6. März 2019
Zu den zentralen Runden der Schachbundesligen vom 1. bis 3. März in Berlin hatte der Deutsche Schachbund einen ganz besonderen Gast eingeladen. GM Robert Hübner, der vor wenigen Monaten seinen 70. Geburtstag feierte und in den 1970/80er Jahren zu den besten Schachspielern der Welt zählte, war für drei Tage in unserer Hauptstadt, um nicht nur die Partien seiner Erben in der Weltelite zu erleben, sondern auch selbst etwas von seinem Können zu zeigen und aus seinem Leben zu erzählen. Den Anfang machte am Freitag ein Simultanschachturnier an 25 Brettern. Dem folgte am Sonnabend ein mehr als zweistündiger Vortrag mit Momenten aus seinen Qualifikationsturnieren zur Weltmeisterschaft, dem weit über 100 Zuschauer folgten.
Für das Simultan hatten wir in den letzten Monaten bei der Deutschen Schach-Amateurmeisterschaft und auf unserer Website Plätze verlost. Weitere Kontrahenten des Großmeisters rekrutierten sich u.a. aus jungen Kaderspielern des DSB, den Preisträgern vom Lasker-Tag des Schachs und Vertretern des Berliner Schachverbandes. Damit kein Brett unerwartet freiblieb, führten wir vor Ort eine Warteliste die sich schnell füllte. Locker hätten wir die doppelte Anzahl an Brettern aufbauen können, doch auch so waren die 25 Bretter für Robert Hübner eine große Herausforderung. Das lag nicht nur an den zum Teil recht starken Gegnern, sondern auch an den Laufwegen im Saal. Für eine Runde mußte der Großmeister rund 70-80 m zurücklegen, und er brauchte dafür im Durchschnitt rund 12 Minuten, wie uns einer seiner Gegner mitteilte. Für durchschnittlich 40 Züge hatte Hübner somit 3000 m in den Beinen und er mußte lange Zeit an jedem Brett Halt machen, weil kaum einer der 25 Kontrahenten schnell zu besiegen war.
Der erste Punkt deutete sich dann aber ausgerechnet am Brett von Matthias Kribben an. Der Fernschach-Großmeister und -Olympiasieger hatte eine alte Schachzeitschrift von 1983 mitgebracht, auf deren Titelbild ganz groß Hübner abgebildet war - und er selbst! Während das Konterfei Hübner's wie selbstverständlich damals auf jeden Titel gehörte, schaffte es Kribben dank seines Sieges in der (west-)deutschen Jugend-Fernschachmeisterschaft auf die erste Seite. Als Hübner bei seiner Marathonrunde am Brett von Kribben ankam, entrollte der das "Schach-Echo" und legte es dem Großmeisterkollegen zum Signieren hin. Es sah aber nicht so aus, als ob Hübner darauf das Foto seines Gegenübers wahrgenommen hatte.
Die erste Entscheidung fiel erst nach rund drei Stunden gegen 20 Uhr am Brett von Frank Ewald. Er hatte soviel Material eingebüßt, das er nun sogar Matthias Kribben überholt hatte, der gegenüber im Saal schon weit länger eine Minusfigur zu beklagen hatte.
Als Nächster mußte sich der Ehrenpräsident des Berliner Schachverbandes, Gerhard Mietzelfeldt, dem Großmeister beugen. Dem folgte der Leverkusener Michael Axmann, obwohl dieser sich über die Anwesenheit seines Vereinskollegen Michael Negele freuen durfte. Es sprangen allerdings keine DWZ-Punkte des weitaus stärkeren Schachhistorikers über. Somit stand es 3:0 für Hübner. Aber einige Bretter ließen die Hoffnung bei den Zuschauern und Spielern aufkeimen, das es für den Großmeister doch nicht so glatt weitergehen könnte. Besonders Leo Katz und Jörg Feikes machten da mit ihren Stellungen Hoffnungen.
Der erste Punktverlust von Hübner kam dann allerdings schon in Partie vier, gegenüber von den beiden Hoffnungsträgern. Die 11-jährige Saskia Pohle konnte durch eine Springergabel, die Hübner übersehen hatte, die Qualität gewinnen. Für einen Sieg reichte die Stellung aber nicht aus, da der Großmeister sehr aktiv stand. So war Remis die logische Folge.
Gegen 22 Uhr, knapp fünf Stunden nach Beginn des Simultans, stand es 8:1 für Hübner. Jörg Feikes gelang es nun als Erstem, einen vollen Punkt zu machen. Nach einer wilden Eröffnungsphase holte er sich die Qualität und brachte die Partie sauber nach Hause. Leider blieb sein Formular sehr lückenhaft, weshalb uns die Rekonstruktion der Partie weitgehend unmöglich war.
Von nun an ging es relativ schnell vorwärts. Der Großmeister beendete eine Partie nach der anderen und hatte fortan immer längere Leerwege zurückzulegen. Gegen 22.30 Uhr blieb als letzter Gegner nur noch die 11-jährige in China geborene Berlinerin Lepu Coco Zhou übrig. Sie gehört dem DC-Kader weiblich des Deutschen Schachbundes an. Nachdem ihr durch Zuschauer und Hübner selbst, der nebenbei einen Blick auf seine Armbanduhr warf, ungeteilte Aufmerksamkeit zuteil wurde, stellte sie nach wenigen Zügen den Widerstand ein und gab auf.
Robert Hübner beendete das Simultan mit dem Ergebnis 20½:4½ - 18 Siege, 5 Remis und 2 Niederlagen. Leo Katz und Jörg Feikes konnten den Großmeister besiegen. Die Punkteteilungen schafften Saskia Pohle, Sven Aßmus, Dominik Laux, Dr. Christian Hoffmann und Prof. Dr. Arndt Borkhardt. Herzlichen Glückwunsch!
Nr. | Name | DWZ | Verein | Ergebnis |
---|---|---|---|---|
1 | Frank Ewald | 1300 | - | 0:1 |
2 | Gerhard Mietzelfeldt | 1632 | SG NARVA Berlin | 0:1 |
3 | Dr. Michael Axmann | 1709 | SC Bayer Leverkusen | 0:1 |
4 | Saskia Pohle | 1777 | Muldental Wilkau-Haßlau | ½:½ |
5 | Dr. Matthias Kribben | 1931 | SC Zitadelle Spandau | 0:1 |
6 | Herbert Fürderer | 1672 | SV Wesel | 0:1 |
7 | Wilfried Woll | 2060 | Greifswalder SV | 0:1 |
8 | Sven Aßmus | 1661 | SV Turbine Berlin | ½:½ |
9 | Christian Koschetzki | 1825 | SVG Salzgitter | 0:1 |
10 | Jörg Feikes | 1938 | - | 1:0 |
11 | Dominik Laux | 2049 | VSG 1880 Offenbach | ½:½ |
12 | Collin Colbow | 2111 | Werder Bremen | 0:1 |
13 | Leo Katz | 1984 | OSG Baden-Baden | 1:0 |
14 | CM Peter Grabs jr. | 1565 | SC Empor Potsdam | 0:1 |
15 | Kimon Böhmer | 1315 | SV Königsjäger Süd-West | 0:1 |
16 | Max Freude | 1689 | SV Empor Berlin | 0:1 |
17 | Margarethe Wagner | 1768 | Erfurter SK | 0:1 |
18 | Jakob Bender | 1224 | SG Porz | 0:1 |
19 | Dr. Christian Hoffmann | - | - | ½:½ |
20 | Jens Rennspieß | 1675 | SV Berolina Mitte | 0:1 |
21 | Bernd Segebarth | 1603 | SF Schwerin | 0:1 |
22 | Alex Boyko | 1856 | SV Weidenau/Geisweid | 0:1 |
23 | Dominik Schwarz | 1495 | SC Prichsenstadt | 0:1 |
24 | Prof. Dr. Arndt Borkhardt | - | - | ½:½ |
25 | Lepu Coco Zhou | 1710 | Schachpinguine Berlin | 0:1 |
4½:20½ |
Ergebnisse in zeitlicher Reihenfolge
Für das Simultanschach hatten wir eine kleine Präsentation mit Fotos aus Hübner's Schachkarriere angefertigt. Diese lief in einer Dauerschleife vor dem Saal Berlin auf einem großen Monitor ab. Die Ergebnisse blendeten wir dabei in Realzeit direkt in der Präsentation ein. Wir haben für Sie die Präsentation nachträglich auf YouTube online gestellt.
Unter dieser Überschrift fand am nächsten Tag (Sonnabend, 2. März) ein Vortrag von Dr. Robert Hübner im Saal Wien statt. Der ehemalige deutsche Weltklassespieler zeigte einige Stellungen aus den von ihm gespielten Zonen- und Interzonenturnieren (IZT), die von 1948 bis 1993 als Qualifikationsturnier zu den WM-Kandidatenwettkämpfen ausgetragen wurden. Gegen 14 Uhr füllte sich der Saal zusehends und die Stühle waren bald alle besetzt. Viele Schachfreunde mußten stehen, doch das war egal, konnten sie doch einem Idol ihrer eigenen Schachkarriere verdammt nahe sein. Hübner saß vorn am Tisch und baute auf dem Laptop mit der ChessBase-Software verschiedene Stellungen auf, was die Zuschauer auf der Leinwand verfolgen konnten. Der Großmeister sprach leise, doch es war so mucksmäuschenstill, das nur die Geräusche der Kaffeemaschine im Hintergrund spitze Ohren bei einigen Zuhörern erforderten.
Bis zu 130 Leute gleichzeitig verfolgten Hübner's Ausführungen. Die geplanten 90 Minuten hatte er dabei locker um eine halbe Stunde auf Wunsch der Anwesenden überzogen. Nach seinen Erläuterungen, die er mit trockenem Humor herüberbrachte und so das Auditorium erheiterte, ließ er gern Zwischenfragen zu. Auch die wurden mit Wortwitz beantwortet. Hier einige Bespiele:
Sehr bildhaft und erheiternd für die Zuhörer schilderte Robert Hübner die Ereignisse, die in dieser Stellung aus dem Zonenturnier 1969 ihren Lauf nahmen. Er war in hochgradiger Zeitnot und wollte Txa2 spielen, doch der dazu nötige Turm war plötzlich vom Brett verschwunden. Der Schiedsrichter wollte die Uhr besser sehen und weil ihm dabei etwas im Weg stand, griff er sich den Turm a6 und hob ihn in die Luft. Just in dem Augenblick als Hübner nach ihm greifen wollte! Hübner: "Das war sehr merkwürdig. Es kann ja das ganze Leben sehr weitgehend beeinflussen. Wäre der Turm weggeblieben, hätte ich nie z.B. gegen Fischer gespielt. Das ganze Leben wäre ganz anders verlaufen."
Der Turm fand sich wieder an, Hübner gewann die Partie und belegte Platz drei hinter Milan Matulovic und Vlastimil Hort.
Vor dem letzten schwarzen Zug hatte Hübner seinen Springer von g3 nach h1 gezogen, was in einer klar besseren Stellung ungewöhnlicherweise der beste Zug war. Jetzt ging es weiter mit 37. g3? Stattdessen gewinnt Weiß mit De8+ die Partie, weil Schwarz matt wird oder die Dame verliert: 37. ... Kg7 38. Te7+ Kh6 (oder Dxe7) 39. Df8+ Lg7 40. Dxg7+ Kh5 41. Dxh7#. Hübner: "Nachdem der Weiße schon den Springer nach h1 gebracht hat, ist klar, daß er das (Matt) nicht gesehen hat." (Gelächter im Saal) "Der Zug g3 rief eine sehr heftige Reaktion unter den Zuschauern hervor. Die Zuschauer begannen sehr heftig zu murmeln. Und dann habe ich natürlich das Matt gesehen." 37. ... Sxf4 "Wenn die Zuschauer nicht so gemurmelt hätten, dann hätte ich vielleicht gxf4 gezogen. Das gewinnt und die Sache ist nach 38. ... Dxf4 39. Sg3 nebst Kg2 ziemlich einfach. Aber jetzt hatte ich das Matt gesehen, deshalb:" 38. De8+ Kg7 "Jetzt kann man immer noch auf f4 schlagen und Weiß steht auf Gewinn. Doch jetzt kam das 'Matt':" 39. Te7+ Kh6 40. Sf2 Lxf2 41. Txh7+ Kg5 0-1 "So zeigte sich, das man sich nicht durch die Äußerungen anderer Leute beeinflussen lassen sollte."
Im Anschluß an seinen Vortrag signierte Robert Hübner im Foyer am Stand von Arno Nickel seine Bücher:
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9580