1. November 2018
Zum zweiten Mal nach 1937 wird eine Schachweltmeisterschaft der Frauen gleich zweimal im gleichen Jahr stattfinden. Vor 81 Jahren siegte die damals überrragende Vera Menchik erst klar im Zweikampf gegen Sonja Graf, wenige Wochen später abermals in einem 14-rundigen Turnier mit sagenhaften 14:0 Punkten und weitem Vorsprung vor 25 überforderten Mitbewerberinnen.
So klar wie in der Anfangszeit der Frauenweltmeisterschaften ist die Sache heutzutage nicht mehr. Es gibt zwar absolute Ausnahmekönnerinnen wie die Chinesin Yifan Hou, doch hinter ihr gibt es noch so einige andere Kandidatinnen für den Schachthron. Und die spielen ab morgen im russischen Chanty-Mansijsk um den (zweiten) Weltmeistertitel 2018. Erst im Mai fand eine Weltmeisterschaft als Zweikampf zwischen den Chinesinnen Tan Zhongyi und Ju Wenjun in Shanghai und Chongqing statt. Die Herausforderin Ju Wenjun siegte und ist in Chanty-Mansijsk nun die Gejagte. Zu ihren Jägerinnen gehört auch Elisabeth Pähtz, die im Feld der 64 Spielerinnen zum erweiterten Favoritenkreis gehört.
Die 33-Jährige spielt in diesem Jahr soviel wie selten zuvor. Die Website 2700chess.com hat bereits 118 Partien von ihr ausgewertet. Allein im letzten Monat kamen 26 Partien hinzu: Schacholympiade in Batumi, Europacup für Frauenvereinsmannschaften in Porto Carras und das Masters auf der Isle of Man. Gerade das letzte Turnier auf der britischen Insel in der Irischen See war noch einmal ein sehr harter Prüfstein für Chanty-Mansijsk. Fünf ihrer (männlichen) Gegner hatten Elo 2600 und höher, drei davon sogar über 2700. Die Punkteteilungen gegen den letzten WM-Herausforderer Sergej Karjakin, den Weltklassemann Boris Gelfand und gegen David Howell ragen dabei heraus. Bleibt bei so intensivem Wettkampfspiel überhaupt noch Zeit für eine Vorbereitung auf die schon länger feststehende Kontrahentin in der ersten WM-Runde? Elisabeth Pähtz: "Man bereitet sich gewöhnlich schon intensiver auf seine Gegnerin vor. In meinem Fall ist das diesmal nicht möglich, weil ich bis Ende Oktober non-stop spiele ... Die letzten Male schied ich trotz intensiver Vorbereitung [bei Weltmeisterschaften] stets früh aus. Vielleicht läuft es diesmal ja 'ohne' besser?!"
"Ohnehin denke ich aber, dass - zumindest bei mir - die Nerven beim K.o.-Modus eine wesentlich größere Rolle spielen als die theoretische Vorbereitung. Ich versuche, mir im Vorfeld so wenig Gedanken wie möglich zu machen. Inwieweit das meine Nerven 'beruhigt', kann ich allerdings selbst nicht sagen. K.o. heißt bis zu einem gewissen Grad immer auch 'Lotterie'."
Der Lottochef, sprich die FIDE, ist für die erste Knock-out-Runde allerdings streng nach Elo-Zahlen vorgegangen. Als Nummer 10 spielt Elisabeth gegen die Nummer 55 Mobina Alinasab. Die 18-jährige Iranerin wurde 2016 Asienmeisterin bei der Jugend und gewann im gleichen Jahr die Silbermedaille bei der U16-Weltmeisterschaft in Chanty-Mansijsk. Im vergangenen Jahr wurde sie iranische Frauenmeisterin und war damit eine der Nachfolgerinnen von Atousa Pourkashiyan, die sechsmal den Landestitel holte. Gegen Pourkashiyan spielte Elisabeth in der 1. Runde bei der Frauenweltmeisterschaft 2017. Die beiden kannten sich bereits aus der Frauenbundesliga. Die 12 Jahre jüngere Alinasab kennt Elisabeth nicht: "Sie ist jung und ich denke, dass ist im K.o.-System allgemein immer von Vorteil. 2001 schaffte ich es als 16-Jährige ins Achtelfinale, das gelang mir danach nur noch einmal - 2004, danach schied ich immer früher aus. Allerdings ist es in diesem Jahr bis jetzt gut bei mir gelaufen. Ausgenommen Batumi, aber das irritiert mich nicht. Batumi hatte größtenteils nicht-schachliche Ursachen."
Chanty-Mansijsk, das durch seine Erdöllagerstätten zu Reichtum gelangte, ist seit den 2000er Jahren als Wintersportzentrum und Schachmekka bekannt. Die Stadt liegt im asiatischen Teil Russlands rund 800 km östlich vom Ural am Fluß Irtysch. Die Jahrestemperaturen reichen von +23 bis -23 Grad Celcius. Im November ist es schon bitterkalt mit -7 bis -14 Grad. Elisabeth, die schon seit Anfang September nicht mehr zuhause war, wird deshalb auf dem Weg nach Sibirien einen Zwischenstopp in Moskau einlegen und dort Winterkleidung kaufen.
Hat die deutsche Nummer eins bei der Weltmeisterschaft wieder einen männlichen oder weiblichen Begleiter, wollten wir von Elisabeth wissen. Im letzten Jahr ist Bundestrainer Dorian Rogozenco mit in den Iran geflogen. Bis zu unserem Interviewtermin vor eineinhalb Wochen war aber noch nicht klar, ob der uns unbekannte Großmeister, der sie per Skype wahrscheinlich unterstützen wird, nach Chanty-Mansijsk mitreist. Sie wird aber wohl auf jeden Fall jemandem haben, der sie perfekt auf die jeweiligen Spielerinnen vorbereitet. Nach der Iranerin könnte in Runde 2 schon Monika Socko oder Julia Schwaiger als Gegnerin warten. Damit beschäftigt sie sich aber nicht. Wichtig ist immer nur die aktuelle Gegnerin: "Ich schaue Runde für Runde."
Elisabeth glaubt übrigens nicht, das Wenjun Ju ihren Titel verteidigen wird und verweist wieder auf den Lotteriefaktor bei so einem Turnier. "Seit 2001 hat es noch keine Frau geschafft, ihren Titel im K.o.-Modus zu verteidigen." Sollte diese Vorhersage eintreffen, dann steigen Elisabeths Chancen auf den Titel von 1:64 auf 1:63 ;-) Das Potential für den ganz großen Wurf hat sie auf jeden Fall. Viel Erfolg und viel Glück, Elisabeth!
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Frank Hoppe
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