8. November 2014
Mit Wehmut wird Olaf Koppe, Geschäftsführer der sozialistischen Tageszeitung "Neues Deutschland", wohl an die vielen Jahre zurückgedacht haben, als auf der Bühne seines Verlagshauses schachspielende Frauen die Hauptattraktion waren. Bei der Eröffnung kam ihm wohl deshalb das Wort "Prinzessinnen" über die Lippen, als er eigentlich "Prinzen" sagen wollte. Die Lacher hatte er jedenfalls auf seiner Seite, egal ob der Ausrutscher als Bonmot geplant war oder nicht.
Als Prinzessinnen kann man die beiden 17-jährigen Internationalen Meister Dennis Wagner und Matthias Blübaum aber nun wirklich nicht bezeichnen. Da spricht zum einen das Geschlecht dagegen und zum anderen überragen sie die beiden Königinnen Walentina Gunina und Elisabeth Pähtz mindestens um Kopfeslänge. "Prinzen" trifft es dagegen schon eher, gehören sie doch noch zum Kader der sogenannten Prinzen, einer Gruppe hoffnungsvoller deutscher Nachwuchstalente, die einst vor der Schacholympiade 2008 ins Leben gerufen wurde.
Für die 9. Auflage der nd-Schachgala hatten sich die Organisatoren vom nd und Raj Tischbierek etwas Besonderes einfallen lassen. Nicht ein hochkarätiges Frauenquartett sollte um den Sieg in einem Schnellschachturnier kämpfen, sondern zwei Siegerinnen vergangener Jahre sollten gegen Deutschland's zukünftige, männliche Nationalspieler antreten. Und genau diese Herausforderung nahmen Elisabeth Pähtz und Walentina Gunina an: Königinnen gegen Prinzen, Pähtz/Gunina gegen Blübaum/Wagner!
Zwei Runden Schnellschach mit 25+10 (25 Minuten plus 10 Sekunden Inkrement) folgten vier Runden Blitzschach 3+2 und eine Runde Schnellschach, wobei diese als Doppel gespielt wurde.
Die ersten beiden Runden wurden einfach gewertet, je Sieg ein Punkt. Beim Blitz gab es nur halbe Wertungen: Sieg 0,5 und Remis 0,25 Punkte. Das ungemischte Doppel sollte doppelt gewertet werden (Sieg = 2 Punkte).
Vor dem Blitzschach durften sich die vier Meister noch an den Gästen verausgaben. Die einen (Pähtz/Gunina) beim Uhren-Simultan (20 Minuten), die anderen (Wagner/Blübaum) bei einer Blitzpartie gegen einen Zuschauer und die Siegerin des Mädchenturniers.
Als Schiedsrichter agierte wie immer der ehemalige DSB-Sportdirektor und -Geschäftsführer Horst Metzing, an der Technik saß Felix Fürnhammer und im Raum nebenan kommentierte GM Uwe Bönsch die Schnellpartien.
Genau diese Stellung hatte Uwe Bönsch bei der vormittäglichen Vorbereitung mit Matthias auf dem Brett. Das wünschenswerte 14. ... Tc6 scheitert an 15. Lxa6. Gunina zog deshalb 14. ... Dd7 und verabschiedete sich nach 15. Dxd7+ Kxd7 16. e4 Thd8 17. exd5 Lf5 notgedrungen von einem Bauern. Trotzdem die Stellung später noch schlechter wurde, warf die Russin nicht die Flinte ins Korn und kämpfte tapfer und am Ende erfolgreich um den halben Punkt.
Die Initiative von Weiß am Damenflügel beantwortet Elisabeth Pähtz mit einem Gegenstoß in Zentrum und auf der rechten Seite. Die Idee 22. Lh5 kam im Nebenraum nicht so gut an, da der schwarze Turm ja wahrscheinlich ohnehin nach f8 wollte. Pähtz verschärfte mit einem Bauernopfer die Stellung: 22. ... Tf8 23. Sd3 g4?! Danach wurde die Partie zusehends unübersichtlich. Als sich der Rauch verzogen hatte, war ein Turmendspiel mit ungleichfarbigen Läufern und zwei Mehrbauern für Weiß entstanden. Hier manövrierte Wagner seine Kontrahentin aus.
Frech ignoriert Dennis Wagner den hängenden Bauern und spielte a6. Walentina Gunina denkt fast fünfeinhalb Minuten nach und schlägt dann trotzdem: 10. Dxb7. Schachtrainer weltweit schlagen wegen soviel Unverfrorenheit die Hände über dem Kopf zusammen. Einer der ehemals besten Spieler der Welt, Paul Keres (1916 - 1975) soll einst gesagt haben: "Schlage nie mit der Dame auf b2 oder b7, selbst wenn es gut ist!"
Nach dieser Partie muß wohl auch die Europameisterin Gunina dem Zitat etwas Wahrheit abgewinnen. Wagner spielte 10. ... Ld5 und droht Damengewinn mit Ta7. Nach 11. Se5 Sxd4 12. Sc6 Lxg2 13. f3 Dc8 14. Dxc8+ Txc8 15. Sxd4 Lxf1 16. Kxf1 hatte die 25-Jährige Qualität und Stellung weniger. Zur Freude (oder zum Leidwesen?) der Kiebitze spielte sie bis zum 46. Zug weiter.
Sehr gutes Trainingsmaterial für den Nachwuchs wurde mit dieser Partie vervollständigt!
Matthias Blübaum war mit dieser Stellung offensichtlich nicht zufrieden. So jedenfalls war sein Kopfschütteln zu interpretieren.
Sein Problem mit dem Bauern e6 hätte er vielleicht anders als mit der Eröffnung von Nebenkriegsschauplätzen lösen sollen. 15. ... Sxa3? Sinnvoller erscheint die Aufstellung mit Tf7 und Sf8, um e6 zu festigen und den Königsflügel (h7!) zu stützen. 16. 0-0 Sxe5? Noch eine obskure Ablenkung. Pähtz ignoriert den zweifachen Bauernverlust und macht ungeachtet der Gabeldrohung auf d4 kurzen Prozeß mit Schwarz. 17. Lxh7+! Kxh7 18. Sxe5 Sb5 19. Dh5 Kg8 20. Seg6! und Schwarz gab sieben Züge später auf.
Nr. | Name | DWZ | Elo | Land | Pkt. | 1 | 2 | 3 | 4 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | GM Walentina Gunina | 2531 | 2522 | 0,5 | x | ½ | 0 | ||
2 | IM Elisabeth Pähtz | 2477 | 2480 | 1,0 | x | 1 | 0 | ||
3 | IM Matthias Blübaum | 2555 | 2537 | 0,5 | ½ | 0 | x | ||
4 | IM Dennis Wagner | 2481 | 2484 | 2,0 | 1 | 1 | x |
Die Prinzen lagen nach den ersten zweieinhalb Stunden des Wettkampfes mit 2½:1½ in Führung und durften sich bei einer Blitzpartie gegen Gäste "ausruhen". Ein nd-Mitarbeiter fragte vorher dazu jeden Gast persönlich, ob man gegen einen der jungen Meister blitzen wolle. Die Willigen kamen in einen Lostopf, worauf nd-Chef Olaf Koppe die Nummer 4 zog. Die gehörte dem 45-jährigen Martin Minski, einem ehemaligen Berliner Vereinsspieler mit DWZ 1979. Minski hat sich im Problemschach in den letzten Jahren in Deutschland einen Namen gemacht und dafür das Partieschach vor fünf Jahren an den Nagel gehangen. Das Spezialgebiet des FIDE-Meisters für Schachkompositionen sind Studien. Dieses Fachwissen nutzte ihm aber nichts in der Partie gegen Matthias Blübaum. Nach verunglückter Eröffnung kämpfte Minski mehr mit dem "Rost" aufgrund langjähriger Abstinenz, als mit dem Gegner.
Am Nebenbrett saß Laura Kribben, 10-jährige Tochter des ehemaligen Präsidenten des Berliner Schachverbandes und ehemaligen DSB-Vizepräsidenten Matthias Kribben. Sie hatte die Qualifikation für die Blitzpartie gegen Dennis Wagner durch einen Sieg im Mädchenturnier erworben, welches kurz zuvor beendet wurde.
Walentina Gunina und Elisabeth Pähtz hatten eine weit aufwendigere Aufgabe als die beiden Prinzen zu bestreiten. Sie mußten gegen 15 Gegner, zumeist Teilnehmer des Mädchenturniers, im Uhrensimultan antreten. Diese Aufgabe meisterten sie mit Bravur und glatten Siegen. Auch wenn einige der jungen Mädels besonders Gunina alles abforderten.
Mit im Kreis der Simultangegner saß auch Karolin Vaile Fuchs (34), die als Vaile eine gewisse Berühmtheit als Sängerin und Schauspielerin (ARD-Soap "Marienhof") erlangt hat. 2008 war Vaile Botschafterin der Schacholympiade in Dresden.
Vom ersten Durchgang beim Blitz, den Blübaum (gegen Gunina) und Wagner mit Weiß gewannen, sind leider keine Partien überliefert. Beim Sichern der Dateien war etwas schief gelaufen.
Im zweiten Durchgang hatten die Frauen die weißen Steine und revanchierten sich postwendend. Stand beim Blitz damit 2:2 oder genauer 1:1, da die Punkte nur die Hälfte zählten.
Im dritten Durchgang war Elisabeth Pähtz gegen Matthias Blübaum mächtig am Drücken. Doch trotz weißen Figurenopfers konnte der kurzrochierte schwarze König bis nach b8 entkommen. In beiderseitiger Zeitnot tappte Pähtz in ein einzügiges Matt.
Da auch Gunina mit Weiß verlor, führten die Prinzen mit 2:1.
Im abschließenden Durchgang konnte Gunina mit Schwarz gegen Dennis Wagner zwar zurückschlagen, doch deutschen Großmeisterin gelang Selbiges gegen Blübaum nicht.
2½:1½ für die Prinzen und damit 5:3 insgesamt. In der abschließenden Doppelpartie konnten die beiden Damen damit nur noch ausgleichen.
Nr. | Name | DWZ | Elo | Land | Pkt. | 1 | 1 | 2 | 2 | 3 | 3 | 4 | 4 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | GM Walentina Gunina | 2531 | 2522 | 2,0 | x | x | 0 | 1 | 0 | 1 | |||
2 | IM Elisabeth Pähtz | 2477 | 2480 | 1,0 | x | x | 0 | 0 | 0 | 1 | |||
3 | IM Matthias Blübaum | 2555 | 2537 | 3,0 | 1 | 0 | 1 | 1 | x | x | |||
4 | IM Dennis Wagner | 2481 | 2484 | 2,0 | 1 | 0 | 1 | 0 | x | x |
Walentina Gunina und Elisabeth Pähtz durften die weißen Steine führen. Doch so richtig kam der Anzugsvorteil nicht zum Tragen. Matthias Blübaum und Dennis Wagner hatten locker Ausgleich erreicht. Das war auch die Meinung von Kommentator Uwe Bönsch im Nebenraum, der bei seinen Zuhörern versuchte, diverse Zugmöglichkeiten an den Mann und die Frau zu bringen. Und nicht nur die Zuhörer schienen seine Varianten verdauen zu wollen. Auch im Turniersaal waren Bönsch's Worte zu hören, wenn auch nicht sehr laut. Auf möglicherweise unerwünschte Zuhörer machte Bönsch dann ein Gast aufmerksam. Prompt wichen einige Züge von Bönsch's Vorschlägen ab. Sehr zur Belustigung der Kiebitze, im Kommentatorraum.
In der Partie bekamen die Damen zwar durch einen Bauernvorstoß am Damenflügel etwas Raum, aber ein richtiger Vorteil war das noch nicht. Erst als ein schwarzer Bauer verloren ging, neigte sich die Waage in Richtung Weiß. Ein Turmendspiel stand allerdings auf dem Brett und der Vorteil würde nur schwer zu verwerten sein. Irgendwann fanden die Dame aber eine Lücke in der gegnerischen Verteidigung - 1:0.
Den nun möglichen Stichkampf standen die Damen eher ablehnend gegenüber. Sie hatten bereits auf den Zuschauerplätzen Platz genommen, Olaf Koppe wollte bereits die Siegerehrung machen und die beiden jungen Männer saßen noch auf der Bühne am Brett und waren sich nicht ganz einig, wie es weitergehen sollte. Es war schließlich schon nach 21 Uhr, sechs Stunden Spiel lag hinter ihnen. "Wir sind älter und brauchen Ruhe" feixte Elisabeth Pähtz in Richtung Bühne. Ob der warmen Worte ließen sich die beiden Jungen erweichen.
DSB-Sportdirektor Uwe Bönsch nannte den Wettkampf trotz der Fehler, die bei kurzen Bedenkzeiten häufiger sind, "hochklassig". Zur Finalpartie äußerte er sich so: "Das Endspiel kann man vielleicht noch etwas nachbessern, da muß man nochmal gucken. Aber unter Druck ist das noch was Anderes, als wenn man zuhause sitzt und sich die Stellung in Ruhe anschauen kann. [...] Allen möchte ich recht herzlich gratulieren. 5:5 ist ein gerechtes Ergebnis."
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Kurzbericht beim nd
Bericht beim Berliner Schachverband
Bericht bei ChessBase
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19079