8. September 2020
Heute wird Dr. Friedrich "Fritz" Baumbach 85 Jahre alt. Der Deutsche Schachbund gratuliert recht herzlich und wünscht ihm für die Zukunft alles Gute und noch viele schöne Stunden im Kreis der Familie und seiner Schachfreunde!
Baumbach erlernte im Alter von 14 Jahren das Schachspiel von Nachbarkindern. Ein Jahr später (1950) siedelte er mit seiner Familie von Gera nach Ost-Berlin über. 1953 machte er sein Abitur und begann danach ein Chemie-Studium an der Humboldt-Universität. Von 1961 bis 1966 war er wissenschaftlicher Assistent an dieser Uni. Baumbach promovierte 1966 und war ab 1967 Mitarbeiter der Patentabteilung der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin. Seit 1999 war er als Patentanwalt in Berlin-Buch selbständig.
Seine erfolgreiche berufliche Karriere wurde von einer noch erfolgreicheren Schachkarriere getoppt. Ende der 1960er Jahre gehörte er zu den besten Schachspielern in der DDR. 1968 wurde er Zweiter bei der DDR-Meisterschaft, 1970 holte er gar den Titel. Dazu weiter unten mehr.
Mit einer Elo-Zahl von 2460 lag Baumbach 1971 auf Platz 116 der Weltrangliste!
Zwischen 1960 und 1971 spielte Baumbach 37 mal für die DDR-Nationalmannschaft, darunter 1970 bei der Schacholympiade in Siegen (BRD), wo er ungeschlagen blieb und u. a. gegen Ex-Weltmeister Wassili Smyslow remisierte.
Im Fernschach brachte es Baumbach noch zu weit höheren Weihen. 1967 war er bereits Internationaler Meister des internationalen Fernschachbundes ICCF. Der Großmeistertitel folgte 1973. Zehn Jahre später wurde er Vizeweltmeister, 1988 sogar Weltmeister im Fernschach. Er war der zweite Deutsche, nach Horst Rittner, dem dies gelang. 1995 gewann er mit der DDR die letzte Medaille für ein seit viereinhalb Jahren nicht mehr existierendes Land: Bronze bei der Fernschach-Olympiade. 1999 kam noch eine Goldmedaille mit der (gesamt-)deutschen Fernschach-Olympiamannschaft hinzu.
Von 1993 bis 2010 war Baumbach Präsident des Deutschen Fernschachbundes (BdF) und von 1995 bis 1999 Generalsekretär des ICCF.
Fernschachspieler haben so einige Anekdoten auf Lager. Von Fritz Baumbach gibt es eine ganz berühmte, die von Hartmut Metz im Schach-Magazin 64 2011 in einem Interview mit Baumbach festgehalten wurde. Sie ereignete sich 1988 beim Kampf um die Fernschachweltmeisterschaft:
Ich warf meinen Zug gegen Gennadi Nesis am Abend in den Briefkasten ein. In der Nacht schreckte ich plötzlich auf und fragte mich verzweifelt, ob ich nach einem Springeropfer von ihm mit nachfolgendem Angriff auf meine zwei Läufer nicht sofort verliere. Ich sprang aus dem Bett und analysierte bis morgens um 6 Uhr am Brett die Folgen - kam aber zu keinem eindeutigen Ergebnis. Ich musste also die Postkarte zurückhaben! Die Briefkastenleerung erfolgte vor meiner Wohnung stets um 8 Uhr. Also postierte ich mich eine halbe Stunde vorher vor diesem und wartete auf den Postbeamten - mit einem Geldschein in der Tasche für alle Fälle! [...] Der Mann zeigte sich zunächst widerspenstig und verwies mich darauf, dass ich mein Anliegen bei der Hauptpost vorbringen müsse. Aber dort hätte ich sie niemals mehr bekommen. Ich war zu allem bereit, auch zum kurzzeitigen Raub (lacht)! Den Rest der Weihnachtspost in dem Sack hätte ich natürlich wieder zurückgegeben, der interessierte mich ja nicht … Letztlich erbarmte sich der Postbeamte aber ohne Bestechung doch, und ich wühlte in dem kurz vor Weihnachten überfüllten hohen Postkasten nach meiner Karte, bis ich sie aus dem riesigen Stapel fischte. Die ganzen Weihnachtstage über analysierte ich die Stellung und kam zur Erkenntnis, dass mein Bauernvorstoß spielbar war. Daher sandte ich die Karte aufs Neue ab, nur meine verbrauchte Bedenkzeit änderte ich.
Für seine Verdienste im Schachsport wurde Fritz Baumbach vielfach ausgezeichnet. So erhielt er 2016 vom Deutschen Schachbund die Ehrenplakette in Gold, vierzehn Jahre zuvor - aus Anlaß des 175. Geburtstages des Deutschen Schachbundes - eine Ehrenurkunde. 2011 wurde ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland überreicht.
Mit "Überraschungssieger in Freiberg" überschrieb die Zeitschrift SCHACH ihren sehr ausführlichen Beitrag in Heft 4/1970. Die DDR-Meisterschaft der Frauen wurde von der Oberschülerin Christina Hölzlein gewonnen, die Meisterschaft der Männer von einem Akademiker: Fritz Baumbach. Baumbachs Sieg war in "jeder Beziehung sportlich einwandfrei, was ohne Neid auch von der Konkurrenz anerkannt wurde" (SCHACH 4/1970, S. 99), denn es fehlten einige Spitzenspieler. Vor dem Freiberger Turnier im Februar 1970 gab es Absagen. Großmeister Wolfgang Uhlmann (der leider kürzlich verstarb) blieb aus gesundheitlichen Gründen der Meisterschaft fern, andere Spieler aus arbeitsmäßigen Gründen. Darunter auch der erste Großmeister der DDR, Wolfgang Pietzsch. Für Pietzsch spielte der 19-jährige Student Wolfgang Dietze. "Er konnte als die eigentliche Überraschung der Freiberger Tage bezeichnet werden" schreibt SCHACH. Dietze wurde sehr guter Vierter.
Ähnliches schrieb SCHACH über Baumbach:
Auch nicht gerade als Favorit ging der meisterschaftserfahrene Dr. Baumbach in den Kampf. Er ist seiner Spielweise nach kein Himmelsstürmer. Sachlichkeit, Nüchternheit und Zweckmäßigkeit kennzeichnen seinen Stil. Auch sich selbst gegenüber läßt er es an Objektivität nicht fehlen. Schon mehrfach konnte er in den letzten Jahren im Verlaufe einer Meisterschaft zeitweilig Positionen in der Spitzengruppe einnehmen, und mehrfach fehlte es zum Schluß an Spielkraft, an Kondition. In Freiberg teilte er seine Kräfte ein, speicherte neue Kraft durch häufige Skitouren und entwickelte eine außerordentliche Energie, als sich für ihn Titelchancen ergaben. Gern läßt er in seinen Partien den Gegner kommen, ist auch bereit, stundenlang schwere Verteidigungen auf sich zu nehmen, und ergreift seine Chancen, sobald sich diese bieten. Diese Spielweise, die das Streben nach Initiative nicht absolut in den Vordergrund stellt, ist zwar nach heutiger Auffassung nicht so modern, doch hat nach einem Wort von Großmeister Keres jeder Stil seine Berechtigung, solange er Erfolge bringt.
Nachfolgend die Tabelle der Meisterschaft, zwei Fotos, ein Interview mit dem neuen DDR-Meister und eine von Baumbach kommentierte Partie.
Pl. | Name | Titel | Verein | Pkt. | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 0 | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 0 |
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1. | Dr. Friedrich Baumbach | M | DAW Berlin | 14,0 | x | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 |
2. | Heinz Liebert | IM | Buna Halle | 13,0 | ½ | x | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | ½ |
3. | Artur Hennings | IM | SG Leipzig | 13,0 | ½ | ½ | x | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | ½ |
4. | Wolfgang Dietze | MA | Buna Halle | 12,0 | ½ | ½ | ½ | x | ½ | 1 | ½ | 1 | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ |
5. | Lothar Vogt | M | SG Leipzig | 12,0 | ½ | ½ | ½ | ½ | x | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 0 | ½ | 1 | 1 | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 |
6. | Manfred Schöneberg | M | SG Leipzig | 11,0 | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | x | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | ½ | 1 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ |
7. | Günther Möhring | MA | Buna Halle | 11,0 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | x | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | ½ |
8. | Detlef Neukirch | M | SG Leipzig | 11,0 | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | x | 0 | 1 | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | ½ | ½ | 1 | 1 |
9. | Lutz Espig | M | Buna Halle | 10,5 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | 0 | 1 | x | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 |
10. | Uwe Küttner | MA | Medizin Neubrandenburg | 10,0 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | x | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 | ½ | 1 |
11. | Reinhard Postler | MA | Buna Halle | 10,0 | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | 0 | x | 1 | 0 | 1 | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 1 |
12. | Joachim Brüggemann | MA | EVB Motor W. Erfurt | 9,0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | 0 | x | 1 | 0 | 0 | 1 | 1 | 1 | ½ | ½ |
13. | Hermann Brameyer | M | DAW Berlin | 9,0 | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 1 | 1 | 0 | x | ½ | 1 | 1 | 0 | 1 | ½ | 1 |
14. | Manfred Böhnisch | M | SG Leipzig | 8,5 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | x | 1 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 |
15. | Rainer Knaak | MA | SG Leipzig | 8,5 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | 1 | 0 | 0 | x | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 |
16. | Eberhard Geissert | MA | Aktivist Lauchhammer | 8,0 | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | x | 1 | 1 | ½ | 1 |
17. | B(ernd) Schmitz | MA | Chemie Lützkendorf | 6,5 | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | x | ½ | ½ | 1 |
18. | Gerd Lorenz | MA | SG Leipzig | 6,0 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | 1 | 0 | ½ | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | ½ | x | ½ | 1 |
19. | Harald Darius | MA | Motor Magdeburg Südost | 4,0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | x | 1 |
20. | Günter Walter | MA | Lok Brandenburg | 3,0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | x |
34 Jahre alt ist der neue DDR-Meister Dr. Fritz Baumbach und damit in Anbetracht des sich erst jetzt eingestellten bislang größten sportlichen Erfolges gewissermaßen ein „Spätentwickler". Wir führten mit dem Berliner folgendes Interview:
Seit wann spielen Sie Schach, in welchen Gemeinschaften?
Schach lernte ich im Alter von 14 Jahren von Nachbarkindern in Gera. Noch im gleichen Jahr (1949) trat ich der Schachgemeinschaft Gera-Untermhaus bei. 1950 siedelte unsere Familie nach Berlin über. Ich wurde dann Mitglied bei Lichtenberg 47 und kam mit deren Jugendmannschaft 1953 zum Gewinn des DDR-Mannschafts-meistertitels. Die weiteren Stationen waren Union Oberschöneweide, SC Motor, TSC Oberschöneweide, TSC Berlin und DAW Berlin. Mehrmals war ich an deutschen Meistertiteln in diesen Mannschaften beteiligt.
Worauf führen Sie zurück, daß Ihnen bei den früheren sieben Teilnahmen an DDR-Meisterschaften, abgesehen von dem zweiten Rang 1968 hinter Uhlmann, ein größerer Erfolg versagt blieb?
Meine berufliche Entwicklung - Studium der Chemie und Promotion als Dr. rer. nat. - ließ mir vielleicht ungenügend freie Zeit für das Schachspiel. Bei früheren DDR-Meisterschaften habe ich durch schlechte Krafteinteilung meist nicht durchgehalten. In Freiberg, wo ich anfangs verhalten spielte, gelang mir das besser. Außerdem bin ich oft Ski gelaufen, und das dürfte zur Konditionsverbesserung nicht unwesentlich beigetragen haben.
Es ist bekannt, daß Sie viel Fernschach spielen. Nach Erringung des Titels Inter
nationaler Fernschachmeister bewerben Sie sich sogar um den Großmeistertitel im Lenin-Gedenkturnier der sowjetischen Schachföderation. Glauben Sie, daß das Fernschach Ihr Spiel am Brett beeinflußte?
Fernschach ist indirekt ein guter Trainingsfaktor, denn man wird gezwungen, sich ständig mit Schach zu befassen. Direkt vermittelte mir das Fernschach gute Eröffnungskenntnisse und analytische Fähigkeiten. Dies ist wichtig bei der Analyse von Hängepartien.
Welches sind Ihre nächsten schachlichen Pläne?
Zunächst möchte ich beim Lenin-Gedenkturnier in Moskau, an dem außer dem Gastgeber die Städte Leningrad, Riga, Kasan, Warschau, Berlin und Leipzig teilnehmen, am 1. Brett von DAW Berlin erfolgreich abschneiden. Und dann sind die Finalkämpfe der Europa-Mannschaftsmeisterschaft in Kapfenberg (Österreich) noch wich-tiger. Gern würde ich nach einigen Jahren Pause wieder ein internatio-nales Einzelturnier mitspielen.
Nun noch eine ganz andere Frage. Sie äußerten sich bei früherer Gelegenheit über Schachcomputer. Halten Sie es für möglich, daß solche Computer - wie Dr. Botwinnik in Aussicht stellte - den Kampf mit Großmeistern bestehen können?
Wissenschaftler stellten die Prognose, daß etwa 1980 Computer existieren werden, die das menschliche Gehirn in bezug auf Speicherfähigkeit und Schnelligkeit der Informationsverarbeitung übertreffen. Solche entsprechend programmierten Computer müßten demzufolge auch in der Lage sein, einen Großmeister zu schlagen.
Die Prognose der von Baumbach zitierten Wissenschaftler ging schon 1977 in Erfüllung. Damals verlor der frischgebackene Großmeister Michael Stean (*1953) eine Blitzpartie gegen das Schachprogramm "Chess 4.6". Es war die erste dokumentierte Niederlage eines Großmeisters gegen ein Elektronenhirn. Die Partie ist im englischen Wikipedia-Artikel von Stean verewigt. Der Engländer zog sich 1982 vom Turnierschach zurück und widmete sich fortan seiner Arbeit als Steuerberater.
Die verschiedenen Versionen von "Chess" dominierten in den 1970er Jahren die Computerschachszene. Die Version 4.6 war von 1977 bis 1980 Weltmeister. Im Zusammenhang mit "Chess" erlangte auch IM David Levy (*1945, Schottland) Berühmtheit, der 1968 wettete, das in den nächsten zehn Jahren kein Computerprogramm einen Wettkampf gegen ihn gewinnen würde. Er gewann die Wette, mußte aber 1978 beim 3½:1½ gegen "Chess 4.7" eine Niederlage einstecken.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 10494