1. April 2025
Die Geschichte ist oft erzählt worden: Die Mauer fiel, dann war die DDR am Ende - und holte doch fünf Jahre später noch eine letzte sportliche Medaille. Bronze bei der Fernschach-Olympiade. Mit FM Dr. Friedrich Baumbach im Fernschach, wo manche Züge die Zeit regelrecht zu überdauern scheinen. Doch nun jährt sich das Ereignis in diesen Tagen zum 30. Mal. „Das war schon eine kuriose Sache damals“, sagt Baumbach. Lange schon sei er nicht mehr darauf angesprochen worden. Nun tat es einer, der damals auch als Journalist auf die Geschichte gestoßen war. Und der sich jetzt daran erinnerte, weil Fritz Baumbach gerade erst wieder Schlagzeilen machte – zumindest in der Schachszene: In Undeloh fand bis zum 25. März das dritte Nestorenturnier des DSB für die Jahrgänge 1950 und älter statt. Fünfzig Spielerinnen und Spieler waren älter als 75 Jahre – und Friedrich Baumbach vom SC Friesen Lichtenberg in Berlin gelang es, das Turnier mit sechs Punkten aus sieben Runden zu gewinnen. „Das hat mich ganz gewaltig gefreut“, sagt er, „ist für einen Spieler in meinem Alter ja schon was Besonderes.“ Wohl wahr: Fritz Baumbach wird im September 90 Jahre alt.
Es war Samstag, der 9. April 1994. Die Stuttgarter Nachrichten hatten ihren Reporter Matthias Wolf, der heute das DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit leitet, nach Berlin entsandt – zum Spiel der zweiten Fußball-Bundesliga zwischen Hertha BSC und den Stuttgarter Kickers. Der Tabellen-Neunzehnte empfing den Siebzehnten – das war alles andere als großer Sport, eher Chronistenpflicht. Wie also dieser Reise noch einen tieferen Sinn geben? Wolf, selbst Schachspieler, wollte den Kopf der Fernschach-Nationalmannschaft der DDR kennenlernen. „Sie können gerne kommen, aber ich bin nicht in Berlin, sondern auf meiner Datsche in Biesenthal“, sagte der Patentingenieur Baumbach damals. Also ging es vom Flughafen Tegel über Pflastersteinstraßen ins Umland. Und, nur nebenbei: Hertha gegen Kickers endete 0:0, es war ein trostloses Spiel vor 3400 Zuschauern im weiten Rund des Olympiastadions. Das Highlight der Dienstreise war die Schachgeschichte, die später mit „Zwischen den Welten“ betitelt wurde.
„Ich will ehrlich sein“, sagt Baumbach heute zu Wolf, „an Sie direkt kann ich mich nicht erinnern. Da kamen damals viele Journalisten. – Obwohl,“ fügt er lächelnd hinzu: „den weiten Weg nach Biesenthal hat nur einer gemacht.“ Das Wochenend-Grundstück besitzt er immer noch, aber in erster Linie kümmert sich sein Sohn Stefan (Fritz Baumbach hat auch noch vier Töchter) um das Kleinod mit Häuschen. Der Besitzer selbst ist allenfalls noch fünf- bis sechsmal im Jahr dort. Die Beine wollen manchmal nicht mehr so wie er. Auch nach Underloh gehörte der Rollstuhl im Zug zum Gepäck. „Aber im Kopf bin ich noch topfit.“ Ein Turnier im Jahr will er immer spielen, der Spielabend bei ihm um die Ecke ist auch Pflicht. Auch die Mannschaftskämpfe mit dem SC Friesen in der Stadtliga A.
Schließlich gehört der Schachsport seit seinem 14. Lebensjahr für ihn dazu. „Schach hat mein Leben geprägt.“ Und das liegt auch an der Disziplin Fernschach. 1988 wurde er sogar Weltmeister mit der DDR. Und schrieb in der Folge Sportgeschichte mit dem Duell DDR gegen die BRD. "Lieber Schachfreund! Ich begrüße Sie als Landsmann - kurios, dass Landsleute in verschiedenen Mannschaften spielen …", schrieb er 1990 auf die Postkarte an seinen Gegner Karl-Heinz Maeder in Frankfurt am Main – mit seinem nächsten Zug.
Baumbach, in Weimar geboren, spielt mittlerweile kein Fernschach mehr. Sinn ergäbe dies online, über einen Schachserver oder per Mail für ihn nicht mehr, so Baumbach: „Als der Computer ins Spiel kam und plötzlich schwache Spieler ungewöhnlich starke Züge übermittelten, hat Fernschach bei mir an Beliebtheit verloren“, sagt er, „ich habe immer alles mit Geisteskraft gemacht – aber mancher Spieler hatte diesen Ehrenkodex leider nicht. So hatte es keinen Zweck mehr.“ Aber der Deutsche Fernschachbund ist immer noch mit über 1400 Mitgliedern der größte Fernschachverband der Welt.
Am 23. Februar 1991 sandte Fritz Baumbach seinen letzten Zug nach Frankfurt – er hatte damit gewonnen. Doch das Turnier fand noch kein Ende. Denn auch die Sowjetunion starb – und manche Karten brauchten plötzlich Monate, bis sie ans Ziel kamen. Erst im Frühjahr 1995 wird klar: Sieger der 10. Fernschach-Olympiade ist die Sowjetunion. Silber geht an England, Bronze an die Deutsche Demokratische Republik mit Horst Rittner, Volker-Michael Anton, Horst Handel, Heinrich Burger, Hans-Ulrich Grünberg und Baumbach. Vierter wurde übrigens die CSSR, die zu diesem Zeitpunkt auch bereits Geschichte war. Nur vier Jahre später gewann übrigens das gesamtdeutsche Team (mit Maeder und Baumbach) die 11. Fernschach-Olympiade, punktgleich mit der Tschechoslowakei.
Zu dieser Zeit ist Nationalspieler Baumbach schon seit zwei Jahren Präsident des Deutschen Fernschachbundes – in dieser Rolle war er zeitweise sehr umstritten. Den Posten hatte er bis 2010 inne – und hatte sich dabei nicht nur Freunde gemacht. Seine nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gemachte Aussage über gehörlose Menschen wurde im März 2012 vom Deutschen Gehörlosen-Bund und vom DSB verurteilt. Wörtlich hatte er, der in der DDR Hörgeschädigte trainiert hatte, auf der Homepage des Berliner Schachverbandes geschrieben: „Die Hörgeschädigten gehören zum Behindertensport, nicht weil sie sich nicht so gut verständigen können, sondern weil sie in ihrer geistigen Entwicklung gehemmt sind. Hören und vor allem Sprechen sind die wichtigsten Elemente der geistigen Entwicklung des Menschen, ohne Gehör und die sprachliche Verständigung bleiben sie in der geistigen Entwicklung zurück. Das macht sich auch beim Schachspielen bemerkbar.“
Im März 1995 rief Baumbach jedenfalls zur Siegerehrung. Eigentlich kennt Fernschach keine feierlichen Pokalübergaben, die Medaillen werden per Post verschickt. Diesmal aber organisierten Baumbach und Kollegen eine Zeremonie. Vertreter aus Großbritannien, der Ex-Sowjetunion und der Ex-DDR kamen im Magdeburger Hotel Ratswaage zusammen, um ihre Medaillen in Empfang zu nehmen. Und Baumbach holte den Vertreter aus England mit seinem Trabant ab. „Standesgemäß“, wie er sagt. Ohne Fahnen und Hymnen, dafür mit fünf Fernsehteams und Reportern von einem Dutzend Zeitungen. „Das war schon eine tolle Zeit“, sagt Baumbach. (mw)
// Archiv: DSB-Nachrichten - Senioren // ID 36356