2. Januar 2016
[* 2. Januar 1859 in Nieder Weistritz (heute Bystrzyca Dolna, Kreis Schweidnitz, heute Świdnica) in Niederschlesien, bis 1886 Polnisch Weistritz, † 22. November 1932 in Erfurt]
Der Geburtsort Riemanns liegt ca. 53 km südwestlich von Breslau (Wrocław)
Erinnerungen an den letzten Schüler Adolf Anderssens
von Michael Negele
Das nebenstehende Bildnis von Fritz Riemann wurde von seiner Tochter Katharina Riemann auf der Rückseite datiert, es stammt aus dem Jahr 1894. Dadurch ist uns auch der Name des Vaters Wilhelm und der Mutter Anna, eine geborene Promnitz(?) überliefert.
Die aktive Schachlaufbahn des Anderssen-Schülers Fritz Riemann währte nur fünfzehn Jahre, zumindest ist dies der Zeitraum, auf den sich Riemann in seinen erst 1925 im Verlag Walter de Gruyter (Berlin und Leipzig) erschienenen Erinnerungen bezieht. Dieses heutzutage gesuchte Buch (in grünen Ganzleinen, es gibt auch eine hellbeige gebundene Ausgabe) ist ein Monumental-Werk von 514 Seiten mit fast 600 (in erster Linie freien) Partien und Fragmenten, das durch den Abstand von 44 Jahren (Eigentlich sogar 52 Jahre, aber die Einleitung war von Riemann Ende Oktober 1917 vollendet worden.) wie eine Zeitreise in das Breslauer Schachleben wirkt. Das Werk sollte ursprünglich zum 100. Geburtstag des Altmeisters Anderssen erscheinen, doch die Geschehnisse des Weltkrieges und der wirtschaftlichen Krise danach durchkreuzten diese Absicht. Dazu schrieb der Hamburger Paul Krüger, herausgebender Redakteur der Deutschen Schachblätter im Oktober 1925:
"Fritz Riemann, der deutsche Altmeister [! – Riemann zog sich nach 1888 als 29Jähriger aus dem Turnierbetrieb zurück – MN], der letzte Anderssen-Schüler, der in den achtziger Jahren als heller Stern am deutschen Schachhimmel leuchtete, um dann auf der Höhe seines Könnens nach dem Jubiläumsturnier zu Leipzig 1888 sich völlig vom Turnierspiel zurückzuziehen, hat in diesen Tagen das große Werk seines Schachlebens vollendet. Von unbestechlichem Wahrheitssinn erfüllt, kein Schönfärber, ein Mann, der auch den Gegner Gerechtigkeit widerfahren läßt, ist er damit in die Reihe der deutschen Schachhistoriker getreten. Es ist also der gegebene Augenblick, ihn, der durch sein Werk zu den Epigonen von vergangenen Zeiten spricht, der deutschen Schachwelt auch bildlich näher zu bringen."
Riemanns Vater - gemäß seinem Sohn „ein nicht zu unterschätzender starker“ Schachspieler - hatte sich in Breslau als Kaufmann niedergelassen. Im Adressbuch von 1868 findet sich die von einem Paul Riemann geführte Sämereien-Handlung in der Kupferschmiedestraße 8, dort wohnte auch Wilhelm Riemann. Der Junior hatte offenbar als Zwölfjähriger das Schachspiel erlernt, denn 1921 feierte Riemann sein 50. Schachjubiläum. Aus diesem Jahr ist das Foto mit seinem zwei Jahre älteren Schachfreund Alexander Fritz (aus Alsfeld, 1857-1932) überliefert, beide wurden beim Jubiläums-Kongress des Deutschen Schachbundes 1927 in Magdeburg zu Ehrenmitgliedern ernannt.
Es klingt nahezu märchenhaft, was sich damals in Breslau ereignete: Als dem 14-jährigen Obertertianer, der seinen Vater in einem Wettkampf 7:2 besiegte, bewusst wurde, dass sein Mathematik-Lehrer am Friedrichsgymnasium jener Schachmeister Adolf Anderssen war, der das Londoner Turnier 1851 gewonnen hatte, wollte er unbedingt seine Spielstärke mit diesem erproben. Am 16. Juni 1873 kam es in der Gartenwirtschaft zum Völkel zu einem denkwürdigen Wettstreit: Anderssen gab Turm und Anzug vor, konnte aber nur eine Partie gewinnen, die zweite wurde unentschieden. Zu Weihnachten 1873 kam es zu einer Wiederholung, diesmal verlor Anderssen beide Turmvorgabe-Partien und auch drei Partien mit Springer-Vorgabe. Danach postulierte der Altmeister, er könne dem jungen Riemann keine Figur mehr vorgeben, wohl aber Bauer und zwei Züge. Als dann Emil Schallopp dem Jugendlichen im Juni 1874 bei einem Besuch in Breslau erklärte, wie diese Vorgabe zu behandeln sei, spielte Anderssen mit seinem Schüler nur noch gleichauf. Sie mögen an die 1000 Partien in den nächsten Jahren miteinander gespielt haben. Im Juli 1877 nahm der Primaner am Hauptturnier des Leipziger Gründungskongresses teil, musste sich aber in der zweiten KO-Runde Dr. Carl F. Schmid (Dresden) beugen, mit dem er dann den ersten Preis im nachfolgenden freien Turnier teilte.
Ende September 1878 machte Riemann sein Abitur und nahm sein Jurastudium in Leipzig auf, seinen todkranken Lehrer sah er nochmals zur Weihnachtszeit. Beim ersten, offiziellen Kongress des Deutschen Schachbundes - wiederum in Leipzig und vier Monate nach dem Tod Anderssens ausgetragen - spielte Riemann (als Mitglied der Leipziger Augustea) im Meisterturnier und landete knapp hinter den Preisträgern.
Er glänzte als Blindsimultan-Geber, eine Disziplin, die er später als „schachliche Jahrmarktsschaustellung“ ablehnte. Schon 1880 erstrahlte Riemann wie ein „Komet am Schachhimmel“, als er beim Kongress des Westdeutschen Schachbundes in Braunschweig hinter Louis Paulsen den zweiten Platz errang. Doch seine beruflichen Ambitionen ließen Riemann wenig Spielraum für eine Schachkarriere: Der Student (ab Wintersemester 1879 in Berlin) beteiligte sich mit wechselndem Erfolg an den drei Meisterturnieren der nachfolgenden Schachkongresse: Berlin 1881 (als Mitglied der dortigen Schachgesellschaft; 6,5 aus 16), Nürnberg 1883 (als Rechtsreferendar in Beuthen, Oberschlesien; 10,5 aus 18, 6./7. Preis, geteilt mit Henry Bird), Hamburg 1885 (wieder in Breslau ansässig, 9,5 aus 17, 8./9. Preis, geteilt mit Emil Schallopp). Damit war dann die Schachkarriere des Rechts-Assessors Riemann nahezu beendet, am Frankfurter Kongress 1887 konnte er sich nicht beteiligen.
1888 erhielt Riemann seine erste Anstellung als Amtsrichter im Hirschberg (Niederschlesien) und trat in den Stand der Ehe.
Damit hatte Riemann Wettkampfschach endgültig abgeschlossen, lediglich bei den Kongressen des Thüringer Schachbundes, zu dessen Ehrenmitglied Riemann 1903 ernannt wurde, war er ein gern gesehener Gast. In den Jahren 1922 bis 1924 wiederholte sich dann fast die Geschichte: Der junge Herbert Heinicke (1905-1888) lebte mit seiner Familie in Arnstadt und machte in Erfurt das Abitur. Fritz Riemann war dort einer seiner Schachlehrer.
Die Stadt Erfurt hatte Riemann 1893 als besoldeten Stadtrat angestellt, am 4. Juli 1894 ging die an der Steiger-Chaussee (Nr. 11) gelegene, 1880 erbaute Mietetagenvilla des Eisenbahn-Bauunternehmers Scheibner an die Familie Riemann über, die die sogenannte Beletage bewohnte.
Der frischgebackene Ehemann spielte sich beim Jubiläumsturnier der Leipziger Augustea nochmals ganz an die Spitze, in dem er mit Curt von Bardeleben den ersten Platz teilte.
Das Amt eines Stadtverordneter hatte Riemann bis 1917 inne, während des Ersten Weltkrieges war er Pressezensor, Polizeidezernent und Vorsitzender des Gewerbe- und Kaufmannsgerichts, von 1920 bis 1926 Vorsitzender des Schlichtungsausschusses.
Im Nachruf der Thüringischen Allgemeinen Zeitung Ende November 1932 stand zu lesen:
„Man feierte ihn als den feurigsten unter den deutschen Meistern, durch die hinreißende Kraft und Eleganz seines Angriffsspiel“ – ein bemerkenswerter Nimbus nach einer kaum zehn Jahre währenden Schachlaufbahn.
Text auf der Rückseite des Brettes:
Dieses Brett wurde von Anderssen stets zu Hause benutzt, wenn er eines Solchen benötigte.
Er hatte es von einem Schachfreunde zugeeignet erhalten. Mir schenkte es 1879 die Schwester Anderssens.
Erfurt, den 4.Mai 1913 Riemann, Stadtrat
Als Fritz Riemann 1932 verstarb, erbte das Schachspiel Anderssens dessen Tochter Katharina. Brett und Figuren fristeten nun ein Dasein auf dem Dachboden, bis 1970 der Ostberliner Schachhistoriker Dr. Joachim Petzold aufgrund der in Riemanns Buch beschriebenen Textstelle nach den Riemann-Nachfahren suchte und tatsächlich die Tochter, kurz bevor diese verstarb, auffand. Auf etwas verschlungenen Pfaden gelangte schließlich ein Großteil des Riemann'schen Nachlasses in das Schachmuseum von Hans-Jürgen Fresen in Bochum. So auch das Ölgemälde des Altmeisters Adolf Anderssen, das sicherlich erst nach dessen Tod auf Grundlage der bekannten Lithographie entstand.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 20611