24. September 2025
Deggendorf. Da war doch was? Ja, hier wurde im April der Düsseldorfer Schachklub 1914/25 zum dritten Mal in der Vereinsgeschichte (nach 1955 und 1960) Deutscher Meister, bei der Zentralen Endrunde der Bundesliga. Ohne Niederlage, nur dem Vorjahresmeister SC Viernheim gelang es noch, dem neuen Titelträger zum Abschluss ein Unentschieden abzunehmen. Am Ende hatte der DSK einen Vorsprung von drei Mannschaftspunkten und 6,5 Brettpunkten. Nun kehrt der Meister zurück an den Ort des Triumphes. Die Schach-Bundesliga startet am Wochenende mit ihrer ersten Doppelrunde. "Es wird erneut eine hochklassige und spannende Saison mit vielen Top-Spielern", ist Markus Schäfer, der Präsidenmt der Bundesliga, überzeugt. Eine Saison, unter völlig neuen Vorzeichen für Düsseldorf. „Wir werden gegen den Abstieg kämpfen“, sagt Teamchef Jan Werner dem DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit. „Ich habe natürlich einige Gespräche geführt, aber viele Spieler haben wir aus finanziellen Gründen nicht bekommen.“
Vom bisherigen Mäzen Wadim Rosenstein, der sich in Deggendorf nicht nur den Traum von der eigenen Bundesligapartie erfüllte (wer das Geld gibt, darf auch mal mitspielen), sondern auch nach dem Titelgewinn quasi wunschlos glücklich noch in Bayern seinen Abgang als Sponsor verkündete, habe der Verein nur noch eine „Startfinanzierung in kleinerem Umfang für die neue Saison erhalten“, so Jan Werner, „sonst wäre der Neubeginn für uns noch schwieriger gewesen.“ Ansonsten habe man dann in der Folge einige andere Sponsoren und private Geldgeber gefunden, die aber nicht ansatzweise finanziell so potent seien, eine Weltauswahl mit hohem indischen Großmeister-Potenzial wie 2024/25 auf die Beine zu stellen. In einschlägigen Portalen wurde Düsseldorf ja noch vergangenen Saison als „beste Mannschaft der Welt“ bezeichnet.
Aber Jan Werner ist weit davon entfernt zu klagen: „Natürlich ist es schade. Wir hatten tolle Typen, einen prima Mannschaftsgeist. Es hat Riesenspaß gemacht mit den Superstars“, sagt er, „aber wir werden das auch so hinkriegen. Wir haben ein ordentliches Team.“ Mit GM Volodar Murzin und GM Victor Bologan immer noch zwei Großmeister jenseits der 2600 Elo. Allerdings: Letzte Saison lagen die Top neun des DSK allesamt über 2720 Elo.
So mancher indische Topstar wie GM Dommaraju Gukesh und GM Rameshbabu Praggnanandhaa bleibt übrigens Mitglied bei den Düsseldorfern – beitragsfrei, aber eben für die Bundesliga nicht gemeldet. „Der Kontakt ist immer noch da“, sagt Jan Werner, „sie haben sich wohlgefühlt. Mal sehen, ob sich die Wege irgendwann wieder kreuzen.“ Werner selbst bleibt seinem Verein natürlich erhalten. In der Liga gilt er als Paradebeispiel für einen Teamchef, der sein Amt mit Herz und Leidenschaft ausführt – und zum Wohle des Ensembles alles gibt. „Ich sehe das so: Es geht um das große Ganze, den Verein“, sagt er, „wir haben schon zweimal erfolgreich erste Liga gespielt ohne Topstars. Warum sollte das also nicht gut werden?“ Zumal der Druck geringer wird, wenn der Klassenerhalt nun ein ebenso erstrebenswerter Erfolg wird wie der Titelgewinn im Frühjahr.
Kleinere Brötchen backen – das war aber insgesamt die Devise am Rhein. In manches Spielerregal habe er erst gar nicht versucht zu greifen, so Werner. Denn allein die Reisekosten seien jetzt schon eine Hürde. „Jetzt haben wir eine Mischung aus Talenten und ein paar alte Hasen. Natürlich, räumt Werner ein, es werde ihm das Herz ein wenig bluten, wenn er zum Beispiel einen GM Arjun Erigaisi, Nummer 5 der Weltrangliste, plötzlich im Deggendorfer Shirt sehen werde. „Das ist ja eigentlich unser indischer Topstar“, sagt Werner und lacht. Vergangenes Jahr erzielte Erigaisi vier von sechs möglichen Punkten an Brett eins der Düsseldorfer. „Wie Deggendorf ihn finanzieren kann, das weiß ich nicht“, sagt Werner, „aber sie kriegen jedenfalls einen super netten Typen und einen tollen Spieler.“ Deggendorfs Teamchef Johannes Grabmeier hat schachbundesliga.de zumindest ansatzweise verraten, wie es zu dem Coup kam: „Wir haben schon länger indische Spieler im Team. Die tauschen sich untereinander auch aus und erzählen weiter, wie schön es in Deggendorf ist.“ Tatsächlich vermittelten bei der Endrunde auch die Bilder von Chessbase India der Schach-Welt bayrische Idylle pur aus der besten Schach-Liga der Welt. Wunderbare Landschaften und Kirchtürme. Dirndl, Denkmäler und Damengambit – das Klischee kommt halt in Indien gut an.
Den Titel in diesem Jahr gewinnen würde, wie 2024, gerne der SC Viernheim. Und natürlich der zuletzt entthronte Serienmeister Baden-Baden. Umso gespannter wartete die Schachszene auf die Anfang August veröffentlichten Bundesliga-Kader – und da sind vor allem bei den Top-Klubs wieder prominente Namen. Bei der OSG Baden-Baden haben neun Spieler eine Elo über 2700, das ist mit Abstand der höchste Elo-Schnitt. Stars wie GM Fabiano Caruana, GM Alireza Firouzja, GM Anish Giri, GM Vincent Keymer. Hinzu kommt die Legende GM Viswanathan Anand. Mit dabei ist auch DSB-Akteur GM Alexander Donchenko. Beim Hamburger SK sind die Nationalspieler GM Frederik Svane und GM Rasmus Svane dabei. Bei den Schachfreunden Deizisau GM Matthias Blübaum und GM Dmitrij Kollars.
Aber auch der SC Viernheim hat ein starkes Aufgebot. Mit Topspielern wie GM Nodirbek Abdusattorov, 2748 Elo an der Spitze. GM Dennis Wagner und IM Dinara Wagner starten ebenfalls für den SCV. Aber die schillerndste Figur in Viernheim: Nach drei Jahren im Kampfeinsatz wendet sich GM Igor Kovalenko wieder dem Schachbrett zu. Der ukrainische Großmeister diente seit April 2022 als Soldat an der Front. „Seine Rückkehr bedeutet für uns viel mehr als eine sportliche Verstärkung", sagt Vereinschef Stefan Martin. Nach Jahren des Bangens sei im Club die Erleichterung groß, Kovalenko begrüßen zu können. Kovalenko selbst hat der Süddeutschen Zeitung gesagt, er habe im Krieg Schach gespielt „um ein Mensch zu bleiben“. Eindrucksvoll. "Ich freue mich darauf, mit ihm über die Situation in der Heimat zu sprechen", sagt Frauen-Bundestrainer GM Zahar Efimenko, der für Werder Bremen spielt, "vor allem aber ist es schön, dass es ihm gut geht."
Der Name unter allen klangvollen Namen in der stärksten Schach-Liga der Welt: GM Magnus Carlsen, Nummer eins der Welt, spielt wieder für den FC St. Pauli, der insgesamt sein Ensemble deutlich verstärkt hat – und dem man, bei entsprechender Aufstellung, zutraut ein Wörtchen oben mitzureden. Carlsen hat den Klub als Titelkandidat innerhalb der nächsten drei Jahre ins Gespräch gebracht. Sein Einsatz beim Heimspielwochenende am 7./8. Februar wurde bereits angekündigt.
Alexandra Leib und Oliver von Wersch, die das Bundesligateam managen, machten auf der Schachbundesliga-Seite bereits Appetit für den Auftritt des Topstars. Oliver von Wersch: „Magnus hat Lust auf den FC St. Pauli. Deshalb war das keine große Diskussion. Die Frage wird wieder sein, wie viele Termine wir von ihm bekommen. Es wird wohl ähnlich wie in dieser Saison laufen: Vielleicht bekommen wir zwei Wochenenden, vielleicht eines. Magnus im Stadion – das ist unser Ziel für die kommende Saison.“ Alexandra Leib: „Magnus hat einen guten Start hingelegt, die Stimmung im Team war super, und für uns im Club war es ein Erlebnis.“ Der Verein habe 60 neue Mitglieder gewonnen, die Abteilung ist von 130 auf 190 Mitglieder gewachsen. „Der Magnus-Effekt setzt sich kontinuierlich fort“, so von Wersch, „das daraus resultierende Mehr an Mitgliedsbeiträgen ermöglicht uns, in die Jugendarbeit zu investieren, Infrastruktur aufzubauen. Zur kommenden Saison bauen wir erstmals Jugendliche in den Bundesliga-Kader ein. Es wächst etwas heran, auch wenn es noch ein zartes Pflänzchen ist.“ Ums Überleben wird es für die Aufsteiger MSA Zugzwang München (mit GM Leonardo Costa) und die Schachfreunde Berlin gehen. Dem dritten Aufsteiger Sfr. Wolfhagen wird mit einer starken ukrainischen Großmeister-Fraktion durchaus ein bisschen mehr zugetraut. (mw)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36795