10. August 2020
In dem Schiedsgerichtsverfahren
der Frau B., Antragstellerin,
gegen
den Deutschen Schachbund e.V. (DSB),
vertreten durch den Herrn Bundesrechtsberater Thomas Strobl,
Antragsgegner,
Nebenintervenient:
Herr D.,
hat das Schiedsgericht durch den Vorsitzenden Norbert Sprotte und die Beisitzer Hanno Dürr und Manfred Tietze am 29.06.2019 im schriftlichen Verfahren einstimmig beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin auf dem Bundeskongress vom 01.06.2019 in Magdeburg zur Vizepräsidentin Sport gewählt worden ist. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Antragsgegner zur Last. Diejenigen des Verfahrens über die einstweilige Verfügung werden gegeneinander aufgehoben.
I. Am 01.06.2019 fand in Magdeburg der ordentliche Bundeskongress des DSB statt. Auf diesem kam es turnusgemäß u. a. zur Wahl des Vizepräsidenten Sport (§ 28 I i. V. m. § 25 I Nr. 2 der Satzung des DSB). Es stellten sich zwei Kandidaten, nämlich die Antragstellerin, die Mitglied eines dem Bayerischen Schachbund e. V. angehörenden Vereins ist, und Herr D., der bisherige Amtsinhaber – im hiesigen Verfahren nunmehr Nebenintervenient auf der Seite des Antragsgegners –, zur Wahl.
Vor Beginn der Wahlen hatte die gem. § 11 IV S. 1 der Satzung eingesetzte Zählkommission bekanntgegeben, dass Nein-Stimmen als gültige Stimmen gewertet würden.
Die Auszählung des ersten Wahlgangs ergab, dass auf den Nebenintervenienten 99 und auf die Antragstellerin 98 Stimmen entfallen waren; außerdem waren 3 Enthaltungen und 16 Nein-Stimmen abgegeben worden. Danach ordnete der Versammlungsleiter die Durchführung eines zweiten Wahlganges an, da keiner der beiden Kandidaten die Mehrheit der gültigen Stimmen erhalten habe.
Nach Auszählung der im zweiten Wahlgang abgegebenen Stimmen stellte sich heraus, dass eine Stimme mehr abgegeben worden war, als Stimmberechtigungen verzeichnet waren (217 statt 216). Danach wurde der zweite Wahlgang für ungültig erklärt und ein dritter anberaumt.
In diesem entfiel die Mehrheit der Stimmen (111:105) auf den Nebenintervenienten, der daraufhin als zum Vizepräsidenten Sport gewählt erklärt wurde.
Später, nicht im Rahmen des Kongresses, wurde bekannt, dass im zweiten Wahlgang auf die Antragstellerin 114 und auf ihren Gegenkandidaten 95 Stimmen entfallen waren (bei 8 Nein-Stimmen und keiner Enthaltung).
Die Antragstellerin vertritt den Standpunkt, dass sie im zweiten Wahlgang rechtswirksam zur Vizepräsidentin Sport gewählt worden und die Durchführung des dritten Wahlganges überflüssig und damit unwirksam gewesen sei.
Das Schiedsgericht legt ihr Begehren dahingehend aus, dass sie die Feststellung der Wirksamkeit ihrer Wahl beantragt.
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Sein Streithelfer sei in einem letztlich nicht zu beanstandenden Wahlverfahren spätestens im dritten Wahlgang wirksam zum Vizepräsidenten Sport gewählt worden. Insbesondere sei es nicht zu beanstanden, dass die Versammlungsleitung den zweiten Wahlgang wegen der zu viel abgegebenen Stimme für ungültig erklärt und einen weiteren Wahlgang anberaumt habe.
Der Nebenintervenient hat sich der Rechtsauffassung des Antragsgegners und dessen Antrag angeschlossen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt ihrer dem Schiedsgericht unterbreiteten E-Mails bzw. der per E-Mail eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Die in dem Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ergangene Entscheidung des Schiedsgerichts wird gleichfalls in Bezug genommen.
Die Ergebnisse der jeweiligen Wahlgänge sind, nachdem sie vom Vorsitzenden des Schiedsgerichts auf der Geschäftsstelle des DSB überprüft und den Beteiligten mitgeteilt worden sind, unstrittig. Fest steht nach der erwähnten Überprüfung auch, dass die im zweiten Wahlgang zu viel abgegebene Stimme dadurch zustande gekommen ist, dass eine Stimmkarte mit dem Wert „1“ zu wenig und eine Stimmkarte mit dem Wert „2“ zu viel ausgegeben worden war.
II. Der Feststellungsantrag ist zulässig und begründet.
1. Die Zuständigkeit des Schiedsgerichts für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ergibt sich jedenfalls aus § 32 I Nr. 2 der Satzung des DSB.
Der Antrag ist auch zulässig, da die Antragstellerin geltend macht, in ihren berechtigten Interessen nachteilig betroffen zu sein (§ 33 II der Satzung).
2. Dem Erfolg des Feststellungsantrags steht nicht das Ergebnis des ersten Wahlganges entgegen. Denn in diesem ist, entgegen der Ansicht des Antragsgegners und seines Streithelfers, Letzterer nicht wirksam zum Vizepräsidenten Sport gewählt worden.
Durchaus zutreffend vertritt die Seite der Antragsgegner die Ansicht, dass bei Berücksichtigung der Satzung des DSB (§ 11 II) der Nebenintervenient mit der Mehrheit der Stimmen, nämlich einer, gewählt worden wäre.
Indes lässt sie außer Betracht, dass auf dem Magdeburger Kongress – bedauerlicherweise – gerade nicht nach der Satzung des DSB verfahren worden ist.
Stattdessen hat man die Abstimmungsberechtigten wissen lassen, dass etwaige Nein-Stimmen als gültig gewertet werden würden, mit der Konsequenz, dass zum Sieg in einem Wahlgang die Mehrheit der gültigen Stimmen benötigt würde.
Diese Verfahrensweise war satzungswidrig.
§ 11 II der Satzung – der im Übrigen mit der in § 32 II, S. 3 BGB getroffenen gesetzlichen Regelung übereinstimmt – sieht, im Fall der Abstimmung über mehr als einen Kandidaten, Nein-Stimmen nicht vor; daher sind solche Stimmen nach der Satzung ungültig.
Nach der auf dem Kongress eingeschlagenen Verfahrensweise ist es dem Schiedsgericht aber – und damit anders, als es die Seite der Antragsgegner ihm abverlangen will – verwehrt zu unterstellen, es sei entsprechend der Satzung abgestimmt worden.
Denn dass – wie immer die Entscheidung für die vorgenommene Verfahrensweise (Wertung von Nein-Stimmen als gültig) zustande gekommen sein mag – ihr ein sie legitimierender satzungsgemäßer Beschluss zur Änderung der Satzung vorausgegangen wäre, ist offenkundig auszuschließen.
(Dass ein solcher Beschluss im Grundsatz möglich wäre, ergibt sich aus § 40 BGB, der die Bestimmung des § 32 BGB zu dispositivem, d. h. abdingbarem Recht erklärt1.)
Bei dieser Sachlage musste das Schiedsgericht berücksichtigen, dass diejenigen Abstimmungsberechtigten, die insgesamt 16 Nein-Stimmen abgegeben haben, berechtigterweise in der Annahme handelten, ihre Stimmen würden als gültig gewertet.
Daher kann das Schiedsgericht den Nein-Stimmen nun nicht im Nachhinein eine Argumentation etwa des Inhalts entgegenhalten, dass sie die Satzung doch kennen und verstehen sollten und die von der Versammlungsleitung durchgesetzte (zumindest tolerierte) abweichende Verfahrensweise, beispielsweise durch anderes Abstimmungsverhalten, hätten ignorieren müssen.
Vielmehr muss es davon ausgehen oder kann es zumindest, was im Ergebnis nichts ändert, nicht ausschließen, dass die abgegebenen Nein-Stimmen bei einer satzungsgemäßen Abstimmungsweise nicht als solche, sondern als gültige Stimmen auf einen der beiden Kandidaten entfallen wären, möglicherweise also auch auf die Antragstellerin (das Ergebnis des zweiten Wahlgangs lässt dies nicht völlig entfernt erscheinen).
Danach war das Schiedsgericht gehalten, das Ergebnis des ersten Wahlgangs nicht zur Grundlage seiner Entscheidung zu machen.
Im Ergebnis zu Recht ist danach ein zweiter Wahlgang durchgeführt worden.
3. Dieser hat zu einem gültigen Resultat, nämlich der Wahl der Antragstellerin zur Vizepräsidentin Sport, geführt.
Wenn dennoch die Durchführung eines dritten Wahlgangs angeordnet worden ist, sei dem Folgenden vorangestellt, dass das Schiedsgericht nicht in Zweifel zieht, dass diese Anordnung in der Annahme geschah, in rechtlich nicht zu beanstandender Weise zu handeln. Namentlich die Delegierten dürften auf die Richtigkeit dieser Verfahrensweise vertraut haben. Ob sie diese auch hingenommen hätten, wäre ihnen das eindeutige Ergebnis des zweiten Wahlgangs bekanntgegeben worden, muss dahinstehen.
Der Umstand jedoch, dass in dem zweiten Wahlgang über die Anzahl der Stimmberechtigungen hinaus eine Stimme zu viel abgegeben worden ist, ist unbeachtlich, da sie das Wahlergebnis nicht beeinträchtigt.
Seit jeher wird es für vereinsrechtliche Abstimmungen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die das Schiedsgericht zur Grundlage seiner Entscheidung macht, anerkannt, dass bloße Ordnungsverstöße bei der Vorbereitung oder der Durchführung einer Abstimmung – um einen solchen Ordnungsverstoß handelt es sich hier – unbeachtlich sind, wenn ausgeschlossen werden kann, dass das Ergebnis auf dem Verfahrensmangel beruht bzw. sicher feststeht, dass sich der Verfahrensfehler nicht zum Nachteil eines Beteiligten ausgewirkt hat.
Die im Schrifttum vorherrschende Ansicht folgt dieser Rechtsprechung.
So verhält es sich hier: Es ist ausgeschlossen, dass der vorliegende Verstoß das Ergebnis beeinflusst hat.
Während die angeführten Urteile des Bundesgerichtshofs Sachverhalte betrafen, bei denen in dem einen Fall Personen an der Abstimmung teilgenommen hatten, die nicht stimmberechtigt waren, in dem anderen es versäumt worden war, abstimmungsberechtigte Mitglieder zur Versammlung einzuladen – in beiden Fällen halten die Entscheidungen den Mangel unter der genannten Voraussetzung zumindest für heilbar –, wiegt der hier festzustellende Verfahrensverstoß ersichtlich weitaus geringer.
Denn auch dann, wenn man unterstellt, die zu viel abgegebene Stimme sei auf die Antragstellerin entfallen, ist ihr Vorsprung so groß, dass es auf diese Stimme nicht ankommt.
Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man auch unter Berücksichtigung des vom Vertreter des Antragsgegners angeführten Schrifttums.
Vielmehr wird dort sogar ausdrücklich – und zu Recht – darauf verwiesen, dass in eine Wiederholung der Abstimmung nach erfolgter Stimmabgabe grundsätzlich nicht eingetreten werden kann5. Eine Ausnahme soll „im Interesse der Rechtssicherheit“ dann gelten, wenn bei der Auswertung des Abstimmungsergebnisses Zweifel bestehen oder sich herausstellt, dass bei der Stimmabgabe mehr Anwesende abgestimmt haben als diejenigen, die stimmberechtigt waren, und sich die Unstimmigkeit auf sonstige Weise nicht beheben lässt.
Selbst nach dieser Auffassung lässt die auf dem Bundeskongress entstandene Situation eine – ohnehin nur ausnahmsweise zulässige – Wiederholung des in Rede stehenden Wahlgangs nicht zu.
Zweifel hinsichtlich des Abstimmungsergebnisses bestanden – aufgrund des eindeutigen Vorsprungs der Antragstellerin – nicht.
Ferner hat sich schon auf dem Kongress gerade nicht herausgestellt, dass ein nicht stimmberechtigter Anwesender an der Abstimmung teilgenommen hat.
Inzwischen ist erwiesen, dass das nicht der Fall war.
Im Übrigen hätte sich die Ursache für die auf dem Kongress vorgefallene Unstimmigkeit auch bereits dort aufklären lassen.
Für die Bewertung des zweiten Wahlgangs ist es auch nicht rechtserheblich, dass wiederum satzungswidrig Nein-Stimmen als gültig gewertet worden sind.
Insoweit kann auf die vorstehend (im 4. Absatz unter II, Zf. 3) zitierte Rechtsprechung und Literatur verwiesen werden.
Die dort entwickelten Grundsätze gelten auch und gerade dann, wenn der Verfahrensverstoß zugleich einen Satzungsverstoß beinhaltet. Auch in diesen Fällen kommt es nach der ganz herrschenden Meinung auf die Relevanz des Verstoßes an.
Danach war festzustellen, dass, ebenso wie die eine zu viel abgegebene Stimme, auch die Nein-Stimmen wegen des großen Vorsprungs der Antragstellerin für das Abstimmungsergebnis ohne Bedeutung sind. Auch wenn sie, statt als Nein-Stimmen, sämtlich zugunsten des Nebenintervenienten abgegeben worden wären, hätte ihm dies, auch wenn man vom Stimmergebnis der Antragstellerin noch die eine „Zu-viel-Stimme“ abzieht, nicht zum Sieg verholfen.
Schließlich kommt es auch nicht darauf an, dass der Versammlungsleiter das Ergebnis des zweiten Wahlgangs nicht verkündet hat, da die Verkündung eines Vereinsbeschlusses für seine Rechtsgültigkeit keine Voraussetzung ist.
Nach alldem erweist sich, dass der zweite Wahlgang, wenn auch nicht fehlerfrei, so aber doch gültig war und zu einem gültigen Ergebnis geführt hat.
Dieses ist in dem Beschlusstenor festgestellt worden.
4. Die Gültigkeit des zweiten Wahlgangs hat zur Folge, dass die Anordnung eines weiteren Wahlgangs unrechtmäßig war, sodass das dort erzielte Ergebnis keine Wirkung entfaltet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 35 II, S.1 der Satzung.
Sprotte Dürr Tietze
// Archiv: DSB-Nachrichten - Recht // ID 10456