8. August 2016
"Was Lange währt, wird endlich gut" schlug mir Michael Negele als Text vor, als ich sein allerneuestes Werk über Max Lange am heutigen Montagmorgen noch immer nicht online hatte. Dabei hatte er sich größte Mühe gegeben, mir das ganze Material noch am gestrigen Sonntag - Max Lange's 184. Geburtstag - zur Verfügung zu stellen. Mit so einem redaktionellen Druck hatte ich nicht gerechnet und das Projekt auf heute "verplant".
Frank Hoppe
Selten gestaltete sich eine breitgefächerte Schachbegeisterung, ja ein Opferwille für das Schach, über die gesamte Lebensspanne derart intensiv, wie es uns der Verlagsbuchhändler, Schriftsteller und Schachmeister, letztlich auch Schachfunktionär Dr. Max Lange vorlebte. Mag auch nicht alles vorbildlich erscheinen, was dieser von einem fast beängstigten Schaffensdrang getriebene Mann vor allem in seinen späten Jahren im deutschen Schach zu gestalten versuchte, so flößt mir allein das Resultat dieser Zusammenstellung enormen Respekt vor dessen Lebensleistung ein.
Schon früh beschäftigte sich der Sohn von Johann Gottfried Ludwig Lange, einem Magistrats-Assessor (gebürtig in Zeitz) und dessen Ehefrau Bertha Adelheid, geb. Gödecke [1], mit dem Schachspiel. Angeblich erlernte er es mit 15 Jahren, der weiter unten wiedergegebene Leserbrief an die Schachzeitung aus dem Jahr 1849 lässt auf einen noch früheren Beginn dieser Leidenschaft schließen.
In der Deutschen Schachzeitung Januar 1875 wird ausführlich über die erstaunlichen Aktivitäten des Pennälers Max Lange in Magdeburg berichtet. Zu Ostern 1848 wurde mit Gleichgesinnten die rasch wieder sich auflösendeSchachgesellschaft Sophrosyne [= besonnene Gelassenheit, im sokratische Sinne die Haupttugend eines Menschen] gegründet, und ab Januar 1849 redigierte der 17-Jährige deren Vereinszeitschrift, die Magdeburger Schachzeitung. Er zeichnete über ein Jahr bis Anfang 1850 für deren Erscheinen verantwortlich, ein Werk von erstaunlicher Reife.
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Erschienen ist diese im Verlag von Friedrich August Emil Baensch; möglicherweise waren dessen jüngere Brüder, allesamt Sprösslinge der Druckerei-Dynastie Baensch, Mitschüler von Max Lange am Magdeburger Dom-Gymnasium.[2]
Es sei explizit auf jene Magdeburger Schachtradition hingewiesen, die allzu oft vernachlässigt wird: Hier wirkte Johann Friedrich Wilhelm Koch bis zu seinem Tode am 3. März 1831 als Pädagoge und Prediger. Sein Die Schachspielkunst nach den Regeln und Musterspielen des Gustavus Selenus, Philidor, G. Greco Calabrois, Stamm und des Pariser Clubs (1801, bzw. 1803), später Codex der Schachspielkunst nach den Musterspielen und Regeln der größten Meister (1813, bzw. 1814) war wegbereitend für alle nachfolgenden Schachwerke deutscher Sprache.
Sicherlich war der Koch'sche Codex für den junge Max Lange ein Quellenwerk, er strebte nach wissenschaftlicher Klarheit und Erkenntnis, da war ihm das während der Märzunruhen 1848 zugesandte Bilguer'sche Handbuch des Schachspiels willkommene Orientierungshilfe. Überhaupt bot der wohl definierte Regelraum des Schachs dem begabten Jungen Halt: „Draussen in der Welt däuchte ihm so Vieles widerspruchsvoll und verworren, hier im Spiele fand er auch unter den schwierigsten Combinationen Alles klar, planvoll, verständlich nach bestimmten Regeln und Gesetzen.“[3]
Einen wesentlichen Einfluss auf den jugendlichen Drang, sich im Schachspiel zu beweisen, hatte sicherlich Wilhelm Hanstein, führender Meister der Berliner Schachschule um Ludwig Bledow, also einer der Berliner Plejaden.
Im Sommer 1848 war der Jurist Hanstein nach Magdeburg versetzt worden, er zeigte sich interessiert an der lokalen Schachgemeinde. Somit „bot sich ihm die Gelegenheit, ein bis jetzt noch unentwickeltes Genie zu erkennen und ihm Berater zu sein. Das war Max Lange, damals 16 Jahre alt. In einem Brief an [den damaligen Redakteur der Schachzeitung Otto von] Oppen vom 4. August 1848 schreibt er über ihn folgendes: "Neulich überraschte mich Herr Lange durch seinen Besuch. Es ist dies ein hiesiger Gymnasiast, der so eifrig Theorie und Praxis treibt, daß er bereits einen Gymnasiastenschachklub hier gebildet, auch schon Schachreisen in die Ferne (a la Bledow) unternommen hat, zum Beispiel ganz neuerdings nach Leipzig, wo Hirschbach keine Zeit hatte mit ihm zu kämpfen, und Graf Vitzthum eine Partie mit ihm zum Remis brachte. In der ersten freien Stunde gedenke ich ihm näher auf den Zahn zu fühlen.“[4]
Der junge Max Lange, dem Hanstein sich nicht recht traute, einen Turm vorzugeben und es bei drei Bauern und Anzug beließ, dürfte von diesem Einzeltraining sehr profitiert haben. Allerdings verstarb der Förderer, dem sein Schüler als „geistig so weit entwickelt und stets so erregt, daß einem bei seinem blassen Aussehen ganz angst und bang werden kann“ erschien, als kaum Vierzigjähriger im Herbst 1850 an einem Nervenfieber.
Aufgrund der kurzlebigen Publikation und sicherlich über die Vermittlung von Hanstein kam Max Lange in Kontakt mit Tassilo von Heydebrand und der Lasa, er stand mit diesem bis zu beider Lebensende in regem Austausch. In der Schachzeitung 1849 findet sich der bereits erwähnte Leserbrief An die Redaction der Berliner Schachzeitung:
Wenn hiermit ein begeisterter Verehrer des so edlen Schach es wagt, an die hohe Redaction des trefflichsten aller Schachjournale sich zu wenden, so können Sie versichert sein, dass ihn nur die innigste Liebe zu jenem, so wie der Wunsch, zu seiner Vervollkommnung in theoretischer Hinsicht etwas beintragen zu können, zu diesen Zeilen veranlasst hat. Von ihrem ersten Erscheinen verfolgte Unterzeichneter das Unternehmen der Berliner Schachzeitung mit dem regsten Interesse eines Lernbegierigen, der die theoretische Aus- und Durchbildung in der Sache, die er sich mit Ernst vorgenommen hat, erstrebt; und, nachdem er so weit gekommen, dass er die Kraft in sich fühlt, selbst etwas leisten zu können, richtet er ganz bescheiden die Bitte an eine hohe Redaction, mit gütiger Nachsicht den kleinen Aufsatz, den er hiermit der wohllöblichen Schachgesellschaft vorlegt, zu prüfen und zur Berücksichtigung für Ihr so ausgezeichnetes Journal zu bringen.
In der Hoffnung, dass es mir auch fernerhin gestattet sein möge, für das edle Schach wirken zu können, und im Vertrauen, auch noch späterhin das Vergnügen und die Ehre zu haben, für Ihre Blätter etwas liefern zu können und zu dürfen, zeichne ich mit Hochachtung ganz ergebenst M. Lange
Wohlbemerkt, dies schrieb ein kaum 17-Jähriger, selten ging eine Absichtserklärung besser in Erfüllung.
Ab 1852 studierte der Schachjünger Mathematik und Philosophie in Berlin, dort führte er seine Aktivitäten im Schach intensiv fort. Unter anderem errang er im April 1853 im Turnier der Berliner Schachgesellschaft hinter Jean Dufresne den zweiten Platz.
Die Studienzeit Langes wirkt unstet, er „wandte sich dann nach einem Ereignis, welches tief in sein Gemüthsleben eingriff, für einige Zeit dem Studium der Theologie zu.“[5]
Auch wechselte er häufig die Studienorte, es trieb ihn nach Halle, Jena und Heidelberg. (Ludwig Bachmann nennt in Aus Vergangenen Zeiten auch Leipzig.) Schließlich schloss Lange sein Studium der Jurisprudenz (ab 1854) und Philosophie im Jahr 1858 in Berlin mit Promotion ab.
Lange war strikt organisiert, seine Zeit war ab 1858 „durch diese doppelte Thätigkeit außerordentlich in Anspruch genommen. An den Vormittagen betrieb er seine Fachstudien, nach dem Mittagmahl folgte eine Schachpartie. Die Nachmittage und Abende waren meist mit theoretischen Arbeiten über das Schach ausgefüllt. (…) Dasselbe klare und folgerichtige Urtheil, welches Langes Schriften über das Schach kennzeichnet, half ihm auch die schwierigen Aufgaben des Lebens zu lösen und seine scheinbaren Widersprüche zu entwirren.“[6]
Was halten Sie, liebe Schachfreunde, von diesen beiden Fotos eines jungen Mannes.
Ist dies tatsächlich der Jurist und Schriftsteller Max Lange um 1860 in Berlin?
Beide Aufnahmen, die meines Wissens hier zum ersten Mal der Schachwelt präsentiert werden, gehören zu einem großen Konvolut von Fotografien von Freunden und Bekannten der Familie des Bildhauers Max Kruse und seiner Frau Käthe Kruse, der bekannten Puppengestalterin. Dieses befindet sich im Deutsche Kunstarchiv des Germanischen Nationalmuseums, Nürnberg. Trotz der wissenschaftlich fundierten Beschreibung und Zuordnung habe ich meine Zweifel, ob dies tatsächlich „unser Mann“ mit 28 Jahren ist. Unklar ist auch, in welcher Beziehung Max Lange damals zur Familie Kruse stand – wer kann helfend aufklären?
Während und nach dem Studium widmete sich Lange intensiv seinen schachpublizistischen Arbeiten, die er weitestgehend bis zu seinem 30. Lebensjahr vollendete. Hier ein (hoffentlich) kompletter Überblick:
Später bearbeitete Lange neben den Neuauflagen des Lehrbuches und des Morphy-Bandes noch die deutlich erweiterte Zweitauflage von Bledows Korrespondenzpartien, Veit & Comp., Leipzig 1872, sowie die siebte Auflage (Letztausgabe?) von Christian Friedrich Gottfried Thon Meister im Schachspiel, B. F. Voigt, Weimar 1881.
Nahezu alle Werke Langes sind antiquarische Raritäten geworden, die sich durchweg als e-Books im Internet finden lassen. Überdauert hat der nach ihm benannte Max-Lange-Angriff im Zweispringerspiel im Nachzuge, der sich noch heute in allen Theoriebüchern findet: 1. e2-e4 e7-e5 2. Sg1-f3 Sb8-c6 3. Lf1-c4 Sg8-f6 4. d2-d4 e5xd4 5. 0-0 Lf8-c5 6. e4-e5.[7]
Ein Blick in Langes Werke offenbart den überzeugenden Hang zu Systematik, zur regelgerechten Darbietung, ja zur Definition einer „Überordnung“. Dies strebte Lange nicht nur für die theoretische Ausbildung in seinen Lehrbüchern an, sondern auch aus der Praxis für die Praxis. So lautet der Beginn des Vorwortes seiner Sammlung Neuer Schachpartien, die er der Leipziger Augustea widmete: „Die deutsche Schachliteratur bietet für das rein praktische Spiel nur äußerst spärliche Leistungen, während die theoretische Ausbildung in Lehrbüchern wie Einzelschriften zu einem hohen Grade klarer und reicher Entwicklung gelangt ist.“
Lange verknüpft Theorie und Praxis, „auf diesen Doppelzweck stützt sich wesentlich die Beachtung des angedeuteten Grundsatzes, welcher theoretische Neuerungen im praktischen Spiele zu üben empfiehlt.“
Diesem Werk soll Paul Morphy Anregung und Ausbildung verdankt haben, so später Daniel Willard Fiske (an Max Lange).
Das Lehrbuch des Schachspiels wurde ins Ungarische (1860); in der Zweitauflage ins Holländische und Russische, auszugsweise in Italienische, übersetzt; das vielbeachtete Morphy-Buch unmittelbar nach Erscheinen (1860) von Ernst Falkbeer ins Englische übertragen.
Langes ‚Opus magnum‘, das Handbuch der Schachaufgaben (1862), das dem sogenannten Kunstschach einen Überbau schaffen sollte, charakterisiert Rudolf von Gottschall als „ein geistvolles Werk, der wichtigste Beitrag zu seiner Philosophie des Schachs, aus dem viele hier zuerst gebrauchte Wendungen und Kunstausdrücke auf dem Gebiete der Problemkunst ganz geläufig und gebräuchlich geworden sind, ohne dass man sich von der Herkunft derselben Rechenschaft zu geben wusste.“[8]
Lange wurde - seit Jahren schon deren Mitarbeiter - ab 1858 (mit dem weitgehend inaktiven Adolf Anderssen) Herausgeber der Schachzeitung, deren Verlag von Veit & Comp. im darauffolgenden Jahr von Berlin nach Leipzig übersiedelte.
Eine andere von ihm gegründete Zeitschrift, das Sonntags-Blatt für Schach-Freunde, erschien von Januar bis September 1861 in Leipzig, ebenfalls bei von Veit & Comp. Es war als Ergänzung zur Schachzeitung gedacht, offenbar fruchtete dieses Konzept nicht. Doch Max Lange blieb seinen Schachfreunden nichts schuldig, zumindest was die finanzielle Kompensation betraf.
1859 lebte Lange zeitweise in Breslau, saß dort natürlich auch mit Adolf Anderssen am Brett. Auf diese Zeit geht Rudolf von Gottschall in seinem Nachruf anekdotisch ein.
Dort in Breslau traf Max Lange offenbar auch Otto Spamer, Eigentümer einer Verlagsbuchhandlung in Leipzig, was seinen weiteren Lebensweg entscheidend prägen sollte.
Max Lange folgte also nicht nur der Schachzeitung nach Leipzig, er trat 1862 in die Verlagsbuchhandlung Otto Spamer ein, wurde 1864 Mitinhaber und heiratete 1868 die Tochter des Verlegers, Elisabeth Magdalena Wilhelmina Rosamunde Spamer (*1848). Aus dieser Ehe gingen mehrere Kinder hervor.[9] Nach dem Tode seines Schwiegervaters war Max Lange vielbeschäftigter Alleininhaber der Verlagsbuchhandlung, diese Stellung gab er 1891 auf und lebte als durchaus vermögender Privatier in Leipzig.
Denn in der Zeit nach 1870 war die Verlagsbuchhandlung Otto Spamer extrem expandiert, der umtriebige Verleger hatte den Schwerpunkt auf auflagenstarke Familien- und Volksschriften, sowie der Kinder- und Jugendliteratur gelegt, die zumeist reichlich illustriert war. Die Liste dieser Serien ist umfänglich, diese verlegerische Tätigkeit nahm Max Lange auch als produktiven Autor in Anspruch. Er verfasste selbst populäre Lebensbilder über Abraham Lincoln (1866), Fürst Bismarck (1885) und Kaiser Wilhelm I. („Wilhelm der Große“, 1888) und eine ganze Reihe anderer auflagenstarker (bis zu 300.000) Schriften.
Zu nennen wäre Rothschilds Taschenbuch für Kaufleute, das Lange von 1864-1887 herausgab, er war beteiligt am Illustrierten Kaufmännischen Lexikon, dem Buch der Erfindungen, der Illustrierten Geschichte, Spamers Konversationslexikon usw.
Oft nutzte Lange Pseudonyme, so Mac Gleans und Max Godeck, ob das ihm unter dem Pseudonym Heinz Credner zugeordnete Buch Das Damespiel nach älterer und neuerer Spielweise auf deutsche wie polnische Art, von Veit, Leipzig(1886) tatsächlich aus seiner Feder stammt, konnte nicht geklärt werden.
Natürlich sind auch Langes Schachspalten in der Leipziger Illustrierten Zeitung oder Payne's Familienjournal zu erwähnen, der Mann war über allen Maßen produktiv.
Es ist somit verständlich, dass sich Max Lange nur noch wenige Jahre im praktischen Spiel betätigte. Zwischen 1860 und 1870 zählte er zu den stärksten deutschen Schachmeistern, lediglich Louis Paulsen erwies sich als überlegen und gewann 1864 in Leipzig einen Wettkampf deutlich mit 5:2.Vielleicht war es Paulsens extrem langsame Spielweise, die den nervigen Max Lange ohne Chance ließ.
Dieser war 1862 in Düsseldorf im ersten Hauptturnier des Westdeutschen Schachbundes erfolgreich, desgleichen in den Folgeturnieren 1863 und 1864 an gleichem Ort. 1868 siegte Lange im Turnier des Norddeutschen Schachbundes in Hamburg und beim Aachener Kongress des Westdeutschen Schachbundes nach Stichkampf mit Adolf Anderssen.
An Gründung und Aufbau dieser frühesten deutschen Schachverbände war Lange maßgeblich beteiligt.
Louis Paulsen (1833-1891, links) bei einer freien Partie mit Dr. Max Lange während des ersten Kongress des Westdeutschen Schachbundes in Düsseldorf. Die Lithographie wird häufig deren Wettkampf in Leipzig 1864 zugeordnet.
Erst 1883 nahm der über 50-Jährige zur allgemeinen Überraschung nochmals am Nürnberger Meisterturnier des 1877 auch mit Langes Unterstützung in Leipzig gegründeten Deutschen Schachbundes teil. Möglicherweise war der Verzicht auf den Vorsitz des Leipziger Kaufmännischen Vereines, dem Lange von 1877 bis 1883 vorstand, der Auslöser für diese unerwartete Rückkehr zum Schach. Allerdings überstieg dies Langes Möglichkeiten und er sah sich nach 13 gespielten Partien aus „Geschäftsrücksichten“ genötigt, abzureisen. Seine letzten fünf Partien verlor Lange somit kampflos, er hatte 5 Punkte erzielt. Sehr viel später wurde ihm dieser Rücktritt negativ ausgelegt, was mir unter Berücksichtigung von Langes beruflicher Verantwortung ungerecht erscheint.
Offenbar unterlag Max Lange dem verhängnisvollen Irrtum, in seinem wohlverdienten Ruhestand an die früheren Verdienste um das deutsche Schach anknüpfen zu können.
Zudem fühlte er sich der Deutschen Schachzeitung und deren Herausgeber Hermann Credner (1842-1924) persönlich verbunden, sodass ihn die permanenten Angriffe auf das Leipziger Verbandsorgan durch den Konkurrenten Deutsches Wochenschach durchaus tangierten.
Dessen Chef-"Ideologe" Albert Heyde kritisierte öffentlich schon zu Hermann Zwanzigs Zeiten, also in Dresden 1892, die "undemokratische" Leitung des Schachbundes, die faktisch nur aus dem Verwalter, also dem jovialen Zwanzig bestand. Das DWS und seine Protagonisten forderten Entmonopolisierung der Informationswege - also über die DSZ -, die Internationalisierung deutscher Turniere und die stärkere Einbeziehung der Vereinsinteressen. Wohlbemerkt, es geht ums Jahr 1892, nicht 2016 ...
Nach dem plötzlichen Tod von Hermann Zwanzig am 6. Januar 1894 trat Dr. Max Lange, unmittelbar in die Verantwortung für den nahenden 9. DSB-Kongress in seiner Heimatstadt, wobei er durchaus auch seine Privatschatulle öffnete.
Es kam zu heftigen Debatten auf der Bundesversammlung, auf der Heyde und John Bierbach die Berliner Interessen, Siegbert Tarrasch Süddeutschland vertrat. Dessen "Slogan" lautete: "An die Stelle des einen Zwanzig einen müssten zwanzig Einer treten.", dies unterstrich die Forderung nach einem mehrköpfigen Vorstand.
Hier erneut ein Ausschnitt aus dem „Wimmelbild“ Leipzig 1894 (bereits im Paul Seuffert-Beitrag erläutert), das Max Lange stehend hinter Dr. Carl Schmid (aus Dresden, mit Hut) zeigt. Ebenfalls am Brett sitzen von links Jacques Mieses, Siegbert Tarrasch und Emanuel Lasker, in dessen Rücken Emanuel Schiffers. Rechts neben Max Lange stehen Georg Marco und Prof. Carl Göring, die links stehenden Herren sind mir unbekannt.
Damit sollte das Ende des Leipziger Alleinanspruches besiegelt werden, doch Max Lange wurde für zwei Jahre als Bundesverwalter bestätigt. Man sieht auf dem Bildausschnitt des Gruppenfotos Lange förmlich die Auszehrung an. Diese Führungsrolle lag ihm, dem ehemaligen Verlagsleiter, nicht sonderlich. Hatte Zwanzig den DSB in seiner etwas poltrigen, aber stets verbindlich-großzügigen Art "gemanagt", wollte Dr. Lange das deutsche Schach auch programmatisch führen. Das konnte nur schiefgehen, denn in der Frontbildung gegen ihn war man sich einig. Um den vom Nürnberger Schachklub auszutragenden 10. Kongress kam es dann zu einem beispiellosen Eklat: Was als ein großartiges Ereignis und Werbung für den DSB geplant war, entwickelte sich zu einem schriftlich ausgetragenem Kleinkrieg zwischen Tarrasch und Christian Schröder auf Nürnberger Seite und dem Einzelkämpfer aus Leipzig.
Lange hat Unterlagen aus Nürnberg mit einem Rotstift korrigiert - offenbar üblich in seinem Verlag - es wurde ihm übel ausgelegt. Am Ende sah sich der Nürnberger Schachklub nicht mehr an seine Zusage gebunden und richtete das Turnier in Eigenregie aus. Tarrasch, der in Nürnberg Emanuel Lasker als großartigen Sieger ertragen mußte, und die Berliner, deren Kandidat John Bierbach beim DSB-"Notkongress" in Eisenach gegen Max Lange unterlag, scheiterten mit ihrem Misstrauensvotum gegen den Bundesverwalter.
Nachdem dem Berliner Turnier 1897 bei Weitem nicht der Erfolg vergönnt war, den sich die "Separatisten" erwünscht hatte, wirkten die Versuche, Max Lange aus dem Amt zu drängen, resignativ. Vor dem Kölner DSB-Kongress 1898 konstatierte das DWS in einem anonymen Leserbrief wenig Konstruktives: " So lange der jetzige Bundesverwalter an der Spitze steht, wundern wir uns über nichts mehr!(...) Wir haben ja schon vor 2 Jahren erklärt, dass der jetzige Bundesverwalter seinem Amte in keiner Weise gewachsen sei, wir haben ihm die ärgsten Widersprüche in seinen Reden und Handlungen nachgewiesen; aber man hat ihn dort mit großer Mehrheit wiedergewählt. (...) Aber was hilft das Alles, der Bundesverwalter wird sein Vertrauensvotum erhalten und wird den Bund allmählich aber sicher zu Grunde richten. Wir sind des aussichtslosen Kampfes, den wir auf Delegierten-Versammlungen und in zahlreichen Artikeln geführt haben, müde und trösten uns mit der Thatsache: 'Der Bund verdient denjenigen Verwalter, den er sich wählt.'
Für eine vollständige Aufarbeitung dieser frühen Krise des DSB ist hier kein Raum.
Dem Coburger Schulprofessor Dr. Rudolf Gebhardt gelang es ab Ende 1901, die Berliner Vereine wieder im DSB zu integrieren.[10]
In einem Punkt war die Kritik an Max Lange berechtigt, er war dem Amt spätestens nach 1896 nicht mehr gewachsen. Sein durch ständiges Arbeiten an der Leistungsgrenze überspanntes Nervenkostüm war zerrüttet, offenbar plagten ihn Konzentrationsschwächen und Vergesslichkeit. All dies mag gesundheitlich bedingt gewesen zu sein, was auch das zuletzt rechthaberische und gereizte Auftreten auf dem DSB-Kongress in Köln des hochgebildeten und honorigen Charakters erklären mag.
Lange erhoffte sich Linderung für seine nervöse Störung durch eine Kur in Italien, ein Schlaganfall beendete jäh ein Leben voller Schaffenskraft. Der um das Wohl seiner Heimatstadt sehr bemühte Honoratior wurde unter großer Anteilnahme auf dem Leipziger Johannisfriedhof bestattet.
Offenbar wollte seine Witwe mit dem Schach nichts mehr zu tun haben, seine umfängliche Sammlung an Schachliteratur und Dokumenten wurde schon im nächsten Jahr zum Verkauf angeboten. Bei dieser Aktion mögen die Partie-Mitschriften der Kongresse 1894, 1896 und 1898, die der Bundesverwalter sichten und als Turnierbuch veröffentlichen wollte, im Altpapier gelandet sein.
Das Schlusswort sei mit Albert Hild eingeleitet, der 1932 konstatierte:
Leicht bei einander wohnen die Gedanken, doch hart im Raum stoßen sich die Sachen.
Es wäre tatsächlich ungerecht und undankbar, Langes hohe Verdienste um das deutsche Schach zu schmälern. Den Ruhm, das Schach als Erster - noch umfassender als von der Lasa - nach wissenschaftlichen Grundsätzen behandelt zu haben, kann seine letzte, eher unglücklich verlaufene Schaffensphase nicht trüben.
Michael Negele
14.08.2016
GM Thomas Luther schrieb an Michael Negele: "Herzlichen Glückwunsch zum Artikel über Dr. Max Lange. In meinen Büchern und DVD's weise ich gerne auf historische Partien hin und daher hat es mich besonders gefreut, dass ein solch umfangreicher Text zu einem großen Meister erschienen ist. Ich möchte mir jedoch einen kleinen Hinweis erlauben. Für uns Schachspieler zählt immer das Spiel am meisten. Max Lange ist für zahlreiche Angriffspartien bekannt. Diese sollten einen anständigen Anteil in einem Werk über den Schachmeister Dr. Max Lange haben. Ein großartiger Sieg mit einer schönen Mattkombination gelang Max Lange in einer seiner Partien gegen Adolf Anderssen. Eine wunderbare Kombi, die sich auch in vielen Büchern findet."
Um diese "Partie" zwischen dem großen Meister Adolf Anderssen und Max Lange ranken sich so einige Ungereimtheiten. Zum Beispiel handelt es sich dabei vielmehr um eine Analyse, die keinesfalls in einem Match entstand, wie es in ChessBase-Datenbanken gespeichert ist. Interessant ist darin der Zug 9. Rg1, wie man es in den ChessNotes von Edgar Winter nachlesen kann. Hierbei handelt es sich nicht um die englische Schreibweise für Tg1, sondern um eine kurze Rochade! Michael Negele: "Das zitierte Buch verwendet tatsächlich statt 0-0 Rg1 (oder Rg8) und entsprechned Rc1 (oder Rc8) für 0-0-0. Das mag darauf zurückzuführen sein, dass die Erstausgabe von des Thon'schen 'Meister im Schachspiel' von 1840 ist, da war dies die gängige Art, die Rochade darzustellen. Erst mit Alexandre (1837) wurde 0-0 und 0-0-0 bekannt, denke er war so gar der 'Erfinder' von 0-0-0. Das entstand wohl aus 0-0 C. 0-0 kommt bereits bei Allgaier vor."
Zur Analyse selbst schreibt Michael Negele: "Das Ganze ist keineswegs die 8. Partie eines (nie gespielten) Matches, sondern offenbar das Resultat einer analytischen Erörterung zwischen Anderssen und Lange aus dem Jahr 1859. Toll finde ich, dass die Herren einen 'irren Zug' wie 7. ... Lg4 auf das Brett hämmerten, der ja eine Figur 'einstellt' und dann auch noch Se4 spielen. Gut, der Bauer f3 kann ja nur auf g4 oder e4 nehmen. Leider stellt FRITZ gnadenlos fest, dass Weiß mit 10. De1 Material gewinnt. Das ist wiederum 'einfach', wenn man erkennt, dass 11. ... Lc5+ und 12. ... Sg3+ droht."
Negele weiter: "Irgendjemand hat für die ChessBase-Datenbanken die 'schönere' Variante 15. ... Txh5+ 16. gxh5 De4 17. Df3 Dh4+ 18. Dh3 De1+ 19. Kh2 Lg1+ ausgewählt, die auf James Mason (in Social Chess 1900) zurückgeht. Doch 17. La4+ verlängert diese Mattsetzung."
Und hier eine echte Partie von Max Lange, die er 1853 in Berlin gegen Karl Mayet, einen der "Plejaden" spielte. Mayet war der Vetter von Wilhelm Hanstein.
Frank Hoppe
[1] Angabe nach Egbert Meissenburg in Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 568 [Onlinefassung]. Schon 1906 hatte Ludwig Julius Fränkel ein Lebensbild von Max Lange in Allgemeine Deutsche Biographie Band 51, Duncker & Humblot, Leipzig 1906, S. 577 f dargestellt.
[2] Diese ehrwürdige Institution erwähnt Leopold Hoffer in seiner biographischen Darstellung in The Chess Monthly, die im Dezember1894 (S.98f) erschien.
[3] Dieses und die folgenden Details sind einer ausführlichen Lebensskizze durch einen anonymen Verfasser (F. v. K.) in der Deutschen Schachzeitung Januar 1875, S. 1ff entnommen.
[4] Das Zitat ist dem Beitrag von Otto Koch über Wilhelm Hanstein im Deutschen Wochenschach, 4. Oktober 1908, S. 363 entnommen.
[5] Welches Ereignis dies war, gibt die bereits ausgeführte Darstellung in der Deutschen Schachzeitung 1875 nicht preis. Möglicherweise hängt es mit einer ominösen Brustverletzung Langes zusammen, die auch R. v. Gottschall in seinem Nachruf in der DSZ 1900 erwähnt.
[6] Erneut zitiert nach Deutschen Schachzeitung 1875.
[7] Hier möchte ich unbedingt auf die Existenz von Dr. Max Lange II (*25. April 1883 in Stettin; †1. September 1925 beim Erdbeben in Japan) hinweisen, einem Mathematiker aus Berlin. Sein Büchlein Das Schachspiel und seine strategischen Prinzipien, Teubner, Leipzig 1910, wird selbst in renommierten Katalogen und Bibliografien dem „großen“ Max Lange zugeordnet. Weitgehende Klarstellung lieferte Peter Gütler in Kaissiber 13, Januar-März 2000.
[8] Nachruf von Rudolf von Gottschall in der Deutschen Schachzeitung 1900.
[9] Drei der Lange-Kinder, die 1932 in Berlin, Magdeburg und Leipzig lebten, erwähnt Albert Hild in seinem Geleitwort „Zur 100. Wiederkehr des Geburtstages von Dr. Max Lange“ in den Deutschen Schachblättern am 15. August 1932.
[10] Eine vertiefte Darstellung findet sich in Das Verbrechen des Mr. Heyde in Kaissiber Nr. 18, März-Juni 2002.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21206