21. Mai 2017
In Frankfurt/Main findet seit dem 24. April die sage und schreibe 91. Stadtmeisterschaft statt. Laut dem Schachhistoriker Nicholas Lanier (schachmuseum.com) ist Frankfurt damit die Stadt in Deutschland mit der längsten durchgehenden Meisterschaftstradtion. So gab es in Berlin die erste offizielle Stadtmeisterschaft erst 1903.
In der Frankfurter Meisterchronik sind aber noch so einige Lücken zu füllen. Lanier: "Nicht alle Meister sind aufgelistet - die Meister von 1903 bis 1923 sind nicht alle nachweisbar bzw. die Meisterschaften fanden nicht statt - sowie einige aus der Nazi- und Nachkriegszeit. Sehr interessant und ausbaufähig."
Einen Blick auf die Geschichte der Stadtmeisterschaft wirft auch Hans-Dieter Post in seinem Bericht nach Runde 4. Gespielt werden bis zum 12. Juni insgesamt sieben Runden.
Frank Hoppe
Die mit Abstand wohl größte Stadtmeisterschaft, die alljährlich veranstaltet wird, dürfte wohl die in Frankfurt am Main sein. Zudem wird es nicht so sehr viele mehr in Deutschland geben, die eine ähnliche, fast lückenlose Dokumentation bis ins Jahr 1900 zurück aufweisen können. Und diese Dokumentation in Form eines Archives umfasst weit mehr als nur eine Jahreszahl und einen Sieger.
Knackpunkt der Behauptungen ist sicherlich die Defintion des Begriffs einer "Stadtmeisterschaft", denn so einige haben ihren Charakter im Laufe der Jahrzehnte verändert und sich zu einem Open gewandelt, das einerseits offen für alle Teilnehmer ist, und andererseits auch nur an einem verlängerten Wochenende ausgetragen wird.
In den Anfangsjahren und selbst weit danach musste man noch in Frankfurt wohnen, um überhaupt teilnehmen zu dürfen. Berühmtester Beleg dafür ist der spätere Deutsche Meister Georg Kieninger, der, sich gerade aus dem Münchner Raum nach Düsseldorf hin verändernd, mal eben ein gutes Vierteljahr in Frankfurt Quartier bezog und dies auch in den Schachzeitungen veröffentlichen ließ. Das war dann Eintrittskarte für die Stadtmeisterschaft und seinen Sieg im Jahre 1929!
Weil die Frankfurter Stadtmeisterschaft in den letzten Jahrzehnten aber auch immer nur mit einer Runde pro Woche ausgespielt wird, ist es auch für die reiselustigsten Spieler nicht sinnvoll möglich hier teilzunehmen, da braucht es keine Sonderregelung in der Ausschreibung!
Die 167 Teilnehmer des Jahres 2017 kommen wie in den Vorzeiten stets aus der näheren Umgebung, oder gehören zu den Pendlern in der Stadt. Irgendein Bezug zu Frankfurt ist stets gegeben und der Frankfurter Stadtmeister als Sieger der Veranstaltung trägt diesen Zusatz für ein Jahr zu Recht!
Durch umfassende Recherchen, die weit über die Grenzen Deutschlands hinausreichen, und das nicht nur via Internet, konnte ein umfangreiches Archiv mit zahlreichen Details und vor allem menschlichen Schicksalen zusammengetragen werden.
Der Dank geht dabei an Peter Anderberg, Udo Güldner, Thomas Henrich, Gerhard Hund (Stadtmeister 1956!) und auch Gerald Schendel, denn sie sind in der Szene bekannte Namen, wenn es um Nachforschungen im Bereich der Schachhistorie geht, und alle haben sie mit kleinen und großen Entdeckungen schon wichtige Lücken für die Frankfurter Turniere füllen können.
Ein außerordentlich großer Schatz an Informationen wurde durch die unermüdliche und hartnäckige Suche im Internet und Bibliotheken von Frau Connie Cameron aus den USA zur Verfügung gestellt, wo man weit mehr als nur in Deutschland auf gescannte Unterlagen zurückgreifen kann.
Zu den ältesten, materiellen Nachweisen im Archiv der Frankfurter Stadtmeisterschaft zählt übrigens der silberne Pokalbecher für die beste Partie des Turnieres 1905, die zwischen August Flad und Walter John ausgetragen wurde, Remis endete und dessen Züge bekannt sind. Natürlich ein Zufallsfund, aber authentisch.
Beide Spieler wurden in diesen Anfangsjahren Frankfurter Stadtmeister, und John siegte immerhin zuvor auch im Hauptturnier A beim 13. DSB-Kongress zu Hannover.
Der mit Abstand schillerndste Frankfurter Stadtmeister war Ferdinand Walter Pelzer, dessen Vorfahren aus der Gegend um Hanau (bei Frankfurt) stammen und die in den Wirren des 30-jährigen Krieges weit in den Westen flüchteten und sich schließlich in Mülheim an der Ruhr niederließen. Die Familie lebte dort in direkter Nachbarschaft zur Industriellenfamile Thyssen in nobler Umgebung, und schließlich war die Schwester des Stadtmeisters auch verheiratet mit dem späteren Industriemagnaten, gebar ihm die Erben und ward alsbald geschieden.
Pelzer zu Ehren wird die Stadtmeisterschaft 2017 in memoriam ausgetragen, was zuvor schon für Walter Jäger und Otto Müller der Fall war.
Bevor nun in diesem Jahr erstmalig, soweit bekannt, mit Peter Feldmann ein Frankfurter Stadtoberhaupt an das Rednerpult zur Begrüßung der Teilnehmer schritt, wurde er vom Sprecher des Schachbezirks Frankfurt mit Worten des Dankes, aber auch einer einfühlsamen Rede über das Schicksal des zweifachen Frankfurter Stadtmeisters Prof. Dr. Nathan Mannheimer überrascht.
Hans-Dieter Post, seit 31 Jahren schon Organisator und Leiter der Veranstaltung und nicht zuletzt auch deswegen vor wenigen Wochen in der Frankfurter Paulskirche mit der Sportplakette ausgezeichnet, konnte den Weg dieses ehemaligen Oberlehrers an einer höheren Frankfurter Schule von seinem erstmaligen Auftreten in Frankfurt um 1900, bis zu dessen rettender Flucht im Jahr 1938 aufzeigen; und schließlich auch dessen Tod in Brasilien.
Bekannt wurde Letzteres durch die Besuchsprogramme der Stadt und der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, die es den Nachfahren ehemals in Frankfurt vor 1945 ansässigen jüdischen Mitbürgern ermöglicht, sich die Stadt und Lebensumgebung ihrer Vorfahren vor Augen zu führen.
Prof. Michael Rothstein, ein Enkel des Nathan Mannheimer, fand die unvollständigen Erkenntnisse zu seinem Großvater im Internet und korrigierte den Verfasser. Auch sein Bruder Andreas besuchte ein Jahr später aus Brasilien kommend die Stadt am Main.
Sichtlich gerührt nahm der Frankfurter OB als Dank für sein Engagement hernach ein mathematisches Lehrbuch aus dem Jahr 1924 in Empfang. Einer der Autoren war eben jener Professor Mannheimer und damit ergab sich ein passender Bezug zur Geschichte der Frankfurter Stadtmeisterschaft.
Nachdem Oberbürgermeister Peter Feldmann nun selbst noch an der Reihe war und sich mit wohlgewählten Worten durchaus positiv zur Schachmeisterschaft in den Grenzen seiner Stadt äußerte, ging es flott zum Tagesgeschäft über, denn es wartete mit der Eröffnung der Partie an Brett 2 für Großmeister Leonid Milov noch ein nicht unwichtiger Teil der heutigen Aufgabe für den Schirmherrn der Veranstaltung.
Für Milov, Stadtmeister von 2007, war es ein gutes Omen, denn er gewann die Partie mit Springeropfer und einem hübschen Angriff, was ihm auch eine Nominierung zur besten Partie der Runde einbrachte.
Hans-Dieter Post
Schachbezirk Frankfurt
Turnierseite: fsm.chess-open.net
Ergänzungen bitte an Hans-Dieter Post hansdpost@aol.com senden.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21980