30. November 2013
Zum achten Mal lud die Tageszeitung "Neues Deutschland" zur Damen-Schachgala, einem Schnellschachturnier mit vier ausgewählten Damen und einem kleinen Rahmenprogramm. Die vier Auserwählten waren die Vorjahressiegerin Walentina Gunina, Elisabeth Pähtz, Marta Michna und die in Deutschland noch weitgehend unbekannte Silje Bjerke. Die 31-jährige norwegische Internationale Meisterin stellten wir in unserer Ankündigung von René Gralla bereits vor. Sie wurde von unserem Medienpartner "Neues Deutschland" auf Grundlage der Kooperation zwischen dem deutschen und norwegischen Schachverband und der bevorstehenden Olympiade in Tromsø (Norwegen) eingeladen.
Kurz nach 15 Uhr eröffnete ND-Geschäftsführer Olaf Koppe die Veranstaltung. Vom DSB richtete Vizepräsident Michael S. Langer einige Wort an die Anwesenden.
Hochkarätig ausgestattet war wie immer auch die Abteilung Organisation und Durchführung: Horst Metzing agierte als Schiedsrichter, Großmeister Thomas Pähtz übernahm im Nebensaal die Sprecherrolle und Raj Tischbierek zog im Hintergrund die Fäden. Zudem sorgte Felix Fürnhammer für das technische Gelingen der Übertragung der Partien in das Internet (schach.de, ichess.de) und auf Pähtz' Kommentatoren-Laptop.
Nach der Auslosung, Walentina Gunina hatte die Startnummer 1 gezogen, begann mit einer Bedenkzeit von 10 Minuten plus 5 Sekunden Inkrement die Vorrunde. Dabei kam es gleich zum Aufeinandertreffen der beiden Deutschen. Elisabeth Pähtz setzte sich mit Schwarz gegen Marta Michna durch, womit bereits eine kleine Vorentscheidung um den Einzug in das Finale gefallen war. In der anderen Partie setzte sich die 24-jährige Russische Meisterin erwartungsgemäß gegen die Norwegerin durch.
In Runde zwei besiegte Gunina Michna und Pähtz Bjerke. Damit stand die Finalpaarung und die Paarung im Kampf um Platz 3 bereits fest. Die dritte Runde wurde damit ein Aufwärmen für das Finale. Gunina zeigte hier schon mal, daß sie gewillt war, auch in diesem Jahr das Turnier zu gewinnen. Mit Schwarz besiegte sie die vier Jahre ältere Ranglistenerste der Deutschen.
Nach der Vorrunde ergab sich folgender Stand:
Pl. | Name | Land | DWZ | Elo | 1 | 2 | 3 | 4 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | WGM Walentina Gunina | RUS | 2498 | 2506 | x | 1 | 1 | 1 |
2. | WGM Elisabeth Pähtz | GER | 2440 | 2440 | 0 | x | 1 | 1 |
3. | WGM Marta Michna | GER | 2327 | 2385 | 0 | 0 | x | 1 |
4. | WIM Silje Bjerke | NOR | - | 2195 | 0 | 0 | 0 | x |
Während die jungen Damen im Münzenberg-Saal ihre Vorrunde spielten, fand im Foyer ein Turnier für die noch jüngeren Mädchen statt. Unter der Leitung des Falkenseer Trainers Carsten Stelter setzte sich hier Annika Sauer (DWZ 1404, Leegebrucher Schachfreunde) mit 5 aus 5 vor Laura Kribben (DWZ 760, Zitadelle Spandau), der Tochter des ehemaligen DSB-Vizepräsidenten, mit 4 Punkten durch. Die Siegerin Annika qualifizierte sich dadurch für den Blitzwettkampf gegen Elisabeth Pähtz, den die beiden in der Pause vor dem großen Finale austrugen!
Aber auch die drei anderen Damen hatten genug zu tun. Walentina Gunina wurde vom ND-Preisrätselsieger (nach Losentscheid unter vier richtigen Einsendern) Karl-Heinz Ziebarth gefordert, der bei der Auswahl der Gegnerin für sein Blitzduell die Russin gegenüber Pähtz bevorzugte. So konnte er gleich seine Fremdsprachenkenntnisse aufbessern.
Marta Michna bestritt gemeinsam mit dem an der Humboldt-Universität lehrenden Skandinavistik-Professor Kjetil Jakobsen ein alternierendes Uhrensimultan. Hier haderte sie damit, daß der Norweger etwas langsam unterwegs war, sie ihn immer einholte und warten mußte. Zwei ihrer jungen Gegnerinnen konnten so durch Zeitüberschreitung gewinnen.
Die Vierte im Bunde, Silje Bjerke, spielte mit Olaf Koppe einen Schaukampf im sogenannten Wikingerschach "Hnefatafl". Als kompetenten Spielbeobachter war der amtierende Hnefatafl-Online-Weltmeister, der Berliner Mathematik-Student Arne Roland, eingeladen worden. Der 19-Jährige brachte mit seinen langen Haaren Wikinger-Flair in die Veranstaltung und lehrte nach dem Duell der Norwegerin mit dem ND-Chefredakteur auch noch anderen Gästen die Regeln, so u.a. Hendrik Möller (DWZ 2193 - im Schach) vom SC Weisse Dame Berlin.
Silje Bjerke gewann nicht nur die Testpartie, sondern auch die "ernste" Partie gegen Olaf Koppe.
Richtig euphorisch wird Vater Pähtz im Nebensaal gewesen sein, als seine Tochter nach rund zwanzig Zügen mit Schwarz in der ersten Finalpartie gegen Walentina Gunina eine, man möchte fast sagen, Gewinnstellung auf dem Brett hatte. Die Russin hatte fast alle Figuren auf der Grundreihe angesammelt, wehrte sich aber tapfer gegen den drohenden Untergang. Und nicht nur das. Sie drehte das Spiel sogar, gewann und sorgte bei Familie Pähtz für lange Gesichter.
In der zweiten Partie versuchte die Deutsche verzweifelt mit einem vollen Punkt den Blitzstichkampf zu erzwingen. Ob diese Bemühungen von Erfolg gekrönt sein könnten, war sich Thomas Pähtz gar nicht so sicher - trotzdem Elisabeth aus einem Minusbauern einen Mehrbauern machte. Mal mäkelte er an beiden Materialverhältnissen herum, ein anderes Mal erkor er den weißen h2-Bauern zum Siegbringer. Jeweils begleitet von ironischen Sprüchen von Raj Tischbierek, der im Kommentatorensaal hinter ihm saß.
Der Randbauer wäre dann wirklich fast zum Gewinnbauer geworden, doch eine Springergabel auf f6 brachte den bis auf h7 vorgerückten Landwirt zu Fall - Remis.
Gespielt wurde mit 15 Minuten und 10 Sekunden Inkrement je Zug.
Weiß steht vor nahezu unlösbaren Problemen. Wegen Sxf3# kann der kecke Lc4 nicht genommen werden. Andererseits droht aber auch Txe2#. Bleiben offensichtlich nur Stopfzüge auf dem Feld d2. 22. Ld2 erschien dazu am geeignesten, weil S beliebig d2 den Lf4 ungedeckt zurücklassen würde. Tatsächlich hielten den Laden aber nur Springerzüge auf die dritte Reihe einigermaßen zusammen: Sc3/Sg3. 22. ... Lb3? Bei dieser kurzen Bedenkzeit konnte Elisabeth kaum am Brett die Killerzüge finden. Und von den Kiebitzen hat die entscheidende Idee wohl auch keiner gefunden. Die Speise auf d1 war allerdings auch zu verlockend, um mehr Zeit für bessere Züge zu verschwenden. Es hätte kommen können: 22. ... Lxe2 23. Kxf3 Sxf3!! 24. Kxf3 Se5 25. Ke2 Dd7! Ein stiller Zug zum Schluß. Jetzt sollte es wieder einfacher sein.
Pl. | Name | Land | DWZ | Elo | 1 | 1 | 2 | 2 | 3 | 3 | 4 | 4 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | WGM Walentina Gunina | RUS | 2498 | 2506 | x | x | 1 | ½ | ||||
2. | WGM Elisabeth Pähtz | GER | 2440 | 2440 | 0 | ½ | x | x | ||||
3. | WGM Marta Michna | GER | 2327 | 2385 | x | x | 1 | 1 | ||||
4. | WIM Silje Bjerke | NOR | - | 2195 | 0 | 0 | x | x |
Gänzlich von der Schachbühne hat sich jemand verabschiedet, den ich unter den Zuschauern entdeckte und zuletzt vor mehr als 23 Jahren gesehen hatte. Dieter Urban, ehemaliger Sektionsleiter Schach der BSG Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), hatte sich schon recht zeitig unter die Gäste gemischt. Sein Gesicht kannte ich noch von früher, aber trotzdem glaubte ich eher an eine Verwechslung. Als Dagobert Kohlmeyer seinen ehemaligen Vereinschef später begrüßte, war ich mir sicher eine Funktionärslegende des Ostens vor mir zu haben. Mich konnte er allerdings erst zuordnen, als ich meinen Namen nannte.
Urban, der inzwischen 80 Jahre alt ist, verfolgt das Schachgeschehen nur noch über die Zeitschrift SCHACH und das Internet. So informierte er sich zuletzt über die Weltmeisterschaft zwischen Anand und Carlsen, wobei ihn die Partien selbst weniger interessierten. Und die Zeitschrift SCHACH möchte er demnächst sogar abbestellen, wie er dem verdutzten Raj Tischbierek sagte. Darin sind ihm zu wenig lokal orientierte Beiträge, wie zum Beispiel die in den 1990er Jahren übliche Ergebnisbeilage.
Den ehemaligen Leipziger Tischbierek holte Urban damals zu AdW nach Berlin, besorgte ihm auch eine Wohnung in der DDR-Hauptstadt. Das war damals nicht selbstverständlich. Nach Berlin kam man damals nur durch Beziehungen oder privaten Wohnungstausch.
Aus seinem Stadtbezirk kommt Urban, dem es gesundheitlich nicht mehr so gut geht, nur noch selten heraus. Mit seiner 82-jährigen Frau lebt er in Köpenick und der Ausflug nach Friedrichshain zum ND-Verlagsgebäude war die erste größere "Reise" seit vielen Jahren.
Als schachgeschichtlich interessierten Menschen stellte ich ihm natürlich auch die Frage, ob es noch Dokumente aus der glorreichen AdW-Zeit gäbe. Schließlich gehörte die Schachsektion zum besten was die DDR zu bieten hatte. Die Männer gehörten dauerhaft der Sonderliga an und die Frauen sammelten mehrere Meistertitel.
Die von ihm geführte sechsbändige Dokumentation über die Sektion hat er Wolfgang Thormann überlassen, die anderen Dokumente, darunter Plakate von den internationalen Großmeisterturnieren in den 1980er Jahren, wollte er demnächst irgendwann entsorgen. Das hoffe ich jetzt natürlich verhindert zu haben. Dieter's Kontaktdaten habe ich schon mal.
Berichterstattung im "Neuen Deutschland":
Der Norden sagt: Schach! von René Gralla
Fotos von Carmay Sungu
Bericht von Joachim Lißner mit dem Schwerpunkt Hnefatafl
Bericht auf sportbilanz.de
Bericht auf sportbilanz.de zum Hnefatafl
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9287