4. Dezember 2024
Es war ein historischer Erfolg: Der erste Weltmeistertitel bei den Senioren für einen Deutschen seit 1991. GM Rainer Knaak, 71, sicherte sich den Titel vergangene Woche in Portugal. Auch bei ihm löste das Erinnerungen aus – und Gefühle. „Ein bisschen Genugtuung“ sei das schon, sagt der Leipziger. Der Grund: 1973 beschloss der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR, dass 25 nichtolympischen Sportarten der sogenannte Leistungsauftrag entzogen wird, wodurch Mittel gekürzt und die entsprechenden Sportverbände nicht mehr an „internationalen Meisterschaften und an Sportwettkämpfen mit nichtsozialistischen Ländern“ teilnehmen durften. Es ging der DDR in erster Linie noch um prestigeträchtigere Medaillen - wie bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Zu den betroffenen Sportarten gehörte damals auch Schach.
Auch an den Schacholympiaden nahm die DDR danach nicht mehr teil. Ausgerechnet ab einem Zeitpunkt, als Rainer Knaak (der 1972 noch die Olympiade in Skopje spielen durfte) schon früh einen Karriere-Höhepunkt erreicht hatte. Bereits mit 20 Jahren verlieh ihm die FIDE den Titel Internationaler Meister. Mit 21 Jahren war er schon Großmeister. 1979, nach Abschluss seines Mathematikstudiums, spielte er sich zu seiner besten Platzierung in der Weltrangliste: auf Platz 25. Aber, wie gesagt: Die restriktive Sportpolitik in der DDR verbaute ihrem damals jüngsten Großmeister den Weg zu den großen internationalen Titeln. Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit sprach mit ihm über damals – und heute.
Herr Knaak, Glückwunsch zum Weltmeistertitel bei der Ü65. Ganz ehrlich: Bei Ihrer erfolgreichen Vita, mit so vielen Turniersiegen – was bedeutet Ihnen so eine Goldmedaille noch?
Durchaus viel. Ich habe ja als DDR-Sportler gar nicht so viele Titel sammeln können wie ich gerne gewollt hätte. Und auch internationale Titelkämpfe habe ich ja kaum erlebt. 1969 war die letzte Junioren-WM, an der die DDR teilgenommen hat – dann fielen wir Schachspieler aus der Sportförderung, weil wir nicht olympisch waren. Ich konnte mich, wenn man so will, nur auf lokaler Ebene bewegen, und natürlich im Ostblock. So gesehen kann ich sagen: Dieser Senioren-Weltmeistertitel ist schon ein bisschen Genugtuung für mich.
Versuchen Sie uns mal emotional mitzunehmen…
…schauen Sie: Ich treffe heute bei diesen Senioren-Weltmeisterschaften genau die gleichen Leute wie zu DDR-Zeiten. Aber damals konnte ich mich nicht auf den größten Bühnen mit ihnen messen. Und das, obwohl ich 1973 sehr stark gespielt habe – und bestimmt gute Aussichten auf Titel gehabt hätte. Ich sehe das heute so: Es war immer meine Altersklasse, in der ich mich bewegt habe – und es ist bis heute meine Altersklassen-Meisterschaft. Deshalb bedeutet wir dieser Titel schon einiges, wenngleich ich ihn einzuordnen weiß.
Inwiefern?
Naja, es nimmt nicht jeder gute Spieler in meinem Alter teil, der teilnehmen könnte. Aus unterschiedlichsten Gründen. Deshalb kann ich das schon ein bisschen einschätzen. So eine Senioren-WM hat dann eben doch nicht den Wert wie eine richtige WM. Aber für mich persönlich steht dieses Turnier schon weit oben.
Das heißt, Sie haben einige Kontrahenten durchaus vermisst?
Ja, ich nenne ein Beispiel: Robert Hübner spielt so eine WM leider nicht. Warum, das weiß ich nicht – aber ich bedaure, dass er nicht dabei ist. Denn er hätte natürlich auch gute Chancen auf den Titel, weil: Er ist auch heute noch ein sehr, sehr starker Spieler. Auch andere bleiben solchen Titelkämpfen aus unterschiedlichsten Gründen fern. Die können auch gesundheitlicher Natur sein. Ich muss sagen: Ich bin dankbar, dass ich im Alter kaum abgebaut habe. Nicht jeder hat das Glück.
Aber Sie haben Ihren Titel doch bestimmt gefeiert, oder? Denn so einfach war es ja bestimmt nicht, 8,5 Punkte aus elf Partien zu holen…
Nach meiner Rückkehr hatten wir am Samstag ein größeres Familienfest. Das stand schon länger fest, dafür gab es einige Anlässe. Ich würde es so formulieren: Den Weltmeister-Titel haben wir dann in die Feierlichkeiten mit eingebaut. Und ja, natürlich ist so ein Titel auch keine Selbstverständlichkeit. Denn das ist ein starkes Teilnehmerfeld, da sind in der Altersklasse Ü65 auch Jüngere als ich dabei. Dass der Titelgewinn nicht so einfach ist, zeigt auch: Es war jetzt meine dritte Senioren-WM. Nach Platz sieben und Platz vier nun Platz eins – das kann man schon mal genießen.
Zumal es heißt: Bei Ihnen steckt hinter so einem Erfolg auch harte Arbeit.
Ja, das ist richtig: Ich habe ein bisschen darauf hingearbeitet. Ich habe vor allem an meinem Eröffnungsprogramm gefeilt. In dem Bereich kann man in meinem Altern noch am meisten herausholen. Und das hat sich gelohnt.
Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Grundsätzlich ist mir manche Überraschung gelungen, die dafür gesorgt hat, dass ich frühzeitig auf Gewinn stand. Zum Beispiel gegen Lubomir Ftacnik. Wir kennen uns ja sehr gut durch die gemeinsame Tätigkeit für ChessBase. Da bringt er sich immer noch regelmäßig in die große Datenbank mit ein. Da ist es nicht so einfach, so einen Kollegen noch zu überraschen. Zuletzt ist ihm das in Slowenien gegen mich gelungen – jetzt mir. Ich muss sagen: Natürlich verstehen wir uns gut – aber am Brett zählt dann nur der Punkt.
Wie muss man sich so eine Vorbereitung vorstellen? Der Laptop ist immer dabei?
Im Spitzenbereich ja, auch bei den Senioren. Am Abend vorher bekommst Du ja die Auslosung. Dann nimmt man sich am Abend und am nächsten Morgen zwei bis drei Stunden Zeit für die Vorbereitung: Was hat er gespielt, was spielt man selber? Aber: Grundsätzlich mache ich auch Zuhause noch täglich Taktiktraining. Mal kürzer, mal länger – wenn man sich in eine Eröffnung völlig festbeißt, können da schon mal drei, vier Stunden draufgehen.
Nun fand diese WM ja in Porto Santo statt, einem herrlichen Fleckchen Erde. Sonne, Meer vor der Haustüre – und dann so viel Schach-Arbeit?
Ja, das war wirklich schön. Grundsätzlich ein guter Ort zum Ferienmachen. Meine Frau war mit dabei. Wir haben uns auch die Zeit genommen für tägliche Spaziergänge. Einen Ruhetag gab es auch, den wir genutzt haben. Aber trotzdem gilt: So eine WM ist schließlich kein Urlaub.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36230