9. Juli 2016
Das Programm beim VMCG-Schachfestival 2016 war proppevoll. Am 29. Juni startete die Jugendmasters-Qualifikation, die am folgenden Tag beendet wurde. Worauf dann am Nachmittag aber gleich das eigentliche Jugendmasters startete. Zeitgleich begannen am 30. Juni die beiden Hauptturniere - das GM- und das IM-Turnier.
Noch voller wurde es am 1. Juli als das Open mit drei Turnieren A, B und C begann. Und heute und morgen folgt dann noch der Mädchen-Grand-Prix.
Die Favoriten waren mit den drei Großmeistern aus Russland und der Ukraine vorgegeben. Von diesen drei brach Alexander Karpatschew aber völlig weg und belegte am Ende den letzten Platz. Seine beiden Titelkollegen präsentierten dagegen Normalform und machten am Ende die meisten Punkte. 6 aus 9 reichten aber nicht um allein den Platz ganz oben einzunehmen. Die beiden DSB-Kaderspieler Roven Vogel und Dmitrij Kollars kamen auf die gleiche Punktzahl. Und nicht nur auf dieselbe Punktzahl, sondern auch auf dieselbe Zweit- und Drittwertung. Erst die Viertwertung brachte die Entscheidung in diesem Quartett! Beim Sprint in der Leichtathletik hätten die Kampfrichter selbst auf dem Zielfoto keinen Unterschied mehr entdecken können und alle Läufer auf Platz 1 gesetzt!
Unsere Spielerin für die Olympiade in Baku, Melanie Lubbe, spielte ein genauso hervorragendes Turnier wie das Spitzenquartett. Sie belegte Platz fünf mit einem Punkt Rückstand und deutlichem Vorsprung vor der zweiten Tabellenhälfte.
Pl. | Name | Elo | Land | Pkt. | Buch | Buch | SoBe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | GM Michail Simanzew | 2456 | 6,0 | 39,0 | 30,5 | 26,25 | * | 1 | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | |
2. | IM Roven Vogel | 2426 | 6,0 | 39,0 | 30,5 | 24,75 | 0 | * | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | ½ | |
3. | GM Jewgenij Worobjow | 2572 | 6,0 | 39,0 | 30,5 | 24,50 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | ½ | |
4. | Dmitrij Kollars | 2471 | 6,0 | 39,0 | 30,5 | 23,50 | ½ | 0 | ½ | * | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | |
5. | WGM Lubbe Melanie | 2319 | 5,0 | 40,0 | 31,5 | 18,50 | 0 | ½ | ½ | 0 | * | 1 | ½ | ½ | 1 | 1 | |
6. | FM Giso Jahncke | 2332 | 3,5 | 41,5 | 33,0 | 15,50 | ½ | 0 | 0 | 1 | 0 | * | 1 | 0 | 1 | 0 | |
7. | IM Thorben Koop | 2429 | 3,5 | 41,5 | 33,0 | 14,75 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | * | 1 | ½ | ½ | |
8. | Bardhyl Uksini | 2259 | 3,5 | 41,5 | 33,0 | 13,00 | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | 1 | 0 | * | ½ | 1 | |
9. | FM Julian Kramer | 2341 | 3,0 | 42,0 | 33,5 | 12,00 | ½ | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | * | 1 | |
10. | GM Alexander Karpatchew | 2489 | 2,5 | 42,5 | 33,5 | 11,25 | 0 | ½ | ½ | 0 | 0 | 1 | ½ | 0 | 0 | * |
Melanie's Ehemann Nikolas Lubbe durfte/konnte/mußte/wollte diesmal getrennt von seiner Gemahlin ein Turnier bestreiten. Als einziger Spieler mit einer Elo von über 2.500 war er im IM-Turnier großer Favorit. Gleich in Runde eins hatten sich all die Planungen auf ein gutes Ergebnis aber bereits erledigt. Sarah Hoolt, unsere 79-fache Nationalspielerin, legte gegen Nikolas den Grundstein für ein herausragendes Turnier. Mit Platz zwei hätte sie wohl selbst nie gerechnet.
Ebenso überraschend wie Platz zwei war Platz eins. Konstantin Urban (16), vom SK Heidenau in Sachsen, ist amtierender Deutscher Meister U16. Seine DWZ marschiert unaufhörlich nach oben, jedes Jahr kommen weit mehr als 100 Punkte hinzu. Nun marschierte der Jugend-WM-Kandidat (Chanty-Mansijsk im September/Oktober 2016) auch in Lüneburg trotz zweier Niederlagen weit vor der Konkurrenz.
Pl. | Name | Elo | Land | Pkt. | Buch | Buch | SoBe | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 |
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1. | Konstantin Urban | 2329 | 6,5 | 38,5 | 31,0 | 25,25 | * | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | |
2. | WGM Sarah Hoolt | 2322 | 6,0 | 39,0 | 31,0 | 27,00 | 1 | * | 1 | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | ½ | ½ | |
3. | IM Nikolas Lubbe | 2503 | 5,5 | 40,0 | 32,0 | 21,50 | 0 | 0 | * | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | + | 1 | |
4. | IM Georgios Souleidis | 2419 | 5,0 | 40,0 | 32,0 | 22,25 | 1 | ½ | 0 | * | ½ | ½ | 1 | 0 | ½ | 1 | |
5. | GM Miroslaw Grabarczyk | 2445 | 5,0 | 40,0 | 32,0 | 19,25 | 0 | ½ | ½ | ½ | * | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | |
6. | FM Mads Hansen | 2353 | 5,0 | 40,0 | 32,0 | 18,50 | 0 | 0 | 1 | ½ | ½ | * | ½ | 1 | ½ | 1 | |
7. | FM Alexander Rieß | 2208 | 4,5 | 40,5 | 32,5 | 19,75 | ½ | 1 | 0 | 0 | ½ | ½ | * | 1 | ½ | ½ | |
8. | Theo Gungl | 2292 | 3,5 | 41,0 | 33,0 | 12,00 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | 0 | 0 | * | + | 1 | |
9. | Daniel Vanheirzeele | 2142 | 2,5 | 41,5 | 33,5 | 11,00 | 0 | ½ | - | ½ | 0 | ½ | ½ | - | * | ½ | |
10. | Birger Wenzel | 2003 | 1,5 | 43,5 | 34,0 | 7,00 | 0 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | * |
Seit vielleicht 10-15 Jahren, mit der immer weiter um sich greifenden Duchsetzung von Computern bei der Turnierverwaltung, werden auch die Turnierveranstalter immer kreativer bei der Plazierungsermittlung in Schachturnieren. Glücklicherweise steht dabei die erste Wertung noch wie in Granit gemeißelt - obwohl es auch Turniere gibt, wo Siege mit 3 Punkten (statt 1) und Remis mit 1 Punkt (statt 0,5) bewertet werden. Um die Jahrhundertwende 1900 gab es allerdings auch Turniere, wo die Sonneborn-Berger-Wertung die Brettpunkte in die zweite Reihe schickte!
Bei den Zweit-, Dritt-, Viert- und Sonst-was-Wertungen geht es in der Neuzeit inzwischen aber sehr bunt zu. Das ist zum einen Empfehlungen irgendwelcher Experten zu verdanken, als auch Programmierern, die alles Mögliche (und Unmögliche) versuchen in ihre Software einzubauen. Die traditionellen Wertungen Buchholz und Sonneborn-Berger werden mit allen möglichen Sonderfällen traktiert: Ergebnis gegen punktbesten Gegner streichen, Ergebnis gegen punktschlechtesten Gegner streichen, gleich beides streichen, kampflose Partien aus der Wertung nehmen oder umwichten usw. usf.
Es wird viel rumgedoktert an diesen etablierten Wertungen. Studien die diese Anpassungen wissenschaftlich untermauern, sind mir nicht bekannt. Bei manchen Turnieren hat man das Gefühl, daß der Turnierleiter offensichtlich gar nicht weiß, was er da für eine Wertung verwendet und was sie bewirkt.
Sie wurde 1873 vom Österreicher Oscar Gelbfuhs entwickelt. William Sonneborn und Gelbfuhs' Landsmann Johann Berger haben das System ausgebaut und 1886 modifiziert in die Turnierpraxis eingeführt. Der prominente Name von Berger hat wahrscheinlich zur Akzeptanz dieser Wertung entscheidend beigetragen. So ähnlich wie viele Jahrzehnte später bei der von Bobby Fischer vorgestellten Schachuhr.
Mit der Sonneborn-Berger-Wertung (SBW) war es endlich möglich, in einem Rundenturnier eine genauere Plazierung unter den punktgleichen Spielern festzustellen. Bei Siegen gegen einen Gegner werden dessen Punkte zu 100%, bei Unentschieden zu 50% in die eigene SBW übernommen.
Mit dem zunehmenden Aufkommen von größeren Turnieren, wo kein Rundensystem mehr gespielt werden konnte, mußte eine andere Wertung her. Der Magdeburger Bruno Buchholz stellte 1932 sein System ausführlich in den deutschen Schachzeitschriften vor. Dabei bekommt jeder Spieler die Punkte aller seiner Gegner für diese Wertung. Beachten muß man dabei aber, daß die Runden des Turnieres streng nach Punktzahl absteigend ausgelost werden. Sonst verpufft die gute Wirkung der Buchholz-Wertung.
Bei ChessResults werden als Wertungen nach der Punktzahl genannt: Buchholz (variabel), Buchholz (variabel) und Sonneborn-Berger-Wertung variabel. Was das "variabel" bedeutet, kann man nur durch ein bißchen Mathematik herausbekommen, denn eine Ausschreibung ist nicht veröffentlicht.
Bei einer originalen Buchholz-Wertung ergibt sich ein Wert von 45,0 minus eigene Punktzahl für beide Turniere. 10 Spieler mit je 9 Partien ergibt 45 Partien/Punkte (90 geteilt durch 2). Bis auf sich selbst hat in einem Rundenturnier jeder Spieler die gleichen Gegner. Demzufolge haben alle Spieler am Ende 45 Buchholzpunkte minus die eigene Punktzahl. Daraus folgt, daß eine originale Buchholz-Wertung unter punktgleichen Spielern keinen Sinn macht.
In Lüneburg kam aber eine variable Buchholz-Wertung zur Anwendung. Im GM-Turnier verpufft deren Wirkung, wie man leicht nachrechnen kann. Die variable Buchholz entspricht hier der originalen Buchholz. Das macht die erste Feinwertung eigentlich überflüssig.
Im IM-Turnier liegt der Fall anders. 45 minus eigene Punktzahl greift hier nicht bei jedem Teilnehmer. Differenzen sind hier bei den Spielern mit kampflosen Partien zu finden:
Wie die Differenzen bei Lubbe und Gungle zustande kommen und warum es überhaupt Differenzen gibt, ist für mich ohne längeres Studium der Algorithmen nicht mehr nachzuvollziehen. In der Hilfe zu SwissChess kann man mehr darüber lesen.
Ich wende mich lieber wieder dem einfacheren GM-Turnier zu, weil dort glücklicherweise alle gespielt haben. Bei der zweiten Feinwertung - wieder eine Buchholz variabel - fehlen bei jedem Spieler genau 8,5 Punkte. Wie diese zustande kommen ist letztendlich egal, denn damit ist auch diese Feinwertung überflüssig.
Das macht meinen eingangs erwähnten, jetzt doch wieder deutlich weniger Guinness-Buch-verdächtigen, Zieleinlauf menschlich. Hält man das Zielfoto gerade vor die Augen ist dank Sonneborn und Berger doch eine Differenz auf den ersten vier Plätzen zu sehen. Und der etwa 1958 verstorbene Bruno Buchholz würde mahnen: "Benutzt die modifizierte Buchholz-Wertung nicht für Rundenturniere, wenn ihr keine kampflosen Partien erwartet!"
www.vmcg-schachfestival.de | DSB-Turnierseite (mit Partien)
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21114