27. Januar 2007
Jetzt LIVE: Das Finale der 78. DEM
Exakt 75 Minuten sind zum Zeitpunkt dieses Berichtes gespielt in der neunten und finalen Runde der 78. Deutschen Einzelmeisterschaft. "Jetzt fällt vieles von dem Stress ab, der sich die Woche über immer wieder aufgebaut hat", erzählte der Ausrichter-Vereinsvorsitzende Jürgen Müller heute morgen erleichtert. Das kann man verstehen.
Gilt aber auch für viele der teilnehmenden Spieler, vor allem diejenigen, die aufgrund ihrer Resultate entweder unzufrieden waren oder bei denen es bis gestern noch richtig "um was ging": den deutschen Meistertitel. Heute betrifft das realistischer Weise nur noch zwei Spieler - nämlich Arkadij Naiditsch und Rainer Buhmann. Selbstbewusst, wie er nun einmal ist, gab er gestern zum besten: "Normen kann ich auch woanders machen, Meister werden nur hier".
Die Ausgangskonstellation ist folgende: Wenn Arkadij Naiditsch nicht verliert, können nur er oder Buhmann Meister werden. Jemand anders kann das nur schaffen, wenn beide verlieren - und das ist recht unwahrscheinlich. Konzentrieren wir uns also auf diese beiden Partien: Jan Gustafsson reagierte mit Schwarz recht aggressiv auf Buhmanns Eröffnung. nach ....Db6 investierte Buhmann gute 20 Minuten. Fast schon gewöhnlich kann man es nennen, dass Buhmann (aktuell) mit einem Bauern weniger spielt, diesmal aber nicht für einen Freibauern, sondern "nur" für das Läuferpaar.
Zwischen Michael Prusikin und Naiditsch spitzt sich die Lage gerade zu. Außer einem einzigen Bauern ist noch nichts getauscht.
An den weiteren Brettern treten Thomas Henrichs gegen Thomas Luther und David Baramidze gegen Ulf von Herman an. Alexander Graf findet sich heute an dem für ihn ungewöhnlichen Brett Sechs wieder (gegen Peter Enders). Direkt neben ihm an Fünf der wiedererstarkte Herbert Bastian - heute gegen Jakov Meister. Bastian gewann gestern in einem schier unglaublichen Finale gegen Raj Tischbierek. Sollte man sich aufgrund des kuriosen Verlaufs unbedingt ansehen.
Heute früh kam Rainer Buhmann als Erster in den Turniersaal - und musste am längsten warten. Denn Jan Gustafsson kam mit ordentlicher Verspätung und wie immer aufeizend lässig in den Saal, ordnete seine Figuren indem er sie sorgfältig einzeln im Kreis drehte und begann 15 Minuten später als alle anderen. Auch andere tauchten auf, wie man sie kennt. Ich finde es zum Beispiel immer wieder erstaunlich, wie unscheinbar und in sich verschlossen Alexander "Zecke" Graf durch die Gegend spaziert bis die Uhren freigegeben sind und dann unentwegt ohne eine einzige Pause bis zum Ende am Brett kleben bleibt.
"Hetz' mir keine Paparazzis auf den Hals" pflaumte der junge Thomas Fischer heute morgen seine Mutter an - bloß wegen eines Fotos, dass sie sich vom erfolgreich spielenden Sohnemann wünscht. Auf gewohnt subversive Weise sehen sie es weiter unten... während der Blindenschachbundvertreter Frank Schellmann sich nach schlechtem Start gefangen hat und heute gegen den Neuklosterer Hannes Knuth antritt. Der SC Neukloster - vor sechs Jahren noch in der 2. Bundesliga - befindet sich übrigens unweit von Wismar in Mecklenburg-Vorpommern. Für Schellmann ist es vor allem eines, was ihn an der DEM reizt: Erfahrung sammeln in einem so "großen" Turnier, in dem niemand einem Geschenke macht, sondern stets auf Sieg spielt, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Das sieht auch Holger Namyslo so, der zwar keine Wertungs-Punkte verlieren würde, wenn er heute ohne Punkt vom Brett ginge, für den aber dann das Turnier wirklich tragisch verlaufen ist. Am dritten Tag spielte er noch (mit guten Chancen) gegen Thomas Luther an Brett Drei. Überhaupt war das für ihn wohl eines seiner besseren Turniere - jederzeit in der Lage, auch stärkeren Paroli zu bieten. Aber die "schenken einem nichts", fügte er nochmal hinzu, im Schnitt hatte er 100 bis 150 Punkte stärkere Gegner am Brett.
Wie es an solch einem letzten Spieltag üblich ist: Nach sechs Zügen und gefühlten zweieinhalb Minuten liegt das erste Remis im Kasten von Bundesturnierdirektor Ralph Alt. Diesmal zeigen wir mit dem Finger auf Michael Schenderowitsch und Gerhard Lorscheid. Wenig später kamen weitere hinzu, aktuell wird noch immerhin an 16 Brettern gespielt. Um nochmal auf das furiose Spiel zwischen Buhmann und Prusikin von gestern zurück zu kommen: Raymund Stolze schrieb mir des Rätsels Lösung: "Kaum zu glauben, aber die Variante bis 13...Dh4 in der erwähnten Partie habe ich bereits 19x bei ChessBase gefunden, darunter ist tatsächlich auch eine Partie Portisch - Ribli, Kandidatenturnier 1985. Portisch setze hier mit h3 fort und verlor recht schnell..."
Der Fehler ist 12. 0-0?? (ein an sich "normaler" Entwicklungszug. Fritz empfiehlt hier 12.Lb2 und sieht danach Ausgleich). Nach dem dicken Fehler allerdings und dem folgenden 12...Sxf3 leuchtet die rote Lampe bei unserem eisernen Freund [-1.96].
Na denn.
Update: Anmerkung der Redaktion von Info-Mail Schach (Anton Lindenmair, DBSB): "Nach meinen Recherchen gab es die oben gezeigte Partie wirklich schon des öfteren. Die älteste Version - die Urfassung sozusagen - dürfte die Partie zwischen Jazek und Dr. Florian (CSSR 1956) gewesen sein (siehe unten). Mit einigen Zugumstellungen entstand die gleiche Stellung wie bei Buhmann nach
16. ... Lh3. Weiß antwortete aber 17. e5 und Dr. Florian musste noch lange spielen, um den Punkt einzufahren. Übrigens: Dr. Florian war der stärkste blinde Spieler der Tschechoslowakei und hatte sich auch im internationalen Blindenschach in der Weltspitze etabliert."
Anbei die Bilder des Tages, ein Update erfolgt gegen Abend.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 5020