18. März 2019
Der Sieg des Greifswalder Schachvereins in der Pokal-Zwischenrunde am Sonntag sorgt in der ganzen Republik für Gesprächsstoff. Ein vierköpfiges, titelloses Amateurteam vom Greifswalder Bodden mit einem DWZ-Durchschnitt von 2193 hat vier gestandene Großmeister (DWZ-Schnitt 2554) vom Gastgeber SK Kirchweyhe besiegt und sich den Traum vom Pokalfinale erfüllt! Die Greifswalder können ihr Glück kaum fassen: "Die 75-minütige Panne auf der Rückfahrt konnte unsere Laune auch nicht trüben, und so richtig begreifen, was an diesem Wochenende passiert ist, dafür werden wir wohl noch einige Zeit brauchen." steht auf der Greifswalder Website. "Geschichte wird gemacht" gegen "ungefähr die halbe kroatische Nationalmannschaft". Bei soviel Euphorie wurde glatt vergessen, die Greifswalder Mannschaft fotografisch zu verewigen. Wir können deshalb nur mit einem Archivbild von Wilko Stubbe dienen, der an Brett 1 GM Ante Brkic besiegte.
Durch diese Sensation verblassen die Geschehnisse an den anderen drei Spielorten vollständig. Hier setzten sich die Favoriten durch und das waren der SK Zehlendorf, die OSG Baden-Baden und die Schachfreunde Bad Emstal/Wolfhagen.
Der Berichterstatter musste an beiden Tagen die Losfee spielen und zog für die nicht in Bestbesetzung antretenden Zehlendorfer, den SK Bebenhausen aus dem zum Lostopf umfunktionierten Beutel. Die weitgereisten Gäste hatten eine acht Stunden lange Fahrt hinter sich und trafen erst kurz vor Spielbeginn ein. Da war die Auslosung schon vorbei, so dass nur noch die Diskussion um die Brettreihenfolge gemacht werden musste.
Bebenhausen war an Brett drei gegen den Zehlendorfer Vereinsvorsitzenden Helmut Flöel klar im Spielstärke-Übergewicht. Doch die Partie bestimmte zumeist der Berliner, stand nach seiner Meinung sogar auf Gewinn. Am Ende überschritt er aber die Zeit - "zum ersten Mal in meiner Karriere" (Flöel). In der Schlussstellung hatte er eine Figur mehr, stand aber mit seinem König auf wackligen Füßen.
Dieses 0:1 war trotzdem wohl mehr oder weniger eingeplant. Brett vier von Zehlendorf sorgte schnell für den Ausgleich. Die ersten beiden Bretter standen allerdings dem Remis nahe. Damit wäre Zehlendorf nach Berliner Wertung ausgeschieden. Atila Figura musste deshalb sein Springer-Bauern-gegen-Läufer-Bauern-Endspiel weiterkneten. Und bei Jakob Meister stand nach über 70 Zügen noch fast das ganze Brett voll. Bei nur geringem Vorteil des Berliners lavierten sich die beiden Spieler die Finger wund.
Nach 88 Zügen - die Schwerfiguren hatten mittlerweile das Areal verlassen - bot Georg Braun remis an. Zu dem Zeitpunkt hatte Figura bereits den Punkt geteilt und Meister musste deshalb ablehnen. Nach 90 Zügen (sh. Diagramm) hatte jeder nur noch sechs Bauern und einen schwarzfeldrigen Läufer übrig. Bei beiderseitig nur noch wenig Minuten auf der Uhr begann der Großmeister ein zermürbendes Duell um den vollen Punkt. Dabei gab die Stellung, außer einem minimalen optischen Vorteil, überhaupt nichts mehr her. Helmut Flöel war sich trotzdem sicher: "Jakob gewinnt die Partie!" Seinen Optimismus teilten wohl die wenigsten Zuschauer. Vor allen Dingen nicht die Bebenhausener.
Eine gefühlte Ewigkeit später hatte sich Meister in den Rücken des gegnerischen Königs vorgemogelt. Sein Königsmarsch wechselte sich mit Abwartezügen ab, um den Gegner in Zugzwang zu bringen. Georg Braun sah hier schon alle seine Felle davonschwimmen, wie er mir einen Tag später sagte. Und bei nur noch zwei Minuten auf der Uhr, fällt es schwer auch noch die letzten Verteidigungsressourcen auszuschöpfen. In der Diagrammstellung ist Schwarz am Zug und steht scheinbar auf verlorenem Posten. Jeder Zug verliert - bis auf 123. ... Le7!!
Sein Mannschaftskamerad Andreas Carstens schaute wie viele andere zu und sah die Rettung. Braun sah sie nicht und zog 123. ... Lg7.
Am nächsten Tag, ich hatte die Partie gerade auf meinem Laptop eingegeben, tauchten die Bebenhausener Spieler etwas später am Spielort auf. Sie hatte ihre Abreise für Sonntag geplant und wollten nochmal reinschauen. Konfrontiert mit Le7 rang Braun um Fassung. Da Weiß den Läufer wegen Patt nicht schlagen darf, bleibt dem weißen König der Weg an den schwarzen Königsflügel für immer verwehrt. Das hätte die Punkteteilung bedeutet und Zehlendorf hätte am Sonntag nicht mehr kommen brauchen.
Hier die komplette Partie:
1 | SF Lieme | DWZ | 3:1 | SC Oranienburg | DWZ |
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1 | FM Tristan Niermann | 2269 | 0:1 | Michael Ermitsch | 2113 |
2 | CM René Wittke | 2214 | 1:0 | Stefan Kayser | 2127 |
3 | FM Arnold Essing | 2165 | 1:0 | Jan-Christoph Eichler | 1955 |
4 | André Schaffarczyk | 2081 | 1:0 | Jens Spittler | 2000 |
2 | SK Bebenhausen | DWZ | 1½:2½ | SK Zehlendorf | DWZ |
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1 | FM Georg Braun | 2290 | 0:1 | GM Jakob Meister | 2406 |
2 | FM Rudolf Wilhelm Bräuning | 2267 | ½:½ | IM Atila Gajo Figura | 2314 |
3 | FM Andreas Carstens | 2127 | 1:0 | Helmut Flöel | 1824 |
4 | David Wendler | 2168 | 0:1 | FM Daniel Malek | 2330 |
F | SF Lieme | DWZ | 0:4 | SK Zehlendorf | DWZ |
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1 | FM Tristan Niermann | 2269 | 0:1 | FM Daniel Malek | 2330 |
3 | FM Arnold Essing | 2165 | 0:1 | IM Atila Gajo Figura | 2314 |
4 | André Schaffarczyk | 2081 | 0:1 | IM Alexander Lagunow | 2287 |
2 | CM René Wittke | 2214 | -:+ | Helmut Flöel | 1824 |
Im Gruppenfinale musste Lieme auf einen der Ihren verzichten, was die Aufgabe für Zehlendorf noch etwas leichter machte. Auch weil Helmut Flöel sich passenderweise am vierten Brett positionierte. Die Bebenhausener Enttäuschung über das Ausscheiden am Vortag wurde so noch etwas größer.
Nahezu gleichwertig, aber ohne Gewinnchance waren die Schachfreunde Deizisau gegen die OSG Baden-Baden. Sven Noppes schreibt auf der Deizisauer Website:
Peter Leko gegen Michael Adams und Peter Heine Nielsen gegen Arkadij Naiditsch kamen nie über die Remisbandbreite hinaus. Alexander Graf stand optisch schon sehr schlecht, aber konnte gegen Jan Gustafsson dann doch noch den sicheren Hafen erreichen. Ebenfalls Remis. Dmitrij Kollars hatte nicht seinen besten Tag und gegen Etienne Bacrot ist man dann meist chancenlos.
1 | SF Deizisau | DWZ | 1½:2½ | OSG Baden-Baden | DWZ |
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1 | GM Peter Leko | 2674 | ½:½ | GM Michael Adams | 2691 |
2 | GM Peter Heine Nielsen | 2619 | ½:½ | GM Arkadij Naiditsch | 2721 |
3 | GM Dmitrij Kollars | 2573 | 0:1 | GM Etienne Bacrot | 2660 |
4 | GM Alexander Graf | 2530 | ½:½ | GM Jan Gustafsson | 2636 |
2 | SF Berlin 1903 | DWZ | 3:1 | USV TU Dresden | DWZ |
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1 | FM Christoph Nogly | 2208 | 0:1 | FM Hans Möhn | 2365 |
2 | FM Emil Schmidek | 2362 | 1:0 | Konstantin Urban | 2295 |
3 | Udo Hoffmann | 2284 | 1:0 | Gengchun Wong | 2137 |
4 | Daniel Weber | 2082 | 1:0 | Ruben Lutz | 2050 |
F | SF Berlin 1903 | DWZ | ½:3½ | OSG Baden-Baden | DWZ |
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1 | FM Christoph Nogly | 2208 | 0:1 | GM Etienne Bacrot | 2660 |
2 | FM Emil Schmidek | 2362 | ½:½ | GM Michael Adams | 2691 |
3 | Daniel Weber | 2082 | 0:1 | GM Jan Gustafsson | 2636 |
4 | Udo Hoffmann | 2284 | 0:1 | GM Arkadij Naiditsch | 2721 |
Emswölfe gegen Emsländer hieß es gleich am Sonnabend. Wie in Gruppe 4 trafen die beiden Favoriten sofort aufeinander. Bedanken konnten sich die Schachfreunde Bad Emstal/Wolfhagen und der SV Lingen, bei der Lingener (Un-)Glücksfee Vera Tadler. Lingen erwies an diesem Tag als "indisponiert". "Nach ausgeglichenem Beginn zogen die Emswölfe in der dritten Stunde die Zügel an und kamen nach und nach deutlich in Vorteil, ohne dass auf Seiten der Emsländer klare Fehler erkennbar gewesen wären." schreibt Jörg Wiegel von den Emswölfen. [kompletter Bericht]
Einen Tag später war das Erreichen der Finalrunde gegen Regensburg nur noch "Formsache". [Bericht]
1 | Sfr. Bad Emstal/Wolfhagen | DWZ | 4:0 | SV Lingen | DWZ |
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1 | GM Pawel Ponkratow | 2575 | 1:0 | GM Milos Perunovic | 2580 |
2 | GM Juri Kusubow | 2601 | 1:0 | GM Ivan Ivanisevic | 2591 |
3 | GM Alexander Riasanzew | 2642 | 1:0 | GM Alon Greenfeld | 2492 |
4 | GM Wladimir Onischuk | 2591 | 1:0 | GM Wladimir Jepischin | 2548 |
2 | Heilbronner SV | DWZ | 1½:2½ | SG Post/Süd Regensburg | DWZ |
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1 | FM Enis Zuferi | 2321 | 0:1 | FM Roland Schmid | 2236 |
2 | FM Tobias Schmidt | 2230 | ½:½ | FM Michael Quast | 2275 |
3 | FM Nikolas Pogan | 2242 | 1:0 | FM Jens-Uwe Pohl-Kuemmel | 2278 |
4 | Robin Stürmer | 2191 | 0:1 | Claus Werner | 2211 |
F | Sfr. Bad Emstal/Wolfhagen | DWZ | 4:0 | SG Post/Süd Regensburg | DWZ |
---|---|---|---|---|---|
1 | GM Alexander Riasanzew | 2642 | 1:0 | FM Michael Quast | 2275 |
2 | GM Wladimir Onischuk | 2591 | 1:0 | FM Roland Schmid | 2236 |
3 | GM Pawel Ponkratow | 2575 | 1:0 | Claus Werner | 2211 |
4 | GM Juri Kusubow | 2601 | 1:0 | FM Jens-Uwe Pohl-Kuemmel | 2278 |
Vielen Dank für die Live-Übertragung! Leider der einzigen an diesem Pokalwochenende.
Das Schach-Schloss in Kirchweyhe bot das Ambiente für die Sensationsgruppe dieser Zwischenrunde. Die Auslosung brachte gleich die beiden Topfavoriten vom Gastgeber und Emmendingen gegeneinander. In der anderen Paarung wähnte sich im Außenseiterduell Greifswald gegen Leipzig "mini-mini-mini-minimal" (Website Greifswalder SV) im Vorteil. Greifswald gewann maxi-maxi-maxi-maximal mit 4:0 und stimmte sich gut ein für den nächsten Tag.
Bei den acht Großmeistern endeten alle vier Partien remis und so mußte ein Blitzstichkampf über das Weiterkommen entscheiden. Hier hatte der Gastgeber knapp die Nase vorn.
So oder so stand für Greifswald am Samstagabend fest: "Das [die 8 GM's] lässt vermuten, dass die Favoritenbürde morgen nicht bei uns liegt...".
1 | Greifswalder SV | DWZ | 4:0 | VfB Schach Leipzig | DWZ |
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1 | Hannes Leisner | 2251 | 1:0 | Christian Geiling | 2122 |
2 | Max Weber | 2198 | 1:0 | Lars Rohne | 2060 |
3 | Rüdiger Kürsten | 2134 | 1:0 | Wolfgang Just | 2059 |
4 | Wilko Stubbe | 2190 | 1:0 | Carsten Collini | 2092 |
2 | SK Kirchweyhe | DWZ | 2:2 (BW: 5:5, Blitz: 2½:1½) | SC Emmendingen | DWZ |
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1 | GM Hrvoje Stevic | 2580 | ½:½ | GM Dr. Igors Rausis | 2640 |
2 | GM Ante Brkic | 2539 | ½:½ | GM Normunds Miezis | 2472 |
3 | GM Zoran Jovanovic | 2551 | ½:½ | GM Ognjen Cvitan | 2468 |
4 | GM Aleksandar Kovacevic | 2545 | ½:½ | GM Andrej Sokolow | 2467 |
F | SK Kirchweyhe | DWZ | 2:2 (BW: 2:4) | Greifswalder SV | DWZ |
---|---|---|---|---|---|
1 | GM Ante Brkic | 2539 | 0:1 | Wilko Stubbe | 2190 |
2 | GM Hrvoje Stevic | 2580 | ½:½ | Hannes Leisner | 2251 |
3 | GM Aleksandar Kovacevic | 2545 | 1:0 | Rüdiger Kürsten | 2134 |
4 | GM Zoran Jovanovic | 2551 | ½:½ | Max Weber | 2198 |
Wir übernehmen 1:1 die Berichterstattung von der Greifswalder Website. Zuerst erschien eine Kurzmeldung:
Unsere Jungs haben die Sensation geschafft! Vier Großmeister reichten nicht, um unser Team zu stoppen. Mit ausgekämpften Remisen von Max und Hannes reichte der Sieg von Wilko am Spitzenbrett, um uns mit einem 2:2 dank Berliner Wertung ins Halbfinale zu schießen, was erstmals einem Team aus MV gelungen ist. Die Freude am Ryck ist groß. (Nur der Schatzmeister hat Sorgenfalten.... ;-) )
Wenig später kam ein ausführlicher Bericht von Hannes Leisner, der mit einem Remis wesentlich zum Erfolg beitrug:
Heute war der Morgen etwas stressiger: früher Aufstehen, warten auf Mannschaftskameraden beim Auschecken, nicht funktionierende Parktickets; egal am Ende waren wir kurz nach Halbzehn im Schachschloss und warteten voller Hochspannung auf die Auslosung. Der SK Kirchweyhe bekam das Heimrecht, hieß wir hatten an Brett 1 und 4 Weiß, und an 2 und 3 Schwarz. Wilko, der sich mit Brett 4 in der Vorrunde geschont hatte, übernahm dieses Mal die Verantwortung am Spitzenbrett; Hannes und Rüdiger nahmen Schwarz und Max wieder Weiß am hinteren Brett. Die Kirchweyher waren mit den gleichen GMs da, wie am Vortag (ungefähr die halbe kroatische Nationalmannschaft).
Max bekam einen Pirc auf´s Brett und nach knapp zwei Stunden ein Remisgebot. Irritiert blickte er mich an, woraufhin ich sagte: "Nimm, was du kriegen kannst." Nach einigem Nachdenken willigte Max ein. Zurecht, denn wie die anschließende Analyse mit seinem Gegner zeigte, hätte er die Partie wohl ein oder zwei Züge später strategisch weggestellt. Rüdiger behandelte die Endspielvariante im Panowangriff einer Caro-Kann-Verteidigung ungenau und musste schließlich mit zwei Minusbauern die Segel streichen. Hannes ließ sich im Alapin-Sizi unnötigerweise einen kaputten Damenflügel andrehen, ab Zug 12 machte die ganze Partie keinen Spaß mehr. Doch sein Gegner verpasste die ein oder andere Gelegenheit, Gegenspiel zu unterbinden und so konnte der Greifswalder durch Bauernopfer in ein Endspiel mit Turm und ungleichfarbigen Läufern abwickeln. Just als er dachte, dass der GM ihn noch lange quälen würde, kam das Remisangebot; welches ohne Nachzudenken angenommen wurde.
Warum eigentlich?
Dafür gab's nur einen Grund: Mittlerweile hatte Wilko am Spitzenbrett gegen GM Ante Brkic eine wahre Luststellung erreicht: Mehrbauer, Mehrqualität, offener gegnerischer König; harmonisches Figurenspiel. Was will man mehr? Und so trat das ein, was keiner von uns für möglich gehalten hatte: Wilko gewann seine Partie und wir stehen zum ersten Mal im Halbfinale des Deutschen Pokals. Die 75minütige Panne auf der Rückfahrt konnte unsere Laune auch nicht trüben, und so richtig begreifen, was an diesem Wochenende passiert ist, dafür werden wir wohl noch einige Zeit brauchen.
DSB-Turnierseite | Alle Fotos aus Oranienburg
Die Partien aller Gruppen werden in einigen Tagen auf der Turnierseite veröffentlicht.
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - Spielbetrieb // ID 9609