Der Beitrag ist älter als 1 Jahr und der Inhalt möglicherweise nicht mehr aktuell!

Wolfgang Kössler berichtet von der Schacholympiade in Belgrad

10. Februar 2023

Die zweitplatzierte IPCA-Mannschaft mit Dana Reizniece-Ozola, Akaki Iaschwili und Alisa Maric

Vor wenigen Tagen ging in Belgrad die erste Schacholympiade für Menschen mit Behinderungen zu Ende. Polen gewann das Turnier souverän vor der IPCA-Auswahl und den Philippinen. Deutschland erreichte den 12. Platz.

In der serbischen Hauptstadt mit dabei war der Berliner Wolfgang Kössler. Er sandte uns den nachfolgenden Bericht zu.

Bericht zu den ersten Paralympics im Schach

In der Zeit vom 29. Januar bis zum 5. Februar 2023 fanden in Belgrad die ersten Paralympics im Schach statt. Die Entscheidung, deutsche Behindertensportler und -sportlerinnen nach Belgrad zu senden, fiel sehr kurzfristig. Um die unmittelbare Organisation kümmerten sich DSB-Sportdirektor Kevin Högy und Annegret von Erichsen. Annegret war auch während der ganzen Zeit der Reise unsere Ansprechpartnerin.

Ankunft in Belgrad

Am 29. Januar flogen vier Behindertensportler und -sportlerinnen aus Deutschland in die serbische Hauptstadt: Die beiden Körperbehinderten Manuela Mekus und Matthias Dorner sowie die beiden Hörgeschädigten Artur Kevorkov und Wolfgang Kössler. Die Flugtickets für Manuela, Artur und mich hatte Annegret besorgt.
Manuela und Matthias flogen zeitig aus Düsseldorf direkt nach Belgrad, Artur aus Hamburg und ich aus Berlin. Ich traf mich mit Artur am Flughafen in Frankfurt am Main. Unser Flugzeug hatte am Ziel gut eine halbe Stunde Verspätung. Bei Manuela und Matthias gab es in dieser Hinsicht keine Probleme. Dafür ging eine Krücke kaputt, die später im Hotel repariert werden konnte, und der Rollator von Manuela war zunächst nicht aufzufinden.

Nach der Landung wurden wir umgehend vom Flughafenpersonal in Empfang genommen und zu einem Sammelplatz gebracht. Außer Artur und mir waren auch die Mannschaften aus Tschechien und Kasachstan im Flugzeug. Es dauerte eine Weile bis alle beisammen waren und es zur Gepäckabholung ging. Busse brachten uns anschließend in das Hotel Crowne Plaza. Das Einchecken im Hotel ging zügig, so dass wir schnell zum Mittagsbüfett gehen konnten, wo wir Manuela und Matthias trafen.

Eröffnungsfeier

Eröffnungsfeier

Nach dem Beziehen der Zimmer war es bereits spät, draußen wurde es langsam dunkel und wir nutzten die Zeit bis zur Abfahrt zur Eröffnungsfeier für einen Spaziergang. Um 18.15 Uhr holte uns der Bus ab. Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde, über den Fluss Save bis zum Präsidentenpalast bei der Sankt-Markus-Kirche.

Am Einlass warteten Sicherheitskontrollen auf die ankommenden Gäste. Im großen Saal waren Stühle aufgestellt mit Blick auf eine Leinwand, von der man jedoch nur die obere Hälfte sehen konnte, wenn man nicht gerade in der ersten Reihe saß, wo nur besondere Gäste Platz nehmen durften. Kopfhörer zum Mithören auf Englisch wurden verteilt. Für mich war der Ton leider viel zu leise. Ein kleiner Film über die Belgrader Schachszene der letzten 100 Jahre wurde gezeigt. Die englischen Untertitel konnte ich aber hinter den vielen Köpfen nicht lesen. Auch vom an sich guten Film war von meinem Platz wenig zu sehen.

Nach dem Film folgten die Eröffnungsreden und ein Auftritt einer guten serbischen Tanzgruppe. Anschließend wurden wir in den Nachbarsaal zum Empfang mit Appetithäppchen und Getränken aller Art geleitet. Matthias unterhielt sich mit Thomas Luther, der bei der FIDE Beauftragter für den Behinderten-Schachsport ist. Ich konnte bei solcher Geräuschkulisse keine Gespräche führen.
Busse fuhren regelmäßig zurück zum Hotel, wo wir noch zu Abend essen konnten, wenn wir noch nicht satt waren. Ich habe mich mit Matthias über die Mannschaftsaufstellung beraten. Manuela an Brett 4, da waren wir uns weitestgehend einig. Es ist eigentlich allen anderen, mehr oder weniger, egal. Wir haben uns dann, aus taktischen Gründen, wie folgt entschieden: 1. Artur, 2. Wolfgang, 3. Matthias, 4. Manuela. Artur hat sich bei verschiedenen Gehörlosen-Wettbewerben am ersten Brett sehr gut bewährt. Matthias sollte am 3. Brett die Punkte sammeln (was ja auch sehr gut geklappt hat), und ich sollte am 2. Brett, so gut es geht, gegen meistens nominell stärkere Spieler dagegen halten. Manuela sollte ihrer Spielstärke angemessene Gegner bekommen. Wir konnten die ursprüngliche Aufstellung beim Technischen Meeting am nachfolgenden Tag noch ändern.

Das Turnier beginnt

Am Vormittag machte ich mit Artur einen kurzen Spaziergang durch die Beton- und Glaswüste rund um das Hotel. Mehr ging nicht, da um 11 Uhr das Technische Meeting anstand. Matthias hat mich dabei unterstützt, da ich ja akustisch nicht immer alles verstehe. Der Hauptschiedsrichter Nebojsa Baralic sprach gut verständliches Englisch (im Gegensatz zu seinem Nachbarn). Der Ablauf wurde gut erklärt. Die gesamte Organisation war bis hierher und auch später sehr gut.
Neu war, das Kommunikationen zwischen Spielern und auch mit dem Mannschaftskapitän, die mit dem Spiel zusammenhängen, nicht erlaubt sind. Also auch nicht die Frage, ob man Remis machen soll oder nicht. Das muss also jeder selbst entscheiden. Elektronische Geräte jeder Art, auch Uhren, Hörgeräte, Fotoapparat, waren im Spiellokal verboten. Das kannten wir schon von Gehörlosen-Wettkämpfen.
Beim Einlass wurden wir kontrolliert. Spieler, die ihre Partie beendet haben, müssen das Spiellokal verlassen. Das betrifft nicht den Kapitän. Matthias durfte bleiben, da er mich in der Kommunikation unterstützen sollte. Das haben wir vorab mit dem Hauptschiedsrichter geklärt. Bei allen offiziellen Versammlungen (Eröffnungsfeier, Technisches Meeting, Abschlussfeier) sind auch ein oder zwei Gebärden-Dolmetscher dabei.

Das Spiellokal war großzügig eingerichtet, jeder Wettkampf hatte (mindestens) einen Schiedsrichter, der einen zum Erfrischungsraum oder bis zum Eingang der Toilette begleitet. Kaffeetassen und Essen durften nicht mit ins Spiellokal genommen werden, nur Wasserflaschen. Bei Spielen gegen Blinde gab es bei der Zugausführung mitunter kleine Probleme, die aber mit gegenseitiger Rücksichtnahme geklärt werden konnten. Der aktuelle Spielstand wurde sehr zeitnah unmittelbar hinter den Spieltischen angezeigt.

1. Runde gegen Polen

In der ersten Runde am Nachmittag, gegen die an Nr. 1 gesetzten Polen, haben wir, wie erwartet, 1:3 verloren. Ich hatte ziemlich schlecht gespielt, mein Gegner, ein IM, hat später die Brettwertung (5,5 aus 6) am 2. Brett gewonnen. Manuela hatte auch eine sehr gedrückte Stellung. Bei Artur war ein Remis drin. Matthias spielte gegen einen polnischen IM und gewann überzeugend.

2. Runde gegen Kasachstan

Spielbeginn war in der Regel 15 Uhr (außer am Sonnabend). Das Essen im Hotel war reichlich, über die Qualität lässt sich vielleicht streiten. Am Dienstag, dem 31. Januar, bin ich am Vormittag mit Artur in die Stadt gefahren. Bis zur Bushaltestelle waren es etwa 1 km. Fahrscheine gab es im Bus keine. Als ich später zweimal kontrolliert wurde, habe ich gesagt, dass es beim Fahrer keine Fahrkarten gibt. Damit war für die Kontrolleurin die Sache erledigt. Da können sich andere Städte eine Scheibe abschneiden.

Wir besuchten zwei Kirchen: die Kirche des Heiligen Markus und die Sava-Kirche. Letztere ist ganz neu, sehr groß und schön. Zwischendurch haben wir noch das (kleine) Nikola-Tesla-Museum besucht. Mit der Straßenbahn, die uns an die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts erinnert, ging es zurück zum Hotel. Das Hotel war sehr gut, aber etwas abgelegen.

Am Nachmittag spielten wir gegen Kasachstan 2:2. Matthias und Artur machten zeitig Remis, Artur in gewonnener Stellung. Für Matthias sollte es das einzige Remis bleiben! Dann stand ich in gedrückter Stellung, laut Computer zwar besser, habe aber die richtige Fortsetzung nicht gesehen - 1:2. Manuela hat in lange gewonnener Stellung gespielt, bis ihre Gegnerin endlich aufgab.

3. Runde gegen Usbekistan

Am Brett von Ionel Morariu
Mark Livschitz
Am Brett von Ionel Morariu

Am Mittwochvormittag, dem 1. Februar, bin ich mit Artur ins Zentrum gefahren, dann durch die Fußgängerzone zur großen Festung Kalemegdan, hier kreuz und quer gelaufen und an der Save zurück zu Fuß zum Hotel - zusammen 10 km. Der Kalemegdan gilt als die Hauptsehenswürdigkeit von Belgrad.

Am Nachmittag haben wir gegen Usbekistan gespielt und 1½:2½ verloren. Zunächst war Matthias als Erster fertig, wie meistens. Er gewann seine Partie. Dann verloren nacheinander Manuela und Artur. Ich hatte eine Gewinnstellung, aber nach 5½ Stunden Spielzeit ließ die Konzentration nach, nur Remis. Bei Manuelas Partie gab es ein Problem. Ihr Gegner berührte einige Figuren ohne sie zu ziehen, ein (junger) Schiedsrichter stand daneben, meinte aber es ist alles in Ordnung. Während der Partie konnten wir nichts klären, Kommunikation in Bezug zur Partie war nicht erlaubt. Am Abend, nachdem auch meine Partie beendet war, ging ich mit Manuela zum Hauptschiedsrichter. Die Schiedsrichter wussten schon Bescheid, meinten aber, es ist eine Tatsachenentscheidung. Ich habe aus guten Gründen auf einen Protest verzichtet.

4. Runde gegen Sambia

Am Donnerstagvormittag, dem 2. Februar, war ich mit Artur in Zemun, einem Vorort von Belgrad mit kleiner Festung, Aussicht auf die Donau und kleiner Altstadt.

Am Nachmittag spielten wir gegen Sambia 3½:½. Matthias und Manuela gewannen recht schnell. Artur machte in Gewinnstellung ein Remis, um den Mannschaftssieg zu sichern. Bei mir sah es unklar aus. Ich bot meinem Gegner später Remis an, was er ablehnte. Sein Gewinnversuch ging dann nach hinten los.

Am Abend, als wir beim Bier saßen, hat sich der Schiedsrichter bei Manuela für seine Fehlentscheidung gegen Usbekistan entschuldigt. Das fanden wir sehr gut.

5. Runde gegen Kirgistan

Am Freitagvormittag, dem 3. Februar, war ich allein auf dem Weg zum Avala-Berg - mit Straßenbahn, Bus und zu Fuß in 30 Minuten. Vom Turm auf dem Berg gab es eine sehr schöne Aussicht. Artur ging ins Zentrum nach Souveniren suchen.

Am Nachmittag spielten wir gegen Kirgistan 2:2. Manuela verlor, nachdem sie einen Figurengewinn übersah. Matthias gewann wieder, musste aber diesmal sehr kämpfen. Artur hatte den falschen Plan und verlor. Ich kam gut aus der Eröffnung, kam aber unversehens zu einer Verluststellung. Mein Gegner hatte aber keine Ahnung, wie er gewinnt, wich einer Zugwiederholung aus und verlor schließlich.

6. Runde gegen Serbien 2

Am Sonnabend begannen die Spiele schon um 11 Uhr. Wir spielten gegen die zweite Mannschaft Serbiens, die am Anfang des Turniers für Furore sorgte, indem sie die an Nr. 3 gesetzten Kroaten besiegte.
Matthias gewann seine Partie sicher. Artur hatte etwas Glück, weil sein Gegner eine Figur einstellte. Manuela nahm ein Remisangebot ihres Gegners an, damit war der Mannschaftssieg gesichert. Ich kam sehr gut aus der Eröffnung, hatte auch etwas Vorteil, jedenfalls glaubte ich das. Dann machte ich ein paar ungenaue Züge, verlor die Qualität und später die Partie, 2½:1½.

Fazit

Damit haben wir aus sechs Runden sechs Mannschafts- und 12½ Brettpunkte geholt, und eine sehr gute Feinwertung. Damit kamen wir auf den 12. Platz von insgesamt 26 Mannschaften. Ich denke, damit können wir recht zufrieden sein. Als besonderes Highlight holte Matthias mit 5,5 aus 6 am dritten Brett die Brettwertung! Insbesondere auch deshalb hat sich die taktische Aufstellung gelohnt.

Das Turnier klang mit einer Siegerehrung am Sonnabend abend aus. Am Sonntag ging es dann nach Hause. Manuela, Matthias und Artur mussten sehr zeitig los, ich konnte etwas länger schlafen und sogar noch frühstücken. Am Vorabend lag ein Plan aus, wann wer zum Flughafen gebracht wird. Wir kamen alle gut nach Hause, nur bei Artur fehlte das Gepäck. Das wird ihm sicherlich nachgeliefert.

Das Turnier war hervorragend organisiert, auf die Belange von Behinderten wurde sehr gut eingegangen. Die Spieltische waren groß genug, auch für Blindenschachbretter und Rollstühle. Was vielleicht gewöhnungsbedürftig war, ist dass keine Kaffeetassen oder Snacks mit zum Spieltisch gebracht werden durften. Kaffeepausen gingen auf Kosten der Bedenkzeit. Beim Essen wurde Körperbehinderte und Blinde vom Hotelpersonal assistiert.

Wolfgang Kössler

(Redaktionell bearbeitet; Einleitungstext: Redaktion)

// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 10443

Zurück