20. September 2021
Von Jana Schneider
Vor knapp zwei Wochen, am 5. September, habe ich ein persönliches Ziel erreicht, das ich schon seit mehreren Jahren anstrebe. Ich habe meine dritte und damit letzte erforderliche Norm für den Titel "Weibliche Großmeisterin" (Woman Grandmaster, kurz WGM) erzielt. Schon lange arbeite ich darauf hin, aber dass es jetzt wirklich so weit ist, kann ich selbst noch nicht ganz begreifen. Ich habe alle Hürden zum höchsten Frauentitel des Weltschachverbands FIDE genommen. Großmeisterin nennen, darf ich mich aber erst nach Beantragung des Titels durch den Deutschen Schachbund und Bewilligung des Antrags beim nächsten Kongress der FIDE.
Für die internationalen und Großmeistertitel der FIDE braucht man neben einer bestimmten Wertungszahl, jeweils drei Normen. Diese erspielt man normalerweise mit den entsprechenden Leistungen bei internationalen Turnieren.
Im Falle des Titels WGM sind die Voraussetzungen für eine Norm:
Das ist bei allen Titel generell so, nur die Performance und die nötigen Titelträger werden angepasst. Dabei gibt es aber eine Menge Ausnahmen und Sonderregeln, durch die ich auch selbst nicht komplett durchblicke. Auf der Website der FIDE findet man Rechentabellen, mit denen man anhand der Wertungszahlen der GegnerInnen ausrechnen kann, ob und für welche Norm die erzielten Punkte reichen.
Ich habe meine erste WGM-Norm 2017 bei der Deutschen Frauenmeisterschaft erspielt. Das ist eine der erwähnten Ausnahmen. Obwohl bei einer Deutschen Meisterschaft meist keine SpielerInnen anderer Nationen mitspielen, war es bei diesem Turnier möglich, Normen zu erzielen.
Eineinhalb Jahre später habe ich meine zweite Norm gemacht, beim großen Open (OIBM) am Tegernsee. Ein Fakt am Rande: Auch die Frauenmeisterschaft hatte schon in Bad Wiessee stattgefunden. Bei meiner zweiten Norm hätte ich auch fast noch eine IM-Norm mitgenommen. Der einzige Unterschied ist, dass für die IM-Norm eine Performance von 2450 nötig ist. Mir fehlten nur wenige Performance Punkte dazu.
Seitdem habe ich es nicht geschafft, nochmal am Tegernsee zu spielen. Vielleicht war das mein Fehler und der Grund, dass ich knapp drei Jahre auf meine letzte Norm gewartet habe.
Tatsächlich habe ich mit der letzten Norm aber schon 2019 gestartet, mit Beginn der aktuellsten Saison der Damenbundesliga. Nach acht Runden, ich hatte sechs Partien gespielt, wurde die Saison unterbrochen aufgrund der Pandemie. Mit 4/6 Punkten, unter anderem Siege gegen GM Antoaneta Stefanova und IM Rout Padmini hatte ich eine denkbar gute Ausgangsposition. Aber durch die lange Unterbrechung habe ich bis vor wenigen Wochen gar nicht daran gedacht, dass ich noch die Chance auf eine Norm hatte.
Zu Beginn der Bundesliga Endrunde (03.-05.09.) war mir aber sehr wohl bewusst, dass ich 2/3 Punkte brauche, um die ersehnte Norm zu schaffen. Gleichzeitig lag mein Team, SC Bad Königshofen, zu dem Zeitpunkt in Führung. Es wäre natürlich perfekt, wenn beides gelingen würde. Norm und Titel. Gleichzeitig hatte ich auch ein bisschen Angst, dass die Situation eintreten könnte, wo ich mich zwischen Mannschaft und persönlicher Normambition entscheiden müsste.
Die ersten beiden Runden hatte ich Weiß und wollte mindestens eineinhalb Punkte daraus holen. In dem Wissen, dass in der letzten Runde mit Schwarz gegen SK Schwäbisch Hall mit IM Lela Javakhishvili eine scheinbar übermächtige Gegnerin wartete. Die erste Runde gewann ich, die zweite verlor ich. An dem Abend war ich ziemlich enttäuscht. Zwar freute ich mich für die Mannschaft (Wir hatten 3,5-2,5 gewonnen), aber meine Norm war ich weite Ferne gerückt und ich hatte das Thema eigentlich schon abgehakt. Am Sonntag wollte ich nur für die Mannschaft spielen und mein Bestes geben.
Dass es für einen Sieg reicht, hatte ich nicht erwartet. Hier meine kommentierte Partie, meine Gegnerin hatte sicher nicht ihren besten Tag.
Ein 3:3 der Mannschaft reichte für den Deutschen Meistertitel in der Frauenbundesliga. Meine Leistung reichte für die dritte Norm. Ein perfektes und unglaubliches Wochenende. Danach bin ich erst mal in den Urlaub gefahren und habe mich ein paar Tage nicht mit Schach beschäftigt. Mit etwas Abstand bin ich einfach glücklich und stolz auf diese Leistung.
Ich habe etwas für mich sehr Besonderes erreicht. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und kurz Danke sagen an wichtige Personen, die mich auf dem Weg zur Großmeisterin unterstützt haben:
Es gibt noch viele andere Personen, denen ich dankbar bin und die ich hier nicht alle einzeln erwähnen werde. Den Titel Großmeisterin erreicht niemand alleine ohne Unterstützung.
Wie es bei mir schachlich weitergeht: Ich spiele ab dem 27. September die FIDE Team-Weltmeisterschaft der Frauen in Sitges in einer Mannschaft mit Elisabeth Pähtz, Josefine Heinemann, Hanna Marie Klek und Melanie Lubbe. Ich freue mich darauf.
Der Artikel ist sehr ausführlich geworden. Ich hoffe, ihr verzeiht mir, dass er erst knapp zwei Wochen nach Erreichen meiner dritten Norm erscheint. Warum er so lang geworden ist: Ich möchte zeigen, dass hinter dem Titel eine Geschichte steckt. Viel Arbeit am eigenen Schach, aber auch zahlreiche Personen im Hintergrund sind notwendig, um einen solchen Titel zu erreichen. Was aber am Wichtigsten ist: die Freude am Schachspiel. Deshalb die Botschaft: Gebt nicht auf, wenn ihr ein Ziel nicht sofort erreicht. Und vor allem: Habt Spaß am Schach!
// Archiv: DSB-Nachrichten - Nationalmannschaft // ID 24051