19. September 2016
Heute ist nicht nur der 52. Geburtstag des Autors dieses Textes, sondern vielmehr auch der 63. Geburtstag von Konrad Reiß, dem sehr engagierten und mir seit meinen Jugendtagen durch seine SCHACH-Artikel bekannten Schachgeschichtsforscher aus Löberitz. Er setzte sich 2007 ein Denkmal, als er das Schachmuseum im 1992 von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Vereinsgebäude eröffnete.
Neun Jahre später durfte ich im Juni zum ersten Mal Gast in Löberitz sein und dieses Museum besuchen. Auch der DSB-Beauftragte für Schachgeschichte und Schachkultur, Dr. Michael Negele, nutzte seinen erstmaligen Aufenthalt im Schachdorf zu einer Stippvisite im Museum. In der Bibliothek im Obergeschoss waren wir drei (auch DSB-Präsident Herbert Bastian) kaum loszureißen von den vielen Exponaten. Negele will den Raum irgendwann einmal für ein Treffen der Schachforscher der Ken Whyld Association nutzen, was Reiß sehr begrüßte.
Ein Teil des Schachmuseums ist unterhalb des Vereinsgebäudes im einstigen Kellergewölbe der ehemaligen Ritterburg (eigentlich ein Rittergut) untergebracht. Deren Reste wurden 1974 abgetragen und nur der Keller blieb erhalten. Er wurde später vom Kindergarten als Abstellraum genutzt, bevor er - inzwischen denkmalgeschützt - zum Ausstellungsraum des Schachmuseums wurde.
Die Löberitzer Burg wurde um 1200 n. Chr. genau am Schnittpunkt der zwischen 700 und 900 n. Chr. durch den slawischen Volksstamm der Wenden gegründeten Orte Löberitz und Grötz sowie Rodigkau als einfache Wehranlage in einem Sumpfgebiet zwischen dem zu dieser Zeit noch mächtigen Fluss Fuhne und der von den Deutschen eroberten Sorbenfeste Zurbici (heute: Zörbig) errichtet. Auch Zurbici war eine slawische Gründung und bedeutet "Sorben-Ort". Um 1200 n. Chr. besaß Zurbici allerdings schon ein durch Kaiser Otto I. verbrieftes Stadtrecht.
Auch die Ortsbezeichnung Grötz lässt sich aus dem Slawischen herleiten und bedeutete Schanze oder Kleine Burg. Es ist also durchaus möglich, dass die eigentliche Gründung schon in der Zeit der slawischen Besiedlung zwischen 700 und 900 n. Chr. erfolgte.
Die Anlage lag an einem strategisch bedeutenden Platz nur 100 Meter von der altehrwürdigen Salzstraße entfernt, einer wichtigen Handelsroute, die von Halle in den Nordosten des Landes führte. Der einzige Zugang befand sich in der Kurve der die drei Orte teilenden Grenzstraße. Noch heute (2008) lassen die Entwässerungsgräben entlang dieser Straße, dem Weg an der Westseite des Schulpavillons, dem Feuerweg, weiter am Spielplatz und der Ostseite des Sportplatzes vorbei und entlang der Sauschlippe das Areal mit den alten Burggräben erahnen. Einen weiteren Graben gab es an der Ostseite des Sportplatzes.
Die Teile der Burg sind sukzessiv abgebrochen und das Herrenhaus selbst ist 1974 wegen Baufälligkeit abgerissen worden und auch die am Hauptgebäude angrenzenden Wirtschaftsbauten sind verschwunden und teilweise überbaut. Nur das alte Kellergewölbe am ehemals wirtschaftlich genutzten Nordtrakt hat bis zum heutigen Tag allen Veränderungen getrotzt.
Konrad Reiß
(aus "Die untergegangene Ritterburg Löberitz", 2008)
ursprünglich auf stadt-zoerbig.de veröffentlicht
Das Prunkstück des Schachmuseums ist ein Exemplar des ersten deutschsprachigen Schachbuches aus dem Jahr 1616! Autor war Herzog August II., der das Werk unter dem Pseudonym Gustav Selenus herausbrachte. Eines der Exemplare fand über vier Jahrhunderte hinweg 2011 seinen Weg nach Löberitz. Michael Negele war begeistert ob des guten Zustandes des Buches, welches durch eine persönliche Widmung des Herzogs an den Erstbesitzer noch erheblich an Wert gewinnt.
Herzog August II. von Braunschweig-Lüneburg, genannt der Jüngere, und Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel (1579-1666), schrieb unter dem Pseudonym Gustav Selenus das Buch "Das Schach- oder König-Spiel". Als Grundlage diente ihm das 1561 erschienene Werk des Spaniers Ruy Lopez (1530-1580), vermutlich in Form einer italienischen Übersetzung des Domenico Tarsi aus dem Jahr 1584.
Nachdem die Herausgabe des Buches in Augsburg scheiterte, schloss der Herzog kurzfristig einen Vertrag mit dem Verleger Henning Grosz dem Jüngeren in Leipzig ab.
Grosz erwirkte ein kaiserliches Druckprivileg, um damit für die nächsten sechs Jahre einen Nachdruck zu verhindern oder zu erschweren. Im Oktober war der Druck durch den Leipziger Drucker Lorenz Kober weitgehend abgeschlossen.
Das erste Exemplar des Buches wurde fertiggestellt. Unter allen Bildern ragt der zwischen den Seiten 216 und 217 enthaltene doppelseitige Kupferstich des Straßburger Kupferstechers Jacob van der Heyden (1573-1645) heraus. Der Herzog (rechts) spielt vermutlich gegen Landgraf Moritz den Gelehrten von Hessen-Kassel (1572-1632). Zuschauer sind Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt (1577-1626) (am Tisch) sowie wahrscheinlich Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach (1573-1638). Alle weiteren Kupferstiche und Diagramme stammen von dem Kupferstecher Lucas Kilian (1579-1637) aus Augsburg.
Der "Löberitzer Selenus" gleicht mit Ausnahme der Jahreszahl auf dem Titel und einem Druckfehlerverzeichnis auf der sonst freien Seite 496, das sogar handschriftlich durch den Autor mit zwei Anmerkungen ergänzt wurde, der Ausgabe des Jahres 1616.
Herzog August verschenkte das Buch am 28. September, versehen mit einer eigenhändigen Widmung auf der Rückseite des Haupttitels, an seinen Vetter, den Herzog Hans oder Johannis von Braunschweig-Lüneburg Celle (1628).
Herzog Johannis von Braunschweig-Lüneburg Celle verschenkte es kurze Zeit später weiter an Marquardt von Hodenberg. Dieser verewigte sich auf der Vorderseite des Haupttitels mit einer handschriftlichen Eintragung: Ex libera-litate Illustris.simi princips ac d(omi) ni, d(omi)ni Joannis ducis Bruno-/ wicensiumet L nnaeb (urgensium) possideo Ego.
Der "Selenus" gelangte in die Bibliothek des Staatsministers des Königreiches Hannover Karl Friedrich Alexander Freiherr von Arnswaldt (1768-1845)
Nach dem Tod des Freiherrn übernahm dessen Sohn August Friedrich Ernst von Arnswaldt (1798-1855), ein Bekannter der Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff und der Gebrüder Grimm, die Bibliothek. Von ihm befindet sich eine eigenhändige Unterschrift im Buch.
Nach dem Ableben von August Friedrich Ernst von Arnswaldt kam die Sammlung in die Staatsbibliothek nach Berlin. Einige Stücke, eventuell Dubletten, gelangten dabei auch auf den freien Büchermarkt.
Der "Selenus" landete beim Leipziger Buchhändler Otto Harrassowitz (1845-1920), der ihn zum Verkauf anbot.
Der Zörbiger Geschichtsschreiber und Schachliterat Reinhold Schmidt (1847-1906) erwarb das Exponat im Dreikaiserjahr am 21. Oktober.
Schmidt verfaßte mehrere vielbeachtete Monographien, u.a. in der "Deutschen Schachzeitung", dem "Deutschen Wochenschach" und im "Der Sammler", über dieses außergewöhnliche Buch. Sie befinden sich im hinteren Einband. Vorn befindet sich dagegen von R. Schmidt eine handschriftliche Erklärung.
Nach dem Tod von Reinhold Schmidt verlor sich die Spur des Buches.
Es erfolgte der Verkauf über das auf Auktionen spezialisierte Wiener Buch- und Kunstantiquariat Gilhofer & Ranschburg.
Käufer war Gerichtsrat Hermann Hof (ca. 1865-1935) aus Quedlinburg. Er war Autographensammler und für ihn stand die handschriftliche herzogliche Widmung im Vordergrund.
Nach dem Tod von Hermann Hof erbte dessen Neffe Walter Thiele (1913-2009) aus Mecklenburg die Autographensammlung.
Besitzer wurde nach dessen Ableben nun dessen Sohn Wolfgang Thiele aus Schnarup-Thumby.
Wolfgang Thiele beabsichtigte das Buch zu veräußern und wandte sich an den Schachhistoriker Dr. Gerhard Drebes aus Schleswig.
Dr. Drebes erkannte sofort den engen Bezug des Buches zur Löberitz-Zörbiger Schachtradition und stellte den Kontakt zu Schachgemeinschaft Löberitz her. Die Buchübergabe erfolgte am 30. April 2011 an Konrad Reiß und Uwe Bombien bei Dr. Gerhard Drebes.
Beeindruckend ist die Autogrammsammlung der SG 1871 Löberitz. Als Trägermaterial dienen ausgediente DDR-Pappschachbretter, auf denen sich schon viele Gäste verewigt haben. Neben prominenten Unterschriften finden sich auch die von lokalen Schachgrößen. Daß ich mich auch verewigen durfte, erfülllte mich mit ein wenig Stolz. Und das gleich bei meinem ersten Besuch in Löberitz!
Da die Autogramme irgendwann nicht mehr zuordenbar wären, führt Konrad Reiß unter den Brettern eine Legende mit Namen, Funktion oder Titel, und Datum in Druckschrift. Hier ein Auszug prominenter Autogrammgeber:
Die ältesten Autogramme stammen wohl vom 27.06.1986: Zbigniew Pyda, IM Andrzej Sydor und IM Henryk Dobosz (alle Polen).
Neben der einstigen Weltklasse mit Jan Timman und Robert Hübner waren bei den Löberitzer Schachtagen 2016 auch Heinz Rätsch und Heinz Liebert zu Besuch.
Heinz Liebert erlangte 1956 Weltruhm, als er in Ulan-Bator als 20-Jähriger das erste internationale Schachturnier auf asiatischem Boden für sich entscheiden konnte. Seitdem trägt er den Spitznamen "Löwe von Ulan-Bator". 50 Jahre später widmete Konrad Reiß Liebert zum 70. Geburtstag eine beeindruckende Broschüre über das damalige Turnier.
Der andere Heinz, nämlich Heinz Rätsch, wurde durch seine Nachwuchsarbeit vor und nach der Wende bekannt. Mit 12 Jahren erlernte er 1946 in der Kinderheilstätte Egendorf bei Weimar das Schachspiel. Seine Spielstärke wuchs schnell und irgendwann spielte er mit Motor Gotha in der höchsten Spielklasse der DDR. Währenddessen ließ er sich an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) in Leipzig zum Sportlehrer ausbilden. 1965 wurde er beim Sportclub Leipzig hauptamtlicher Trainer. Hier war bis 1976 aktiv und auch 12 Jahre lang als Verbandstrainer für den Nachwuchs beim Deutschen Schachverband (DSV) der DDR zuständig.
Ab 1989 war er Frauen-Verbandstrainer, zuerst in der DDR, nach der Wende auch in der BRD. Danach war er bis zum 31. Dezember 1999 zehn Jahre lang der erste Bundesnachwuchstrainer des Deutschen Schachbundes.
Über eine seiner ersten Tätigkeiten als DSV-Trainer erzählte er mir eine schöne Geschichte:
Ich war Trainer beim SC Leipzig, Manfred Schöneberg war DDR-Jugendmeister. Ganz überraschend hat der Deutsche Schachverband der DDR uns erlaubt an der Jugend-Weltmeisterschaft 1965 in Barcelona teilzunehmen. Wir sind gemeinsam nach Barcelona geflogen und trafen dort den Vertreter des Deutschen Schachbundes, Robert Hübner. Er war allein ohne Betreuer angereist. Entgegen den Weisungen meiner Verbandsfunktionäre habe ich Hübner auf die Partien vorbereitet. Glücklicherweise bekam niemand etwas von den deutsch-deutschen Trainingseinheiten mit, sonst hätte es zu Hause großen Ärger gegeben.
Nach dem Turnier haben wir uns aus den Augen verloren und trafen uns erst 25 Jahre später wieder. Das war auf der Schacholympiade 1990 in Novi Sad. Robert Hübner erkannte mich sofort wieder, lief auch mich zu und begrüßte mich.
Mehr über Heinz Rätsch
www.heinzraetsch.de im Webarchiv
Die Videomitschnitte vom Ehrenpreisturnier bei den Löberitzer Schachtagen sind seit Kurzem in unserem YouTube-Kanal online. Enthalten sind auch einige Bilder vom Jugendturnier und dem Jubiläumsschnellturnier.
Das Museum hat keine festen Öffnungszeiten, ist aber in der Regel jeden Feitag von 17.00 bis 21.00 Uhr zu besichtigen. Weitere Termine können über Konrad Reiß (+49 (0)34956/25360 (privat), +49 (0)034956/60104 (dienstlich) oder über E-Mail konradreiss@web.de vereinbart werden.
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21336