13. Februar 2014
Liebe Schachfreunde,
ich bin ein eher schwacher Schachspieler. Wenn ich Partien von Großmeistern betrachte, verstehe ich von dem was auf dem Brett passiert herzlich wenig. Ohne den Blick auf Fritz würde ich oft keine Ahnung haben, wie es so steht auf den 64 Feldern.
Aber wissen Sie was? Ich liebe dieses Spiel trotzdem und ich schaue leidenschaftlich gerne zu, wenn die Großmeister und die großen Meister zu Werke gehen.
Das Kandidatenturnier im letzten Jahr hat mich gefesselt. Irgendwie hatte ich den Sieg Kramnik noch einmal gewünscht. Ich habe mehrere Tage lang geschwitzt und gelitten. Nach der letzten Runde war ich fix und fertig. Viele kennen ähnliche Gefühle nur vom Fußball. Dort leide ich manchmal ähnlich. Aber genau das ist es doch, was Sportveranstaltungen ausmacht, oder!?
Eine gute Präsentation gehört für mich beim Schach dazu. Schach und Ästhetik halte ich für untrennbar. Die Location, der Tisch und das Brett müssen stimmen. Sonst ist Schach nur halb so interessant. Seit der WM 2012 werden wir in dieser Richtung wieder etwas mehr verwöhnt. Schach in Museen ist ein toller Ansatz. Aber vielleicht geht da noch mehr? Christian Hesse schrieb anlässlich der Weltmeisterschaft in Chennai bei Focus Online sinngemäß: „Selbst vom Boxen kann man lernen. Wie Gladiatoren laufen die Kämpfer aus ihren Kabinen ein, bei musikalischer Untermalung. Jeder wird vorgestellt. Auch Schach ist für mich ein Kampfsport, und es ist ein Resonanzboden für intellektuell erfahrbare Schönheit.“ Die Firma AGON hatte einst mit Ideen in dieser Richtung auf sich aufmerksam gemacht. Aber zu viel mehr als ein paar hübschen Tischen und neuen Figuren hatte es dann beim Kandidatenturnier in London nicht gereicht. Kommt noch was? Wir werden sehen.
Lassen Sie mich aus meiner persönlichen Sicht einen Blick auf das kommende Turnier richten. Mein Blick wird dem vieler Vereinsspieler ähneln, die nicht mit mindestens 2000 DWZ Punkten im Rücken auf die Bretter schauen. Mein Blick ist nicht neutral, ich sehe durch meine Brille als Fan. Sehen Sie mir das nach.
Ich verzichte darauf zu erklären, welcher der Teilnehmer sich genau auf welchem Wege qualifiziert hat. Die Kriterien waren allen bekannt, ein oder zwei wurden kritisch betrachtet. Aber unter dem Strich können die Jungs Schach spielen.
Viswanathan Anand ist der wohl bisher erfolgreichste aller Teilnehmer. Seinen Platz im Turnier verdankt er seinem verlorenen Titel. Er ist eine Persönlichkeit, zu der es nicht viel zu sagen gibt. Er hat seinen Titel verloren, weil er nicht (mehr) stark genug war. Auch die Turnierergebnisse der letzten Jahre lassen nicht vermuten, dass er sich noch einmal wird durchsetzen können. Auf der anderen Seite hat er nichts mehr zu verlieren und muss auch niemandem mehr etwas beweisen. Er kann Spaß am Spiel haben. Aber wird ihn das zum Sieg führen?
Peter Swidler ist seit einer gefühlten Ewigkeit Teil der erweiterten Weltspitze. Für den ganz großen Wurf hat es aber nie gereicht. Zwar war er mehrfacher Russischer Meister (und kam auch dadurch zu seinem Freiplatz), aber für die WM war es nicht genug. Ich habe Zweifel daran, dass sich das jetzt noch einmal ändert.
Dimitri Andrejkin kam vor allem über gute Schnellschach Partien beim World Cup in den erlauchten Kreis. Positiv könnte man daher sagen, er könne sich zur rechten Zeit auf das Verlangte konzentrieren. Aber ich lege mich fest: Weltmeisterschaftskandidat wird er nicht.
Veselin Topalow war schon einmal Weltmeister und spielte 2010 eine fantastische WM gegen einen unglaublich starken Anand. Er verlor erst in der letzten Partie als er alles auf eine Karte setzte um den Tie Break zu vermeiden. Sein Schach ist spannend auch für diejenigen, die mit nicht so viel positionellem Feingefühl ausgestattet sind. In „New in Chess“ gab er im letzten Jahr in einem Interview folgendes Statement ab: „Um Weltmeister zu werden muss man nicht der beste Spieler sein, man muss nur die Weltmeisterschaft gewinnen!“ In der Grand Prix Serie war er bärenstark. Ob er noch so stark ist wie 2010? Man wird sehen.
Shachrijar Mamedjarow ist auch dabei. Er ist ein Spitzengroßmeister der auch mal taktisch irgendwo reinklotzt. Eigentlich mag ich das, aber für ihn kann ich mich nicht erwärmen. Erklären kann ich es nicht.
Sergej Karjakin ist einer der Großmeister, dem man auf lange Sicht zutrauen kann, in der absoluten Weltspitze zu bleiben. Er hat nur zwei Probleme: Zum einen spielt er nicht immer konstant. Er zieht mit 4/4 los und verliert dann 3 Mal in Folge. Wenn er das in den Griff kriegt, ist er gefährlich. Sein zweites Problem ist der aktuelle Weltmeister. Die beiden sind ähnlich alt und Karjakin wird kaum an Carlsen vorbeiziehen können. Wenn der Weltmeister nicht den Spaß verliert, wird Karjakin nicht Weltmeister werden.
Wladimir Kramnik ist ein Gigant. Er war bereits Weltmeister und möchte es noch einmal wissen. Im letzten Kandidatenturnier war er mein (am Ende tragischer) Held. Als Serien-Dortmunder schlägt mein Herz immer irgendwie auch für ihn. Er ist stets bis an die Zähne mit Neuerungen bewaffnet. Sein Problem? Er wird nicht jünger und die Zeit rennt ihm davon. Wenn er deswegen nicht verkrampft sondern sein Spiel durchzieht, könnte er der Herausforderer werden.
Levon Aronjan ist konstant die Nummer 2 der Welt. Dennoch liegen zwischen ihm und Carlsen 50 Elopunkte. Er hat aber zwischen sich und Kramnik auch schon über 40 Punkte gebracht. In Wijk aan Zee trumpfte er groß auf. Sein Spiel ist faszinierend, taktisch und auch für Leute wie mich spannend. Aber seine Nerven machen regelmäßig nicht mit, wenn es um die ganz großen Dinger geht. Das scheint seine einzige Schwäche zu sein. Er lebt in Berlin und wird gemeinhin als total sympathisch beschrieben. Den großen Hype wie Carlsen löst er vielleicht nicht aus, aber in seiner armenischen Heimat ist er ein Held. Er verweigert sich Facebook, was seine Fangemeinde in der Jugend vielleicht unnötig klein hält. (Anm. Red.: Es gibt eine englischsprachige Facebookseite, die wahrscheinlich von ihm persönlich gepflegt wird.)
Liebe Schachfreunde, ich lege mich fest: ich fiebere mit Aronjan mit! Ich habe schon ein wenig Angst vor dem Stress. Am 11. März geht es los. Das sind noch 4 Wochen. Aber ich freue mich darauf und bin gespannt, wie man das Turnier inszenieren wird.
Michael Woltmann, ein Schach-Fan (und Vizepräsident Verbandsentwicklung)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9439