24. Juni 2019
Gleich zwei große Erfolge feierten die deutschen Problemkomponisten bei der siebten Weltmeisterschaft für Schachkompositionen. In der Studien-Abteilung gelang dem Berliner Martin Minski ein sehr guter zweiter Platz, den Silvio Baier in der Retro-Abteilung sogar noch toppen konnte: Er wurde Weltmeister! Herzlichen Glückwunsch den Beiden!
Lesen Sie jetzt den nachfolgenden Bericht von Thomas Brand.
Wie im Partie- und im Fernschach werden auch im Problemschach Weltmeisterschaften ausgetragen.
1977 fand in Malinska (heute Kroatien) die erste Weltmeisterschaft im Lösen von Schachproblemen statt; sie wird seitdem jährlich im Rahmen des internationalen Problemschach-Weltkongresses ausgerichtet. In der Nationenwertung kämpfen Dreierteams, die in Deutschland aufgrund der Ergebnisse der nationalen Lösemeisterschaft aufgestellt werden, um den Team-Titel; in der gleichen Veranstaltung wird auch der Einzelweltmeister ermittelt. In insgesamt sechs Stunden gilt es, 18 schwierige Schachprobleme zu lösen. Für jede richtige Lösung gibt es 5 Punkte zu erreichen; Fehler werden mit Abzügen bestraft; bei Punktgleichheit entscheidet die kürzere Lösungszeit.
Deutschland liegt in der „Ewigen Rangliste“ der Löseweltmeisterschaften hinter den seit etwa einem Jahrzehnt unbesiegbar erscheinenden Polen (u.a. mit Partie-GM Kacper Piorun) auf Rang zwei mit sieben Gold-, elf Silber- und sieben Bronzemedaillen; bei allen 42 Weltmeisterschaften konnte sich das deutsche Team unter den ersten zehn Nationen platzieren.
Auch in den Einzelwertungen konnten sich deutsche Löser schon in die Siegerliste eintragen: Michael Pfannkuche bereits zweimal, Arno Zude einmal. Beiden wurde im Jahr 2005 zusammen mit Boris Tummes für ihre Erfolge bei den Löseweltmeisterschaften vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler das Silberne Lorbeerblatt verliehen, alle drei tragen auch den FIDE-Titel eines Großmeisters im Lösen von Schachproblemen.
Erst seit dem Jahr 1998 werden auch im Komponieren von Schachproblemen Weltmeisterschaften ausgetragen. Hierzu können Schachkomponisten aus ihren in einem Drei-Jahres-Zyklus veröffentlichten Schachproblemen in acht Abteilungen jeweils bis zu sechs Aufgaben einreichen, die dann von einem international besetzten Preisrichter-Gremium aus jeweils fünf hochqualifizierten Preisrichtern mit Punkten bewertet werden; nimmt ein Richter selbst am Turnier teil, darf er seine eigenen Aufgaben natürlich nicht selbst bewerten. Die Punkte der vier bestbewerteten Aufgaben eines jeden Komponisten werden addiert, der Komponist mit der höchsten Punktzahl ist in der Abteilung Weltmeister.
Kürzlich ging die siebte Periode dieser Weltmeisterschaften für die Jahre 2016 bis 2018 zu Ende, und erstmals konnte ein deutscher Problemist einen Weltmeistertitel erringen: Silvio Baier gelang es, sich als Vizeweltmeister der sechsten Periode noch um einen Platz zu verbessern und nun Weltmeister in der Retro-Abteilung vor Titelverteidiger Dmitrij Baibikow aus Israel zu werden.
In der Studien-Abteilung konnte Martin Minski hinter Titelverteidiger Oleg Perwakow den zweiten Platz belegen und ist damit Vizeweltmeister.
Aber nicht nur die „Treppchen-Plätze“ sollten bei einer Weltmeisterschaft Erwähnung finden, darum seien hier auch die anderen besonders gut platzierten deutschen Teilnehmer genannt: Ralf Krätschmer und Uwe Karbowiak (9. bzw. 11. Platz in der Abteilung Mehrzüger) sowie Franz Pachl und Hubert Gockel (5. bzw. 9. Platz in der Abteilung Märchenschach). Auch die Berufung der Richter zu dieser Weltmeisterschaft beweist das hohe Ansehen des deutschen Problemschachs: In sieben der acht Abteilungen war ein deutscher Richter vertreten (Zweizüger: Gerhard Maleika, Dreizüger: Uwe Karbowiak, Studien: Martin Minski, Hilfsmatts: Silvio Baier, Selbstmatts: Frank Richter, Märchenschach: Franz Pachl, Retros: Thomas Brand); Mitglied der Gesamtturnierleitung war Rainer Staudte.
Silvio Baier, Jahrgang 1978, ist als promovierter Physiker am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf tätig, er ist verheiratet und hat zwei Kinder. Spätestens seit einer gemeinsamen Veröffentlichung mit zwei anderen Problemisten aus Frankreich und Argentinien (sh. S. Baier, N. Dupont, R. Osorio: Future Proof Games – A challenging new concept, August 2011, Sonderdruck der Schwalbe, der Zeitschrift der deutschen Problemschachvereinigung) gilt er weltweit als ein führender Spezialist für Beweispartien, ist aber auch in anderen Problembereichen zuhause, so ist er seit dem Jahr 2010 Redakteur der Schwalbe für Hilfsmatts.
Beweispartien bilden eine Untergruppe der retroanalytischen Probleme, bei denen es nicht um die „Zukunft“ einer Schachstellung geht (z.B. Matt in drei Zügen, Remis), sondern um deren Geschichte seit der Partieausgangsstellung. Beweispartien sind dabei künstlich erdachte Partien, die auf eindeutige Weise regelkonform erspielt werden können. Dabei steht nicht der Wettkampf im Fokus, sondern Weiß und Schwarz erspielen kooperativ die gesuchte Stellung in der angegeben Zügezahl. Hierbei wären schon kleinste Abweichungen von der Eindeutigkeit zerstörerisch, deshalb können viele „Partie-normale“ Eröffnungen nicht vorkommen: Auch 1.c4 d5 2.d4 führt zum klassischen Damengambit, weshalb es wegen der möglichen Zugumstellung hier nicht auftauchen kann.
Über den Rätselcharakter eines jeden Schachproblems hinaus geht es hier darum, ungewöhnliche Manöver zu zeigen, die in der normalen Schachpartie nicht oder nur sehr selten vorkommen. Beispielsweise werden gern Umwandlungsthemen gezeigt etwa in der Art, dass ein Bauer umwandelt und anschließend wieder geschlagen wird oder einen Originalstein, der geschlagen wurde, ersetzt. Konkrete Hinweise auf die Lösung sollte die Stellung möglichst nicht enthalten.
Ein solches Spitzenprodukt des neuen Weltmeisters sei hier vorgestellt. Es ist erstaunlich, wie weitreichend dabei etwas über die Vergangenheit der Diagrammstellung mit strengen Beweisen abgeleitet werden kann!
Hier gilt es, die eindeutige Partie zu rekonstruieren, die nach dem 33. Zug von Schwarz zur Diagrammstellung geführt hat. Die Lösung lässt sich natürlich nicht durch reines Ausprobieren finden, sondern wir müssen nach Stellungsmerkmalen suchen. Und hier fällt schnell auf: Es sind alle Offiziere an Bord, es fehlen nur Bauern. Und wir sehen, dass Weiß mit seinen Bauern mindestens vier schwarze Steine geschlagen hat: bxa3, zweimal cxb sowie dxc. Auch Schwarz hat mindestens zweimal mit einem Bauern geschlagen: sBa4 kommt von c7. Und noch mehr hilft die Erkenntnis weiter, dass die Bauern allesamt keinen Bauern schlagen konnten. Und da alle Offiziere auf dem Brett stehen, müssen also vier schwarze und zwei weiße Bauern „irgendwo“ auf dem Königsflügel (oder auf d1) umgewandelt haben. Dabei müssen, um für die Umwandlungen aneinander vorbei zu kommen, noch jeweils ein weißer und ein schwarzer Bauer geschlagen haben.
Etwa durch Abzählen und Analyse notwendiger Züge, um zur Diagrammstellung in der geforderten Zügezahl gelangen zu können, kann man sich der Lösung nähern. Schwarz benötigt ja allein 20 Züge, um seine vier Umwandlungen spielen zu können, außerdem muss er noch vier Offiziere - original oder umgewandelt - so platzieren, dass sie etwa auf a3 geschlagen werden können. Hierfür bleiben ihm nur sechs Züge übrig, denn er muss ja auch noch die im Diagramm sichtbaren sieben Züge (3x Bauer, 2x König, 1x Turm und Springer) spielen. Wir können auch schon einmal Mutmaßungen über schwarze Umwandlungssteine anstellen, die dann schnell vom Königs- zum Damenflügel sprinten können: so kann ein auf g1 umgewandelter Läufer in einem Zug nach b6 gelangen. (Eine Dame schaffte das natürlich auch, aber wegen der geforderten absoluten Eindeutigkeit der Lösung muss der Komponist dies durch irgendeinen Kniff – hier ein „unpassendes“ Schachgebot – ausschalten.)
Sechs Umwandlungen in einer normalen Partie sieht man sicher nicht häufig; vor allen Dingen nicht vier Unterverwandlungen und deren einheitliche Verteilung auf Weiß und Schwarz: LD bei Weiß und zweimal LD bei Schwarz – und alle Umwandlungssteine opfern sich wieder! Dabei kann man gar das völlig verblüffende Rückkehrmanöver der weißen Dame (17.Dh1!, 24.Dd1!) übersehen. Und das alles ist eindeutig und kann nur genau so geschehen sein!
Martin Minski, Jahrgang 1969, arbeitet als Lehrer für Mathematik und Französisch an einer Berliner Privatschule, er ist verheiratet. Schon als Zwanzigjähriger entdeckte er seine Liebe für das Problemschach: Zunächst komponierte er mehrzügige Mattaufgaben, seit gut 25 Jahren fast ausschließlich Studien. Auch hier geht es darum, bestimmte schachliche Ideen möglichst klar und mit eindeutigen Zügen des Weißen (zum Sieg oder zum Unentschieden) darzustellen; das unterscheidet sie etwa von Trainingsaufgaben für den Partiespieler: Bei ihnen kommt es auf den Lerneffekt, nicht unbedingt auf Eindeutigkeit oder gar Schönheit der Lösung an. Auf diese Unterschiede ging schon der große Endspielexperte André Chéron im ersten Band seiner Reihe „Lehr- und Handbuch der Endspiele“, Berlin 1955, ausführlich ein.
Weiß verfügt zwar über zwei Mehrbauern, muss aber um das Remis hart kämpfen, da sein König sehr gefährdet steht, es droht 1.- De3#. Ein beliebiger Wegzug des Läufers hilft auch nicht wegen 1. ... De3+ 2. Ke5 Lg6#, auf 1. Lf4 folgt 1. ... Dxf4 2. h8D und Matt durch Läuferabzug. Da muss Weiß schon zu „schwereren Geschützen“ greifen: 1. Dh5! Dxh5 2. h8D Lh7! [Auf 2. ... Dg4 kann sich Weiß mit 3. Dh2+ Lg2+ 4. Df4 Dd7+ 5. Ld6 exd6 6. De3+ retten.] 3. Lf4 Kf2! [3. ... Kf3/Kd1 ist wegen 4. De5 schwächer] 4. Df8! [Weiß baut eine Batterie gegen den schwarzen König auf; 4. De5? scheitert an Dd1+ 5. Ld2 Dxd2#, dabei blockt die weiße Dame ihrem König das Fluchtfeld e5.] 4. ... Dg4 5. Df6!! [noch ein Damenopfer, das Schwarz allerdings nicht annehmen sollte, da es sofort Patt ist, und zwar ein ganz besonderes; die Problemisten sprechen von „Ideal-Fesselpatt“: wLf4 ist gefesselt und kann deshalb nicht ziehen, der weiße König kann jedes seiner Nachbarfelder aus genau einem Grund nicht betreten, und jeder Stein in der Stellung wirkt am Pattbild mit: Eleganter geht es nicht! 5. Ke5? reicht nicht wegen 5. ... De2+ 6. Le3+ Kxe3–+] 5. ... Kf1! [5. ... Lb1 6. Dg5 Dd1+ 7. Ld2=] 6. Df8! [Hier gibt es die Verführung 6. Df7? Lg6! 7. Df8 Kf2! 8. Df6! Dd1+! 9. Ld2+ Ke2! 10. Dxe7+ (10. Dxg6 Dxd2+ 11. Ke5 De3+ 12. De4 Dxe4+ 13.Kxe4 Kd2 14.Kd4 Kc2–+) 10. ... Kxd2–+ Position X – die merken wir uns -- mit sLg6] 6. ... Kf2 [6. ... Lb1 7. Ke5 De2+ 8. Le3+; 6. ... Kg2 7. Dh6! Dd7+ 8. Ld6! e5+! 9. Ke3! bringen Schwarz auch keinen Sieg] 7. Df6! [7. Dh6? Dd7+ 8. Ld6 e5+! 9. Kxe5 Df5+ 10. Kd4 De4#], und nun
7. ... exf6 [1. Ideal-Fesselpatt, nämlich unser Pattbild von oben. Schwarz könnte natürlich wieder 7. ... Kf1 spielen, aber das ergäbe dann letztendlich Remis durch Zugwiederholung oder spätere Annahme des Damenopfers.] oder
7. ... Dd7+ 8. Ld6+ exf6 [2. Ideal-Fesselpatt] oder
7. ... Dd1+ 8. Ld2+ exf6 [3. Ideal-Fesselpatt; 8. ... Ke2 9. Dxe7+ Kxd2 Position X mit sLh7, das ist für Weiß nützlich wegen 10. Dxh7 Dg1+ 11. Ke5 D:c5+ 12. Ke6=].
Drei höchst elegante Patts, die jeweils prinzipiell um 90 Grad gedreht sind.
Übrigens gibt es auch für die Problemkomponisten Titel wie bei den Lösern oder Partiespielern, die Normen sind aber normalerweise nur sehr zeitaufwändig über viele Jahre zu erlangen. So kommt es, dass Vizeweltmeister Martin Minski seit 2017 Internationaler Meister im Komponieren von Schachaufgaben ist; Weltmeister Silvio Baier wird diesen Titel voraussichtlich in diesem Jahr verliehen bekommen: Auch ein (Vize-)Weltmeister erhält nicht automatisch den Großmeistertitel.
Schwalbe - deutsche Vereinigung für Problemschach | Ergebnisse der Weltmeisterschaft
Thomas Brand, Bornheim
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 10058