22. April 2025
Eines vorneweg: CM Alina Rath heißt jetzt Alina Fichte-Rath. Im November letzten Jahres hat sie ihren Freund Alexander geheiratet – und nahezu zeitgleich ein neues Amt angenommen. Sie ist jetzt Vorsitzende des ersten Schachbox-Vereins der Welt, gegründet 2004: Chessboxing Berlin. Eigentlich, sagt sie, sei sie gar nicht scharf auf die Funktionärstätigkeit gewesen, habe sich dann aber überreden lassen. „Und wenn ich jetzt frech bin, sage ich immer: Ich bin jetzt der Chef“, sagt sie und lacht. Zumal sie in dem Verein, für den sie auch schon WM-Titel gewann, auch noch Trainerin ist. Jetzt aber will sie nicht nur verwalten, sondern für ihre rund 70 Vereinsmitglieder viel mehr Wettkämpfe organisieren als bisher. Aber Fakt ist auch: Ihr Zeitplan ist noch enger. Von Beruf ist die 36-Jährige Controllerin. Sie spielt traditionelles Schach für drei Vereine: SG 1871 Löberitz (Frauenbundesliga), SK König Tegel (Stadtliga Berlin) und das Betriebsschachteam der Sportlichen Vereinigung Osram – und sie ist MMA-Kämpferin und Schachboxerin. Bei der zentralen Bundesliga-Endrunde in Deggendorf von Freitag bis Sonntag ist aber Schach pur angesagt. Sie kämpft mit ihrem Verein SG Löberitz gegen den Abstieg. Matthias Wolf vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit sprach mit Alina Fichte-Rath über intensive Kämpfe – im Ring und in der Frauenbundesliga. Sensible Themen wie Sexismus im Sport bleiben nicht außen vor.
Die Frage wurde Dir bestimmt schon häufig gestellt: Boxen oder Schach – was macht mehr Spaß?
Ich mag beides. Nach der Arbeit boxen – das Training macht die Birne frei. Am Wochenende spiele ich gerne Schach. Da ist der Kopf schon frei. Das passt in der Konstellation also prima. Ich merke schon, wenn ich unter der Woche noch abends Betriebsschach spiele, dann funktioniert das nicht so gut. Man hat im Job Deadlines, hetzt dann zur Partie – das ist doppelt anstrengend.
Was ist denn kräftezehrender: Schach oder Boxen? Und für was betreibst Du mehr Aufwand?
Auch das kann man nicht so einfach beantworten. Beides strengt an. Den einen mehr das Boxen, den anderen das Schachspielen. Ich habe schon gut trainierte Boxer am Brett verzweifeln gesehen. Die waren danach fertig. Das eine ist die Psyche, das andere der Körper. Die Erschöpfung ist halt jeweils eine andere. Beim einen tut öfter der Kopf weh, beim anderen spürt man manchmal danach jeden Knochen. Der Mix macht den Reiz aus. Was beide Disziplinen gemeinsam haben: Wenn ich mich nicht fokussiere, passieren Fehler. Und was das Trainingspensum angeht, kann ich sagen: Fünf bis sechsmal pro Woche Boxtraining, jeweils eineinhalb Stunden. Für Schach tue ich eindeutig weniger – scheinbar zu wenig, sonst wäre ich darin besser (lacht)
Das heißt, Deine Bundesligabilanz für Löberitz – 1,5 Punkte aus fünf Partien – ärgert Dich schon?
Ja, das gebe ich zu. Aber das funktioniert halt manchmal mit dem Zeitmanagement schwer. Ich gebe ein Beispiel: Vor den Bundesligarunden in Dippoldiswalde hatte ich als Vereinsvorsitzende plötzlich Riesenprobleme mit einem Amt. Da fehlten Unterlagen, wir mussten schnell reagieren, sonst hätten wir vielleicht sogar die Gemeinnützigkeit verloren. Statt Vorbereitung auf meine Partien habe ich also Formulare ausgefüllt und Belege erbracht. Da habe ich schon gedacht: Mann, die Zeit hätte ich lieber mit Schachtraining verbracht. Zumal: Am Brett hatte ich dann halt auch den Kopf nicht wirklich frei.
Schachboxen, das bedeutet sechs Runden Schach und fünf Runden Ringkampf. Wie funktioniert das, wenn man gerade eine auf die Zwölf bekommen hat, der Schädel brummt – und dann soll der nächste Zug wieder sitzen…
Das geht schon. Ich nenne mal ein lustiges Beispiel. Vor eineinhalb Jahren habe ich bei der WM nach einem harten Treffer in der ersten Runde mit dem Kampf eigentlich schon komplett abgeschlossen. Der war so heftig, ich dachte: Da geht heute nix mehr. Und lange lief auch kaum was. Aber, der Vorteil ist: Dann hast Du immer zwischen den Runden eine Minute Zeit, um den Puls runter zu bekommen, Dich zu schütteln. Ich habe mich so stückweise erholt und am Ende haben sich meine schachlichen Qualitäten, in Kombination mit meiner Kondition, durchgesetzt – die Gegnerin hat in der dritten Schachrunde, also der fünften Runde insgesamt, wegen Zeitüberschreitung verloren. Das ist das Schöne an dem Sport: Wenn man spürt, dass man boxerisch an dem Tag nicht so gut ist, kann man es über Schach noch ausgleichen. Man kann also auf den Gegner auch übers Schachbrett Druck ausüben. Der Nachteil: Mir ist mal passiert, dass bei einer WM in der ersten Runde eine indische Gegnerin schon nach dem vierten Zug die Dame eingestellt hat. Dann kam ich gar nicht mehr zum Boxen. Das war schade, weil ich über 1000 Euro für die Anreise bezahlt hatte und eigentlich beides richtig auskosten wollte.
Es klingt paradox: Schachboxer dürfen auch bei offiziellen Schachturnieren mitmachen – aber nicht bei Boxturnieren der Verbände. Warum ist das so?
Vorneweg: Ich will auch bei mir im Verein den schachlichen Part noch mehr fördern. Viele unserer Mitglieder trauen sich nicht, an reinen Schachturnieren teilzunehmen, weil sie denken, sie seien zu schlecht. Das will ich ändern, weil sie sich dann signifikant in diesem Teil unseres Sports verbessern können. Die Boxverbände begründen unsere Nichtzulassung mit Versicherungsgründen. Und sie sehen quasi die Schachrunde als nicht regelkonforme Pausen. Ich würde gerne öfter bei reinen Boxturnieren mitmachen, weil ich auch das als gutes Training sehen würde. Meine Gegnerinnen bei der WM aus Russland zum Beispiel dürfen bei offiziellen Turnierkämpfen mitmachen, meine ärgste Rivalin will sogar Profiboxerin werden. In jedem Fall verbessert sie sich dadurch, wir in Deutschland werden ein wenig abgehängt. Ab und zu gibt es die Chance, bei privaten Kämpfen mitzumachen – aber da muss man auch immer auf die Rahmenbedingungen schauen, die sind manchmal nicht sehr gut für die Kämpferinnen und Kämpfer.
Kommen zu Euch bei Chessboxing Berlin auch Leute, die vorher gar nicht Schach spielen können?
Das gab es auch schon, aber das lassen wir nicht mehr zu. Ich kann mir nicht zwischen den Kämpfen die Zeit nehmen, minutenlang die Züge zu erklären – die müssen jetzt alle mindestens schon wissen, wie die Figuren bewegt werden dürfen.
Nochmal zurück zur Frauenbundesliga. Du bist Berlinerin, spielst aber für Löberitz, zwei Stunden Autofahrt entfernt. Gerade ist der SC Kreuzberg aufgestiegen. Ist der Wechsel schon eingetütet?
Die Kreuzbergerinnen haben tatsächlich schon angefragt, das hat mich gefreut - aber ich bleibe bei Löberitz. Im Vergleich zu meinem früheren Verein in Kiel ist das keine Entfernung. Wir sind ein tolles Team, verstehen uns gut – dieses Mannschaftsgefühl bringt richtig Spaß. Und das ist mir wichtiger als alles andere.
Ist mit diesem Teamgeist der Klassenerhalt in Deggendorf drin?
Ich hoffe doch. Wir sind all top motiviert, es zu schaffen. Das Ambiente wird bestimmt super, dadurch, dass auch noch die offene Bundesliga mit vielen Top-Stars aus dem Männerbereich parallel spielt. Ich freue mich auf gute Partien – und gute Gespräche. Ich denke, das wird eine super attraktive Veranstaltung.
Wirst Du in der Frauenbundesliga manchmal argwöhnisch beäugt? Als die, die auch boxt? Nimmt man Dich womöglich manchmal als Schach-Gegnerin nicht ernst?
Naja, bei einer Profispielerin mit deutlich mehr Elo als meine 2000 ist das vielleicht so – aber es hat mich noch nie eine Gegnerin spüren lassen. Im Gegenteil, viele finden es toll, dass ich auch Kampfsport mache. Es hat noch nie eine das Klischee bemüht, dass Frauen eigentlich ja so erzogen werden, sich nicht zu prügeln. Das deckt sich auch mit der Schachbox-Szene: Da genießen Frauen volle Akzeptanz. Das habe ich beim Schachspiel mit Männern schon anderes erlebt.
Du spielst auf Sexismus an?
Naja, da rede ich jetzt nicht davon, was ich einmal erlebt habe: Dass ich zum Betriebsschach wollte und der Pförtner mir nicht glauben wollte, dass ich Spielerin bin – und nicht die Putzfrau. Mir geht es um solche Vorfälle: Am Brett habe ich schon manch dummen Spruch erlebt. Ich hatte Gegner, die waren richtig aufdringlich und ließen sich auch nicht abschütteln. Über Jahre hinweg gab es schachspielende Männer, die nicht verstanden haben, dass ich nichts von ihnen will. Die haben kein Nein akzeptieren wollen. Das war schon ganzschön nervig. Und was mir auch passiert ist: Dass mir, angeblich aus religiösen Gründen, ein Mann vor der Partie nicht die Hand geben wollte.
Du bist frisch verheiratet, die Frage muss ich stellen: Was sagt Dein Mann Alexander zu Deinem ungewöhnlichen Sport? Hat er nicht Angst um Dich im Ring? Und, ist er Boxer oder Schachspieler?
Weder noch. Er unterstützt mich in allem, was ich tue, baut mich mental immer wieder auf. Er begleitet mich zu den Schachbox-Weltmeisterschaften. Da habe ich auch Zeit für ihn zwischen den Kämpfen. Zum Schach würde er gerne auch mitkommen, aber ich habe es verboten. Da sage ich immer: Ich muss mich konzentrieren und will während der stundenlangen Partien nicht das Gefühl haben, dass ich mich um ihn kümmern muss. Bei Alexander und mir gibt es übrigens einen Running Gag.
Und der wäre?
Er hat eine, nun ja: gewisse Schlaghemmung. Deshalb sage ich oft: Wenn wir mal überfallen werden auf offene Straße, drücke ich Dir meine Handtasche in die Hand - und dann verprügle ich den Angreifer. (lacht)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 36191