23. Dezember 2016
Dieser ergänzte Beitrag basiert auf einer Tischrede, die am 5.11.2016 beim Treffen der deutschen Sektion der Chess Collectors International (CCI) http://www.cci-deutschland.de/ im ostthüringischen Altenburg gehalten wurde. Zwar nicht im wunderschönen Schloss, wo die gelungene Veranstaltung ausgerichtet wurde, sondern im gastlichen Ratskeller.
Acedia (griechisch ἀκήδεια: Achtlosigkeit, Nachlässigkeit oder „Nichts machen wollen“) zählt zu den sieben Hauptlastern.
Die Grundbedeutung ist Müßiggang (als Gegensatz zu Fleiß) verbunden mit Bitterkeit (als Gegensatz zu Freude). Ein damit belasteter Mensch erscheint als des Lebens Mühen überdrüssig, ihm oder ihr mangelt es an Energie und Dynamik. Solche Charaktere hegen Groll über ihr Lebensschicksal, bzw. wirken kleinmütig und verzweifelt, sie legen eine stumpfe Gleichgültigkeit gegenüber Vorschriften und Regeln an den Tag.
Damit scheint einer der bedeutendsten Schachgroßmeister des frühen 20. Jahrhunderts zumindest in seiner späten Lebensphase durchaus zutreffend beschrieben. Jener Richard Teichmann war ein „Berufs-Bohemien“, dessen Ablehnung bürgerlicher Arbeit die Bereitschaft zum Verzicht voraussetzte. Kennzeichnend für diesen als äußerst friedfertig verrufenen Remis-Künstler war der Zwiespalt zwischen Erfolgsverachtung und seinem Durchsetzungsverlangen.
Milan Vidmar [im Turnierbuch Karlsbad 1911] kommentierte dies mit feiner Ironie:
Der Schachweltbeherrscher Dr. Emanuel Lasker sieht einen neuen Statthalter einziehen und zwar in seiner wichtigsten Provinz, wo ihm selbst die Wiege stand. Er hat viel Sorgen gehabt mit diesem Teil seines Weltreiches. Noch vor nicht allzu langer Zeit mußte er einen unbotmäßigen Vize-König niederwerfen. [Eine Spitze Richtung Siegbert Tarrasch, seit Nürnberg 1906 kein „Freund“ Vidmars – MN.] Der neue Mann ist keiner neuer Mann mehr. Ein seltenes Missgeschick hat der Schachwelt einen Stern erster Größe verborgen, einen Mann, der nach Dr. Lasker sicherlich bei weitem der größte deutsche Meister ist. Er war fast in jedem Turnier fünfter, weil dieser Platz für ihn bequem zu haben war. (…) Teichmann war niemals ein trockener Spieler. Er machte viele Remisen, aber wenn er einmal spielte, gab es immer Feuer.
Rudolf Spielmann, ein langjähriger Weggefährte Teichmanns (und selbst der Acedia zugeneigt) äußerte sich vier Jahre nach Teichmanns Tod in Ein Rundflug durch die Schachwelt (S. 57f) weniger schmeichelhaft:
(…) Ein Grobian ganz anderer Natur (bezogen auf Dawid Janowski – MN) war Teichmann. Ein Gelehrter an Bildung, athletisch gebaut und trotz seiner Einäugigkeit das Schachspiel mit wunderbarem Positionsblick beherrschend, war er von einer beispiellosen, stark an Faulheit grenzenden Behäbigkeit. Denkbar gering war sein Ehrgeiz, denkbar groß dagegen sein Bedürfnis nach friedlichem Behagen. Wenn er grob wurde, geschah es nur, weil er sich irgendwie in seiner Ruhe bedroht fühlte. Wie er trotzdem ein so bedeutender Schachmeister werden konnte, ist fast ein Rätsel.
Das Schachspiel interessierte ihn auch gar nicht besonders, ein rechtschaffender Ringkampf, ein gutes Glas Whisky oder die selbstverständliche Virginia-Zigarre konnten ihm viel mehr Vergnügen bereiten. (…) Mit zunehmendem Alter wurde Teichmann noch behäbiger und beteiligte sich nur höchst ungern an Turnieren. Seine Schachrubrik in einer Schweizer Zeitung kam allwöchentlich nur nach mehrtägigem Anlauf unter Ächzen und Stöhnen zustande.
Hier sollte nun unbedingt ein Kontrapunkt gesetzt werden, dazu diene Emanuel Laskers wehmütiger, vom eigenen Weltschmerz durchsetzter Nachruf in der Schachzeitung der Düsseldorfer Nachrichten vom 5. Juli 1925:
Das Schachspiel hat durch den Heimgang von Richard Teichmann einen herben Verlust erlitten. Da er schon lange kränkelte (…) ist sein Hinscheiden unauffällig; aber wer sich der alten Generation von Meistern noch erinnert (…), wird die feine Kunst Teichmanns sehr vermissen. (…) Jene Zeit hatte einen Charakterzug, der dem heutigen Geschlecht mangelt: das Feuer des Abenteuers brannte in ihrem Blute, in ihren Augen, in ihren Odem. (…) Jetzt weiß man mehr als damals, und jetzt ist man kalt geworden; ist kalt, selbst wo man den künstlerischen Wahnsinn ausgezeichnet zur Schau stellt. (…) Freilich war Teichmann als Kämpfer zu sehr Hamlet; die Kühnheit, die Entschlusskraft fehlte ihm bisweilen an entscheidenden Punkten; als Denker aber und als Urteilfällender war er eine anregende, zur Reife gelangte Persönlichkeit.
Pl. | Name | Pkt. | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Richard Teichmann | 9,0 | x | 1 | 1 | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 |
2. | Ehrhardt Post | 7,5 | 0 | x | 0 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 |
3. | Rudolf Spielmann | 7,0 | 0 | 1 | x | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 |
4. | Paul Saladin Leonhardt | 6,5 | ½ | 0 | 1 | x | ½ | 1 | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | 1 |
5. | Dawid Przepiorka | 6,5 | 0 | ½ | 0 | ½ | x | ½ | 1 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 |
6. | Erich Cohn | 6,0 | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | x | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 |
7. | Ernst Heilmann | 5,0 | ½ | 0 | 1 | ½ | 0 | ½ | x | 0 | ½ | 1 | 0 | 1 |
8. | Theodor von Scheve | 5,0 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | 1 | x | 1 | 0 | 0 | 1 |
9. | Horatio Caro | 4,5 | ½ | 1 | 0 | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | x | 1 | 1 | 0 |
10. | Wilhelm Cohn | 4,0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 1 | ½ | 0 | 1 | 0 | x | 0 | 1 |
11. | Emil Schallopp | 4,0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | 1 | x | 1 |
12. | Kurt Moll | 1,0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | x |
Schon weit früher hatte sich Emanuel im “Brief aus Berlin” vom 30. Oktober 1907 anlässlich des von Teichmann gewonnenen Jubiläumsturnieres der Berliner Schachgesellschaft wie folgt geäußert:
Dieser Sieg bestätigt die Ansicht jener Kenner, dass Teichmann die Schar junger Meister in einem kurzen Turnier schlagen wird. Tatsächlich ist er für jedermann ein ernsthafter Gegner, jedoch wird sich in einem langwierigen Wettstreit der Verlust seines rechten Auges immer als äußerst ernsthafte Behinderung erweisen.
[Lasker’s Chess Magazine November 1907, S. 4]
Hier eine Partie von Teichmann aus diesem Turnier:
Durch die Schachliteratur geistert die Mär, dass Lasker und Teichmann exakt auf den gleichen Tag geboren sind. Zurückzuführen ist dies wahrscheinlich auf Leopold Hoffer und dessen biographical sketch vom November 1894. Hoffer war offenbar ein Förderer Teichmanns, denn dessen Konterfei, das dem Abiturs-Porträt entspricht, zierte damals die Titelseite in The Chess Monthly. Hier die fehlerhafte biographische Skizze, dem Betroffenen selbst kam es ohnehin nicht auf einen Tag an …
Der Auszug aus dem Kirchenbuch des Amtsgerichts Altenburg und weitere Dokumente belegen: Richard Ernst Teichmann wurde am 23. Dezember 1868 (also ein Tag vor Lasker) im Flecken Lehnitzsch geboren und am 15. Januar 1869 in der Pfarre Stünzhain evangelisch getauft. Der Knabe war der fünfte Sohn (und neuntes Kind) des Hausgenossen, späterem Handgutsbesitzer (und Fuhrmanns in der Ehrenberger Brauerei) Wilhelm Teichmann und dessen Frau Justine, geborene Hofmann.
Hausgenossen (Die heutzutage geläufigere Bezeichnung “Gesellen“ hatte im Handwerk die gleiche Bedeutung.) waren bäuerliche Knechte. Ein Handgutsbesitzer hatte keinen Grundbesitz, aber Viehbestand sein Eigen nennen, somit stammte Teichmann aus recht einfachen Verhältnissen.
Lehnitzsch und Stünzhain gehören heute zum Altenburger Ortsteil Ehrenberg. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Residenz Altenburg sicherlich nicht durch die 1832 gegründete Spielkartenfabrik der Gebrüder Bechstein (später ASS), sondern vor allem wegen des Anschlusses ans Schienennetz der Sächsisch-Bayerischen Eisenbahn beträchtlichen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren.
Der intelligente Junge fand offenbar Förderer, vielleicht war es sein Pate August Uhlemann, Steinbruchs-Unternehmer und Hausbesitzer aus Paditz. Ab Ostern 1880 kam Richard als Sextaner ans renommierte herzogliche Friedrichs-Gymnasium.
Der Junge hat wohl zuvor durch einen Unfall - bisweilen heißt es Schulbubenstreich - das rechte Auge eingebüßt. Diese Verletzung sollte Teichmann sein ganzes Leben lang beeinträchtigen, seinen schulischen Erfolg schmälerte dieses Handikap nicht. Die im Thüringischen Staatsarchiv komplett überlieferten Zeugnisse sind mit „Einsen“ gespickt, in jeder Jahrgangsstufe bis 1884 war Richard Teichmann der „Klassen-Primus“ und erhielt wiederholt Buch- und Geldprämien.
In der Obertertia (1884/85) ergab sich dann offenbar eine tiefgreifende Veränderung:
Das Kollegium am Friedrichs-Gymnasium hielt das Betragen des Sechzehnjährigen für „in letzter Zeit leider tadelnswert“ und „er wurde mit drei Stunden Karzer bestraft, weil er in einem berüchtigtem Wirtshaus verkehrt hat“. Laut dem bereits widergegebenen The Chess Monthly war das Jahr 1885 der Auftakt zu Teichmanns Schachkarriere.
(Oder war der Leistungseinbruch doch nur eine pubertäre Irritation?)
Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass Dr. Julius Albert Schwabe, Mitglied jenes Lehrerkollegiums, Vorsitzender des bis 1886 existierenden Schachklubs in Altenburg war, der 1877 zu den Gründungsmitgliedern des Deutschen Schachbundes gehörte.
Im Oster-Zeugnis 1886 (Untersekunda) ist Teichmanns Betragen „nicht ohne Tadel“ und sein Fleiß „den Fähigkeiten entsprechend nicht angestrengt genug“. Dieser Maßstab seiner Lehrer kann durchaus an die gesamte Schachlaufbahn angelegt werden.
In der Oberstufe besann sich der vormalige Musterknabe seiner Stärken und war in den drei Jahren bis zum Abitur erneut Klassenbester. Der Zwanzigjährige durfte am 27. März 1889 bei der Entlassungsfeier der Abiturienten als „Primus Omnium“ die Abschlussrede in lateinischer Sprache halten. Teichmann erhielt den Preis des Herzogs Ernst I. von Sachsen-Altenburg für den „tüchtigsten Abiturienten“ (eine goldene Uhr) und das Böttnersche Stipendium in ungewöhnlicher Höhe von 350 Mark.
Pl. | Name | Land | Pkt. | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 | 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 | 26 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Richard Teichmann | GEM | 18.0 | * | 1 | 1 | 1 | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 |
2 | Akiba Rubinstein | 17.0 | 0 | * | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 0 | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | |
3 | Carl Schlechter | AUT-HUN | 17.0 | 0 | ½ | * | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 0 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 |
4 | Gersz Rotlewi | 16.0 | 0 | ½ | 1 | * | 1 | 1 | 0 | 0 | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 | 0 | 1 | 1 | 1 | |
5 | Frank James Marshall | 15.5 | ½ | 1 | ½ | 0 | * | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 0 | 1 | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | |
6 | Aron Nimzowitsch | 15.5 | 0 | ½ | ½ | 0 | ½ | * | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | |
7 | Milan Vidmar | AUT-HUN | 15.0 | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | * | 0 | ½ | 1 | 0 | 1 | ½ | 0 | 1 | ½ | 1 | 0 | 0 | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 |
8 | Paul Saladin Leonhardt | GEM | 13.5 | ½ | 0 | 0 | 1 | ½ | 1 | 1 | * | ½ | 0 | 1 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 1 | ½ | 1 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 0 |
9 | Savielly Tartakower | AUT-HUN | 13.5 | 0 | ½ | ½ | 0 | ½ | 1 | ½ | ½ | * | 1 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 | 1 | 0 | 0 | 1 |
10 | Oldrich Duras | AUT-HUN | 13.5 | 1 | 0 | 1 | ½ | 0 | 1 | 0 | 1 | 0 | * | 0 | 0 | ½ | 1 | 0 | 0 | ½ | 1 | 1 | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | ½ | 1 |
11 | Alexander Aljechin | 13.5 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | * | 0 | 0 | 1 | ½ | 1 | 0 | ½ | 0 | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | ½ | 1 | |
12 | Rudolf Spielmann | AUT-HUN | 13.0 | 0 | 1 | ½ | 0 | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | 1 | * | 0 | 1 | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 0 | 0 | 1 | 0 |
13 | Julius Perlis | AUT-HUN | 12.0 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | * | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 0 | 1 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 |
14 | Erich Cohn | GEM | 11.5 | ½ | 0 | 0 | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | * | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | ½ | 1 | 1 | 0 |
15 | Grigori Löwenfisch | 11.5 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | 1 | ½ | 0 | 0 | ½ | * | 1 | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 | 0 | 1 | 0 | |
16 | Hugo Süchting | GEM | 11.5 | 0 | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | 1 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | * | 1 | 1 | 0 | ½ | 0 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 |
17 | Amos Burn | 11.0 | 1 | 0 | 0 | 1 | ½ | ½ | 0 | 0 | 1 | ½ | 1 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | * | 0 | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 0 | 0 | |
18 | Gersz Salwe | 11.0 | ½ | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | 0 | 0 | ½ | ½ | 0 | 1 | ½ | 0 | 1 | * | 1 | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | ½ | |
19 | Paul Johner | 10.5 | ½ | 0 | ½ | 0 | 1 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | 0 | ½ | 1 | ½ | 0 | * | ½ | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | |
20 | Abram Rabinowitsch | 10.5 | ½ | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 1 | 0 | ½ | 1 | ½ | 0 | 0 | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | * | ½ | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | |
21 | Boris Kostic | AUT-HUN | 10.5 | 0 | ½ | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | ½ | 1 | 0 | 1 | ½ | ½ | 0 | ½ | * | ½ | 1 | 1 | 0 | 1 |
22 | Fjodor Dus-Chotimirski | 10.0 | 0 | ½ | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | ½ | * | 1 | 0 | 0 | 1 | |
23 | Simon Alapin | 8.5 | ½ | 0 | ½ | 1 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | 1 | 1 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | 0 | * | ½ | ½ | 0 | |
24 | Oscar Chajes | 8.5 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | 1 | 0 | 0 | 1 | 1 | 0 | 1 | 0 | 0 | ½ | 0 | 1 | 0 | 1 | ½ | * | 0 | 1 | |
25 | Hans Fahrni | 8.5 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | ½ | ½ | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | ½ | 1 | * | 0 | |
26 | Charles Jaffe | 8.5 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | 1 | 0 | 1 | ½ | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 1 | * |
Damit verknüpft war sicherlich die Erwartung einer glänzende akademischen Karriere: Richard Teichmann war offenbar ein Sprachtalent und nahm deshalb das Studium Neuerer Philologie an der Berliner Universität auf. Der Wechsel in die Großstadt im Sommer 1889 brachte seine Drang, sich im Schach zu beweisen, mit Vehemenz zum Ausbruch: Das Winterturnier der Berliner Schachgesellschaft gewann der 21-Jährige vor Carl August Walbrodt, Heinrich Ranneforth und Horatio Caro.
In diesem Zusammenhang von Interesse erscheint der Rückblick von Emanuel Lasker nach Teichmanns Triumph in Karlsbad 1911 in der Schachspalte der Berliner Zeitung am Mittag:
(…) Teichmann ist in die Arena des öffentlichen Schachspielers ungefähr zur selben Zeit wie ich eingetreten. Anfang der Neunziger Jahre war ich, ein junger Student, nach England, dem damaligen Dorado der Schachspieler, ausgewandert, Teichmann ist mir ein paar Monate später gefolgt. Wir haben immer recht freundschaftlich miteinander verkehrt, und einmal, als es sich darum handelte, wer zuerst durch eine Tür gehen sollte, haben wir konstatiert, daß wir nicht wissen, wer von uns der Ältere ist. Wir sind genau am selben Tage geboren. [sic] Von Teichmann kann man rühmen, daß er nie Künstlerneid gefühlt hat. (…) Er hat sich überhaupt nie auf den Platz gestellt, der ihm eigentlich nicht gebührte. Ellenbogenenergie fehlt ihm. (…)
Theodor von Scheve (1851-1922), ein Berufsoffizier wurde der Mentor des talentierten, aber in der Theorie des Spiels noch völlig „unterbelichteten“ Jungmeisters. Im nächsten Winterturnier der BSG landete der Vorjahressieger allerdings abgeschlagen auf dem vorletzten Platz. Vielleicht deshalb und im Gegensatz zu Lasker setzte Teichmann seine universitäre Ausbildung in Modernen Sprachen fort: Sommer 1891 erfolgte der Wechsel an die Universität Jena und der Abschluss des Sprach-Diploms. Der Grund für diesen Wechsel blieb unklar, vielleicht wurde einem neuerlichen Gesuch Teichmanns um Unterstützung in Jena (also an einer thüringischen Hochschule) entsprochen.
Angeblich auf Anraten von Scheves - vielleicht zusätzlich motiviert durch Laskers Londoner Erfolge - ließ sich der Altenburger ab März 1892 in den englischen Metropole nieder, ursprünglich um als Sprachenlehrer zu arbeiten.
In London spielte Teichmann natürlich erneut Schach: Bei Handicap-Turnieren in Simpsons Divan belegte er vordere Plätze und im sogenannten „Black&White Masters' Tournament“ im Frühling 1893 teilte er hinter Blackburne mit Mason und Tinsley den zweiten Rang.
Zur allgemeinen Überraschung wurde Teichmann deshalb beim neunten Deutschen Schachkongress in Leipzig - durchaus nach anfänglichem Zögern - ohne Qualifikation zum Meisterturnier zugelassen. Sein sensationell zu nennender dritter Platz hinter Siegbert Tarrasch und Paul Lipke rechtfertigte diese Entscheidung. Im Deutschen Wochenschach vom 23. September 1894 geriet die Berliner Redaktion ins Schwärmen:
Der dritte Preisträger R. Teichmann aus London, ist ein in Berliner Kreisen wohlbekannter Meister. (…) Erreichte er auch nicht den Weltruhm seines Berliner Kollegen Lasker, so hat er sich doch einen ausgezeichneten Platz in Londons Schachkreisen erworben und in dortigen Meisterturnieren den ersten Platz errungen. Meister Teichmann ist von mittlerer Statur; wie sein Wesen ruhig, still und durchdacht ist, so ist es auch sein Spiel, das den einmal gefassten Plan konsequent und sicher verfolgt, und ihn selten durch Übereilung in Gefahr bringt.
Definitiv machte sich Teichmann in England mehr Freunde als Lasker, denn er war „von bescheidenem und zurückhaltendem Wesen, und legte (bislang) nicht jene Kunst der Selbstvermarktung an den Tag.“ (Zitat Hoffer, der nach 1892 und der Dresdener Episode um Laskers Herausforderung an Tarrasch alles andere als ein Sympathisant des zweiten Schach-Weltmeisters war.)
Beim Kongress zu Hastings im Sommer 1895 spielt Teichmann (wie Lasker) als Repräsentant Englands und teilte den ehrenvollen siebten Preis mit Curt von Bardeleben. Naturalisiert wurde Teichmann - entgegen anders lautender Behauptungen - jedoch in England nie. In den nächsten zwölf Jahren lebte der Deutsche mehr schlecht als recht in Großbritannien als Sprach- und Schachlehrer.
Im Schach waren etliche Flops zu vermelden: In Nürnberg 1896 wurde Teichmann im Meisterturnier unter 18 Teilnehmern Letzter (da kränklich); das Turnier Berlin 1897 verlief kaum besser. Beim Londoner Turnier 1899 musste Teichmann nach drei Runden wegen Krankheit aussteigen. Das British Chess Magazine berichtet von Problemen mit Teichmanns Sehvermögen, offenbar kam es durch das Tragen des Glasauges zu schmerzhaften Entzündungen. (Augenklappe oder schwarze Binde)
In diesem Zusammenhang ist ein Bericht von Harry Pillsbury über das Turnier Ostende 1905 interessant, aus dem hervorgeht, dass mancher Gegner Teichmanns bewusst auf diese Sehschwäche Teichmanns spekulierte:
Pl. | Name | Pkt. | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | 13 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Richard Teichmann | 9.5 | * | ½ | 1 | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 |
2. | James Mason | 9.0 | ½ | * | 1 | ½ | 0 | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | 0 |
3. | Isidor Gunsberg | 9.0 | 0 | 0 | * | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 | ½ | 1 |
4. | William Ward | 8.5 | 0 | ½ | 0 | * | ½ | 1 | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 |
5. | Louis van Vliet | 8.0 | ½ | 1 | 0 | ½ | * | 1 | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | ½ | 1 |
6. | James H. Blackburne | 7.5 | 1 | 0 | ½ | 0 | 0 | * | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 | 1 | 1 |
7. | Thomas F. Lawrence | 6.0 | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | * | 1 | 1 | 1 | 0 | 1 | 1 |
8. | Francis J. Lee | 5.0 | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | * | 0 | ½ | 1 | 1 | 1 |
9. | Rudolf J. Loman | 4.5 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | * | 0 | 1 | 1 | 1 |
10. | Arthur E. Tietjen | 4.0 | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | 0 | ½ | 1 | * | 0 | 1 | 1 |
11. | Edward O. Jones | 3.5 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 1 | * | 1 | ½ |
12. | Thomas Physick | 2.0 | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | * | 1 |
13. | Samuel Passmore | 1.5 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | ½ | 0 | * |
Seinen ersten Turniersieg landete Teichmann 1900 beim Londoner Einladungsturnier, dann begann mit Monte Carlo 1902 die lange Serie von internationalen Großturnieren, in denen Teichmann den fünften Preisrang einnahm, was ihm den Spitznamen „Richard der Fünfte“ einbrachte. Nach seiner Amerikareise und der wenig erfolgreichen Beteiligung in Cambridge Springs 1904 ermöglichte das Legat über 200 ₤ seines im September 1902 verstorbenen Problemisten-Freundes Edward B. Schwann dann eine Augenoperation, die Teichmann nachhaltig Linderung verschaffte.
In den Folgejahren war der einäugige Meister beim Glasgower Schachklub als Schachlehrer beschäftigt. Ihm entsprach die schottische Lebensart, gewiss auch der schottische Whiskey. Aber nicht nur geistige Getränke, sondern auch die vergeistigte Beschäftigung mit dem Kunstschach bevorzugte der Schach-„Wissenschaftler“.
So schrieb Otto Ackermann in Kagans Neueste Schachnachrichten 1926 (auf S.148):
Die gleiche Meisterschaft wie auf dem Gebiete des praktischen Spiels bewies Teichmann im Bereiche des Problems und der Endspielstudie. (…) Wie Manchem, der zugegen war, wenn Teichmann einen „unangreifbaren“ Mehrzüger in der ihm eigenen kurzen, trockenen Vortragsweise analysierte, mag das Lösen von Problemen als ein Kinderspiel erschienen sein; denn für den Meister war es einfach selbstverständlich, von vornherein mit dem „richtigen Zuge“ zu beginnen, dafür gab es doch wirklich in jedem Problem genug Anhaltspunkte.
Teichmann hat eine geringe Anzahl von Endspielstudien und etwa ein halbes Hundert Aufgaben (meist Dreizüger) komponiert.
Nach der Augenoperation entwickelte sich Teichmanns Leistungskurve moderat nach oben, regelmäßig kassierte er ohne großartige Anstrengung mittlere Preisgelder und hatte damit sein bescheidenes Auskommen. Kaum ein großes internationales Schachturnier zwischen 1905 und 1912, bei dem er nicht angetreten wäre, vorausgesetzt, ihm „passten“ die Konditionen. Selbst zur mehrmonatigen Südamerika-Tournee konnte Teichmann sich 1905/06 aufraffen.
Aber nicht zur Zahlung des Reugeldes beim 15. Kongress des DSB in Nürnberg 1906, was zu seiner Streichung aus dem Meisterturnier führte. Im Oktober 1907 gewann der „Engländer“ das von Lasker erwähnte, eher bescheiden besetzte Jubiläumsturnier des Berliner Schachverbandes.
Als an der New Yorker Börse Spekulationen mit Kupferminen-Aktien zu einer Finanzkrise in der angelsächsischen Welt führte, erinnerten sich etliche Schachmeister, so Paul Saladin Leonhardt und schließlich auch Emanuel Lasker, ihrer soliden deutschen Wurzeln. So nimmt es nicht Wunder, dass auch Richard Teichmann irgendwann in 1908 nach Deutschland zurückkehrte. Deutlich gewonnene Leibesfülle, sein mächtiger Schädel mit wallendem braunem Vollbart verliehen Teichmann ein martialisches Aussehen und Edward Lasker, der Teichmann im Vorkriegs-Berlin kennen- und bewundern lernte, beschrieb ihn in seinen Chess Secrets als „Wotan, in Gesellschaft von Halbgöttern eine Rede schwingend“.
Hier nun die eindrucksvolle Liste der für Teichmann stets mit Preisgeld verknüpften Großturniere, dazu gewann er neben Berlin 1907 erste Preise in München 1909 vor Alapin, Spielmann und Przepiorka; in Berlin 1909 1./2. mit E. Cohn (vor Spielmann, von Bardeleben) und Berlin 1910 vor E. Cohn, Ahues, Tenner, Gregory.
Ostende 1905 (5.-6.); Ostende 1906 (4.-6.); Karlsbad 1907 (7.-8.), Ostende 1907 (6.), Wien 1908 (5.), Prag 1908 (5.), St. Petersburg 1909 (6.), Hamburg 1910 (5.-6.).
Im Turnier in San Sebastián 1911 zeichneten sich neuerliche Gesundheitsprobleme (Asthma) ab und Teichmann landet (neben dem eher bedeutungslosen Turnier Hamburg 1905) nach Cambridge Spring 1904 erstmals ohne Preisgeld im geschlagenen Feld.
Doch kurz danach folgt das Turnier in Karlsbad und Teichmanns größte Turnierleistung, laut Rudolf Spielmann wurde er durch Viktor Tietz dazu „angestachelt“. Emanuel Lasker sah dies differenzierter:
(…) Die Kenner haben immer die feinen Qualitäten der Spielweise des deutschen Kämpen erkannt und sich erstaunt gefragt, warum das große Publikum seinen Eigenschaften nicht die gebührende Würdigung entgegenbrachte. (…) Er ist ein gebildeter Mensch, der solche Dinge wie Alt-Französisch und Alt-Englisch und dabei ein halbes Dutzend moderner Sprachen kennt, mit dem sich vortrefflich über Musik und Philosophie und anderes disputieren läßt, der aber bei alledem etwas bäuerlich Derbes hat.
Damit war der Zenit des Schaffens für Teichmann erreicht, in den Folgejahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges blieb dem Berufsspieler ein ähnlicher Triumph versagt. In San Sebastián 1912 gelang ihm kein einziger Sieg (und er blieb ohne Preis):
16 Unentschieden (aus 19 Partien) festigten seinen friedliebenden Ruf.
Schon in Breslau zeigte er wieder Kampfeswille: Teichmann führte nach 15 Runden punktgleich mit Rubinstein. Sein dritter Platz hinter Rubinstein und Duras kam unglücklich zustande: Eine besser stehende Hängepartie gegen Przepiórka war nicht zu gewinnen und Rubinstein erwies sich in der Schlussrunde als eine unbezwingbare Hürde.
Mit dem 4. bis 6. Preis in Bad Pistyan im Sommer 1912 beschließt sich Teichmanns Laufbahn vor dem Weltkrieg. Denn es gab nach dem Rekordjahr 1912 kaum Turniere in 1913, offenbar wirkten die Verhandlungen zum WM-Kampf Lasker-Rubinstein „hemmend“.
Für St. Petersburg 1914 sagte Teichmann angeblich aus gesundheitlichen Gründen ab, wobei seine Teilnahme eher an nicht gewährten Konditionen scheiterte. Gleiches geschah beim 19. DSB-Kongress Mannheim 1914: Teichmann war gemeldet, zog sich buchstäblich in letzter Stunde mittels telegrafischer Mitteilung zurück. Die Gründe blieben im Dunkeln, möglicherweise gab es hier ebenfalls (wie mit Rubinstein) Gerangel um ein Antrittsgeld.
Teichmann, der Juni 1914 in Berlin noch einen kurzen Wettkampf mit Marshall gewann, tauchte unmittelbar nach Ausbruch des Weltkrieges (zusammen mit Dawid Przepiórka) in Luzern auf. Es berichtete die Schweizerische Schachzeitung im Oktober-Heft 1914:
Luzern: Trotz des Krieges wird bei uns das Schach nicht vernachlässigt; dafür sorgen schon die seit Kriegsausbruch hier weilenden Meister Teichmann und Przepiórka, die täglich in unserem Lokal (Rebstock) verkehren.
Der wohlhabende Przepiórka verlagerte sich mit Familie an den Genfer See, der wahrhaft „arme Teichmann“ musste notdürftig „überwintern“.
Dazu Richard Forster (im Jubiläumsbuch der Schach-Gesellschaft Zürich 1809-2009), aus der Luzerner Schachchronik (Karl Laube) zitierend:
(…) Zu jener Zeit lernten wir auch die Schattenseiten des Berufsspielertums kennen. Teichmann, der Sprachbegabte (…), litt Hunger, und der Chronist konnte selber beobachten, wie er im Klublokal die zu Boden geworfenen Zigarren- und Zigarettenstummel sammelte, um sie fertig zu stellen. Seine finanziellen Sorgen waren so groß, dass er im See sogar einen Selbstmordversuch unternahm, aber noch an der Ausführung seines Vorhabens gehindert werden konnte. (…)
Sicherlich war Teichmanns Gemütslage im Winter 1914 verzweifelt, denn eine Rückkehr ins Deutsche Reich schien ihm unmöglich aufgrund einer Nachlässigkeit bei der Auswanderung nach England: Formal verfügte er über keinen Ausmusterungsbescheid und musste somit die Inhaftierung zu befürchten. Doch in Folge bemühten sich die Schweizer Schachfreunde intensiv um den Gast-Großmeister: Richard Teichmann siedelte nach Zürich über, wo er im Café Terrasse, später im Café Odeon residierte: Gegen ein geringes Entgelt spielte er freie Partien oder erteilte Schachunterricht. Seine Simultanvorstellungen und Vorträge waren vielerorts in der Schweiz beliebt, er selbst hatte eine Vorliebe für Davos und Arosa, vielleicht wegen seines Asthmas.
Auch St. Gallen, Basel und Luzern waren immer wieder Anlaufpunkte für Teichmann.
Er gab dem Schweizer Schach in den acht Jahren seines Debüts viel, hatte aber auch den Schweizern viel zu verdanken. So wurde im August 1919 die Schachspalte in der Züricher Post wiederbelebt und Teichmann anvertraut. Ein Artikel in der Schweizerische Schachzeitung Oktober 1920 (mit Holzschnitt von Erwin Voellmy) belegt Teichmanns Trägheit und Unbeholfenheit im Umgang mit Behörden in humoriger Weise:
Die Einladung zum Göteborger Turnier 1920 konnte Teichmann nicht wahrnehmen, weil sein Pass noch immer nicht in Ordnung war und alles Bemühen des schwedischen Konsulats schließlich „in einer Berner Schublade endete“.
Am 25. Mai 1921 (laut Stadtarchiv Zürich) raufte sich Teichmann zur Rückkehr nach Berlin auf, wahrscheinlich von Bernhard Kagan ermuntert. Damit begann seine letzte Schaffensphase, u.a. lieferte er mehr oder weniger regelmäßig Beiträge zu Kagans Neuesten Schachnachrichten. Es fanden dann mehrere kurze Wettkämpfe (vom Mäzen Kagan finanziert) in Berlin statt: Im Juni 1921 gegen den aufstrebenden Alexander Aljechin, dem der „einäugige Riese“ ein beachtliches 3:3 abrang. Gegen Alexei Selesniew unterlag Teichmann hingegen 0,5:1,5.
Für Friedrich Sämisch, der stärkste unter dem deutschen Meisternachwuchs (Kagan) wurde es Anfang 1922 „ernst“:
Ein kleiner Wettkampf von vier Partien zwischen dem Großmeister Teichmann und Sämisch fand im Berliner Schachheim Ende Januar dieses Jahres statt. Zwar hatte ich mir das Eigentumsrecht der vier gespielten Partien ausbedungen, doch bringe ich nur eine Partie, weil die anderen drei Unentschieden endeten.
Bernhard Kagan hüllt hier das Geschehen um die zweite Partie in „den Mantel des Schweigens“, Sämisch plauderte darüber erst 30 Jahre später in Caïssa Deutsche Schachrundschau 1952:
In meinem Match gegen Teichmann verlor ich die erste Partie als Nachziehender, weil ich in einer indischen Partie eine gut aussehende Stellung erlangt hatte, sie aber überschätzte und unbegründet auf Gewinn spielte. Diese Schlappe wollte ich in der zweiten Partie ausgleichen, und es kam auch so, wie ich es mir gedacht hatte. Der Altmeister verteidigte das Damengambit orthodox (…), muss „eingeschlafen“ sein und beging einen unverständlichen Fehler, der einen Bauer einbüßte. Als das passierte, stand Teichmann ärgerlich auf, beschimpfte sich und begab sich zu den Tarock-Tischen, um diesen Unglücksfall seinem Spezial-Freund (Lucien) Einbild zu erzählen, einem sehr starken und kenntnisreichen russischen Meister. (…) Ich stand nun wirklich besser: einmal deswegen weil ich Weiß hatte (woran ich damals noch glaubte), zweitens hatte Teichmann das Damengambit orthodox verteidigt (was nach Tarrasch nicht gut sein konnte) und drittens hatte ich einen Bauern mehr. Aber im weiteren Verlauf der Partie erwachte der alte Löwe und bereitete mir die größten Schwierigkeiten, wie übrigens immer in solchen Fällen. (…)
So auch diesmal, wobei sich plötzlich einen Stellung ergab, in der ich entweder in eine Zugwiederholung einwilligen (also remis), oder die Qualität opfern musste. (…) Also Grund genug, darüber ernsthaft nachzudenken, als plötzlich Teichmann aufstand, und mit den klassisch gewordenen Worten die Figuren zusammenschob: „Genug des Stumpfsinns, remis.“ Und davon ging, ohne meinen Protest abzuwarten. Ich lief verzweifelt zu Meister Einbild, der die Wettkampfleitung übernommen hatte, und lief Sturm dagegen, das ginge doch nicht, ich stehe auf Gewinn usw... Doch Meister Einbild verstand es, mich zu beruhigen. Er verließ den Tarock, begann mit mir zu analysieren und betonte: „Wenn Teichmann sagt, es ist remis, dann wird es auch so sein“, und in der Tat, wir fanden keine Gewinnfortsetzung für mich.
Ob Teichmann, wie oft behauptet, pünktlich zu den Ringkämpfen im Zirkus Busch strebte, ließ Sämisch offen.
In der Folge des Jahres 1922 trat Teichmann in Teplitz-Schönau an, zuvor hatte er Bad Pistyan krank abgesagt. Als „Remiskönig“ ergatterte er den siebten (letzten) Preis sowie einen Schönheitspreis für seinen Sieg über Tartakower.
Das letzte Großturnier Teichmanns war Karlsbad 1923, hier war er erneut der „Friedenskönig“, seine Partien demonstrieren seinen Kräftemangel, viele gute Stellungen wurden von ihm vergeben.
Mit seiner Gesundheit ging es nun rasch bergab, Teichmann litt an Nieren- und Herzproblemen. Unmittelbar nach dem Berliner Viermeister-Turnier im Dezember 1924 erfolgte Ende Januar 1925 die Einlieferung in das Rudolf-Virchow-Krankenhaus, wo er am 12. Juni 1925 an den Folgen des chronischen Nierenleidens verstarb.
Zum Abschluss sei der englische Altmeister Amos Burn aus dem Liverpool Courier 1911 zitiert, sicherlich beruhend auf persönlichen Erfahrungen aus Teichmanns „britischer Phase“:
(…) Ein typischer Deutscher, gutmütig, und nahezu so breit wie hoch. Er ist ausgesprochen gebildet, hat speziell Sprachen studiert, scheut aber die harte Arbeit. Dies mag die Ursache sein, dass er trotz seiner tiefen Wissenschaft und Kenntnisse noch nie den Rang (im Schach) einnehmen konnte, der ihm ansonsten gebührt. Seine Abneigung sich anzustrengen, macht ihn anfällig Fehler zu begehen oder in Fallen zu laufen.
Der Autor dankt Richard Forster (Zürich) bei der Mithilfe zu Teichmann in der Schweiz, aber in erster Linie gilt ein besonders großes Dankeschön Frau Grit Baum vom Thüringischen Staatsarchiv Altenburg, ohne deren engagierte Hilfe im September 2014 und nochmals im Dezember 2016 die Darstellung zu Richard Teichmann unvollständig gewesen wäre.
Mit diesem vorweihnachtlichen Porträt dieses wohl „meistunterschätzten“ Großmeisters, der nur etwa zwölf Jahre seiner 35-jährigen Laufbahn in Deutschland aktiv war, möchte ich meine Serie biografischer Beiträgen auf der DSB-Website vorerst beschließen.
Ein besonderer Dank geht an Frank Hoppe, der sich mit außerordentlichem Engagement seit September 2015 der webgerechten Darstellung meiner Artikel gewidmet hat.
Doch damit soll das Thema Schachgeschichte nicht wieder „hinter dem Ofen“ verschwinden, im Gegenteil: Gemeinsam mit Frank Hoppe ist ein ganz besonderer Leckerbissen - sozusagen „Schachgeschichte aus erster Hand“ - in der Vorbereitung. Dazu möchte ich in vorauseilender „Eigenwerbung“ auf SCHACH im Februar 2017 verweisen, wo über die „Jäger der verlorenen Schätze“ zu berichten sein wird.
Michael Negele
Red. Michael Negele veröffentlichte in KARL 3/2014 bereits einen Artikel über Richard Teichmann, u.a. mit einer hübschen Partie gegen Carl Schlechter, Karlsbad 1911.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21575