5. September 2013
Trauern heißt erinnern. Und ich bin mir sicher, dass mein geschätzter Freund Helmut Pfleger es genauso tun wird, der gerade von seinem ausgedehnten Geburtstagsurlaub aus Thailand zurück in München ist.
Dass sein alter Mitstreiter aus glorreichen Bamberger Zeiten Hans-Günter Kestler (geb. 12.12.1939) am vergangenen Sonntag (1. September) im Alter von 73 Jahren verstorben ist, wird ihn sicherlich sehr betroffen machen. Aber so ist nun einmal das Leben, das, wenn man so will, ein Spiel mit dem Tod ist...
„Manchmal holt einen die Vergangenheit ein. Das kann durchaus schön sein.“ schrieb Pfleger in seiner Schachkolumne in der Ausgabe 37 des Magazins der Wochenzeitung DIE ZEIT am 2. September 2004. Das war vor neun Jahren.
Es ging damals um ein Simultanspiel auf dem Bahnsteig des Bamberger Bahnhofs, zu dem das Bahnsozialwerk (BSW) anlässlich seines 100. Geburtstages eingeladen hatte - und zwar den im Mai gestorbenen Karl-May-Verleger Lothar Schmid, den Richter Hans-Günter Kestler und ihn selbst.
„Nun ist es nicht so, dass wir drei bereits die Gründung dieser lobenswerten Einrichtung miterlebt hätten, auch nicht, dass unsere Spielweise diesen Verdacht über Gebühr nahe gelegt hätte – aber allzu viel fehlt uns drei ‚Uhus’ (unter hundert Jahren) nicht mehr dazu.
Einst hatten wir drei dem Bamberger Schachklub von 1868 – er ist also noch etwas älter als das BSW – dreimal die deutsche Mannschaftsmeisterschaft erringen geholfen, hatten viele Jahre das Rückgrat der deutschen Olympiamannschaft im Schach gebildet, und nun drehten wir wieder einträchtig in unserer Heimatstadt nebeneinander unsere Runden. Mit heißem Bemühen, aber dank der Witterung mit kühlem Kopf...“
Ich weiß nicht, ob sich die beiden danach noch einmal getroffen haben, vermute es aber stark. Und zumindest Helmut Pfleger, der gerade 70 wurde, bleiben ja die Erinnerungen; beispielsweise an die 1970er Jahre, wo man gemeinsam zwei Schacholympiaden in Skopje (1972) und Nizza (1974) bestritt. Kestler kam zwar nie an einem Spitzenbrett zum Einsatz, aber in Haifa 1976, als Robert Hübner und auch Helmut Pfleger fehlten, da übernahm er die Verantwortung an Tafel 3 und die von ihm erzielten fünfzig Prozent (4/8) waren durchaus beachtlich. Als „Reservist“ waren es in Skopje und Nizza sogar jeweils 11,5/15, was 73,3 Prozent entspricht. Das ist mehr als respektabel und bestätigt: Auf Hans-Günter, der seinem SC 1868 Bamberg stets die Treue hielt, war stets Verlass, wenn man ihn brauchte. Eben ein Teamplayer, wie es heute heißt.
Seine nationalen Erfolge als Einzelspieler können sich jedoch auch sehen lassen. Zweimal Bayerischer Meister (1964 und 1984) und einmal sogar Deutscher Meister. Das war 1972 in Oberursel. Zwei Jahre zuvor war er im Saarländischen Völklingen, wo Hajo Hecht den Titel holte, bei der 51. Deutschen Einzelmeisterschaft nur Elfter geworden. Was für eine Leistungssteigerung!
Wie dem regionalen Mitteilungsblatt „Schach in Hof“ von 2009 zu entnehmen ist, pflegte Hans-Günter Kestler „einen kompromisslosen Angriffsstil; es gab in Bamberg deshalb den Spruch: ‚Kestler zieht wie ein Wildwestler’".
Und weiter lesen wir in dem mit „Die Anekdote“ von Dr. Norbert Knoblach verfassten Beitrag:
„Der IM war außerhalb des Schachbretts ein ruhiger und humorvoller, immer etwas wohlbeleibter Mann – trotz Tischtennis als Ausgleichssport.
Kestler arbeitete als Richter am Amtsgericht Bamberg. So kam es, dass er bei einem Mannschaftskampf das Amt des Schiedsrichters innehatte. Er wurde an ein Brett gerufen, da dort ein Streitfall eingetreten war: ein Spieler behauptete, sein Kontrahent habe den Turm berührt. Folglich müsse er mit diesem ziehen: „Berührt – geführt!’. Sein Gegenüber hingegen erwiderte, er habe nur mit zwei Fingern ein Haar entfernten wollen, das am Turm klebe. – Kestler hörte sich beide Parteien ganz ruhig an; dann entschied er: ‚Das Haar muss ziehen!’“
Am heutigen Donnerstag, wo abends in Saarbrücken die 84. Deutschen Einzelmeisterschaften eröffnet werden, ist Hans-Günter Kestler in Bamberg beigesetzt worden.
Raymund Stolze
(07.09.2013: Nachträgliche Korrekturen der Redaktion bei Kestlers Vornamen, seinem Todestag und Pflegers Urlaubsziel)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9113