Der Beitrag ist älter als 1 Jahr und der Inhalt möglicherweise nicht mehr aktuell!

Zum 140. Geburtstag von Bernhard Gregory

10. April 2019

Bernhard Gregory

Vom Findelkind zum Schachmeister

Mysteriöser könnte ein Leben wohl nicht beginnen, als das von Bernhard Gregory. Er wurde ausgesetzt und am Abend des 18. April 1879 21.30 Uhr auf den Eingangsstufen des Rathauses in Reval, dem jetzigen Tallinn, aufgefunden.

Mit Sicherheit wollte seine unbekannte leibliche Mutter für das Kind ein besseres Leben erwirken, als sie es ihm hätte bieten können. Ob sie verheiratet oder ledig war, wissen wir nicht. Auch nicht warum das Kind gerade dort abgelegt wurde. Vielleicht ein Hinweis zum Vater? Auch das ist eine Spekulation. Jedenfalls hatte das Kind Glück und landete nicht in einem Waisenhaus, versehen mit dem Namen des jeweiligen Tagesheiligen. Es wurde auf ein Alter von 10 Tagen geschätzt und so legten die Behörden den 10. April als Geburtstag fest. Der Senator Ferdinand Oscar Gregory nahm sich des Findelkindes an und adoptierte es. Der kleine Junge hieß nun Bernhard Gregory.
Getauft wurde Bernhard im gleichen Jahr am 6. Juni nach Evangelisch-Luherischen Ritus. Die Patenschaft für das Kind übernahmen Emilie Gregory, geb. Reinberg, Carl Reinberg und sein Adoptivvater Oscar Gregory. Seine nunmehrigen Eltern Ferdinand Oscar Gregory und seine Ehefrau Alexandrine Emmi, geborene Gordofski, konnten dem kleinen Bernhard das bieten, was dessen Mutter wohl niemals hätte können. Seine Eltern, sogenannte Deutschbalten, sprachen zu Hause deutsch und estnisch. Diese Zweisprachigkeit wurde durch die Schulzeit noch durch eine weitere ergänzt. Denn er besuchte zwischen 1885 und 1893 die Revaler Ritter- und Domschule. Hier wurde nur russisch gesprochen.

Im Alter von 8 Jahren erlernte das Kind an dieser Schule, auch mit Unterstützung seines Vaters, das Schachspiel. Zwei Jahre nach dem Tode seines Vaters verließ Bernhard Gregory 1898 seine Heimatstadt Reval um in Deutschland ein Studium aufzunehmen. So begann er im Bayerns Metropole München ein Studium mit den Richtungen Chemie und technische Wissenschaften. Im Alter von 23 Jahren heiratete er am 2. September 1902 in London die 18-jährige Leipzigerin Ida Hempel. Ein Jahr später wurde Tochter Iselin geboren. 1904 zog die Familie nach Berlin-Schöneberg in die Martin-Luther-Straße 78. In Berlin setze er sein Studium fort. 1905 kam die zweite Tochter Dolly auf die Welt.

Zu Beginn des 1. Weltkrieges, 1914, ging die Ehe in die Brüche und Ida Gregory zog mit ihren beiden Kindern wieder zurück zu ihren Eltern nach Leipzig. Bernhard Gregory blieb in der Hauptstadt und widmete sich nun noch intensiver dem Schachspiel. Zeit hatte er auch in den Kriegsjahren, denn als sogenannter „Staatenloser“ wurde er von Deutschland nicht zum Militärdienst eingezogen. Für ihn persönlich, war das ein Makel. Im Nachhinein betrachtet, sicherlich ein Glücksfall.

Schon viele Jahre vorher begann er erfolgreich an Schachturnieren teilzunehmen. Bekannt sind gemäß der Auflistung Jeremy Gaige (1927-2011) nachfolgende Turnierteilnahmen:

  • 1902 Hannover, 16.-19. Platz
  • 1903 Berlin, 9.-10. Platz
  • 1904 Reval, 1.–2. Platz
  • 1904 Coburg, 7.-8. Platz
  • 1905 Barmen, 6. Platz
  • 1905 Berlin, 14.-15. Platz
  • 1905 Barmen, 1-3. Platz
  • 1906 Nürnberg, 5. Platz
  • 1907 Berlin, 6.-7. Platz
  • 1908 Berlin, 2. Platz
  • 1909 St. Petersburg, 3. Platz
  • 1910 Hamburg, 13.-15. Platz
  • 1910 Berlin, 5. Platz
  • 1911 Berlin, 11. Platz
  • 1912 Breslau, 1. Platz
  • 1914 St. Petersburg, 17.-18. Platz (sh. unten)
  • 1917 Berlin, 9. Platz
  • 1920 Berlin, 6.-7. Platz
  • 1920 Berlin, 11. Platz

Danach hat sich Gregory vom aktiven Turnierschach zurückgezogen. 1931 wurde nach langjähriger Trennungszeit seine erste Ehe geschieden und er heiratete  seine zweite Ehefrau Helene Hermine, geb. Walsleben. Diese Ehe blieb kinderlos. 1932 wurden Bernhard Gregory und Frau in Preußen eingebürgert und erhielten dadurch die deutsche Staatsbürgerschaft.
Nach dem Ende seiner Schachlaufbahn arbeitete Gregory als Ingenieur in seiner Wahlheimat Berlin. Er verstarb am 2. Februar 1939 in Berlin-Schmargendorf, vermutlich an Krebs.

Seine Tochter Iselin Gregory in Leipzig  gebar 1930 eine Tochter. Alice Gregory, geb. am 11. Juli 1930  in Halle/S., ist das einzige Enkelkind von Bernhard Gregory. Sie machte als Wirtschaftswissenschaftlerin und Soziologin an der Universität Leipzig Karriere. Prof. Dr. sc. oec. Alice Kahl pflegt das Erbe ihres Großvaters. Einige seiner schachlichen Hinterlassenschaften, wie Ehrenpreise, Fotos und Bücher übergab sie zu Gregorys 125. Geburtstag dem Berliner Schachverband.

Weiter in ihrem Besitz befand sich Bernhard Gregorys Schachtisch mit Figuren aus der Berliner Wohnung. Diesen Tisch hat sie nun freundlicherweise zum 140. Geburtstag ihres Großvaters dem Schachmuseum in Löberitz übergeben. Dort kann der Tisch von jedem Interessierten angeschaut werden. Dafür unser aller Dank!

Neben Frau Prof. Dr. sc. oec. Alice Kahl, möchte sich das Schachmuseum Löberitz beim Chef der Lasker Gesellschaft Paul Werner Wagner und bei Frank Hoppe vom Berliner Schachverband für die Unterstützung bei der Umsetzung dieser Schenkung bedanken.

Prof. Dr. Alice Kahl und Thomas Richter als Vertreter des Schachmuseums Löberitz bei der Übergabe des Schachtisches am Samstag, den 30. März 2019 in Leipzig

Mein letzter Wille.

Zu meiner alleinigen Erbin bestimme ich meine Lebensgefährtin Helene, geborene Walsleben, geb. 11.4.1889 in Berlin. Wir kennen uns seit dem 24.12.1904. Die Ehe konnten wir erst am 5.10.1931 vor dem Wilmersdorfer Standesamt schließen, nachdem das Scheidungsurteil meiner ersten Ehe, das nach dem jetzigen Recht n meiner früheren Heimat am 24.2.1931 ergangen war, in Deutschland vom Pr. Justizministerium am 11.9.31 anerkannt worden war.

Die Einbürgerungsurkunde vom 20.8.32 wurde mir am 1.9.32 behändigt.

Meine Tochter Iselin und Dolly aus erster Ehe (die 1902 in London geschlossen wurde), die nun seit Jahrzehznten in Leipzig mit der Mutter in Leipzig leben, beschränke ich vorsorglich auf das Pflichtteil.

Als nicht meinen Nachlaß zugehörig bestätige ich alle Stücke der Einrichtung meiner Wohnung erster Ehe, die ich bei der Trennung von meiner ersten Fraue dieser beließ. Mit Ausnahme eines sog. Lutherstuhls, den mein 1896 in Reval verst. Vater am Schreibtisch benutzt hat und mehrerer Bilder meiner naher Aneghöriger, die zwar nach Leipzig gelangt waren, deren Herausgabe aber später gerichtlich erfolgt ist.

Der Güterrechtsvertrag vom 21.12.31 mit meiner zweiten Frau ist aus Vorsorge geschlossen worden, nicht zum Nachteil von Gläubigern. Diese Willenskundgebung ergänze ich dahin, daß alles, was zur Vollendung der Einrichtung dieser jetzigen 1917 gemieteten Wohnung meiner zweiten Ehe geschehen ist und geschehen wird, meiner alleinigen Erbin Helene verbleiben soll, einschl. aller Gerätschaften und Andenken.

Bei Verwenung meines Gehaltseinkommens habe ich stets beobachtet, daß Helene lieber Geld für vorsorgliche Zwecke verwandt hat als für Konfektion und Vergnügungen. Aus dieser Haltung soll ihr allein Nutzen zustehen:

Nach Verbrauch meines väterlichen Erbteils aus dem Baltikum in Deutschland in einer sinnlosen ersten Ehe, mußte ich jahrzehntelang zwar aus der Hand in den Mund wirtschaften, hoffe aber meiner [wahren] Lebensgefährtin Helene die Grundlage zur Existenz durch Abvermieten, selbst im Bettschrank schlafen u. dergl. erarbeitet zu haben. Ein bürgerlicher Nachlaß zur Verteilung nach dem BGB. ist nicht ersichtlich.

Berlin-Wilmersdorf den 1. Juli 1938
Bernhard Gregory

All-russische Meisterschaft Sankt Petersburg 1914

Vom 4. bis 30. Januar 1914 fand die Meisterschaft des russischen Kaiserreiches in Sankt Petersburg statt. In der 12. Runde am 22. Januar kam es zum Aufeinandertreffen des großen Favoriten Alexander Aljechin mit Gregory. Letzterer konnte sich sensationell mit Schwarz durchsetzen. Der Schluß der Partie ist sehenswert!

Mehr Informationen zum Turnier mit historischen Fotos (englisch)

Pl. Name Pkt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8
1. Alexander Aljechin 13,5 X 1 1 0 1 1 ½ 0 1 1 1 1 1 1 1 1 0 1
1. Aron Nimzowitsch 13,5 0 X ½ ½ 1 1 0 1 1 1 ½ 1 1 1 1 1 1 1
3. Alexander Flamberg 13,0 0 ½ X 1 ½ 0 1 1 1 ½ 1 1 1 ½ 1 1 1 1
4. Moishe Leopoldowicz Lowcki 11,0 1 ½ 0 X ½ 0 0 1 1 1 ½ ½ 1 1 1 ½ 1 ½
5. Grigori Löwenfisch 10,5 0 0 ½ ½ X 1 0 0 1 0 1 1 1 1 1 1 ½ 1
6. Eugene Znosko-Borowski 10,0 0 0 1 1 0 X ½ 1 0 ½ ½ 1 0 ½ 1 1 1 1
6. Andrej Smorodsky 10,0 ½ 1 0 1 1 ½ X ½ 0 ½ 0 1 1 0 ½ 1 1 ½
8. Jefim Bogoljubow 9,5 1 0 0 0 1 0 ½ X ½ ½ 1 0 1 1 ½ ½ 1 1
9. Alexander Evenson 9,0 0 0 0 0 0 1 1 ½ X 0 ½ 1 1 1 0 1 1 1
10. Semjon Alapin 8,5 0 0 ½ 0 1 ½ ½ ½ 1 X 0 0 ½ ½ ½ 1 1 1
10. Georg Salwe 8,5 0 ½ 0 ½ 0 ½ 1 0 ½ 1 X 0 1 1 ½ 1 0 1
12. Sergej von Freymann 7,0 0 0 0 ½ 0 0 0 1 0 1 1 X 0 ½ 1 0 1 1
13. Stefan Levitsky 6,5 0 0 0 0 0 1 0 0 0 ½ 0 1 X 1 1 1 0 1
14. Jean Taubenhaus 6,0 0 0 ½ 0 0 ½ 1 0 0 ½ 0 ½ 0 X 0 1 1 1
15. Sergej Lebedew 5,0 0 0 0 0 0 0 ½ ½ 1 ½ ½ 0 0 1 X 0 1 0
16. Peter Ewtifejew 4,5 0 0 0 ½ 0 0 0 ½ 0 0 0 1 0 0 1 X 1 ½
17. Bernhard Gregory 3,5 1 0 0 0 ½ 0 0 0 0 0 1 0 1 0 0 0 X 0
17. Moisej Eljaschow 3,5 0 0 0 ½ 0 0 ½ 0 0 0 0 0 0 0 1 ½ 1 X
-
22.01.1914

// Archiv: DSB-Nachrichten - Schachgeschichte // ID 9767

Sie müssen sich anmelden, wenn Sie diesen Artikel kommentieren wollen.

Zurück