29. November 2011
Liebe Schachfreunde,
die Ereignisse der letzten Tage haben mich schockiert. Erst der überraschende Aufruf des Präsidenten Herbert Bastian vom 19. November. mit der Bitte um Diskussionsbeiträge zum Thema Nationalmannschaft – zu einem Zeitpunkt als sich die Schachfans noch über den sensationellen Erfolg unserer Goldjungen freuten.
Angenehm zu lesen war aus meiner Sicht der Beitrag von Herrn Middelhoff vom 22. November. der das Thema recht ausgewogen beleuchtete. Die eigentliche Schockwirkung trat jedoch durch den offenen Brief von Daniel Fridman vom 24. November ein. Dass diese andauernde Missstimmung in einer Erklärung des DSB-Präsidiums vom 28. November gipfelte, wonach der Vertrag mit unserem Spitzenbrett Naiditsch zum Jahreswechsel nicht verlängert wird, und seine Kadermitgliedschaft suspendiert wird, kann unter diesen Umständen wohl niemanden mehr überraschen!
Um es vorweg zu sagen – grundsätzlich betrübt mich sehr, dass auf der DSB-Homepage erneut eine Eskalation zwischen dem Schachbund und Teilen der deutschen Nationalmannschaft ausgetragen wird – und das in der Stunde des größten Erfolgs! Das Peinliche daran ist, dass der sportliche Erfolg durch kleinliches Gezänk nachträglich entwertet wird, und wohl nicht gerade dazu dient, den Sponsor der Nationalmannschaft zu einer Fortsetzung seines Engagements zu motivieren. Und auch die Fans der Nationalmannschaft wollen wohl lieber Erfolge auf dem Schachbrett sehen als fruchtlose Diskussionen und immer wieder aufgewärmte Vorwürfe zu verfolgen.
Die Angriffe von Naiditsch gegen Bundestrainer Uwe Bönsch kann ich mittlerweile nicht mehr hören. Zum einen scheint mir dies primär eine Neiddebatte zu sein: Da ist jemand (übrigens seit etwa 15 Jahren) fest beim Deutschen Schachbund angestellt, und sich in dieser Funktion bewährt hat, während die Nummer 1 der deutschen Rangliste sich tragischer Weise als Selbständiger am Markt behaupten und um seinen Lebensunterhalt kämpfen muss. Tja, dazu sage ich nur ganz trocken, das ist wohl sein Berufsrisiko! Es steht Naiditsch doch jederzeit frei, in eine feste Anstellung mit festem Gehalt zu wechseln, wenn er dafür die erforderliche Qualifikation nachweist. Wenn er aber im Profischach sein Glück versucht, dann muss ihm klar sein, dass der Verband ihn nur begrenzt unterstützen kann, und dass er im Wesentlichen selbst für sein Auskommen sorgen muss.
Auch inhaltlich überzeugen mich die Argumente nicht, wonach die eigentliche bzw. eine wichtige Aufgabe von Uwe Bönsch die schachliche Vorbereitung der Nationalspieler wäre. Es muss doch wohl jedem klar sein, dass ein Bundestrainer automatisch mit vielen administrativen Aufgaben betraut ist, er wirkt auf vielen Ebenen an den Entscheidungen im Verband mit, und kann sich schachlich kaum noch aktiv betätigen, geschweige denn Spieler mit über 2600 ELO trainieren oder eröffnungstheoretisch vorbereiten. Diese Kritik von Teilen der Nationalmannschaft finde ich daher extrem unpassend. Übrigens: Im Gegenzug müssen die Spitzenspieler nur eines können - nämlich stark Schach zu spielen, wofür sie allerdings noch einen separaten Theorietrainer benötigen. Der Bundestrainer soll dagegen ein Multitalent und Supermann sein, der alles kann. Dieser Asymmetrie ihrer Forderung sind sich die Kritiker offensichtlich nicht bewusst!
Im Ergebnis unterstütze ich es definitiv, Naiditsch aus der Nationalmannschaft auszuschließen, denn sonst würde sich der DSB unglaubwürdig machen. Möge sich unser (ehemaliger) Spitzenspieler einen anderen Verband und eine andere Schachöffentlichkeit suchen, die er mit seinen gebetsmühlenartig erhobenen Forderungen nerven kann! Vielleicht findet er ja einen Verband, der ihm alle Wünsche erfüllt, und sich zugleich öffentlich beliebig kritisieren lässt. Irgendwo auf der Welt muss ihm doch der rote Teppich ausgelegt werden, auf den er so sehnsüchtig wartet! Auf jeden Fall muss nun weiterer Schaden in der Öffentlichkeitswirkung abgewendet werden - und das geht nur, wenn wir uns jetzt von Arkadij trennen – sorry, wenn ich das so deutlich sage.
Leider muss ich an dieser Stelle auch Daniel Fridman kritisieren, der sich bisher in der Debatte aus meiner Sicht sehr moderat und vernünftig verhalten hat, jedoch aus meiner Sicht schlecht beraten war, seinen jüngsten Brief zu veröffentlichen. Für einen Außenstehenden geht es beim Lesen wirklich nur um Peanuts (Fronten des DSB hier – Fronten der Nationalspieler dort), und es ist für mich sogar relativ schwierig, einen roten Faden in seinen Ausführungen zu erkennen, aber auf jeden Fall bleibt durch diesen Brief der Eindruck beim Leser zurück, dass der DSB und Teile der Nationalmannschaft (also nicht nur der DSB und sein Dauerkontrahent Naiditsch) inzwischen heillos zerstritten sind. Bis heute warte ich übrigens vergebens auf einen offenen Brief eines Spielers der Nationalmannschaft, der den DSB auch mal für sein Engagement lobt!
Um aber auch hier auf die inhaltliche Position Fridmans einzugehen, muss man den zentralen Satz herausgreifen. Dieser lautet: "Aus meiner Sicht ist es auch weiterhin erforderlich, die Förderung der stärksten deutschen Spieler zu verbessern."
Das hört sich auf den ersten Blick völlig vernünftig und richtig an. Aber ehrlich gesagt kann ich mich damit als ehemaliges Mitglied der deutschen Nationalmannschaft (zuletzt 2001 auf der Europameisterschaft in Leon) schwer identifizieren. Ich hätte zu meiner aktiven Zeit als Spitzenspieler nie vom DSB erwartet, mich über einen längeren Zeitraum gezielt zu fördern. Es genügte mir vielmehr, von Zeit zu Zeit zu starken Turnieren eingeladen zu werden und gelegentlich für die Nationalmannschaft nominiert zu werden.
Natürlich ist man als Spitzenspieler nie ganz mit seinem Verband zufrieden, da er die Interessen Vieler bedienen muss. Für einen kurzen Zeitraum erhielt ich sogar ein vom DSB finanziertes Training von einem starken Großmeister, ansonsten habe ich mich seit jeher autodidaktisch fortgebildet. Allerdings war ich schon damals mehr Amateur als Profi, und sah meine Zukunft nicht im Schach.
Es ist mir bewusst, dass Profis eine andere Perspektive haben. So weit so gut, doch schon seit längerem beschleicht mich das Gefühl, dass das Anspruchsdenken der heutigen Nationalspieler enorm gewachsen ist. Angestrebt wird ein Rundum-Sorglos-Paket: Honorar verdoppeln, festen Theorietrainer engagieren, Budget für Privattrainer oder Einladungen zu GM-Turnieren garantieren, Einfluss auf die Personalpolitik des DSB nehmen - fehlt noch was? Ein bisschen mehr Bescheidenheit täte hier aus meiner Sicht gut!
Sorgenvoll wiege ich mein Haupt, und lasse mir noch mal alles durch den Kopf gehen. Will sich der DSB noch länger auf solche unerquicklichen Diskussionen einlassen, oder sollte er nicht lieber einen Schluss-Strich unter die Debatte ziehen? Wir werden in Deutschland ohnehin nie ein professionelles Schachumfeld bieten können, denn dafür ist die Verankerung in der breiten Bevölkerung einfach zu gering, und die auf bewegte Bilder und Sensationsnachrichten fokussierte Medienlandschaft nimmt zu wenig Notiz. So schön der EM-Erfolg war - was hat er denn in der Presse gebracht? Keine Berichte im Fernsehen und mehr oder weniger lästige Pflichtberichte in manchen großen Tageszeitungen. Also bitte, selbst dieser Riesenerfolg ist doch an der breiten Öffentlichkeit fast völlig vorbei gegangen, da Schach im deutschen Medienkonzert inzwischen an ungefähr hundertster Stelle rangiert! Es ist doch alles andere spannender in der medialen Berichterstattung als die von einigen Sonderlingen praktizierte Geheimwissenschaft Schach, die man einem normalen Menschen nicht erklären kann (ich denke, dass man uns im Wesentlichen so in den Redaktionen der Zeitungsverlage sieht). Wer kann denn die Feinheiten der heutigen Eröffnungstheorie und Computervorbereitung noch nachvollziehen? Ich jedenfalls nicht mehr! Da spielen nach meinem Eindruck auf den Topturnieren nur noch gut vorbereitete Robonauten gegeneinander (wer es mir nicht glaubt, lese die entsprechenden Veröffentlichungen von Jan Gustafsson zur Tiefe seiner Vorbereitung).
Ich frage mich: Wozu so viel Geld und Mühe in das Spitzenschach stecken, wo wir langfristig auf verlorenem Posten kämpfen, und den eben errungenen Erfolg wohl nicht in den nächsten zehn Jahren wiederholen können? Verwenden wir die knappen Ressourcen doch lieber für andere Zwecke, und hier vor allem für die Kinder- und Jugendarbeit, um gegen die fast allgegenwärtige bedrohliche Überalterung in den Schachvereinen anzugehen!
Früher hätte ich nicht so gedacht – das gebe ich zu, aber inzwischen sehe ich den Hebel zur Zukunftssicherung des deutschen Schachs mehr an der Basis als an der Spitze. Vor allem dann, wenn die Anstrengungen des DSB zur Stärkung des Spitzenschachs von einigen Solotänzern unterlaufen werden.
Abschließend habe ich einen Vorschlag zur Lösung des Problems: Nominiert doch einfach Spieler in die Nationalmannschaft, die gerne dort spielen, und dankbar sind, wenn sie nominiert werden. Natürlich werden sie nicht denselben Erfolg erreichen, wie unsere Spitzenspieler, und dann gibt es wieder an anderer Stelle Kritik. Aber man muss sich einmal entscheiden, was man will: Friede in der Nationalmannschaft oder Dauerkrieg mit den Unzufriedenen. Ich plädiere für Frieden, und somit für eine härtere Gangart des DSB!
München, den 28. November 2011
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 146