Bericht aus Bonn

Momentaufnahmen vom 101. DSB-Bundeskongress

Die Überschrift ist bewusst gewählt, denn in den 1970er und 1980er-Jahren war das wöchentliche ARD-Fernseh-Politmagazin eine Institution. Und das vor allem, weil sein Moderator Friedrich Nowottny sich durch ironische Berichterstattung und unglaubliche Schlagfertigkeit das Interesse an Politik zu wecken verstand.

Hotel Königshof am Rhein
Blick nach Beuel, am anderen Ufer das China-Restaurant-Schiff

Als ich am Morgen des 4. Juni auf der Terrasse des Bonner Hotels Königshof frühstückte – die Sonne spiegelte sich im Rhein und die Silhouette des Siebengebirges bot eine herrliche Kulisse - da konnte mir noch nicht die Bedeutung dieses zumindest für den Deutschen Schachbund historischen Tages klar sein. Sicherlich, die besondere Aufmerksamkeit des im Hotel Königshof stattfindenden 101. DSB-Bundeskongresses gehörte fraglos der Wahl eines neuen Präsidenten. Und das aus gutem Grund, hatte doch neben dem bisherigen Vize Dr. Hans-Jürgen Weyer im Frühjahr mit dem Saarländer Herbert Bastian ein zweiter Kandidat Ansprüche auf die Führungsposition im Deutschen Schachbund angemeldet. Aber nach dem glanzvollen Festabend am Vortag zum 150. Jubiläum des Schachbundes Nordrhein-Westfalen, zu dem der ausrichtende Landesverband eingeladen hatte, so spürte ich in meiner Chronistenrolle, schien der Wahlausgang doch wohl letztlich klar zu sein...

Der Rhein
Hotel Königshof

Mit Sitzungsbeginn um 10 Uhr nahm die Veranstaltung dann zunächst einen unaufgeregten Verlauf. So wurden der Präsident des Brandenburger Landesverbandes und der Hamburger Jürgen Kohlstädt für ihr langjähriges Wirken verdientermaßen geehrt. Ich selbst kann mich noch an die Zusammenarbeit mit Letzteren gut erinnern, denn in der Sportredaktion einer Berliner Tageszeitung waren wir natürlich an der Veröffentlichung der Ergebnisse von den aktuellen Spieltagen interessiert. Und die kamen unter Regie von "Mr. Bundesliga" per Fax stets pünktlich und vor allem fehlerfrei. Und doch ist dieser Service, um Schach öffentlich zu machen, nur ein Aspekt der umfangreichen ehrenamtlichen Tätigkeit von Jürgen Kohlstädt.

Goldene Ehrennadel für Jürgen Kohlstädt und den Brandenburger Präsidenten Hilmar Krüger (DSB-Kongress)

Eine Premiere der besonderen Art war ganz sicherlich, dass sich der neue Sponsor HonorarKonzept auf einem Bundeskongress präsentierte, mit dem der DSB kürzlich eine dreijährige Kooperation zur Förderung des Schachsports in Deutschland eingegangen ist. Geschäftsführer Volker Britt stellt das Geschäftsmodell und die Philosophie des Göttinger Unternehmens vor, die seiner Meinung nach wahrhaft revolutionär seien. Und um Vergleich zu bemühen, wie denn das gemeint sei, erinnerte er an eine bekannte Autowerbung, wo u.a. auch Ernesto Che Guevara die provozierende Frage stellt: "Mal wieder Zeit für eine Revolution?" Dass der "Comandante", den die US-Zeitschrift Time Magazine zu den 100 einflussreichsten Menschen des 20. Jahrhunderts zählte, ein durchaus passabler Schachspieler war, daran konnte ich mich erinnern. Und an seine wahrhaft hintersinnige Aufforderung: "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche!" Aber nicht nur ich fragte mich, was denn der rebellische Geist von Che auf unserem Bundeskongress wohl zu suchen habe?

Die Veranstaltung nahm jedenfalls von nun an für alle 224 Teilnehmer im Tagungssaal spürbar an Fahrt auf, denn der Bericht des Präsidiums, der Referate sowie des DSB-Vertreters in der gemeinsamen Kommission 1. Schachbundesliga wurden problemlos verabschiedet. Die Chronologie wird nachzulesen sein im Protokoll des Bundeskongresses.

Kritisch wurde lediglich das Verhältnis Präsidium und Nationalmannschaft hinterfragt, wobei der zuständige Referent für Leistungssport, Klaus Deventer, betonte, dass sich die Einigung auf einem guten Weg befinde. So seien beispielsweise Spielerverträge in Arbeit.

Heiterkeit kam erstmals auf, als Kassenprüfer Ingo Thorn mitteilte, dass der DSB im Bereich Finanzen gut aufgestellt sei, nachdem er zeitweise in vergangenen Jahren auf der Intensivstation gelegen hätte, aber nunmehr das Krankenhaus als geheilt entlassen könne. Dazu kommt dann sicher auch die frohe Botschaft für die gesamte deutsche Schachfamilie, dass keine Beitragserhöhungen drohen. Man könnte es auch wie folgt beschreiben: Hurra, wir leben wieder – also nutzen wir gemeinsam diese Chance!

Schon lange bekannt war, dass Prof. Dr. Robert Freiherr von Weizsäcker letztmalig als DSB-Präsident teilnehmen würde. Und doch war er bei seiner Abschiedsrede sichtlich emotional bewegt, in der er allen seinen Mitstreitern nicht nur aus dem Präsidium dankte. Dass dem Fernschachgroßmeister aus München besonders die Jugend am Herzen liegt, was er nochmals unterstrich, mag zwar nicht den Ausschlag gegeben haben, dass der Bayerische Schachbund ihn zum DSB-Ehrenvorsitzenden vorschlug. Über das Ergebnis der offenen Wahl – es gab nur eine Enthaltung - dürfte jedoch auch bei ihm Freude aufgekommen sein.

Vorführung beim DSB-Kongress

Ich gebe zu, dass der "TOP Satzungsändernde Anträge" stets wohl ein sehr wichtiger ist. So war ich beispielsweise verwundert, dass der mir sinnvoll erscheinende Vorschlag, jährlich eine Tagung der Bundesspielkommission durchzuführen, um dort wichtige Fragen des Kerngeschäfts unter Einbindung der Landesverbände zu regeln, diesmal noch nicht die hohe Hürde einer zwei Drittel Mehrheit nehmen konnte.

Mit dem folgenden TOP 9 – Neuwahlen – hatte dann der 101. Bundeskongress seinen lang erwarteten Höhepunkt erreicht.
"Alle Änderungen hängen von vielerlei Bedingungen ab. Daher besteht die feste Gewissheit, dass sich alles stets ändert und nicht unverändert bleibt", so ein Zitat aus meinem Nachttisch-Buch "Die Lehre Buddhas".
Wie diese Weisheit auf den Wahlgang des nunmehr 16. DSB-Präsidenten zutreffen sollte, wurde spätestens nach der Auszählung und Verkündung des Ergebnisses zur unumstößlichen Gewissheit: 78 Stimmen entfielen auf Dr. Hans-Jürgen Weyer, 127 Stimmen auf Herbert Bastian, bei 10 Enthaltungen.

Ein Hamburger Delegierter sprach danach von einem Tsunami, nicht ahnend, dass es mit Joachim Gries einen neuen Vizepräsidenten Leistungssport und mit Niklas Rickmann einen neuen Vizepräsidenten Verbandsentwicklung geben würde.

Das Procedere vor dem Wahlgang zum Präsidenten empfand ich wie eine alles entscheidende Blitzpartie. Da es zwei Kandidaten gab, wurde erst einmal die Reihenfolge der Vorstellung der beiden Bewerber ausgelost. Dr. Hans-Jürgen Weyer ließ dabei seinem Widerpart den Vortritt, und der nutzte nach meinem ganz persönlichen Gefühl die Gunst der Stunde, indem er ein überzeugendes Programm für die Zukunft des DSB vorstellte.

Rede von Herbert Bastian

Dass der neue Präsident seinen "freundschaftlichen Konkurrenten" (Originalton Herbert Bastian) wie auf der AKLV-Tagung im März in Erfurt vereinbart, den Wahlverlierer für das wichtige Amt des Vizepräsidenten Verbandsentwicklung vorschlug und dieser zur Kandidatur jedoch nicht bereit war, ist sicher menschlich verständlich, wurde aber dennoch von der großen Mehrheit im Auditorium bedauert.

Wolfgang Uhlmann gratuliert Herbert Bastian zur Wahl (DSB-Kongress)

Dass mir nach dem Wahlakt die Rockballade der Scorpions "Wind of Change" in den Sinn kam, die für den politischen Wandel in Europa Ende der 1980er-Jahre stand, hängt ganz sicherlich damit zusammen, dass in den Sportverbänden letztlich auch Politik gemacht wird. Und eines wurde mir als Augenzeuge des Bonner Wandels dabei auch klar, wie klug doch die Basis ihre demokratischen Rechte wahrzunehmen versteht. In einer Hauptstadt-Zeitung vom 11. Juni lese ich dagegen, wie die Regierungskoalition kurz vor der Abstimmung für das abermalige Griechenland-Rettungspaket tags zuvor im Bundestag noch "Abweichler bearbeiten musste"...

Unmittelbar nach Ende des 101. DSB-Bundeskongresses gegen 19.30 Uhr, der von Sportdirektor Horst Metzing mit "Fingerspitzengefühl" souverän moderiert wurde, begann in Bonn ein lang andauernder Regenschauer. Einen Regenbogen habe ich danach zwar nicht gesehen, aber in der Stimmung im Delegiertenforum so etwas wie Aufbruchstimmung ausgemacht. Und vielleicht könnte ja das von Herbert Bastian den Delegierten mit auf den Weg gegebene Zitat des amerikanischen Automobilpioniers Henry Ford wirklich das Motto für die nächsten zwei Jahre sein: "Zusammenkommen ist ein Anfang, zusammenbleiben ist Fortschritt, zusammenarbeiten ist Erfolg!"

Spätestens in zwei Jahren wird auf dem 102. DSB-Bundeskongress in Berlin Gelegenheit zur Bilanz für eine hoffentlich erfolgreiche Arbeit des Deutschen Schachbundes sein....

Weitere Fotos

Festakt 150 Jahre Schachbund NRW
Robert von Weizsäcker (rechts) und der neue NRW-Präsident Ralf Niederhäuser (150 Jahre NRW)
Hans-Jürgen Weyer (rechts) ehrt den Mülheimer Vorsitzenden Heinz Schmitz (150 Jahre NRW)
Robert von Weizsäcker ehrt Sarah Hoolt mit der Silbernen Ehrennadel (150 Jahre NRW)
Ehrung durch Ralph Alt für Rasmus Svane: IM-Norm bei der Deutschen Meisterschaft (150 Jahre NRW)
Schönheitspreis der Zeitschrift SCHACH an Niclas Huschenbeth (links). Zweiter von links: Raj Tischbierek (150 Jahre NRW)
Siegerehrung DEM, rechts der Berichterstatter (150 Jahre NRW)
Siegerehrung DEM (150 Jahre NRW)
Siegerehrung DEM (150 Jahre NRW)
Siegerehrung DEM: Links ein Vertreter von HonorarKonzept, Ralph Alt, Sarah Hoolt, Igor Khenkin, Robert von Weizsäcker (150 Jahre NRW)
Igor Khenkin (150 Jahre NRW)
Hans-Jürgen Weyer und Igor Khenkin (150 Jahre NRW)
Festrede 150 Jahre NRW von Gerd Kolbe, Dortmund (150 Jahre NRW)

Statistik

  • Zum Präsidenten wurde Herbert Bastian gewählt. Er setzte sich im ersten Wahlgang gegen den bisherigen Vizepräsidenten Verbandsentwicklung und stellvertretenden Präsidenten Dr. Hans-Jürgen Weyer durch.
  • Zu Vizepräsidenten Finanzen und stellvertretenden Präsidenten wurde Michael S. Langer gewählt.
  • Zum Vizepräsidenten Leistungssport wurde Joachim Gries im zweiten Wahlgang gewählt. Er setze sich gegen Diana Skibbe durch
  • Zum Vizepräsidenten Verbandsentwicklung wurde im ersten Wahlgang Niklas Rickmann gewählt. Er setzte sich gegen Ralf Schreiber durch.
  • Des Weiteren gehört der 1. Vorsitzende der Deutschen Schachjugend (DSJ) Christian Warneke dem Präsidium an (gewählt durch die DSJ).

Referenten, die aber nicht Mitglieder des Präsidiums sind:

  • Klaus Deventer (Leistungssport)
  • Raymund Stolze (Öffentlichkeitsarbeit)
  • Ralph Alt (Bundesturnierdirektor)
  • Dan-Peter Poetke (Frauenschach)
  • Jürgen Kohlstädt (Schiedsrichterobmann)
  • Helmut Escher (Seniorenschach)
  • Walter Pungartnik (Breiten- und Freizeitschach)
  • Joachim Gries (Ausbildung)
  • Andreas Filmann (Wertungen)
  • Rainer Blanquett (Datenverarbeitung)
  • Stefan Hehn (Dopingbekämpfung)
  • Martin Keeve (Bundesrechtsberater)

Raymund Stolze