29. November 2016
Zugegeben: Aufgeregt war ich nun doch. Wie wird es, wenn die Spannung im Match zwischen Carlsen und Karjakin zunimmt? Kann der Herausforderer den Titelverteidiger wirklich fordern? Und überhaupt: Interessiert sich eigentlich jemand im Land der unbegrenzten Möglichkeiten für Schach?
Bereits die Ankunft in der South Street Seaport ist beeindruckend. Ein schönes Backsteingebäude und ein nicht zu übersehender Wegweiser begrüßen die Schachfans aus aller Welt. Draußen sind Figuren und ein Spielfeld aufgebaut und man wird intuitiv zum Eingang geführt. Im Publikumsraum haben sich die „Analysten“ versammelt, auf Brettern wird die aktuelle Stellung diskutiert, es herrscht ein reges Treiben, auf Englisch, Chinesisch und Deutsch hört man immer wieder Gesprächsfetzen. Große Monitore übertragen das Geschehen direkt und die in einer einsehbaren Kabine sitzenden Kommentatoren (großartig: Judit Polgar!) fachsimpeln vorzüglich. Wer es bis hier mit einem „weißen“ Bändchen geschafft hat, darf noch shoppen gehen, sich ein T-Shirt, eine Kaffeetasse oder Kugelschreiber mit dem WM-Logo besorgen.
Noch interessanter wird es mit dem schwarzen Bändchen, das Einlass in den VIP-Bereich gewährt – Kaffee, Wodka und Häppchen inklusive. Am Tage meines Besuches erblickte ich dort Fabiano Caruana, der zwanglos einige Partien blitzte und dabei Interviews gab. Eine tolle Idee, die die anwesenden Kinder und Jugendlichen ebenso wie die „alten Hasen“ begeisterte – der Großmeister zum Anfassen, eloquent, auskunftsfreudig und gut gelaunt. Die Atmosphäre auch hier geprägt von Großmonitoren, und von einem mit schwarzem Tuch verhangenen Eingang. Zwei „Bewacher“ machten die Besucher darauf aufmerksam, dass hinter dem Tuch das große Schweigen zu beginnen habe. Und dann war es soweit: Ich stand vor der Glaswand, das Brett zum Greifen nahe. Magnus und Sergej sitzend, beobachtet von den Schiedsrichtern, vertieft in der Analyse. Ein wirklich unbeschreiblicher Moment, zumal wenn man wie ich eine Zeit lang ganz allein vor der Scheibe verweilt. Hier wird sie dann spürbar, die Anspannung, die Verantwortung und die Gefahr, sich doch zu „vergreifen“.
Während die Partie remis endete, muss man die Veranstalter als Gewinner bezeichnen. Hier vor Ort erhält man eine Ahnung davon, wie unser Sport neue Anhängerschaften erschließen kann. Mit digitaler Vernetzung und einer professionellen „vor Ort“-Präsentation. Nicht nur am Spielort selbst, sondern auch am Washington Square, im Marshall-Chess-Club oder im Central Park gab es Aktionen. Magnus selbst hat sein Wissen einem Knirps geliehen, der mit einem Knopf im Ohr die großmeisterlichen Züge gegen einen deutlich stärkeren Erwachsenen durchführte und natürlich gewann. Es sind auch solche Ideen, die ein sorgfältig durchdachtes Konzept zum Leben erwecken.
Frank Neumann
Frank Neumann (52) aus Waltrop in Nordrhein-Westfalen ist seit dem 31. August 2015 im Deutschen Schachbund als Referent für Öffentlichkeitsarbeit ehrenamtlich tätig. Zuerst kommissarisch, nach dem außerordentlichen Bundeskongress am 7. November 2015 in Leipzig auch einstimmig gewählt.
Nach New York reiste er privat. Einige Tage später war er gestern beliebter Gesprächspartner einiger Radiosender, die über die Schach-Weltmeisterschaft berichteten:
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21525