1. April 2011
Liebe Schachfreunde,
heute möchte ich von einem Betrugsfall aus Frankreich berichten. Meine Ausführungen lehnen sich dabei an den Artikel auf der Internetseite Chessvibes an.
Im März 2011 verhängte der Disziplinarausschuss der Französischen Schachföderation lange Strafen gegen drei Mitglieder wegen unsportlichem Verhalten. Der Ausschuss sah die drei Spieler Sebastien Feller, Arnaud Hauchard und Cyril Marzolo als überführt an, während der Olympiade in Chanty-Mansijsk betrogen zu haben.
Sebastian Feller lieferte bei der Olympiade ein hervorragendes Ergebnis ab. Mit einer ELO von 2649 zeigte er an Brett 5 mit 6 Punkten aus 9 Partien und einer Performance von 2708 die beste Leistung. Arnaud Hauchard war der Kapitän der französischen Olympiamannschaft.
Vermutlich lief der Betrug folgendermaßen ab: Marzolo analysierte die Stellungen und Hauchard fungierte als Mittelsmann. Die Züge wurden per SMS ausgetauscht. Die SMS enthielten als Telefonnummern getarnte Zahlenkombinationen. Die ersten beiden Ziffern waren immer 06, die beiden folgenden Ziffern gaben die Anzahl der Züge an, die fünfte und sechste Zahl gaben das Ausgangsfeld an, die siebte und achte Zahl das Zielfeld. Die letzten beiden Ziffern waren ohne Bedeutung. Dies entspricht der internationalen Schreibweise für Fernschach. Für die Übermittlung der Züge an Feller dienten die jeweiligen Gegner der französischen Mannschaft als Hilfsmittel. Der Gegner an Brett 1 stand für a und 1, der Gegner an Brett 2 für b und 2, usw. Wenn Hauchard zwischen den Tischen seine Runden drehte, einige Zeit hinter dem Gegner Brett 3 und sodann noch einige Zeit hinter dem Gegner Brett 2 stehen blieb, so signalisierte er damit das Feld c2.
Ein anderes Mitglied der französischen Olympiamannschaft Laurent Fressinet analysierte zur Aufklärung des Sachverhalts im Nachhinein die Olympiapartien Fellers mit Firebird und kam zu dem Ergebnis, dass tatsächlich in mehreren Partien die meisten Züge mit den Vorschlägen des Schachprogramms Firebird übereinstimmten. Er wertete vier Partien aus: In den Partien gegen Gelaschwili und Efimenko entsprachen Fellers Züge immer der ersten Wahl von Firebird. Gleiches gilt auch für die Partie gegen Howell, allerdings mit Ausnahme der Zugwiederholung im 37. Zug. Gegen Timofeev entsprach ein Zug der zweiten Wahl, ein Zug der dritten Wahl und alle anderen der ersten Wahl, bis die Stellungsbewertung -5 war.
Entdeckt wurde der Betrug durch die Vizepräsidentin des französischen Schachverbands. Diese hatte das Handy Marzolos bezahlt, während er in ihrem Unternehmen angestellt war, und deshalb Zugriff auf die Verbindungsdaten. Marzolo hatte während der Partien Fellers bei der Olympiade fast 200 SMS an Feller und Hauchard geschickt. Außerdem gab es wohl auch schon bei der Pariser Meisterschaft 2010 einen ähnlichen Verdacht. Im Übrigen soll Hauchard bei einem Mittagessen im Januar 2011 gegenüber einigen Mitgliedern der Olympiamannschaft die Betrügereien zugegeben haben.
Dies genügte dem Disziplinarausschuss als Beweis, auch wenn ein französisches Gericht unter Hinweis auf das Briefgeheimnis verboten hatte, die Textnachrichten als Beweis für den Betrug heranzuziehen. Marzolo wurde für fünf Jahre von allen Schachturnieren ausgeschlossen. Feller wurde wegen seines Alters (19 Jahre) nur für drei Jahre gesperrt, wobei zwei weitere Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurden mit der Auflage gemeinnütziger Arbeit in einem Verein oder Verband. Hauchard wurde lebenslang als Mannschaftsführer gesperrt.
Das letzte Wort dürfte in dieser Sache aber noch nicht gesprochen sein. Sebastien Feller hat angekündigt, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen, was wohl auch geschehen ist. Denn an der Europameisterschaft in Aix les Bains Ende März 2011 durfte er teilnehmen.
Thomas Strobl
// Archiv: DSB-Nachrichten - Schiedsrichterkommission // ID 9520