Hier spricht der Deutsche Schachbund:
Von den etwa 47.000 im Deutschen Schachbund organisierten Spielern gibt es nur etwa 1.000 Frauen; dies sind noch nicht einmal 2 Prozent. In der FIDE, dem Weltschachbund, ist der Anteil der Spielerinnen, wenn man von der UdSSR und der DDR absieht, ähnlich.
Woran mag das liegen und was kann man tun, um nicht nur im Interesse des Schachs, sondern auch des Familienlebens und des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Damen und ihren spielbegeisterten Männern diesen Abstand zu verringern?
Bei Körpersport-Arten, wie z. B. beim Tennis, der Leichtathletik oder dem Schwimmen stellen die Frauen doch einen ungleich höheren Prozentsatz. Liegt also den Frauen, wie so oft behauptet wird, logisches Denken, Konzentration und die unerläßliche Fantasie wirklich so viel weniger als den Männern? Ein sich aufdrängender Vergleich zwischen weiblichen und männlichen Spitzen-Spielern scheint angesichts der im Vergleich zu den Männern bescheidenen Zahl Schach spielender Frauen fragwürdig.
In diesem Zusammenhang sei hier die frühere Damen-Weltmeisterin Vera Menchik erwähnt, die in Turnierpartien neben internationalen Großmeistern auch die früheren Weltmeister Capablanca und Dr. Euwe besiegte, wenngleich die Siege über die letzten beiden Ausnahmen blieben. — Auch die Spitzen-Spielerinnen der Sowjetunion Nona Gaprindaschwili und Alla Kuschnir haben nebst einigen anderen Spitzen-Spielerinnen des Ostblocks teilweise die Spielstärke eines Internationalen Meisters.
In Deutschland erweckte Jutta Hempel einiges Aufsehen, als sie gegen nur männliche Konkurrenten, deren Alter 10 bis 20 Jahre betrug, die Flensburger Stadt-Jugendmeisterschaft gewann, als sie selbst erst 6 Jahre alt war! Auch in der Geschichte finden sich zahlreiche Beispiele schachbegeisterter Damen. Die sehr hübsche, sehr geistreiche Marie Marquise de Sevigné nannte im 17. Jahrhundert einmal das Schachspiel das „schönste aller Spiele". Von der Comtesse Claire de Rémusat, Hofdame von Napoleons erster Frau Josephine de Beauharnais, ist eine Partie aus dem Jahre 1804 gegen Napoleon übermittelt, und bereits um die Wende des 8. Jahrhunderts erwirkte eine Sklavin des berühmten Kalifen von Bagdad, Harun al Raschid, auf Grund ihres außergewöhnlichen schachlichen Könnens (sie besiegte den Kalifen gleich dreimal) die Freilassung ihres Geliebten, Ahmed ben el Amin, aus dem Gefängnis.
Belassen wir es bei diesen Beispielen, die nur zeigen sollen, daß es schon immer Frauen gab, welche den großen Reiz des königlichen Spiels empfanden, wenngleich man dies natürlich nicht von allen weiblichen Wesen sagen kann, wie folgendes kleines Erlebnis erzählt:
Während der Hessischen Einzelmeisterschaften 1955 in Königstein machte einer der jungen hessischen Meisterspieler einer bildhübschen Schweizer Saaltochter sowohl den Hof als auch einen Heiratsantrag. Ihre Antwort: „I net! Ihr habt's ja nur hölzerne Klötz im Kopf, und i bin net blöd!"
Aber zurück zu unserer Fragestellung: Warum spielen so wenige Frauen Schach? Sicher sind die Gründe hierfür vielschichtig. Ein Hauptgrund scheint jedoch zu sein, daß die Damen nicht genug ermutigt werden. Vielleicht sind reine Damenschach-Klubs, von denen es früher einige, heute aber nur noch einen in München gibt, noch nicht der richtige Weg. In Vereinen jedoch, in denen man sich nicht nur um jeden Anfänger, sondern auch um jede Anfängerin kümmert und sie ernst nimmt und anleitet, ist die Zahl der weiblichen Mitglieder oft größer. Als Werbung sind sicherlich auch Turniere von großer Bedeutung. Hier tut sich gegenwärtig einiges.
Es sieht so aus, daß bei uns durch die jetzige Frauenwartin Margarete Grzeskowiak, die sich mit erstaunlichem Einsatz und einem ebenso bemerkenswerten Ideenreichtum um ihre Spielerinnen kümmert, eine neue Ära im bundesdeutschen Frauenschach anbricht. Mit Hilfe des DSB nehmen deutsche Spitzen-Spielerinnen in erhöhtem Maße an internationalen Turnieren teil, und Auslandskontakte werden besonders gepflegt.
Soeben hat in Lauterbach in Hessen wieder eine Deutsche Damen-Einzelmeisterschaft stattgefunden, die nicht nur in protestloser Harmonie ablief, sondern auch ein beachtliches spielerisches Niveau aufwies. Die neue überlegene deutsche Meisterin, Frau Anni Laakmann aus Stuttgart, lag mit 7½ Punkten aus 9 Runden klar vor ihren beiden Verfolgerinnen, Irmgard Karner (Starnberg) und Ursula Wasnetsky (Mannheim), die nur je 6 Punkte erzielten. Anni Laakmann ist damit auch eine BRD-Hoffnung auf internationaler Ebene. Der DSB sollte also Frau Grzeskowiak in jeder Hinsicht ermutigen und großzügig unterstützen, um ihr den erfreulichen Schwung nicht zu nehmen. Bedenken wir dabei auch, daß schachspielende Mütter gleichzeitig die beste Jugend-Werbung bedeuten würden und damit zugleich die Jugendarbeit des Schach-Jugendbundes in einer kaum hoch genug einzuschätzenden Weise fördern könnten. Die Unterstützung des Frauenschachs wäre also gleichzeitig Arbeit an der Zukunft des Schachspiels in unserem Lande. Freuen wir uns, daß diese Arbeit jetzt in so ausgezeichneten Händen liegt und geben wir unseren Frauen eine Gelegenheit durch ehrliche, vorurteilsfreie Partnerschaft und Förderung. Tun wir dies, dann dürften die Sorgen um stagnierende oder gar rückläufige Mitgliederzahlen endgültig überholt sein.
Klaus-Peter Reiber
Pressewart des DSB
Schach-Echo 21/1970, S. 1