Nicht nur über den Länderkampf unserer Männer-Nationalmannschaft gegen Ungarn vom 16. bis 21. September 2004 in Budapest sprach Norbert Heymann mit dem Bundestrainer.
Herr Bundestrainer, bevor wir über Ihre Einschätzung der Erfolgsaussichten gegen unsere ungarischen Schachfreunde sprechen, interessiert mich, warum gerade gegen die Mannschaft Ungarns dieser Vergleichskampf stattfindet?
Bönsch: Die Ungarn gehören seit Jahrzehnten zur erweiterten Weltspitze und stellen auch zur Zeit eine starke junge Mannschaft. Der Deutsche Schachbund unterhält ausgezeichnete Beziehungen zum Ungarischen Schachbund und nach ersten Gesprächen anlässlich der letzten Schacholympiade 2002 in Bled, waren wir uns schnell einig.
Unser Team (GM Alexander Graf, GM Rustem Dautov, GM Jan Gustafsson, GM Christopher Lutz, GM Klaus Bischoff, GM Leonid Kritz) besteht aus einer, wie ich finde, guten Mischung aus jugendlichem Tatendrang und Routine. Wie sehen Sie die Erfolgsaussichten?
Bönsch: Die deutsche Olympiamannschaft hat zwei Neulinge in ihren Reihen. Jan Gustafsson, der schon recht erfahren ist und Deutschland bei der Mannschaftseuropameisterschaft im vergangenen Jahr vertreten hat und auch schon beim Länderkampf gegen Griechenland dabei war sowie Leonid Kritz, der erst kürzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat und somit erstmalig in einem deutschen Team steht.
Die ungarische Mannschaft wird ohne ihre beiden Stars Peter Leko und Judith Polgar antreten. Peter spielt gegen Kramnik um die Weltmeisterschaft und Judith sieht Mutterfreuden entgegen. Dennoch werden sich beide Teams im Eloschnitt kaum unterscheiden und der Ausgang ist völlig offen.
Zwei wichtige Stützen und Erfolgsgaranten in der Nationalmannschaft, Dr. Robert Hübner und Artur Jussupow, haben vor einiger Zeit ihren Rücktritt erklärt. Mit einer Elo-Zahl von 2624 (Dr. Hübner) bzw. 2583 (Jussupow) hätten beide sicher gute Chancen auf einen Einsatz im Team. Halten Sie ein Comeback für wünschenswert und wahrscheinlich?
Bönsch: Auch ich bedauere diese Entscheidung von Robert und Artur, respektiere sie aber. Beiden ist die Rückkehr in das Nationalteam nicht verbaut, denn nach wie vor wären sie eine Bereicherung unserer Mannschaft.
Zum erweiterten Anwärterkreis in der Auswahlmannschaft gehört sicher auch Arkadij Naiditsch mit seiner Elo-Zahl von 2574. Nun sind die Vorgänge um ihn hinlänglich bekannt. Wie sehen Sie seine Chancen auf eine Rückkehr ins Nationalteam?
Bönsch: Für mich sind die besagten Vorgänge um Arkadij erledigt. Um jedoch in der deutschen Nationalmannschaft spielen zu können, ist die deutsche Staatsbürgerschaft Voraussetzung. Momentan ist die Einbürgerung von Arkadij noch nicht vollzogen. Aber wenn es soweit ist, dann hat er beste Chancen berufen zu werden.
Wenn wir über den bevorstehenden Länderkampf gegen Ungarn hinaus blicken, steht die Olympiade in Calvià auf Mallorca bevor. Sie haben bereits angekündigt, dass Sie mit dem gleichen Team wie in Budapest auch dort antreten möchten. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?
Bönsch: In der Startrangliste liegen wir etwa auf Platz 8, eine Platzierung unter den ersten sechs dürfte ein realistisches Ziel sein. Wie viele Olympiaden gezeigt haben, kommt alles auf die letzten beiden Runden an. Zwischen Sieg und Niederlage in der letzten Runde liegen häufig mehr als zehn Plätze.
Wissen Sie schon genaueres über die Frauen-Mannschaft und wer sie als Trainer betreuen wird?
Bönsch: Unter der bewährten Führung von Großmeister Raj Tischbierek wurden WGM Ketino Kachiani-Gersinska, WGM Elisabeth Pähtz, WIM Jessica Nill und WIM Tina Mietzner ins Frauenteam berufen. Mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren ist dies eine sehr junge deutsche Mannschaft, von der ich eine Steigerung zu dem 16. Platz der letzten Olympiade erwarte.
Gibt es einen Vorbereitungslehrgang bzw. ein Trainingslager und wie muss sich die Schachöffentlichkeit einen Tagesablauf vorstellen? Etwa 6 Uhr aufstehen, 6:30 Uhr Frühsport, 7:30 Uhr Frühstück, 8:00 Uhr Drei Stunden Najdorf-Variante usw.?
Bönsch: Die Männermannschaft spielt zur Vorbereitung die Olympiade den schon erwähnten Länderkampf gegen Ungarn vom 15.-22.09.2004 in Budapest und die Frauen treffen sich zu einem Vorbereitungslehrgang. Den Tagesablauf kann man sich schon so ähnlich vorstellen, allerdings geht es nicht so zeitig los. Neben der schachlichen Vorbereitung ist die Teamfestigung ein wichtiges Lehrgangsziel.
Wie bereiten Sie die Mannschaft während der Turniertage auf die nächsten Gegner vor?
Bönsch: Während des Wettkampfes steht jeden Vormittag die unmittelbare Gegnervorbereitung auf dem Programm. Je nach dem, wie sicher sich der Spieler in den zu erwartenden Varianten fühlt, dauert die Vorbereitung zwischen einer und vier Stunden. Als Trainer muss ich eher darauf achten, die Vorbereitungszeit zu begrenzen damit noch genügend Kraft für die bevorstehende Partie übrig bleibt.
Natürlich muss ich Sie nicht fragen, ob Sie die Durchführung der Schacholympiade 2008 in Dresden befürworten. Als Insider der internationalen Schachszene möchte ich wissen, wie Sie die Erfolgsaussichten der Bewerbung einschätzen?
Bönsch: Es wäre ganz toll, wenn die wichtigste Schachveranstaltung wieder einmal in Deutschland stattfinden würde. Während der Olympiade in Calvià auf Mallorca findet auch der jährliche FIDE - Kongress statt, auf dem die Austragung der Schacholympiade 2008 vergeben wird. Neben Dresden hat sich noch Tallinn beworben. Obwohl Tallinn gute Voraussetzungen hat, sehe ich Dresden als Favorit an. Die wichtigste Aufgabe wird es jetzt sein, die Delegierten des FIDE - Kongresses von der Attraktivität Dresdens zu überzeugen und davon, dass sie in Dresden ein außergewöhnliches und perfekt organisiertes Schachfest erwartet.
Wenn wir einmal spekulieren: wer wird bei den Frauen und Männern 2008 in der A-Nationalmannschaft und im Jugend-Nationalteam den Bundesadler vertreten?
Bönsch: Anlässlich der Hauptausschusssitzung des Deutschen Schachbundes im November diesen Jahres werden wir eine Jugendnationalmannschaft vorstellen, die neben der A-Nationalmannschaft, vorausgesetzt die Olympiade findet in Dresden statt, an den Start gehen wird.
In den verbleibenden vier Jahren bis 2008 sollen die nominierten Spieler durch ein umfangreiches Trainings- und Wettkampfprogramm fit gemacht werden.
In einer anderen Sportart, deren Name mir gerade nicht einfällt, traten kürzlich der Teamchef und der Bundestrainer zurück. Herr Bönsch, Ihre Arbeit wird von allen Seiten gelobt und nach meiner Einschätzung macht Ihnen Ihre Tätigkeit nach wie vor Freude. Dennoch möchte ich die Frage nach Ihrer persönlichen Zukunft stellen.
Bönsch: Meine Arbeit als Bundestrainer macht mir viel Spaß. Nach wie vor ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln das deutsche Spitzenschach zu entwickeln.
In letzter Zeit wurde oft über die neu gegründete FIDE-Trainerakademie in Berlin berichtet. Welchen Aufgabenbereich betreuen Sie in der FIDE-Trainerakademie?
Bönsch: Durch die FIDE wurde ich zum Direktor der jungen Akademie berufen. Sie steckt noch in den Kinderschuhen und muss auch die obligatorischen Kinderkrankheiten überwinden. Langfristig soll im Verbund mit einer indischen Akademie die weltweite Schach Trainerausbildung realisiert werden. Nur ganz wenige Länder bilden derzeit ihre Schachtrainer selbst aus.
Abschließend ein ganz anderes Thema. Gibt es bei uns - ähnlich wie im Fußball - auch 100.000 Bundestrainer, die alles besser wissen als Sie und Ihnen Vorschläge machen und Zettel mit Mannschaftsaufstellungen zustecken?
Bönsch: Bei jeder Nominierung gibt es Hinweise und Fragen von Außenstehenden oder Betroffenen. Diese höre ich mir an und einige fließen in die Entscheidungsfindung mit ein. Prinzipiell lasse ich mich von dem Grundsatz leiten die Mannschaft oder den Spieler / Spielerin zu nominieren, die in dem bevorstehenden Wettkampf die besten Erfolgsaussichten bietet. Manchmal muss man aber langfristiger planen, besonders wenn es um den Aufbau einer zukunftsträchtigen Mannschaft geht. Mit dem Nominieren von jüngeren Spielern / innen kann man nicht immer warten, bis sie die besten Elozahlen aufweisen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Norbert Heymann,
Jahrgang 1959, war bis 2005 Referent für Öffentlichkeitsarbeit im Deutschen Schachbund.