15. November 2017
Hallo Vincent,
vielen Dank, dass Du Dir die Zeit genommen hast, um unsere Fragen zu beantworten!
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zum IM-Titel. Du bist mit 12 Jahren, sieben Monaten und 15 Tagen der jüngste Internationale Meister aller Zeiten aus Deutschland. Damit hast Du David Baramidze abgelöst, der den Titel 2002 im Alter von 13 Jahren erhielt.
Frage: Was ist Dir wichtiger? Der Titel oder der Rekord?
Antwort: Ich spiele vor allem gerne Schach, das ist mir am wichtigsten. Wenn ich damit einen Titel oder einen Rekord erreiche, freue ich mich natürlich. Das ist dann aber eher ein Nebeneffekt. Als ich vor ca. 2½ Jahren meine erste IM-Norm erzielt habe, wusste ich gar nicht, was eine Titelnorm ist.
So ein Erfolg kommt natürlich nicht von ungefähr. Vor rund einem Jahr war in einem Interview der "Zeit" die Rede von 20 Stunden Training pro Woche. Das entspricht in etwa einer halben Vollzeitstelle eines erwachsenen Menschen…
Frage: Wie oft und wie lange trainierst Du zurzeit?
Antwort: Ich würde sagen, dass ich versucht habe, diese Trainingszeiten noch etwas zu steigern. Weil ich zur Schule gehe, kann ich an normalen Werktagen nicht soviel trainieren, wie ich gerne möchte. Das schaffe ich nur manchmal am Wochenende. Ich sehe aber natürlich, dass die Schule auch wichtig ist.
Frage: Mit wem trainierst Du? Wie wichtig ist die Rolle des Trainers für Deine schachliche Entwicklung?
Antwort: Ich habe jetzt etwas über ein Jahr lang mit Artur Jussupow trainiert. Er hat mich auch bei vielen Turnieren unterstützt und mir bei den Partievorbereitungen geholfen, unter anderem in Apolda, als ich meine dritte IM-Norm gespielt habe. Wir haben dann aber nach einiger Zeit festgestellt, dass wir doch sehr unterschiedlich an Schach herangehen und deswegen vor Kurzem das gemeinsame Training beendet. Vielleicht ist Artur eher ein Trainer für stärkere Spieler als ich es bin. Ich trainiere ja seit einigen Jahren mit Sergey Ovsejevitsch und habe damit einen Trainer, der mich schon sehr lange kennt.
Du hast 2015 zum letzten Mal eine Deutsche Jugend-Einzelmeisterschaft (DJEM) mitgespielt. Damals wurdest Du als Zehnjähriger Zweiter in der U16 hinter Dmitrij Kollars.
Frage: Sind die DJEM keine Herausforderungen mehr für Dich oder wirst Du 2018 wieder mitspielen?
Antwort: Das weiß ich noch nicht. Ich mag die Stimmung bei der DJEM und war auch in diesem Jahr für ein paar Tage dort. Die Entscheidung, an welchen Turnieren ich teilnehme, ist manchmal gar nicht so einfach. Mit normalem Schulpensum kann man nur eine bestimmte Anzahl von Turnieren spielen. In diesem Jahr war mir zum Beispiel die Zeit zwischen der DJEM und der deutschen Meisterschaft in Apolda zu kurz, um an beiden Turnieren teilzunehmen.
Frage: Was sind 2018 ansonsten für Schachturniere geplant? Steht der Terminkalender schon für das ganze Jahr?
Antwort: Nein, so weit kann ich schlecht im Voraus planen. Einige Turniere sind aber schon eingeplant: Gibraltar im Januar, das Grenke Chess Open um Ostern und die U18-Team-EM in Bad Blankenburg im Sommer.
Diese ganzen Reisen kosten mit Sicherheit Einiges an Geld. Ich nehme an, dass Deine Eltern den Großteil dieser Kosten übernehmen und dass Du Zuschüsse bekommst.
Frage: Hast Du auch Sponsoren?
Antwort: Ja, ich bin sehr froh darüber, dass die Baden-Badener Grenke AG mich als Sponsor unterstützt. Dieses Sponsoring gibt mir viel Freiheit bei der Wahl meiner Turniere und Trainer. Es ist aber nicht nur eine große finanzielle Hilfe, sondern ich habe dort auch Menschen, die sich mit mir freuen, wenn es gut läuft und die auch in schwierigen Situationen an meiner Seite stehen. Ich bekomme aber auch Unterstützung von anderen Seiten, beispielsweise vom Schachbund durch eine Sonderförderung.
Deine Schwester Cecilia ist rund drei Jahre jünger als Du und sie spielt auch Schach. Bei den U10-Mädchen ist sie die Nummer 6 in Deutschland. Anscheinend hast Du sie mit dem “Schachvirus” infiziert...
Frage: Trainierst Du auch mit ihr? Oder hat sie sich - so wie Du - alles alleine beigebracht?
Antwort: Cecilia hat zuerst beim Schach immer nur zugeguckt. Sie wollte nicht spielen. Als sie es dann doch mal probiert hat, stellte sie fest, dass sie das auch ganz gut kann, eigentlich ohne viel Training. Wahrscheinlich hat sie sehr viel durchs Zugucken oder manchmal auch Zuhören gelernt. Sie hat aber eine ganz andere Art, an Schach heranzugehen als ich. Deswegen ist es für mich schwierig, sie zu trainieren. Aber natürlich gibt es einige Situationen, in denen ich Cecilia etwas erklären oder raten kann.
Du musst Dich wegen Deiner vielen Schachtermine bestimmt auch ab und zu von der Schule beurlauben lassen.
Frage: Was sagen die Klassenkameraden dazu? Sind die neidisch? Oder freuen sie sich über Deine schachlichen Erfolge?
Antwort: Meine Klassenkameraden und Lehrer haben viel Verständnis für mich und unterstützen mich dabei, versäumten Schulstoff nachzuholen. Auch wenn ich irgendwo im Ausland spiele, bekomme ich Informationen über die Schule über mein Handy. Viele drücken mir die Daumen und wünschen mir Glück für die Turniere. Das freut mich.
Wenn die Funktionäre über Mitgliederentwicklung sprechen, fällt häufig das Stichwort “Schulschach” als einzige, aber große Chance, die Mitgliederzahl deutlich zu erhöhen, deshalb die nächste Frage.
Frage: Gibt es an Deiner Schule eine Schach-AG?
Antwort: An meiner jetzigen Schule gibt es keine Schach-AG. Insofern habe ich eigentlich nie Kontakt mit Schulschach gehabt, außer einem Schulschachturnier, bei dem ich in meiner Grundschulzeit einmal mitgespielt habe. Ich habe aber in meinem früheren Verein gelegentlich Kinder getroffen, die über Schach-AGs der Schule zum Verein gefunden haben.
Frage: Welche Interessen hast Du noch außer Schach? Wie sieht es mit anderen Sportarten aus?
Antwort: Ich gehe in meinem Wohnort Saulheim zum Handball- und Leichtathletiktraining, wenn die Zeit dafür reicht. Außerdem fahre ich gerne Fahrrad und spiele Tischtennis.
Frage: Welches ist Dein Lieblingsverein: a) im Fußball b) im Handball c) im Schach?
Antwort: Meine Lieblingsvereine im Schach sind natürlich die Vereine, für die ich spiele oder gespielt habe, also die SF Deizisau und der SK Gau-Algesheim. Beim Fußball gucke ich gerne Spiele im Fernsehen, habe aber keinen wirklichen Lieblingsverein. Mein Handballverein SG Saulheim spielt immerhin in der Oberliga, obwohl unser Ort echt klein ist. Ich habe mit 4 Jahren angefangen, dort zu trainieren. Also ist auch hier „mein“ Verein mein Lieblingsverein.
Deine Eltern haben die Musik zum Beruf gemacht. Dein Vater ist Pianist, Deine Mutter Cellistin. Und auch Cecilia spielt Cello.
Frage: Was ist aus Deiner Musikbegeisterung geworden? Beschränkt sich das mehr auf das Zuhören oder spielst Du selbst noch Klavier?
Antwort: Ich spiele immer noch gerne Klavier, auch wenn natürlich durch die Turniere Übepausen entstehen. Außerdem höre ich gerne klassische Musik, auch während mancher Trainingseinheiten.
Im März 2018 findet bekanntlich das Kandidatenturnier in Berlin statt.
Frage: Wirst Du Dir die Partien auch vor Ort anschauen oder nur im Internet?
Antwort: Das Kandidatenturnier werde ich unbedingt verfolgen. Ich hoffe, dass ich die schulfreien Tage an unserer Schule während des Kandidatenturniers dafür nutzen kann, in Berlin vor Ort einige Partien zu verfolgen. Wir haben aber noch nicht geklärt, wer mich dahin begleiten kann. Schließlich sind meine Eltern schon sehr viel mit mir unterwegs.
Frage: Wer wird sich Deiner Meinung für den WM-Kampf gegen Carlsen Ende des Jahres qualifizieren?
Antwort: Ich habe mir in der letzten Zeit einige Partien von Levon Aronian angeschaut und finde seine Spielweise und seinen Spielstil wirklich bewundernswert. Deswegen könnte ich mir gut vorstellen, dass er der Herausforderer des Weltmeisters wird.
Das Jahr 2018 wurde vom Deutschen Schachbund zum Lasker-Jahr ernannt, weil sich der Geburtstag des bisher einzigen deutschen Schachweltmeisters zum 150ten Mal jährt.
Frage: Wie viele Partien von Emanuel Lasker kennst Du? Oder etwas allgemeiner gefragt: Spielen die “alten Klassiker” in Deinem Training eine Rolle?
Antwort: Natürlich kommen Partien von Lasker immer wieder in meinem Training vor. Aber auch die anderen Klassiker werden von meinen Trainern immer wieder als Beispiel genommen, um mir grundlegende Dinge zu verdeutlichen. Vor allem strategische Pläne kann ich daran gut studieren.
Vielen Dank für die spannenden Antworten! Wir haben das Interview mit einem Glückwunsch begonnen und möchten es auch mit einem Glückwunsch beenden: Am heutigen 15.November wirst Du 13 Jahre alt. Dazu gratulieren wir Dir ganz herzlich und wünschen Dir alles Gute für Deine schachliche Zukunft!
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 22488