17. Oktober 2015
Von Michael Negele
„Als Besitzer einer umfassenden Sammlung von Schachwerken, mit deren Inhalt ich mich während vieler Jahre beschäftigt habe, glaube ich auch die Erfüllung einer nahe liegenden Aufgabe nicht unterlassen zu dürfen. Diese bestände in der Zusammenfassung der Ergebnisse meiner Studien auf historischem und literärem Gebiete. Damit würde ich zugleich eine Ergänzung meiner früheren theoretischen Thätigkeit und der bibliographischen Notizen herbeiführen, die sich zerstreut in meinen, an Schachfreunde und Bibliotheken vertheilten Catalogen befinden.“
So eröffnete Baron Tassilo von Heydebrand und der Lasa (* 17. Oktober 1818 in Berlin; † 27. Juli 1899 in Storchnest (Osieczna) bei Lissa, Provinz Posen, in folgenden „von der Lasa“ genannt) das Vorwort seines 1897 erschienenen Werkes Zur Geschichte und Literatur des Schachspiels, offenbar sich seiner schwindenden Kräfte gewiss. Davor liegen über 60 Jahre der intensiven Beschäftigung mit allen Facetten des Schachspiels, wohl initiiert in von der Lasas Studentenzeit. Der Vater Heinrich Joseph Karl von Heydebrand und der Lasa (*1790; †1868) war ein hoher preußischer Offizier im Rang einer General-Majors, die Mutter Emilie (*1785; †1875) eine geborene Thomann, verwitwete von Kleist. Die Familie war evangelisch, Tassilo war der Erstgeborene, der seine Kindheit in Potsdam verbrachte. Im Alter von 20 Jahren erwarb er zu Michaelis am Berliner Friedrich-Wilhelms-Gymnasium die Hochschulreife, das Militärjahr leistete er bei den Ulanen in Potsdam ab. Von der Lasa studierte Recht und Ökonomie (jura et cameralia - ein damals üblicher Studiengang) zuerst in Bonn, dann aber (ab 1839) in Berlin. Dort stieß er zur später als Siebengestirn (Plejaden) bezeichneten Gruppe von Berliner Meistern um Ludwig Bledow. In seinen Berliner Schach-Erinnerungen (Leipzig, 1859) gab von der Lasa einen Überblick über die kurze, aber bedeutsame Phase der frühen Schachgeschichte. 1845 arbeitete von der Lasa nach bestandenem Examen bei der preußischen Regierung in Trier, danach erschloss sich ihm eine lange und überaus erfolgreiche preußische, dann reichsdeutsche Beamtenkarriere.
Zuerst war er Attaché in Wien, dann rückte er zum Legationssekretär auf und wurde an den preußischen Gesandtschaften in Stockholm, Frankfurt a. M. und Brüssel beschäftigt. König Friedrich Wilhelm IV. ernannte ihn 1851 zum Kammerherrn; im folgenden Jahre wurde er Legationsrat. Ab 1857 bei der Gesandtschaft im Haag, ging er im nächsten Jahr als Geschäftsträger und designierter "Ministerresident" nach Rio de Janeiro (Brasilien).
Zwei Jahre war von der Lasa wieder in Deutschland, am 24. April 1860 vermählte er sich in Baden-Baden mit Anna von Helldorf (*1831; †1880), der Tochter des königlich-preußischen Kammerherrn Bernhard von Helldorf auf Gleina in der Provinz Sachsen. Dieser Ehe ist nur ein Sohn entsprossen: Heinrich (*1861 in Baden-Baden). Nach seiner Vermählung wurde von der Lasa als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister an den Hof zu Weimar bestellt. Das junge Ehepaar weilte jedoch häufig zu Besuch bei den Schwiegereltern in Baden-Baden.
Während des dänischen Krieges war von der Lasa in den Elbherzogtümern beim Oberkommando tätig, nach Friedensschluss vertraute ihm der König das verantwortungsvolle Amt des preußischen Gesandten in Kopenhagen an. Dort vertrat der Diplomat während der folgenschweren Ereignisse von 1866 und 1870/71 mit politischem Scharfblick die Interessen Preußens, später als Gesandter des Deutschen Reiches. 1878 erfolgte als äußere Anerkennung der geleisteten Dienste die Verleihung des Titels: "Wirklicher Geheimer Rat".
1880 verlor Tassilo von Heydebrand und der Lasa seine geliebte Gattin und damit wohl die Motivation für weitere diplomatische Dienste, und zog sich ins "Pensionopolis" Wiesbaden und ins Privatleben zurück. Zuvor war er für über ein Jahr (1878-80) am königlich-württembergischen Hof zu Stuttgart tätig.
Im Ruhestand unternahm von der Lasa einige Weltreisen, die letzte 1887/88, auf der er Australien besuchte. Er starb an Altersschwäche im 81. Lebensjahre, ohne Krankheit sanft hinüberschlummernd, auf Storchnest im Kreise seiner Familie.
Von der Lasa war Ehrenritter des Johanniterordens, ihm wurde der preußische Rote Adlerorden 2. Klasse mit dem Stern und Eichenlaub, sowie der preußische Kronenorden 1. Klasse und zahlreiche hohe ausländische Orden verliehen.
Neben seinen Leistungen auf dem Gebiete der Schachtheorie und Schachgeschichte, die hier bewußt ausgespart wurden (Ich verweise auf die unten beigefügten Ausführungen von Johann Berger und Otto Koch.) war Tassilo von Heydebrand und der Lasa um die Mitte des 19. Jahrhunderts einer der weltbesten Schachmeister. Seine höchste historische Elo-Zahl betrug 2630 im Januar 1852, er führte somit die Rangliste von Oktober 1851 bis Dezember 1852 an.
Mit seinem Freund Rudolf von Bilguer, aber auch mit Carl Mayet und Wilhelm Hanstein trug er in Berlin zahllose Partien aus, in wohl inoffiziellen Wettkämpfen besiegte er Howard Staunton und Adolf Anderssen.
Aufgrund seiner intensiven diplomatischen Laufbahn zog sich von der Lasa jedoch vom praktischen Spiel zurück, seiner Sammelleidenschaft blieb er bis ins hohe Alter treu.
Für sein unermüdliches Wirken für das Schachspiel wurde er im Jahr 1898 als Erster mit der Ehrenmitgliedschaft im Deutschen Schachbund ausgezeichnet. [Quelle]
Wesentliche Informationen sind dem Eintrag von W. Uhl zu Tassilo von Heydebrand und der Lasa in der Deutschen Biographie von 1905 entnommen.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 20325