22. Dezember 2013
Als schachgeschichtlich interessierter Mensch fieberte ich solch einem Buch natürlich besonders entgegen, und gerade dann noch wenn darin Protagonisten aus der eigenen Heimatstadt eine große Rolle spielen. Daß sich darunter noch einige lebende Legenden befinden, ist für den weniger historisch Bewanderten vielleicht auch ein Grund, sich in dieses Buch hineinzulesen. Er wird es auf jeden Fall nicht bereuen, denn der Hamburger Journalist Michael Dombrowsky pflegt einen erfrischenden Schreibstil, und bei der Lesung von Verleger Arno Nickel am 24. November 2013 stand den Zuhörern nicht nur einmal ein Schmunzeln im Gesicht. Man merkt, daß der Autor sein Handwerk versteht.
Kaum einen der zehn von Dombrowsky behandelten Schachlegenden kannte oder kenne ich persönlich. Das liegt zum einen an meiner späten Geburt (Jahrgang 1964), zum anderen an der bis zum Mauerfall 1989 präsenten Teilung der Stadt. Dombrowsky hat sich bevorzugt mit Schachmeistern beschäftigt, denen er selbst noch begegnet ist. Für ihn als Westdeutschen waren das zwangsläufig fast ausschließlich Westdeutsche, wenn man einmal von Kurt Richter absieht, der im Osten seinen Lebensabend genoß.
Neben dem "Scharfrichter" aus Berlin-Karlshorst, dem Dombrowsky 18 Seiten widmet, kommen folgende Meister zu Ehren: Klaus Uwe Müller, Dr. Heinz Lehmann, Rudolf Teschner, Klaus Darga, Adolf Delander, Harald Lieb, Wolfram Bialas, Hans-Joachim Hecht und Jürgen Dueball. Einige der Spieler konnte der Autor noch selbst befragen, bei anderen mußte er sich auf fremde Quellen verlassen. Den mitunter sehr ausführlichen Beschreibungen des Lebensweges durch Dombrowsky folgen jeweils mehrere von IM Dr. Helmut Reefschläger kommentierte Partien.
Mit einem etwas mulmigen Gefühl las ich im Vorwort, daß mich kein Schachbuch erwartet, "wie man es üblicherweise" kennt. "Ich erzähle Episoden und Szenen, die manchmal fiktiv sind, aber durchaus so geschehen sein könnten. Die Fakten wurden von der Phantasie jedoch nicht verformt." so der Autor weiter. Auf diese Art geht es auch gleich im ersten Kapitel los, wo Dombrowsky einen fiktiven Besucher in die "Arena des Berliner Schachlebens" im West-Berlin von 1960 eilen läßt. Das Klischee vom darbenden Wirt, der an Schachspielern nichts verdient, weil deren Kaffee "stundenlang völlig unberührt abkühlt" wird bemüht, als auch die landläufige Meinung, Schachspieler würden am Brett verwahrlosen und sich nach "einem Spaziergang in der Sonne" sehnen. Die letzten beiden Aussagen beziehen sich sogar auf einen namentlich genannten Spieler: Herbert Kutscha ist mir allerdings bei meinen historischen Recherchen noch nie untergekommen. Deutlich bekannter ist da schon einer der "zu den Stammgästen" gehörenden Meisterspieler: Rudolf Elstner. Schlecht sitzender Anzug, schmal und schmächtig, wenige graue Haare die seine Glatze umsäumen - so beschreibt Dombrowsky den DDR-Meister von 1950. Ob er dafür ein im Buch abgebildetes Foto zu Rate gezogen oder sich auf Erzählungen von Weggefährten Elstners verlassen hat, bleibt offen.
Selbst wenn der Autor ein wenig zuviel Fiktion in sein Buch gebracht hat: Es liest sich gerade dadurch auch für historisch nicht ganz so interessierte Leser sehr spannend. Und für den faktenbesessenen Historiker bleibt trotzdem noch genug Stoff übrig, um eine lange U-Bahnfahrt durch Berlin sehr kurz erscheinen zu lassen. Ich freue mich schon auf die nächsten Editionen der "Berliner Schachlegenden" - wenn es sie denn gäben würde. Genügend Schachmeister hat die Hauptstadt ja hervorgebracht, um noch viele Bände zu füllen.
"Berliner Schachlegenden" bei der Edition Marco
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9327