6. Oktober 2025
Bei Schachspielern ist das Schuhwerk ja nun bei Weitem nicht so wichtig wie zum Beispiel bei Fußballern. Trotzdem kann so ein Schuh-Unfall auch eine Athletin aus dem Konzept bringen. Geschehen bei FM Lara Schulze. Auf dem Weg zur Toilette stolperte sie, fiel fast hin, fing sich aber gerade noch so – ein Absatz war abgebrochen. „Das ist mir noch nie passiert“, sagte sie später und konnte da schon wieder lachen: „Eine Schiedsrichterin war so nett und holte mir neue Schuhe aus meinem Zimmer.“ Ein Bild mit Symbolwert: Die deutschen Teams stolperten allenfalls in Runde zwei in Batumi hin und wieder leicht – aber es wirkte nie als könnten sie hinfallen. Zwei Siege gegen zähe Gegner. 2,5:1,5 siegten die DSB-Frauen gegen die Türkei, „ein wichtiger Matchpoint“, so Bundestrainer GM Zahar Efimenko – und den holte übrigens ausgerechnet die junge Frau mit den Schuhproblemen an Brett vier. Ein nie gefährdetes 3:1 für die Männer gegen die Schweiz, das Bundestrainer GM Jan Gustafsson nicht allzu hoch hängen wollte: "Es war ein Pflichtsieg. Nix Spektakuläres." Hier kämpfte GM Vincent Keymer beim Stande von 2:1 zwar noch sehr lange – aber in erster Linie in eigener Sache. Ein Remis hätte einen Top-Mann wie ihn Elopunkte gekostet. Dass er verlieren könnte, stand nie zur Debatte. "Am Ende setzte sich die Klasse durch", so Gustafsson über den Sieg seiner Nummer eins. Das galt für alle, Die Scharte aus Runde eins gegen Dänemark – damit aus Sicht der deutschen Männer mit diesem Sieg ausgewetzt. Unter Fans und Aktiven gibt es ja dieses geflügelte Wort: Das Turnier kann jetzt so richtig beginnen.
Keiner redete den verlorenen schön, schon gar nicht der Bundestrainer. Er benutzte nach der unerwarteten Niederlage gegen die Dänen Begriffe wie Debakel und Drama. Gustafsson wertete den Fehlstart noch abends mit den Spielern aus, man ging gemeinsam essen, spielte Karten - am heutigen Montag lag der Fokus ab 10 Uhr bereits auf der Schweiz: „Das war unglaublich ärgerlich, weil wir der hohe Favorit waren – aber wir werden uns alle Mühe geben, es besser zu machen.“ Vorbildfunktion hier, auch wenn er heute nicht spielte: Der Mann, der gestern patzte. GM Dimitrij Kollars zum DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit mit einem bemerkenswerten Statement: „Meine gestrige Partie entschied sich durch einen simplen Einsteller“, sagte er: „Der Schock war umso größer, weil das Übersehen in einer aussichtsreichen Stellung ohne besonderes Risiko kam.“ Dann fügte er hinzu: „Diesen Moment möchte ich hinter mir lassen und dem Team bestmöglich helfen, zurück ins Turnier zu kommen.“ Was soll man sagen? Das funktionierte insgesamt prima, erneut aus der klaren Favoritenrolle heraus, gegen die Schweiz.
Diesmal wirkte beim Ersten der Setzliste mit GM Matthias Blübaum der Mann der Stunde im deutschen Schach mit. Nicht an Brett zwei, wie man, so Gustafsson natürlich auch zu Recht fragen könnte, „schließlich ist Matthias im Kandidatenturnier“, aber: „Ich denke, das macht uns weniger berechenbar.“ Das wird vermutlich gegen die großen Schach-Nationen noch wichtig. Die Eidgenossen waren heute krasser Außenseiter. Sie sind auf Rang 28 noch einmal sieben Plätze hinter den Dänen platziert. Blübaum erfüllte seine Aufgabe – er gewann. Vincent Keymer siegte letztlich gegen GM Sebastian Bogner, GM Rasmus Svane remisierte gegen GM Li Min Peng und GM Frederik Svane, der lange besser stand, gegen IM Oliver Kurmann. Der Sieg war früh perfekt. (mw)
Auch die Frauen – klarer Favorit gegen die Türkinnen. Die Nummer sechs gegen die Nummer 16 der Startrangliste. Wobei: Mit IM Ekaterina Atalik besetzt eine ehemalige Jugend- und Einzelmeisterin der Frauen auf Europaebene das erste Brett, die dereinst auch Nationalspielerin für Russland war. „Nicht zu unterschätzen“, warnte Vökler. „Wir haben uns gut vorbereitet und hoffen, dass es wieder gut läuft“, betonte Frauen-Bundestrainer GM Zahar Efimenko vor dem Duell. Hinterher betonte er, dass sich einmal mehr gezeigt habe, „dass es nicht leicht ist, wenn man Favorit ist. Das ist großer Druck“. Letztlich war es eine enge Sache IM Dinara Wagner gegen Atalik, WGM Hanna Marie Klek gegen WIM Sila Caglar und WGM Josefine Safarli gegen WIM Gulenay Aydin spielten Remis.
„Bei Josefine haben wir uns sogar Sorgen gemacht“, sagte Efimenko: „Sie stand sehr schlecht. Zum Glück hat sie noch einen Trick gefunden. „Ich bin nicht so gut aus der Eröffnung gekommen, sie hat mich überrascht“, so Safarli, „ich bin in einem unangenehmen Endspiel gelandet aus dem ich mich rausgeschummelt haben.“ FM Lara Schulze gegen WFM Elif Zeren Yildiz war dann die letzte Partie – und die entscheidende. Die Werder-Spielerin stand früh viel besser – und brachte das technisch perfekt ins Ziel, lobte Efimenko. „In der Eröffnung hat sie mich ein bisschen überrascht, dann fühlte ich in einem normalen Endspiel gut.“ Sie sprach dann von „meiner Festung“ und zog eine zufriedene Zwischenbilanz: Zwei Siege – das gebe Selbstvertrauen, Mut. „Ein sehr guter Start, jetzt müssen wir genauso weiterspielen.“
Dann bitte ohne Schuhprobleme – aber gerne weiter mit „viel Energie“. Die holte sie sich direkt vor der Partie: Lara Schulze wurde vom DSB-Team Öffentlichkeitsarbeit noch zweieinhalb Stunden vor Rundenbeginn am Strand gesichtet – gemeinsam mit ihrem Freund Dominik Voigt, der sich eine Woche Urlaub genommen hat. „Wir hatten gerade schon Training, haben jetzt gleich nochmal Vorbereitung – da wollte ich zwischendurch zum Runterkommen einmal was Anderes als Schach machen“, so die Nationalspielerin. Überhaupt bietet sich aktuell ein schöner Kontrast am Schwarzen Meer: Während drinnen die Schachspieler grübeln, liegen nur 100 Meter entfernt die Touristen bei 20 Grad Luft- und 19 Grad Wassertemperatur am Strand. (mw)
Dinara Wagner variierte leicht in der katalanischen Eröffnung und ihre Gegnerin gab auf b1 das Läuferpaar ab. Als Zwischenfazit bleibt ein leichter aber dauerhafter weißer Vorteil.
Hanna Marie Klek spielte heute wieder Schwarz, ein Resultat der Auswechselstrategie des Bundestrainers. Ausgangs der italienischen Eröffnung standen sich die vier Zentrumsbauern schlagbereit gegenüber. Auch hier wurde das gegnerische Läuferpaar halbiert. Zum Glück bleibt der vermutliche Knockout hinterm Horizont verborgen.
Was passiert nach 19. … Sxb4 und dem harmlos aussehenden 20. Db1? jetzt scheitern sowohl 20. … Sc6 als auch 20. … c5 am Läuferopfer auf h6 gefolgt von tödlich Sh5.
Josefine Safarli bekam es mit der weit ausanalysierten Maroczy-Struktur zu tun. Leider wählte sie im neunten Zug nicht das scharfe Lg5 und ihre Gegnerin konnte mit dem raumgreifenden a5, a4 bequem ausgleichen.
Am vierten Brett Brett hatte Lara Schulze zwar Schwarz, aber gleichzeitig auch die deutlich höhere Elo-Zahl. Mal sehen, ob sie der ausgeglichenen Stellung noch etwas Leben einhauchen kann.
Jetzt schalte ich auf Parallelmodus. Nach 2,5 Stunden passieren gleichzeitig ganz merkwürdige Dinge. Dinara Wagner legt den Rückwärtsgang ein und wird prompt angegriffen: 22. … g5 ist kritisch. Hanna Marie ihrerseits übernimmt die Initiative, während Josefine nach dem harmlosen Zwischentausch auf f6 bereits mit dem Rücken zur Wand steht. Zum Glück kann Lara Schulze Caissa an ihr Brett holen. So kommt es in allen vier Positionen zur Einschätzung Schwarz steht (klar) besser. Hat man auch nicht alle Tage.
Mittlerweile kommen die Züge nicht mehr im Minutentakt. Die Spielerinnen gönnen sich einen tieferen Blick in die jeweiligen Positionen. Fast zeitgleich gibt es zwei Vorentscheidungen Brett 3 Josefine Safarli verliert scheinbar, während Lara Schulze an Brett vier wirklich gewinnt. Die Türkin an Brett 3 hofft auf ihren uneinholbaren Freibauern. Dabei vergaß sie, einen tückischen Zwischenzug.
Hanna Marie Klek hat nun doch noch das Scheinopfer 22. Lxh6! kassiert, hier ist noch lange nicht Feierabend. Sie reagiert nicht panisch, wirkt aber sichtlich nervös. Keine gute Situation auch mit Blick auf das erste Brett. Mittlerweile hat Ekaterina Atalik jedoch ihren Vorteil eingebüßt und Hanna Marie Klek hat das Unentschieden perfekt gemacht. Remis an Brett 3. Jetzt hängt alles an Lara Schulze, die gefühlt schon seit zwei Stunden auf Gewinn steht. 2,5:1,5-Sieg gegen die Türkinnen. Respekt!
Vincent Keymer wählt gegen den ehemaligen deutschen Jugendnationalspieler Sebastian Bogner Ben-Oni mit vertauschten Farben. Ich behaupte einfach, heute wird aus dem Ben-Oni (Sohn des Leidens) ein Ben-Jamin (Sohn der rechten Hand). Und genauso kam es.
Rasmus Svane bekommt es mit einer eher harmlosen Variante des Damengambits zu tun. Obwohl bereits sehr früh viel getauscht wurde, bleibt der Isolani auf d4 eine dauerhafte Schwächung im weißen Lager. Doch ist es mehr als Remis?
Matthias Blübaum ist wie fast immer super präpariert und spielt eine forcierte Variante mit ungleichfarbigen Läufern und einem Mehrbauern.
Frederik Svane hat sich durch ein paar geschickte Züge das Läuferpaar und Stellungsvorteil gesichert. Mit einer Stunde mehr auf der Uhr sollte er den Druck weiter erhöhen.
Parallelmodus ab jetzt.
Vincent Keymer drückt, Rasmus Svane versucht aus dem Stein Wasser zu pressen, Matthias Blübaum gibt sein Bestes und Frederik traut seinen Augen kaum: Was will mein Gegner mit 25. d5? Kann ich den nicht einfach schlagen? Yes we can, hätte jemand anderes an dieser Stelle wohl gesagt.
Rasmus Svane beendet mit seinem zweiten supersoliden Schwarzremis sein Tagwerk als Erster.
Frederik hat eine klar bessere, ja fast eine Gewinnstellung, das sollte uns die Führung einbringen. Wer hat nochmal gesagt, dass eine gewonnene Stellung zu gewinnen, das Schwerste überhaupt sei?!
Matthias übt geduldig weiter Druck aus. Er weiß, wie es sich anfühlt, mit dem Rücken zur Wand stundenlang zu verharren. Fabian Bänziger verteidigt sich lange Zeit perfekt, aber das große Aber, dann kommt doch der eine kleine Fehler und Matthias Blübaum nutzt kleine Fehler bekanntermaßen gnadenlos. Führung für uns.
Nach dem vierzigsten Zug und einer kleinen Verschnaufpause bemühen sich Vincent und Frederik um eine weitere Resultatsverbesserung. Ein wenig Balsam für die Seele wäre wünschenswert, aber 2,5 Punkte sind auch ein Mannschaftssieg. Ungleiche Läufer auf beiden Brettern lassen nicht mehr als Remis zu. Ein beinharter Arbeitssieg gegen die „Alpen-Underdogs“.
Alle Runden der Europameisterschaften werden bei SchachdeutschlandTV live kommentiert. Unserem Onlineschach-Referenten Jannik Liebelt werden mit Alexander Donchenko, Robert Rabiega und Raj Tischbierek drei Großmeister abwechselnd zur Seite stehen.
Die dritte Runde am 7. Oktober 2025 kommentieren ab 14 Uhr (MESZ) Jannik Liebelt und GM Raj Tischbierek.
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// Archiv: DSB-Nachrichten - Nationalmannschaft // ID 11663