-Point-Präsentationen und Ähnlichem. Wie gesagt: Die stelle ich gerne jedem Interessierten zur Verfügung. Eine Mail an g.prill@t-online.de genügt. In Bayern war man da zuletzt übrigens mit einem ähnlichen Programm ebenso erfolgreich wie wir in Baden.
Es wird viel darüber diskutiert, dass im Schachsport nur neun Prozent der Mitglieder weiblich sind. Was kann man dagegen tun?
Ein Riesenproblem. Ich will ehrlich sein: Ich habe da auch kein Patentrezept. Wir haben mal eine Zeitlang sogar einen eigenen Spielabend nur für Frauen angeboten – das wollten die gar nicht, so unter sich sein. Von acht Frauen kamen am Ende nur noch zwei, da haben wir es wieder eingestellt. Ich glaube, es kann auf Dauer nur so funktionieren, dass es mehr Mädchen und Frauen als Vorbilder gibt. Erfolgreiche Schach-Mädchen, Trainerinnen. Ich merke es, dass bei den Schul-AGs die Mädchen meine Frau Thea als Trainerin sehr gut finden. Das ist der einzige Weg, wie es vielleicht auf Dauer geht. Wir müssen aber auch sehen, dass die Möglichkeiten für Mädchen sehr vielfältig sind. Wir haben große Sport- und Musikvereine vor Ort mit tollen Angeboten. Erst vor kurzem wurde eine Cheerleader- und Hip-Hop-Gruppe gegründet, welche innerhalb kurzer Zeit über 100 Mitglieder hatte. Da müssen wir uns einiges einfallen lassen um auch für Frauen und Mädchen attraktiv zu sein, wobei wir mit der Losung „Der Schachverein als Gemeinschaftserlebnis“ sicher auf dem richtigen Weg sind.
Du hast vor einigen Jahren einmal gesagt, der DSB würde auch die Gruppe der Schachspielerinnen und Schachspieler an den Universitäten übersehen. Wie denkst Du heute darüber.
Ich habe mich riesig über die jüngste Deutsche Uni-Meisterschaft in Berlin gefreut. Das war ein tolles Turnier, mit großer Beteiligung – ein wichtiger Schritt im Uni-Schachsport. Auch im Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband adh sind wir – wie ich gelesen habe - neuerdings wieder im Sportprogramm. Mein Gefühl ist: Wir sind dabei, jetzt diesen Schatz an den Universitäten zu heben. Auch das wird sich über kurz oder lang auf die Mitgliederzahlen in den Vereinen auswirken.
Ich weiß, dass Dich eine Sache wirklich ärgert: Wenn ein Verein im Internet nicht gut aufgestellt ist.
Ja, das ist tatsächlich so. Es gibt so viele Schachclubs, bei denen finde ich auf Anhieb auf der Homepage keinen Ansprechpartner, keine Mailadresse, keine Telefonnummer zum Kontaktieren, nichts. Viele Schachvereine wirken wie Closed Shops. Da können die Vereine noch einiges verbessern. Wenn ich keine laufende Bearbeitung der Internetseite möchte, genügt es auch, die wichtigsten Eckdaten auf einer Startseite zu präsentieren - aber das sollte zumindest erfolgen. Ansonsten spielt man vor sich hin, vernachlässigt solche Bereiche – und wundert sich, dass keine Neuen kommen. Wer es genau wissen will, kann auch meine Power-Point-Präsentation anfordern. Da gibt es einen Punkt, der ironisch gemeint ist: „Wie man erfolgreich neue Mitglieder vermeidet.“ Wer dann das genaue Gegenteil von den dort aufgeführten „Ratschlägen“ umsetzt, kann aus meiner Erfahrung den Erfolg nicht verhindern. Bitte nicht vergessen: Neue Mitglieder bringen auch neues Leben in den Verein.
Und ersten Teil des großen Interviews mit Gerhard Prill, dem Beauftragten des Deutschen Schachbundes für Mitgliedergewinnung, ging es um das Thema „Über das Gemeinschaftserlebnis junge Mitglieder gewinnen“
Wer mehr wissen möchte zum Thema, darf gerne den DSB-Beauftragten für Mitgliederentwicklung anschreiben. Gerhard Prill kann bei Bedarf auch Info-Material (u.a. eine Power-Point-Präsentation für die eigene Vereinsarbeit) zur Verfügung stellen.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36282