26. März 2010
Vor 13 Tagen ging in Bad Liebenzell die Deutsche Einzelmeisterschaft zu Ende. Mit dem 18jährigen Niclas Huschenbeth stieg ein Spieler auf den Thron, der vorher nicht unbedingt zu den Favoriten zählte. In der Teilnehmerliste wurde er nur auf Rang 16 einsortiert - Ergebnis seiner nur durchschnittlichen Leistungen in den letzten zweieinhalb Jahren.
2007 sah die Perspektive noch rosiger aus. Innerhalb eines Jahres steigerte Niclas seine DWZ um über 200 Punkte auf 2421. Seine letzten drei Turniere beendete er damals mit Turnierleistungen jenseits 2500. Am spektakulärsten war dabei sein Auftritt beim Europacup in Kemer (Türkei), wo er für seinen Hamburger SK 5½ von 7 möglichen Punkten holte, zwei Großmeister und einen starken Internationalen Meister besiegte. Dieses Turnier und der nachfolgende Sieg beim IM-Turnier des Hamburger SK, überzeugten Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler endgültig von seinen Qualitäten. Er lud Niclas zum Training der Jugend-Olympiamannschaft (JOM) mit Anatoli Karpow nach Hockenheim ein - vorerst als Gast. Wenige Wochen später fand Niclas Aufnahme in die JOM.
Seit der Aufnahme in die JOM wurde es um Niclas etwas ruhiger. Die Schule ging vor, Schach trat in den Hintergrund. Niclas: "Ich habe für die Schule gelernt, wollte mich nicht mehr ablenken lassen." Später kam noch eine Phase hinzu, wo er "nicht mehr so richtig Lust hatte" und das Schachspielen für drei Monate unterbrach. "Jetzt werde ich wieder sehr viel spielen - vermutlich" meinte Niclas nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Zeit hat er jetzt wohl wirklich. Die schriftlichen Prüfungen der 12. Klasse liegen hinter ihm und die einzige mündliche Prüfung kommt erst im Juni. In der Zwischenzeit "passiert eigentlich nicht soviel in der Schule" und er ist "relativ entspannt".
Das er seinen Eltern gesagt haben soll, das er sich den Titel zutraut, wie das Hamburger Abendblatt schrieb, daran kann er sich garnicht mehr erinnern: "Habe ich wahrscheinlich im Spaß gesagt" und lacht.
Dabei trauen ihm Experten sehr viel zu. Sein Trainer Wolfgang Pajeken meinte gegenüber derselben Zeitung "Er hat sein großes Potential bei Weitem nicht ausgeschöpft.". Christian Zickelbein, Vorsitzender des Hamburger SK, sagte vor zwei Jahren "Ich rechne damit, dass er schon in zwei Jahren Großmeister ist" (Die Welt). Damit lag Zickelbein aber ebenso falsch wie wahrscheinlich mit der Aussage, das er Niclas den Aufstieg in die Top 100 der Welt zutraut (Hamburger Abendblatt). "Ja das hat er aber nicht gesagt, das hat ihm der Reporter so in den Mund gelegt" meint Niclas dazu.
Die erste Runde in Bad Liebenzell wäre beinahe in die Hose gegangen. Niclas: "Das war ziemlich blöd. Da stand ich nach sieben Zügen im Königsgambit auf Gewinn. Mein Gegner spielt schlecht, ich hätte schon direkt eine Figur gewinnen können, habe es aber nicht gesehen. Und dann habe ich - ich weiß nicht was da los war - Unkonzentriertheit? Da habe ich halt ein bißchen nachgelassen und meinen Gegner nochmal ins Spiel kommen lassen .... da hätte die Meisterschaft schon fast schlecht angefangen."
Nun, auf Gewinn ist vielleicht übertrieben. Aber zuimdest sehr vorteilhaft hätte man die schwarze Stellung beurteilen können, wenn Niclas jetzt nicht 7. ... Kd7 gespielt hätte. Ke7 hätte einen größeren Vorteil festgehalten, weil der Sg5 mit h7-h6 vertrieben wird und danach der Läufer fällt.
Mittlerweile ist der schwarze Vorteil erdrückend. Niclas hätte mit Sd2 oder Ld4 den Vorteil weiter ausbauen können, stattdessen bekam Weiß nach 22. ... Df4? 23. Dd5 Gegenspiel. Motivation für Jens Koller (DWZ 2216), das hier vielleicht noch was geht. Niclas mußte sich noch bis zum 60. Zug quälen, bevor die 1 stand.
Nach dem folgenden Remis mit Weiß gegen Alexander Naumann und der Niederlage gegen Leonid Milov in Runde 3 hätte wohl keiner mehr einen Eurocent auf Niclas gewettet.
Nach vier Runden sonnte sich Favorit Igor Khenkin mit 4 Punkten an der Spitze, während Niclas gerade mal bei 2½ Punkten stand.
"Dann habe ich halt die Punkte gemacht" meint Niclas lachend, als Khenkin anfing, auszukuppeln und im Leerlauf Richtung Ziellinie zu tuckern. In Runde 7 kam es zum direkten Aufeinandertreffen. Beide schenkten sich nichts. Khenkin hatte Schwarz und einen halben Punkt Vorsprung. Er wickelte im 51. Zug in ein KT-gegen-KL-Endspiel ab, was er anschließend über dreißig Züge lang verteidigen mußte, ehe Niclas in die Punkteteilung einwilligte:
Der letzte Zug in der Khenkin-Partie war übrigens das einzige Remisangebot das über Niclas' Lippen bei dieser Deutschen Meisterschaft kam - auch wenn es, wie man sieht, kein richtiges war. "Gegen Khenkin habe ich ganz am Ende Remis angeboten. Na ja, eigentlich auch nicht. Ich weiß garnicht wann ich das letzte Mal Remis... - eigentlich müßte ich schon ein bißchen schlechter stehen." meint Niclas zu seinen Ambitionen, friedlich die Hände zu schütteln.
Das Händeschütteln überließ er Khenkin in den letzten beiden Runden. Mit Falko Bindrich bekam Niclas ein Hammerlos für die vorletzte Runde - und dazu auch noch mit Schwarz. Nach dem fünften Zug von Weiß kam es zu folgender Stellung:
Den eben ausgeführten Zug hält Niclas bereits für zweifelhaft. Le3 ist zwar keine Abweichung von der Theorie, "aber halt nicht so gut".
Zu einem Remisangebot von Falko Bindrich kam es im 29. Zug:
"Da stand er schon schlechter" sagt Niclas. "Davor war es eigentlich eher ausgeglichen. Aber war auf jeden Fall schwer zu spielen, wahrscheinlich schwerer auch für ihn zu spielen. Danach hat er ungenau gespielt."
In der letzten Runde hatte Niclas erneut Schwarz, diesmal gegen Tobias Hirneise. Der 20jährige spielte ein famoses Turnier, blieb bis zur Partie mit Niclas ungeschlagen, nahm den Großmeistern Baramidze, Bogner und Khenkin jeweils einen halben Punkt ab. Schwerer konnte es für Niclas kaum werden. An den deutschen Meistertitel verschwendete er keinen ernsthaften Gedanken. Nur ein wenig Träumen war okay. An den Titel "habe ich eigentlich nie so richtig geglaubt" meint Niclas. "Na ja, wenn dann vor der letzten Runde natürlich. Aber da hatte ich ja auch nochmal Schwarz und gegen Hirneise, der eigentlich auch kein Schlechter ist. Da dachte ich auch eher, das wir Remis spielen und dann Khenkin Deutscher Meister wird."
So hätte es auch kommen können. Am Nebenbrett rauchten Bogner und Khenkin bereits die Friedenspfeife, als Niclas in dieser Stellung ebenfalls mit einem Remisangebot belästigt wurde. Niclas: "Wenn Tobias jetzt eine ruhige Variante gewählt und ... Remis angeboten hätte, dann hätte ich auch nicht unbedingt weitergespielt."
Auf dem Brett stand aber keine ruhige Variante. Niclas schätzte die Stellung als für sich günstig ein: "Ich wußte, wenn ich jetzt gewinne, bin ich Deutscher Meister! Ich fand meine Stellung angenehmer, recht risikoarm und lehnte das Remisangebot ab."
Für die DSB-Webseiten hat Niclas sich bereit erklärt, diese Partie zu kommentieren. Ein Kompromissvorschlag, da drei andere Partien bereits für die Zeitschrift SCHACH reserviert sind. Als seine beste Partie in Bad Liebenzell bezeichnet Niclas übrigens seine Begegnung mit David Baramidze in der fünften Runde.
Die äußeren Bedingungen und den Spielort fand Niclas super: "geräumig, schöner Spielsaal, sehr viel Licht". Hotel und Frühstück bestens, nur zwei Minuten zum Spielort und ein Park lud zum Verweilen ein. Alles "superpraktisch" meint er.
Wieviele Spieler um ihn herum an den Brettern sitzen ist ihm "eigentlich egal". Obwohl ein großer Saal "eigentlich noch schöner" ist, "dann ist es so still". Man hört nur das Klacken der Uhren, das Bewegen der Figuren, ab und zu ein Räuspern oder ein Stühlerücken.
Nach der Deutschen Meisterschaft fuhr Niclas zum Ausspannen zu seinen Großeltern nach Thüringen. Eine Woche ohne Internet! Offensichtlich ist das auch für junge Menschen heutzutage noch denkbar. Einfach mal die Natur genießen. "Das war so geplant, das ich dahin fahre. Da hatte ich noch ein bißchen Spaß. Jetzt geht eben wieder der Schulalltag los." sagte Niclas bei unserem Telefongespräch am Montag.
Thüringen? Niclas kein Hamburger Jung'? Ich begann zu recherchieren. Wichtigste Anlaufstelle ist dabei die Geogen-Datenbank von Christoph Stoepel, ein Service der auch immer wieder vom bekannten Namensforscher Jürgen Udolph empfohlen wird. Anhand des Telefonbuchs für Deutschland von 2002 ermittelt Stoepel die Verteilung der Familiennamen. Für Huschenbeth fällt dabei eine starke Konzentration in Thüringen auf. Der Landkreis Eichsfeld hatte damals allein 9 der 39 Telefonanschlüsse auf sich vereint.
Niclas war ob dieser Information sehr erstaunt und bestätigte: "Mein Vater kommt aus Eichsfeld, meine Mutter kommt aus Thüringen. Ist Eichsfeld nicht auch Thüringen?" Ja, genau. Wenn man in Thüringen bei einem Huschenbeth an der Tür klingelt, ist die "Gefahr" groß, das ein Verwandter von Niclas öffnet. Seine Eltern zog es aber nach der Wende in den Westen. Über Hann. Münden, wo Niclas geboren wurde, wurde schließlich Hamburg die neue Heimat. Das mit Hann. Münden wollte ich genauer wissen:
Als nicht ganz so doofer Ossi war mir Hann. Münden durchaus ein Begriff, allerdings mehr in der Form Hann-Münden. Man lernt nie aus.
Hann. Münden liegt übrigens im Landkreis Göttingen, der in Deutschland die drittstärkste "Huschenbeth-Konzentration" aufweist (im Bild links vom dunkelroten Landkreis Eichsfeld). Der Landkreis Eichsfeld ist übrigens auch eindeutiger Spitzenreiter beim Namen Huschenbett, der insgesamt in Deutschland doppelt so häufig vorkommt
Historische Namenssuche - bei FamilySearch
Was er mit den 6.000 Euro Preisgeld vorhat, wollte ich dann von Niclas wissen, ob er es anlegt. "Ich habs ja noch nicht mal." sagt er und meint weiter "Ich weiß noch nicht, was ich damit mache. Ich denke mal nicht, das ich das direkt ausgebe."
Die sofortige (Bar-)Auszahlung größerer Geldbeträge ist beim DSB wohl nicht üblich. Da mag auch der spektakuläre Poker-Überfall am 6. März in Berlin (k)eine Rolle gespielt haben, bei dem vier Täter 242.000 Euro Startgeld(!) mitgehen ließen. Klaus-Jörg Lais benutzte diesen inzwischen fast aufgeklärten Kriminalfall als Aufhänger seiner DEM-Berichterstattung.
Einen Verwendungszweck für das Preisgeld nannte mir Niclas dann doch: "Ich werde wahrscheinlich die U20-Weltmeisterschaft mitspielen und da ein bißchen Geld benötigen." Ja klar, Taschengeld und so. Reise- und Unterkunftskosten übernimmt doch sicher der DSB? Niclas: "Nein. Einer wird immer nominiert. Der kriegt das bezahlt. Und das werde wahrscheinlich nicht ich sein, sondern Falko Bindrich."
In der kommenden Woche fährt Niclas aber erst einmal nach Deizisau. Dort findet vom 1. bis 5. April das 14. Neckar-Open statt und es wird hochkarätig besetzt sein: Naiditsch, der Berliner GM-Turniersieger Erdös, Graf, Buhmann und Kunin. Der weltbeste Fernschachspieler Joop van Oosterom ist dabei, dazu Kaderspieler wie Strohhäker, Hirneise, Judith Fuchs, Filiz Osmanodja, die Trainer Lobzhanidze, Richter und Pajeken u.s.w.
Vom 22. bis 30. Mai finden in Oberhof die Deutschen Jugendmeisterschaften statt. Niclas überlegt noch, ob er in der U18 den Titel holen will oder den Mitropacup in der Schweiz mitspielt. Er hat darüber bereits mit seinem Trainer Wolfgang Pajeken gesprochen und tendiert "jetzt wohl eher zum Mitropacup. Alles andere als bei der Deutschen U18 Erster zu werden, wäre wie eine Enttäuschung." Zumal ihm Bundestrainer Uwe Bönsch nach seinem Sieg in Bad Liebenzell das erste Brett angeboten hat! Da würde "ich dann natürlich ziemlich starke Gegner haben".
Mit ihm nominiert sind übrigens Falko Bindrich, Michael Prusikin und David Baramidze.
Wünschen wir ihm viel Erfolg auf seinem weiteren Weg!
Turnierseite DEM 2010
Veranstalter SK Neuhausen
Frank Hoppe