4. Dezember 2013
Um es gleich vorwegzunehmen: Deutschland kann nicht mehr Weltmeister werden. Nicht in diesem Jahr, nicht aus eigener Kraft, und auch nicht mehr mit Schützenhilfe aus Ägypten. Das ist betrüblich, aber die Schach-WM in Antalya wird dennoch fortgesetzt.
Nach sieben von neun Runden eilt die Ukraine noch immer dem Felde vorneweg. Sie hat einen Punkt Vorsprung vor den mehr und mehr Fahrt aufnehmenden Russen. China lauert auf Rang 3 – und sie haben mit Deutschland und der Türkei ein nicht ganz so massives Restprogramm wie die beiden Führenden, die heute aufeinandertreffen.
In der sechsten Runde hatte das Team Germania mit dem 3:1–Erfolg gegen Armenien gezeigt, was in ihnen steckt – wir schauten beeindruckt auf die Bildschirme und dachten, Respekt!, das war tolles Schach.
Gestern traf die Auswahl des DSB auf die starken Amerikaner, ein Spitzenteam der Welt, das früh im Turnier die Russen schon mit 3:1 geschlagen hatte. Die US-Boys hatten sicher wieder Fans und Zuschauer auf der gesamten Welt, und auch die Schachfreunde bei der amerikanischen Nationalen Sicherheitsbehörde NSA werden den Kampf wohl heimlich mitverfolgt haben – immerhin ging es ja um America, und da kann man ja mal reinspähen ins Geschehen. Es müssen ja nicht immer nur Kanzlerhandys oder unsere privaten E-Mails und Telefonate sein, die man illegal anzapft. Viel schöner ist es ja beim Schach!
Da Igor Khenkin gegen die Vereinigten Staaten noch einmal pausierte, rutschte Georg Meier einmal mehr ans Spitzenbrett, an dem schon Hikaru Nakamura auf ihn wartete. Nakamura, wir erinnern uns, ist ein gewaltiger Spieler, hoch oben in der Weltrangliste, Begründer des Boris-Becker-Angriffs (1.e2-e4, e7-e5 2.Dd1-h5!) und ein verwegener nächtlicher Blitzschachspieler.
Kein einfacher Gegner in der Tat, und da muss man schon Meier heißen, um mit Schwarz gut ins Spiel zu kommen – erstmal gelang es Nakamura nicht, irgendeine Art von Vorteil auf dem Brett zu erzielen.
Ganz anders lief es bei Daniel Fridman – Gata Kamsky. Hier wurde viel mit Figuren manövriert, Felder anvisiert und Schwächen belagert. Kamsky baute eine leichte Druckstellung auf, doch wissen wir ja schon, dass so etwas in Antalya gar kein Problem ist für Fridman. Der Mülheimer stoppte wiederum alle Vorteilsversuche seines prominenten Gegners und ließ die Partie nach mittelschweren Abenteuern zum Remis austrudeln. Cool gemacht.
Deutlich wilder ging es bei Arkadij Naiditsch zu. Das aufstrebende Talent (die sitzen ja immer an Brett drei) war auf Rabatz programmiert und sprang den jungen Ray Robson regelrecht an. Die weißen Bauern stürmten die g- und h-Linie hinauf, die Türme gleich hinterher, was würde das wohl werden, hopp oder topp? Robson ließ indes Ruhe walten, und während er mit der linken Hand noch die Verteidigung seines Königs organisierte, baute die rechte Hand schon den gefährlichen Gegenangriff auf (zwischendurch durfte auch Naiditsch immer nochmal ziehen). Am Ende musste man sich Sorgen machen um die deutschen Farben, denn was so ein echter Großmeister ist, bei dem brennt nichts an: Remis durch Dauerschach. Ein gutes Ende!
Mindestens genauso atemberaubend, wenn nicht noch eine Nummer größer entwickelte sich die Partie von David Baramidze und Varuzhan Akobian. Ob das alles Theorie war oder schon nicht mehr, wer weiß das schon. In der folgenden Stellung nahm das Drama seinen Lauf:
Baramidze hatte soeben elegant seinen Springer nach c6 hineinmanövriert. Akobian kann ihn natürlich heraustauschen, allerdings wird ihm das kaum gefallen haben, denn seine Stellung wäre danach ohne große Perspektiven auf eigenes Spiel, und Weiß hätte alles unter Kontrolle. Großmeister fangen in so einer Lage ja immer gerne das Fummeln an, und nach einigem Abwägen entschied sich Akobian für das verwegene 14…Dd8-d7 !?. Das verlor zwar nach dem strengen 15.Sc6-e7 + ganz unmittelbar die Dame, aber nach 15….Dd7xe7 16.Te1xe7, axb5! hatte er sein Ziel erreicht und eine zweischneidige Stellung auf dem Brett, in der noch viel passieren kann.Beide Seiten müssen Risiken eingehen.
Bald schon stand es so:
Verwirrung überall - die schwarzen Figuren wuseln aktiv herum wie eine Schiffsladung junger Katzen – und im Austausch für die Dame hatte Baramidze immerhin Turm und Läufer gegeben. Wo war seine Initiative geblieben, und was konnte er überhaupt noch angreifen? Um Spiel auf den dunklen Feldern zu bekommen, schickte er seinen h-Bauern mit 21.h4-h5 nach vorne – auf nach h6! Akobian mag hier schon einen Trick gesehen haben, gut möglich, jedenfalls manövrierte er seinen Turm eilig über h1 und mit Tempo nach h3 und f3 – wow, was für ein umtriebiger Turm, was für eine inspirierte Verteidigung.
War die Partie nun eigentlich entschieden, und das sah doch wirklich gut aus für Weiß!? Baramidze bewegte seine Dame nach d4 und drohte damit ganz offiziell Matt auf g7. Schwarz kann das natürlich abwehren, aber so richtig schön ist es auch dann nicht mehr für ihn: nach 24…..f6 hängt direkt g7,und wenn 24….g7xh6 folgt, gewinnt Weiß mit 25.Te7-e2! und dem anschließenden Schach auf g1 nebst Lxh6. Das alles wird Akobian gesehen haben, und darum ersann er eine noch bessere Verteidigung. Wie wehrte er sich nach 24.De3-d4 gegen das Matt?
(Lösung weiter unten)
Damit lag das deutsche Team in diesem wilden Mannschaftskampf mit 1:2 zurück. Alles lag jetzt an Georg Meier – leider konnte man bereits ahnen, dass in seiner Stellung nicht mehr viele Gewinnchancen stecken würden. Ein Remis gegen Nakamura war zwar in guter Reichweite, mit einem Blick auf den Spielstand allerdings mag Meier hier den ganz soliden Ausgleichspfad verlassen haben, um im Sinne der Mannschaft noch nach dem vollen Punkt zu suchen. Belohnt wurde das leider nicht, und so gewann am Ende Hikaru Nakamura. Endstand 3:1 für Captain America und seine Leute. Die Leute bei der NSA wird es gefreut haben (hi there, folks!). Jedoch es war knapp, und Team Germany hat gezeigt, was alles möglich ist – vielleicht ja schon beim nächsten Mal.
Deutschland verabschiedet sich somit wieder aus der erweiterten Weltspitze, in die es nach dem Sieg gegen Armenien kurz hineingeschnuppert hatte. Heute geht es weiter, in Antalya sind die Bretter schon aufgebaut, und die DSB-Auswahl spielt eine Runde aus mit den Chinesen. Freuen wir uns darauf!
Schwarz spielte das spektakuläre 24….Tf3-d3 + - eine wunderschöne Parade, die Weiß sofort oder nach 25.cxd3, Sc5-b3+ die Dame kostet. Zwar dauerte die Partie noch einige Züge, aber die Vorteile waren klar auf schwarzer Seite. Akobian brachte ein wahres Feuerwerk der Turmkunst – beeindruckend, und so einen Turm-Trick kann man mal übersehen, auch wenn es schade ist.
wctc2013.tsf.org.tr
DSB-Turnierseite
Olaf Steffens
Olaf Steffens ist FIDE-Meister, wohnt in Bremen und spielt dort für den SV Werder in der Zweiten Bundesliga. Obwohl das Schachspiel eigentlich viel zu schwierig für ihn ist, versucht er es immer wieder und schreibt darüber zusammen mit anderen auf www.schach-welt.de.
Während der Weltmeisterschaft in Antalya schreibt er für den Deutschen Schachbund.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9294