11. März 2018
Das größte Schachereignis 2018 in Deutschland ist sicherlich das Kandidatenturnier in Berlin, um den Herausforderer für Magnus Carlsen zum Kampf um die Weltmeisterschaft vom 9. - 28. November 2018 in London zu ermitteln.
Acht der weltbesten Schachspieler spielen in einem doppelrundigen Turnier gegeneinander an. Die Spieler qualifizierten sich auf unterschiedlichste Weise für die Teilnahme, allein Kramnik erhielt eine Wildcard des Veranstalters. Alle Spieler befinden sich seit Jahren konstant auf einem enorm hohen Niveau, so dass es unmöglich ist einen eindeutigen Favoriten zu küren. Daher sollen die Teilnehmer einem kleinen Formcheck unterzogen werden:
Lewon Aronjan kommt mit der Empfehlung des hart umkämpften Siegs beim Tradewise Gibraltar Masters und nicht zuletzt dem Gewinn des FIDE Grand Prix zum Turnier. Der sympathische Armenier ist dem deutschen Schachpublikum durch seine Auftritte in der Schachbundesliga wohl bekannt und genießt durch seine langjährigen Aufenthalte in Berlin sicherlich so etwas wie Heimvorteil. Er ist nicht das erste Mal der am häufigsten genannte Kandidat für den künftigen Herausforderer von Carlsen.
Schachrijar Mamedjarow hat ein glänzendes Schachjahr 2018 hinter sich. Lohn ist der Anstieg seines Ratings über 2800 und die Einnahme des zweiten Platzes in der Weltrangliste. Im Tata Steel Masters 2018 zu Beginn dieses Jahres gelang ihm der geteilte dritte Platz, dabei er verlor nur eine Partie gegen Giri. In seinem letzten Turnier, dem Tal Memorial, lief es nicht optimal für ihn, allerdings gilt er nicht gerade als Spezialist für die kürzeren Bedenkzeiten. Es wäre keine Überraschung, wenn er am Ende des Turniers ganz oben stehen würde.
Sergej Karjakin
Er war der überraschende Sieger des letzten Kandidatenturniers. Viele dachten, dass er im anschließenden Wettkampf gegen Carlsen chancenlos ist, aber er konnte dem Weltmeister in den klassischen Partien Paroli bieten. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte Carlsen geschlagen. Karjakin kommt mit der Empfehlung des Siegs beim Blitzturnier des gerade zu Ende gegangenen Tal Memorials zum Kandidatenturnier. Im Tata Steel Masters 2018 verlor er keine Partie und schlug mit Kramnik und Caruana zwei der Kandidaten. Mit ihm wird zu rechnen sein, aber reicht das auch für Platz 1?
Wladimir Kramnik
Er ist ein Alleskönner und Ex-Weltmeister. Seit gefühlten Ewigkeiten gehört Kramnik zu den besten Spielern der Welt. Unvergessen sind seine 10 Siege in Dortmund. Er teilte mit Mamedjarow den dritten Platz im Tata Steel 2018, ohne aber im Turnier gegen die anderen Kandidaten voll zu überzeugen. Auch im kürzlich zu Ende gegangenen Turnier des Tal Memorial lief es nicht rund, die dort kürzeren Bedenkzeiten sind aber auch nicht seine erste Wahl. Doch er hat nicht umsonst 2800 Elo und kann jeden Spieler der Welt schlagen.
Fabiano Caruana
Einer der drei Topfavoriten von Jan Gustafsson, aber seine Formkurve zeigte zuletzt nach unten. So musste er sich in seinem letzten großen Turnier, dem Tata Steel Masters 2018, mit dem geteilten 10. Platz zufrieden geben und erlitt gegen einige der dort angetreten Kandidaten empfindliche Niederlagen. Damit verbunden fiel er unter die magischen 2800. Es ist fraglich, ob er die Pause zur Regeneration nutzen konnte, aber abschreiben darf man ihn nie.
Liren Ding
Sollte er das Turnier gewinnen, so kann man sicher die Formulierung „Hatten die wenigsten auf dem Zettel“ nutzen. In einem Showkampf mit Magnus Carlsen Ende letzten Jahres hatte er wenig Chancen und konnte lediglich zwei Blitzpartien für sich entscheiden. Zuletzt spielte er noch ein stark besetztes Schnell- und Blitzturnier, indem er allerdings auch keine Akzente setzen konnte. Dennoch darf man ihn nicht unterschätzen, er hat mehrfach seine Klasse im FIDE-Weltcup, sowie in Mannschaftskämpfen bei der Schacholympiade und Weltmeisterschaften gezeigt.
Alexander Grischuk
Er ist einer der beständigsten Spieler in der Weltspitze. Allerdings konzentriert er sich hauptsächlich auf Turniere mit kurzen Bedenkzeiten. In diesen Disziplinen ist er einer der stärksten Spieler der Welt, was er unlängst in Huaian (China) wieder unter Beweis stellen konnte. Es bleibt abzuwarten, ob er in diesem Turnier eine Rolle spielen wird, denn in der ersten Runde wartet gleich Kramnik.
Wesley So
Ab 2013 begann sein steiler Aufstieg in die Westspitze, der ihn bereits 2014 mit gerade einmal 21 erstmals in die Top-10 der Schachwelt führte. Seither ist er dort nicht mehr wegzudenken und so ist seine Teilnahme am Kandidatenturnier nur eine logische Konsequenz seines erfolgreichen Spiels. In seinem letzten Topturnier, dem Tata Steel Masters 2018, teilte er den 5. Platz zusammen mit Anand. Er zeigte sich auf Augenhöhe mit den anderen „Kandidaten“ und musste sich nur dem Weltmeister und Sieger des Turniers Magnus Carlsen geschlagen geben. In den letzten Partien riskierte er nicht viel und es muss sich zeigen ob sein solides Spiel für einen vorderen Platz im Turnier ausreicht.
Was für ein toller Start der Wettkämpfe! Kein Vergleich zum letzten Kandidatenturnier, als zahlreiche, wenig spannende Remisen das Turnier prägten.
Lewon Aronjan eröffnet mit der Englischen Eröffnung als erstes den Kampf mit dem offenbar vorbereitenden, bisher nur einmal gespielten Zug 8. h4! Kurze Zeit später befindet sich auch er außerhalb seiner Präparation und in dem sehr komplexen Stellungstyp verbrauchen beide Spieler viel Zeit. Ding findet zunächst die richtigen Antworten, begeht aber mit 18. … Td6 eine Ungenauigkeit die Aronjan mit dem nicht unbedingt auf der Hand liegenden Zug Tb2 ausnutzen konnte. Auch wenn der Computer Weiß spürbar im Vorteil sieht, sind die Folgen alles andere als eindeutig. Beide Spieler wollen das Risiko in der ersten Runde nicht zu hoch schrauben und wiederholen die Züge zum Remis. Schade, Aronjan konnte die Früchte seiner Vorbereitung nicht ernten.
Aronjan,Lewon (2794) - Ding,Liren (2769)
1.c4 Sf6 2.Sc3 e6 3.e4 d5 4.e5 d4 5.exf6 dxc3 6.bxc3 Dxf6 7.d4 b6 8.h4 Lb7 9.Lg5 Df5 10.Ld3 Da5 11.Kf1 Sc6 12.Tb1 f6 13.Ld2 0-0-0 14.a4 e5
15. Rh3!? 15.c5 Lxc5! = 16.Tb5 Da6 17.Th3 Lxd4 18.Le2 Td6?
19.Tb1 Da5 20.Tb5 Da6 21.Tb1 Da5 22.Tb5 ½-½
Die erste Runde führt gleich die beiden Amerikaner im Turnier gegeneinander. Überraschend leicht gewinnt Caruana die Partie gegen seinen Landsmann. So wählt einen soliden, festen Aufbau gegen den Katalanen von Caruana, der unter den Top-Spielern einen guten Ruf genießt. Caruana setzt dabei mit dem seltener gespielten 8. Db3 statt des üblichen Dc2 fort. So lädt Caruana zu einer Zugwiederholung ein, jedoch lässt sich Caruana nicht darauf ein und bringt mit 12. Sbd2 als Erster eine Neuerung. Zwar kommt So in der Folge zu Gegenspiel am weißen Damenflügel, jedoch reicht die Initiative nicht aus. Das naheliegende 26. e6! nutzt die Schwächung des schwarzen Königsflügel aus und die folgenden Ungenauigkeiten von So führen zu einem raschen Zusammenbruch.
Caruana,Fabiano (2784) - So,Wesley (2799)
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 Lb4+ 4.Ld2 Le7 5.Lg2 d5 6.Sf3 0-0 7.0-0 c6 8.Db3 Sbd7 9.Lf4 a5 10.Td1 Sh5 11.Lc1 Shf6 12.Sbd2 b5 13.c5 b4 14.Dc2 a4 15.Te1 e5 16.Sxe5 Sxe5 17.dxe5 Sd7 18.Sf3 Lxc5
19.Sg5! g6 20.Lf4 Db6 21.e4 b3 22.axb3 axb3 23.De2 La6?! 24.Df3 Lc4 25.Txa8 Txa8
26.e6! dxe4 27.exf7+ Lxf7 28.Sxe4 Ld4 29.Sd6 Ld5 30.De2 Sf8 31.Lxd5+ cxd5 32.Df3 Da5 33.Te7 1-0
Kramnik beweist gleich in der ersten Partie warum er in dieses Kandidatenturnier gehört. Mit 3. b3 bringt er die erste kleine Überraschung, die Grischuk aber noch nicht wirklich in Bedrängnis bringt. Geduldig gruppiert Kramnik seine Figuren um und wartet auf die Fehler seines Gegners. Statt sich mit 18… b5 oder Sc5 zu entlasten aktiviert Grischuk seinen Turm und überführt diesen via c5 nach g5 um Druck auf Kramniks Königsflügel auszuüben. Der Turm findet dort allerdings keine Rückzugsfelder so dass Schwarz zunächst die Qualität geben muss. Kramnik gibt wenig später diese zurück und wickelt in ein, optisch nur leicht besser stehendes, Endspiel ab. Grischuk kann die entstehenden Probleme nicht lösen und in Zeitnot übersieht er das weiße Manöver Tc2 -> c7 -> a7 womit Kramnik sich völlig verdient den ersten Punkt holt.
Kramnik,Wladimir (2800) - Grischuk,Alexander (2767)
1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.b3 c5 4.dxc5 Da5+ 5.Sbd2 Dxc5 6.Lb2 Lg7 7.e3 0-0 8.c4 b6 9.Le2 Lb7 10.0-0 Dc7 11.Tc1 d6 12.Sb1 Sbd7 13.Sc3 Tac8 14.Tc2 Db8 15.Da1 a6 16.Td2 Tfe8 17.Tfd1 La8 18.Sg5
18. ... b5! = 18. ... Tc5?! 19.Sh3 b5 20.Sf4 bxc4 21.Lxc4 Tg5 22.Scd5 Se5 23.Le2 Se4 24.Td4 Sc5 25.h4 Tf5 26.e4 Txf4 27.Sxf4 Sxe4 28.Sd5 Sc5 29.Tb4 Da7 30.Se3 a5 31.Tb5 Se6 32.Txe5 dxe5 33.Lxe5 Dc5 34.Lxg7 Sxg7 35.Dd4 Dxd4 36.Txd4 Lc6 37.Td2
37. … Se6 verhindert zumindest das nachfolgende Manöver z.B.: 38. Tc2 Sd4!= 37. ... Tb8 38.Tc2 Le8 39.Tc7 Kf8 40.Ta7 a4 41.bxa4 Tb1+ 42.Kh2 Tb4 43.a5 Txh4+ 44.Kg1 Ta4 45.Lc4 Lc6 46.Tc7 Le8 47.a6 Sh5 48.Sd5 1-0
Etwas überraschend verzichtet Karjakin nach 1. e4 e5 2. Sf3 Sc6 auf 3. Lc4 und setzt mit Lb5 fort. Mamedjarow ist bereit den Kampf aufzunehmen, vermeidet Berliner Strukturen und setzt mit 3. … g6 fort. Diese erwies unter anderem Carlsen gute Dienste, kam aber bisher in Mamedjarow's Repertoire eher selten vor. Karjakin tauschte auf c6, besetzte schnell das Zentrum und übte mit der Dame Druck auf den schwarzen Damenflügel aus. Nach 14. Dxc7 konnte Schwarz mit dem fantastischen 14. … Sd5 unübersehbare Verwicklungen mit Drohungen gegen den weißen König entwickeln. Er dachte 30 Minuten nach und beschloss in ein leicht besser stehendes Schwerfigurenendspiel abzuwickeln. Eine kleine Ungenauigkeit seitens Karjakin verschaffte ihm einen Freibauern, der ständigen Druck ausübte. Doch Karjakin ist ein zäher Verteidiger und so sollte erst eine Fehleinschätzung Karjakins endgültig die Waage zu Mamedjarow's Gunsten neigen. Aber auch Mamedjarow konnte diese Partiephase nicht fehlerfrei absolvieren. Mittels des schrecklichen 58. Kg3? ist Schwarz endgültig auf der Siegerstraße und mit einem sehenswerten Königsmarsch beendet Mamedjarow die Partie siegreich.
Karjakin,Sergej (2763) - Mamedjarow,Schachrijar (2809)
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 g6 4.c3 a6 5.Lxc6 dxc6 6.d4 exd4 7.cxd4 Lg4 8.Db3 Lxf3 9.gxf3 Lg7 10.Le3 Se7 11.Sc3 Lxd4 12.Lxd4 Dxd4 13.Dxb7 0-0 14.Dxc7
14. ... Sd5! 14. ... Tab8 15.0-0 Txb2 16.Dxe7 Dxc3 17.Kg2 Tc2 18.Tad1 Txa2 19.Tc1 Tc2 20.Txc2 Dxc2 21.Ta1 Dc4 22.Db7 Db5 23.Dxa6 Dg5+ 24.Kf1 Df6 25.Kg2 Tb8 26.Ta5 Tb3 27.Dc8+ Kg7 28.Dg4 Tb5 29.Txb5 cxb5 30.Dd7 Dg5+ 31.Kf1 De5 32.h4 b4 33.Db7 Dc3 34.e5 b3 35.Kg2 Dc4 36.Db6 h6 37.Kg3 Dd5 38.f4 Kh7 39.Db8 Dc4 40.f3 Dc3 41.Df8 Dc4 42.Db8 Kg7 43.Db6 Dd5 44.Db8 Dd1 45.Db7 Dg1+ 46.Kh3 De3 47.Kg2 De2+ 48.Kg3 De1+ 49.Kg2 De3 50.Db4 g5!
51.hxg5 hxg5 52.fxg5 De2+ 53.Kg3 Dxe5+?? b2 -+ 54.Kf2? f4!= 54. ... Dh2+ 55.Ke3 Dg1+ 56.Kf4 Dc1+ 57.Kg4 De3
58.Kg3?? f4 58. ... Dxg5+ 59.Kf2 Dd5 60.Ke3 Kg6 61.Ke2 Kf6 62.Ke3 Ke6 63.Db6+ Kd7 64.Da7+ Kc6 65.Da6+ Kc5 66.Da4 Dc4 67.Da5+ Kc6 68.Da1 Kb5 69.Db2 Kb4 70.Kd2 Df4+ 71.Ke1 Dh4+ 0-1
Was für ein Auftakt, der für die nächsten Partien hohe Unterhaltung erwarten lässt!
Peter Baudrexel
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 22990