18. November 2021
Bei der Team-EM im slowenischen Terme Catez überschlugen sich am heutigen Tag die Ereignisse. Während sich die Männer gegen die slowenische Jugendtruppe mit 4:0 eindrucksvoll zurückmeldeten, wurde bei den Frauen größter Kampfgeist nicht belohnt: Die tragische Heldin war Hanna Marie Klek, die von der 50-Züge-Regel einen Zug vorm Matt ausgebremst wurde! Dadurch spielten die Frauen unter Bundestrainer Yuri Yakovich 2:2 gegen Ungarn. Sportdirektor Kevin Högy berichtet:
Im Fußball sagt man gern, dass es in Deutschland über 80 Millionen Bundestrainer gibt. Im Schach ist das vermutlich ähnlich – insbesondere dann, wenn es nicht so läuft, wie sich das die Fans an den heimischen Bildschirmen wünschen. Nachdem in Runde 5 die deutschen Herren eine 1,5:2,5 Niederlage gegen die nominellen Underdogs aus Rumänien quittieren mussten, fragten sich einige: Wird das ein gebrauchtes Turnier oder schlagen unsere Jungs zurück?
Sie schlugen zurück. Und wie! Der heutige Gegner hieß Slowenien 2. Wer denkt, eine zweite Mannschaft klingt nach einer leichten Aufgabe, möge sich doch bitte einmal bei Slowenien 1 erkundigen – die erste slowenische Mannschaft hatte nämlich in Runde 5 gegen die eigene zweite „Nachwuchs“-Truppe mit 1,5:2,5 den Kürzeren gezogen! Deutschland war also gewarnt. Was dann aber geschah, war eine eindrucksvolle Demonstration schachlicher Klasse.
Den Beginn machte Matthias Blübaum am dritten Brett. Der Lemgoer hatte in diesem Turnier bereits einige gute Stellungen, dann aber bei der Verwertung selten Caissa an seiner Seite. Doch mit dem heutigen Tag scheint vielleicht der Flow zurückzukommen. Gegen seinen jungen Kontrahenten war bereits nach 26 Zügen Schluss, da Matt oder entscheidender Materialverlust nicht mehr zu verhindern war. Wie sich Erleichterung anhört, könnt ihr hier erleben:
Den zweiten Sieg des Tages feierte der wieder ins Team zurückgekehrte Liviu Dieter Nisipeanu. Am Spitzenbrett fackelte Dieter ein kleines Feuerwerk ab, als er es im 22. Zug bereits in der schwarzen Stellung scheppern ließ:
Dieter entscheidet sich in dieser Stellung, mit Txf5 einen ganzen Turm zu opfern!? 😯 #etcc2021 pic.twitter.com/31AsK1xhMn
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Kurze Zeit später zappelte der schwarze Monarch im Mattnetz, sodass Deutschland mit 2:0 in Führung ging. Was Dieter selbst zu seiner Partie sagt, schildert er im folgenden Clip. Dabei lüftet er auch das Geheimnis, warum er gegen Rumänien ausgesetzt hat:
Den Mannschaftssieg perfekt machte Rasmus Svane. Wie bereits Matthias Blübaum weiter oben ausgeführt hatte, stand Rasmus bereits nach der Eröffnung gut.
Heute morgen hat das deutsche Team am Frühstückstisch lange darüber gesprochen und gescherzt, was Rasmus gegen Caro-Kann mit 3. f3 spielen soll, nun steht es tatsächlich auf dem Brett. Da sollte doch eine gute Vorbereitung drin gewesen sein?! #etcc2021 #schach pic.twitter.com/7sGwpN3dt1
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Gegen den im Zentrum stecken gebliebenen König opferte er erst einen Bauern, um Linien zu öffnen. Die schwarzen Schwerfiguren des Lübeckers machten dann kurzen Prozess, eine hübsche Abschlusskombination forcierte das Matt. Damit stand es bereits 3:0.
Damit lag es an Vincent Keymer, dem Sieg der Herren das Sahnehäubchen aufzusetzen. Mittlerweile haben sich seine Teamkameraden an Vincents solide, auf den Punkt genauen Eröffnungsvorbereitungen gewöhnt. Und auch dieses Mal glänzte der Saulheimer mit einer guten Stellung ausgangs der Eröffnung – und das sogar mit den schwarzen Steinen:
Die angesprochenen Daumenschrauben wurden schneller angezogen, als es dem Anziehenden lieb gewesen sein dürfte. Um Zug 30 herum kam Vincent zu einem mächtigen Königsangriff, den finalen Schlussstoß verpasste der weißen Stellung dann ein schwarzer Freibauer. Damit bleibt unter dem Strich ein einwandfreier 4:0 Sieg. Chapeau! Ein auch in dieser Höhe durchaus verdienter Sieg, daran gibt es nichts zu mäkeln!
Vincent fängt langsam an dem Gegner die Daumenschrauben anzuziehen! #etcc2021 pic.twitter.com/Xg1qQzIoi0
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9 | Deutschland | Elo | 4:0 | Slowenien 2 | Elo |
---|---|---|---|---|---|
1 | GM Liviu Dieter Nisipeanu | 2651 | 1:0 | IM Jan Subelj | 2458 |
2 | GM Vincent Keymer | 2639 | 1:0 | FM Domen Tisaj | 2369 |
3 | GM Matthias Blübaum | 2647 | 1:0 | FM Jaka Brilej | 2341 |
4 | GM Rasmus Svane | 2628 | 1:0 | FM David Stevanic | 2318 |
Bei den Frauen hieß es am Ende gegen die starken Ungarinnen 2:2. Doch der Weg dahin ist mit „Drama“ nicht ansatzweise zu erfassen!
An Brett 2 steuert @JosefineHeinem4 ein ungefährdetes Schwarzremis zum Ergebnis der Frauen bei! #etcc2021 pic.twitter.com/QJMG0KO24m
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Der Mannschaftskampf fing solide an. Am zweiten Brett steuerte Josefine Heinemann ein ungefährdetes Remis zum Endergebnis bei. Sie kam mit den schwarzen Steinen nie in Gefahr, mit einem halben Punkt gegen eine starke Gegnerin wird sie mehr als gut leben können. Und wer weiß, bei einem guten Schlussspurt ist vielleicht sogar noch eine IM-Norm möglich!
Die zwischenzeitliche Führung besorgte Elisabeth Pähtz. Unsere Spitzenspielerin kam im Mittelspiel zu heftigem Königsangriff, der getragen durch das Läuferpaar und dem Besitz über die einzige offene Linie bald unwiderstehlich werden sollte. Im Anschluss an die Partie zeigte sich die Siegerin gelöst und froh – und ließ sogar einen Einblick zu, wie hart ein Turnierkalender einer Spitzenspielerin aussieht:
Den Ausgleich konnten die Ungarinnen am letzten Brett erzielen. Als bei Melanie Lubbe ein trojanisches Pferd auf f7 krachend einstieg, ging es mit Melanies Stellung leider Schritt für Schritt bergab.
Melanie @Lubbe_Schach's Gegnerin bringt mit Sxf7 ein Figurenopfer aufs Brett! Wie wird Melanie reagieren? #etcc2021 #schach pic.twitter.com/S9cEkdwmcp
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Auch wenn sich Melanie tapfer wehrte, am Ende war die Niederlage leider nicht mehr zu verhindern. Damit hing alles am Ausgang der Partie von Hanna Marie Klek am dritten Brett.
Und diese Partie hatte wirklich alles, was das Fanherz begehrt! Nachdem die Eröffnung unserer Nationalspielerin ein wenig missglückt war, sucht Hanna Marie ihr Glück im Angriff auf den schwarzen König. Kurz vor der Zeitkontrolle unterlief ihrer Gegnerin dann auch ein grober Schnitzer, sodass Hanna Marie in ein Endspiel mit zwei Springern und zwei Bauern gegen Läufer und drei Bauern überleiten konnte. Hier machte Hanna Marie mächtig Druck, sie erreichte sogar das legendäre Endspiel mit zwei Springern gegen einen Bauern – dieses war zwar objektiv bei bestem Spiel nicht zu gewinnen, weil der schwarze Bauer die sogenannte Troitzky-Linie bereits überschritten hatte.
Doch wenn nur noch mit 30 Sekunden Inkrement gespielt wird und beide in Zeitnot sind, ist alles möglich. Die Schlussstellung der Partie sagt dann alles:
Einen Zug vorm Matt hält Schwarz die Uhr an und reklamiert, dass Weiß 50 Züge abgeschlossen hat, ohne dass ein Bauer bewegt oder eine Figur geschlagen wurde. Was für eine Dramatik, leider mit unglücklichem Ende für unsere Frauen! #etcc2021 #schach pic.twitter.com/ICBtxB9Sa2
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Nachdem Hanna Marie es tatsächlich geschafft hatte, den schwarzen König ins Mattnetz zu zwingen und im nächsten Zug die Nachziehende unweigerlich mattzusetzen, stoppte die Ungarin plötzlich die Uhr – und reklamierte auf Remis! Und in der Tat war Hanna Maries letzter Zug derjenige, mit dem beide Seiten 50 Züge abgeschlossen hatten, ohne eine Figur zu schlagen oder einen Bauern zu ziehen. Damit ist die Partie gemäß den FIDE-Regeln mit einem Unentschieden zu werten. Bitter, ganz, ganz bitter!
Für die Frauen bleibt damit unter dem Strich ein 2:2, das vom Mannschaftskampf her durchaus in Ordnung geht. Aber gerade vor dem Hintergrund des Dramas am dritten Brett wäre unserem Frauennationalteam der Sieg durchaus zu gönnen gewesen. Ein riesiger Kraftakt von Hanna Marie, der leider nicht mit einem vollen Punkt belohnt wurde.
Sei es drum. Morgen steht das Duell gegen Polen an. Sowohl die Männer als auch die Frauen bekommen es mit unseren Nachbarn im Osten zu tun. Während die polnischen Frauen ähnlich ausgeglichen besetzt sind wie unsere Männer, stechen bei den polnischen Männern die Weltklassespieler Duda und Wojtaszek an den ersten beiden Brettern heraus. Auf dem Papier gehen die deutschen Mannschaften jeweils als knapper Außenseiter ins Rennen – aber wie bei vielen Begegnungen in Terme Catez gilt auch für morgen: Entscheidend ist auf dem Brett!
5 | Deutschland | Elo | 2:2 | Ungarn | Elo |
---|---|---|---|---|---|
1 | IM Elisabeth Pähtz | 2485 | 1:0 | IM Szidonia Lazarne Vajda | 2345 |
2 | WGM Josefine Heinemann | 2336 | ½:½ | WGM Ticia Gara | 2331 |
3 | WGM Hanna Marie Klek | 2343 | ½:½ | WIM Zsoka Gaal | 2336 |
4 | WGM Melanie Lubbe | 2311 | 0:1 | WIM Julianna Terbe | 2318 |
Wir danken unserem Sponsor UKA Meißen für die Unterstützung unserer Nationalmannschaften!
Am Freitag geht es um 15 Uhr weiter mit der 7. Runde. Die Ergebnisse und Partien findet ihr unter den folgenden Links:
ChessResults | Open | Women |
ChessBase | Open | Women |
Chess24 | Open | Women |
Chess.com | Open | Women |
Lichess | Open | Women |
ChessBomb | Open | Women |
Offizielle Turnierseite | DSB-Turnierseite | Fotos
Live-Kommentar von Klaus Bischoff | englische Livestreams
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