5. März 2021
Die zwei ganz großen Lichtgestalten des deutschen Schachs vor und auch noch nach dem Ersten Weltkrieg waren Siegbert Tarrasch und Emanuel Lasker. Beide Spieler kamen aus dem Osten des Deutschen Reiches. Tarrasch stammte aus Schlesien. Er wurde am 5. März 1862 in Breslau geboren, heute Wrocław. Lasker erblickte etwa sechseinhalb Jahre später, am 24. Dezember 1868, in Berlinchen (Pommern, heute Barlinek) das Licht der Welt. Ihre Wege kreuzten sich wohl das erste Mal in Berlin. Tarrasch studierte dort Medizin und war mit einem anderen Medizinstudenten, Berthold Lasker, befreundet. Beide verband zudem die Liebe zum Schach, das sie in den zahlreichen Schachcafés in Berlin praktizierten. Eines Tages brachte Berthold Lasker seinen jüngeren Bruder Emanuel mit. Anfangs konnte Siegbert Tarrasch dem jüngeren Lasker noch Figuren vorgeben, doch der „kleine“ Lasker holte schnell auf.
Tarrasch begann seine Turnierkarriere 1881, nahm in den 1890er Jahren vor allem an den Kongressen des Deutschen Schachbundes teil, gewann das Meisterturnier des Bayerischen Schachbundes 1888, das Meisterturnier des 6. DSB-Kongresses 1889, 1890 das Meisterturnier des 6. Kongresses der British Chess Association, 1892 das Meisterturnier des 7. DSB-Kongresses und 1894 auch noch das Meisterturnier des 9. DSB-Kongresses. Das Superturnier des Hastings Chess Congress 1895 schloss Tarrasch als Vierter hinter Pillsbury, Tschigorin und Lasker ab. Die Einladung zum Meisterturnier nach St. Petersburg schlug Tarrasch aus.
Pl. | Name | Pkt. |
---|---|---|
1 | Siegbert Tarrasch | 13,0 |
2 | Amos Burn | 11,5 |
3 | Jacques Mieses | 10,5 |
4 | Johann H. Bauer | 10,0 |
5 | Louis Paulsen | 10,0 |
6 | Curt von Bardeleben | 10,0 |
7 | Isidor Gunsberg | 10,0 |
8 | Joseph H. Blackburne | 9,0 |
9 | James Mason | 9,0 |
10 | Johann N. Berger | 8,5 |
11 | Emil Schallopp | 8,0 |
12 | Johannes Metger | 7,5 |
13 | Johannes Minckwitz | 7,0 |
14 | Alexander Fritz | 7,0 |
15 | Max Harmonist | 6,5 |
16 | Simon Alapin | 6,5 |
17 | Emanuel Schiffers | 6,0 |
18 | George H. Gossip | 3,0 |
Pl. | Name | Pkt. |
---|---|---|
1 | Siegbert Tarrasch | 12,0 |
2 | Gyula Makovetz | 10,5 |
3 | Moritz Porges | 10,5 |
4 | Georg Marco | 10,0 |
5 | Carl August Walbrodt | 10,0 |
6 | Curt von Bardeleben | 9,5 |
7 | Szymon Winawer | 9,5 |
8 | Hermann von Gottschall | 9,0 |
9 | James Mason | 9,0 |
10 | Joseph H. Blackburne | 8,0 |
11 | Adolf Albin | 7,0 |
12 | Theodor von Scheve | 7,0 |
13 | Arnold Schottländer | 7,0 |
14 | Jacques Mieses | 6,0 |
15 | Josef Noa | 6,0 |
16 | Rudolf J. Loman | 2,5 |
17 | Wilfried Paulsen | 2,5 |
Pl, | Name | Pkt, |
---|---|---|
1 | Siegbert Tarrasch | 13,5 |
2 | Paul Lipke | 13,0 |
3 | Richard Teichmann | 12,0 |
4 | Carl A. Walbrodt | 11,5 |
5 | Joseph H. Blackburne | 11,5 |
6 | Georg Marco | 10,5 |
7 | Dawid M. Janowski | 10,5 |
8 | Johann N. Berger | 9,0 |
9 | Emanuel Schiffers | 9,0 |
10 | Jacques Mieses | 8,5 |
11 | Carl Schlechter | 8,0 |
12 | John W. Baird | 7,5 |
13 | Hugo Suechting | 6,5 |
14 | Adolf J. Zinkl | 6,0 |
15 | James Mason | 5,5 |
16 | Kasimir de Weydlich | 5,0 |
17 | Paul K. Seuffert | 3,0 |
18 | Theodor von Scheve | 2,5 |
Für die Jahre 1890/1891 sieht Rod Edwards in seiner nachträglichen Berechnung von historischen Elozahlen Siegbert Tarrasch als weltbesten Spieler. Dann wurde Tarrasch von Emanuel Lasker abgelöst. Tarrasch gehörte aber laut Edwards bis zum Beginn des Ersten Weltkriegen die meiste Zeit noch zu den Top Ten der damaligen internationalen Schachelite. In den historischen Berechnungen von Jeff Sonas nahm Tarrasch zwischen 1891 und 1906 zumeist den zweiten Rang ein.
Tarrasch litt ganz bestimmt nicht unter mangelndem Selbstwertgefühl und die Tatsache, dass Lasker und nicht er selber Steinitz seinerzeit im WM-Kampf besiegt hatte und Weltmeister wurde, wurmte ihn sehr. Tatsächlich hatte der Schachklub von Havanna 1892 einen WM-Kampf für den Titelverteidiger Wilhelm Steinitz ausgerichtet, für den ursprünglich Tarrasch als Herausforderer vorgesehen war. Doch Tarrasch hatte die Einladung nach Kuba aus beruflichen Gründen abgelehnt. Stattdessen trat Tschigorin an, unterlag aber.
Nun hatte also der jüngere Lasker den schwächelnden Altmeister Steinitz besiegt. Tarrasch forderte den neuen Weltmeister dann bald nach dem Revanchekampf Lasker gegen Steinitz heraus, doch Lasker lehnte ab. 1904 nahm Lasker die Herausforderung schließlich an, doch der Wettkampf platzte, weil Tarrasch sich beim Schlittschuhlaufen verletzt hatte. Viele Schachfreunde, auch Lasker, hielten diese Begründung für vorgeschoben und vermuteten, dass Tarrasch die Preisbörse nicht aufbringen konnte. Schlussendlich kam es 1908 dann doch noch zum Wettkampf der beiden deutschen Spitzenspieler um die Weltmeisterschaft, doch Tarrasch hatte seinen Zenit schon deutlich überschritten und verlor das Match klar. Tarrasch konnte drei Partien gewinnen, verlor aber acht, bei fünf Remis.
Beim Vergleich der beiden Spieler darf man nicht übersehen, dass Lasker Schachprofi war, während Tarrasch Zeit seines Lebens Amateur blieb und seinen Lebensunterhalt als Arzt verdiente. In ihrem Schachverständnis unterschieden sich Lasker und Tarrasch deutlich. Lasker war ein Praktiker durch und durch. Die fortschreitende Eröffnungstheorie war ihm völlig egal. Je schlechter er stand, desto besser spielte Lasker. Tarrasch hingegen vertrat einen dogmatischen, prinzipiellen Ansatz und war für seine Partien stets ausgezeichnet vorbereitet. Beide Spieler betätigten sich auch als Autoren. Hier war Tarrasch der erfolgreichere Schachlehrmeister. Sein Buch „300 Schachpartien“ (1895) mit eigenen kommentierten Partien war bis zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland das Lehrbuch schlechthin. Und sein Anfänger-Lehrbuch „Das Schachspiel. Systematisches Lehrbuch für Anfänger und Geübte“ (1931) ist das meistverkaufte deutschsprachige Schachbuch überhaupt.
Nach dem Studium zog Siegbert Tarrasch nach Nürnberg und praktizierte dort von 1887 bis 1914 als Arzt. Dann ging er nach München und bezog eine Wohnung in der Rheinstraße 22. Eine seiner engsten Freunde war der Jurist Dr. Eduard Dyckhoff, der sich um das Fernschach sehr verdient gemacht hat und zeitweise dem Bayerischen Schachbund vorstand.
Schon während seiner aktiven Turnierkarriere wurde Siegbert Tarrasch regelmäßig von einem Gallenleiden geplagt, das auch seine Turnierergebnisse beeinträchtigte. Am 8. Februar 1934 hatte Tarrasch erneut eine Gallenkolik. Bis dahin soll der inzwischen über 70-Jährige sich gemäß den Mitteilungen von Dr. Dyckhoff in ausgezeichneter gesundheitlicher Verfassung befunden haben. Auf die Gallenkolik folgte jedoch wenige Tage später eine Lungenentzündung. Tarrasch wurde in das Schwabinger Krankenhaus eingewiesen. Dort starb er am 17. Februar 1934 um halb fünf Uhr morgens, im Alter von 71 Jahren. Seine zweite Ehefrau Gertrud war in den letzten Stunden bei ihm.
Am 19. Februar 1934, um zwei Uhr nachmittags, wurde Siegbert Tarrasch auf dem Münchner Nordfriedhof in Anwesenheit einiger Verwandter und Schachfreunde beigesetzt. Da Tarrasch von Geburt jüdischen Glaubens war, wurde die Beerdigung ohne Gegenwart eines Pfarrers durchgeführt. Da half es auch nicht, dass Tarrasch schon 1909 zum protestantischen Glauben konvertiert war. Ein Testament hinterließ Tarrasch nicht. Der Nachlass war spärlich. Zu seinem Lebensende soll Tarrasch zudem hoch verschuldet gewesen sein, vor allem aufgrund von Steuerschulden.
1939 begann der Zweite Weltkrieg. Nach 1945 folgte der Wiederaufbau des zerstörten Deutschlands. Das Grab des großen deutschen Schachmeisters geriet in Vergessenheit.
1995 las Alfred Schattmann, wie Tarrasch in Breslau geboren, inzwischen in München ansässig und Spielleiter des SK Tarrasch-1945 München, von der Umbettung von Adolf Anderssen in Breslau und nahm dies zum Anlass, nach Tarraschs Grab in München zu suchen. Er fand es auf dem Münchner Nordfriedhof auf der Parzelle 128-3-73, recherchierte die Umstände von Tarraschs Beerdigung und die Geschichte der Grabanlage. Er fand zum Beispiel heraus, dass im November 1943 auch die Schwester von Tarraschs Witwe Gertrude, Johanna Schröder, in Tarraschs Grab beigesetzt wurde. Die Grabmiete für das Tarrasch-Grab wurden alle sieben Jahre im Voraus bezahlt, zuletzt in Höhe von DM 35,- im März 1958. Sieben Jahre später, 1965, wurde beim Schachverein Tarrasch München angefragt, ob der Schachclub das Grab übernehmen wolle. Zur Übernahme kam es jedoch nicht. 1995 war das Grab offiziell bereits aufgelöst und ohne Gedenkstein. Ein Nachfolgegrab gab es an dieser Stelle jedoch nicht.
Alfred Schattmann warb nun erfolgreich in seinem Schachklub für die Übernahme des Grabes und dem SK Tarrasch-München wurde die Grabstelle ab November 1995 für eine Gebühr von 421 Euro für 20 Jahre zur Betreuung überlassen. Alfred Schattmann nahm zudem Kontakt zu Tarraschs Enkelsohn Rudolf Gall auf, Mitglied des Nürnberger Schachclubs Noris. Dieser erklärte sich bereit, die Kosten für die Wiederherstellung zu übernehmen. Im Sommer 1996 wurde ein Grabstein gelegt. Am 5. Oktober wurde eine Gedenkfeier mit Mitgliedern der nach Tarrasch benannten Klubs aus Nürnberg und München und Vertretern des Bayerischen Schachbundes durchgeführt. Großmeister Wolfgang Unzicker würdigte in einer Rede die Verdienste von Siegbert Tarrasch.
Das Grab wurde über viele Jahre vom Schachfreund Ludwig Karl persönlich gepflegt. Seit 2005 kümmerte sich Alfred Schattmann um das Grab von Siegbert Tarrasch. Mitte 2020 befand Alfred Schattmann eine Renovierung und Auffrischung des Grabsteines für dringend notwendig. Die Kosten dafür beliefen sich gemäß Kostenvoranschlag auf knapp 1300 Euro. Die Mittel wurden durch Spenden zusammengebracht. Nach Ende des Winters sollen im März 2021 die Arbeiten durchgeführt werden.
Im Zuge der Wiederherstellung des Grabes 1995 traf Alfred Schattmann den Schriftsteller Wolfgang Kamm und die Idee einer Tarrasch-Biographie entstand. Das fast 900 Seiten starke Werk erschien 2004. Dort wird die Geschichte von Siegbert Tarrasch und auch die seines Grabes erzählt.
Herzlichen Dank an Alfred Schattmann und die Schachfreunde des SK Tarrasch-München für die Verdienste um die Pflege des Andenkens und des Grabes von Siegbert Tarrasch. Dieser Artikel entstand mit Alfred Schattmanns Unterstützung und seinen zahlreichen Hinweisen.
Wolfgang Unzicker: Seit 1950, Schachgroßmeister. Unzicker blieb Amateurspieler, sogar passiv ab 1996 beim Schachverein Tarrasch-1945 München, und ab 2003 aktiver Schachspieler in deren Oberliga.
Erwin Zeilhofer: Gründer des Schachklubs Tarrasch München am 01.01.1963. 1. Vorsitzender bis 1981.
Gerhard Kuchling: 1. Vorsitzender von Tarrasch München von 1982 bis 1999.
Ludwig Karl: 2. Vorsitzender ab 1981 bis 1999. Zusätzlich „Aktiv für Alles im Verein“, und Ehrenmitglied.
Rudolf Gall: Enkel vom Siegbert Tarrasch.
Im Westfriedhof zu Nürnberg befindet sich innerhalb des Urnenbereiches 114, Urne Nr. 165, ein Familiengrab mit Eva Tarrasch nebst Ehemann Robert Gall, Gertrude Tarrasch, geborene Schröder, Dr. Karolus Jira mit Ehefrau Gretchen Jira, geborene Tarrasch, und Anna Rosalie Tarrasch, erste Ehefrau vom Siegbert Tarrasch. (Gretchen Jira war vorher ab 10.07.1913 bis 04.07.1918 mit dem Kunstmaler Hanns Bolz verheiratet, hauptsächlich nur urkundlich zwecks ihrem Sohn Sascha Bolz. Auf der Grabplatte stehen wohl nur noch die Namen Rosalie Tarrasch und Robert Gall.
Alfred Schattmann: Seit 1976 Vereinsmitglied und „Aktiv für alle Positionslücken“. Ehrenmitglied seit 2009.
Michael Reiß: Viele Jahre Mitglied beim Schachverein Tarrasch-1945. Ab 1995 zeitweilig Schriftführer, Spielleiter und 1. Vorsitzender. Gestalter der Homepage von Tarrasch München. Jetzt seit vielen Jahren Mitglied und 1. Vorsitzender beim Schachverein 1836 München.
Graz: Angestellter bei der Friedhofsverwaltung München (um 1995).
Bernhard Bombe und Erwin Juvancic: Mitglieder des SC Tarrasch-1945 München.
Ralf Bodemann: Damaliges Mitglied beim SC Tarrasch-1945 München.
Hermann Bischoff: Vom SC Noris-Tarrasch 1873.
Anton Hilpoltsteiner: Zuständig für Schachgruppen der Firmen und Behörden(?).
Manuel Fruth: Verleger, Herausgeber der Tarrasch Biografie.
Kurt Ewald: Problemschachvereinigung Schwalbe und Bayerischer Schachbund.
André Schulz
Beauftragter für Schachgeschichte und Schachkultur
Bildunterschriften/Who is who: Alfred Schattmann
// Archiv: DSB-Nachrichten - Schachgeschichte // ID 10594