Rede des Präsidentschaftskandidaten vor dem Bundeskongress in Bonn am 4. Juni 2011

von Herbert Bastian

Herbert Bastian bei seiner anderen Rede am Vortag beim Festakt "150 Jahre Schachbund NRW".
Klaus Jörg Lais
Herbert Bastian bei seiner anderen Rede am Vortag beim Festakt "150 Jahre Schachbund NRW".

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrtes Präsidium, sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen, sehr geehrte Delegierte aus den Mitgliedsorganisationen,

Sie stehen heute vor der Entscheidung, einem von zwei Bewerbern um das Amt des Präsidenten des Deutschen Schachbundes Ihre Stimme geben zu müssen. Ihre Entscheidung wird sicher zu einem großen Teil von Antworten auf zwei Schlüsselfragen abhängen:

  1. Wo steht der DSB derzeit?
  2. Wo soll der DSB sich in den nächsten Jahren hinbewegen?

Lassen Sie mich also etwas zu diesen Fragen sagen.

1. Wo steht der DSB derzeit?

Es dürfte nach der überstandenen Doping-Diskussion kein Zweifel mehr daran bestehen, dass der DSB sich als ein in den DOSB eingegliederter Sportverband definiert hat. Das bedeutet, dass der DSB sich den Regularien des Sports unterwirft und nach sportlichen Höchstleistungen in der von ihm vertretenen sportlichen Disziplin strebt und zu streben hat! Das ergibt sich aus dem Selbstverständnis des Sports und aus den Erwartungen der Öffentlichkeit, sei es nun auf internationalem Parkett oder auf der regionalen Ebene.

Aber gerade diese Punkte werden zunehmend auch in Frage gestellt. Es gibt die aktuellen Diskussionen um die finanzielle Ausstattung der Nationalmannschaft, um die Art und Weise des Trainings der Kaderspieler und um den Ausrichtungsmodus der Deutschen Meisterschaft. Es gibt Rückzüge von Mannschaften, gerade aktuell zwei Teams aus der 2.Bundesliga, es treten immer häufiger Mannschaften unvollständig oder gar nicht an, und es gibt ein wachsendes Selbstbewusstsein des Breitenschachs mit der Konsequenz, dass es weniger um Leistung und mehr um Spaß geht.

Das Spannungsfeld zwischen dem Spitzenschach und dem Breitenschach wird uns sicher noch länger beschäftigen und ein dominierenden Thema bleiben. Man hört z.B. zunehmend Klagen, dass unsere Spitzenspieler auf Vereinsebene zu wenig bekannt sind, man trifft häufig auf Desinteresse gegenüber den internationalen Turnieren der Nationalmannschaft, es gibt Kritik am Auftreten mancher Spitzenspieler, und es gibt zu viele Berührungsängste zwischen Funktionären und Spielern. Wie Sie wissen haben ich in meiner Doppelfunktion als aktiver Spieler und als Verantwortung tragender Funktionär in den letzten Jahren stets dafür gekämpft, diese Berührungsängste abzubauen.

Wenn man die Lage im DSB betrachtet, darf man die sinkenden Mitgliederzahlen, den geringen Frauenanteil, den Funktionärsmangel und das voranschreitende Vereinssterben nicht vergessen.

Selbstverständlich gibt es auch Positives zu berichten. Stellvertretend nenne ich die starke Bundesliga, das Großevent "Deutsche Jugendmeisterschaften" und die Aufbruchsstimmung im Schulschach, wo das Potential noch bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Die Deutsche Schachjugend zeigt uns mit ihrem hohen Frauenanteil im Vorstand, dass der Schachsport sehr wohl attraktiv für Frauen sein kann, wenn er nur richtig präsentiert wird. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich mit einem weiblichen Vizepräsidenten und einer Frau an der Spitze der Saarländischen Schachjugend beste Erfahrungen in meinem Verband gemacht habe.

Ausführlicher bin ich in meinem Papier "Strategische Leitthemen im Deutschen Schachbund" auf weitere Punkte eingegangen. Die strategischen Leitthemen werden nach den Beschlüssen der AKLV-Tagung in Erfurt ein zentrales Thema des kommenden Hauptausschusses im Herbst sein.

Die zweite Frage lautet:

2. Wo will der DSB hin?

Diese Frage kann ich an dieser Stelle natürlich nicht im Detail beantworten, deshalb nur einige Grundsatzüberlegungen hierzu. Sie erwarten zu Recht ein handlungsfähiges, entscheidungsfreudiges Präsidium, das sich den brennenden Fragen stellt, Lösungen herbeiführt und darüber hinaus den gesamten DSB wieder mobilisiert, ihm ein neues Selbstbewusstsein gibt, das den großen Traditionen der Schachnation Deutschland angemessen ist!

Ausdrücklich verweise ich hier auf das vorbildliche Engagement unserer Schachfreunde in den nach der Wiedervereinigung hinzugekommenen Bundesländern! Es bedrückt mich allerdings sehr, dass gerade aus Sachsen, wo 2008 die Schacholympiade stattgefunden hat, in letzter Zeit öfter beunruhigende Nachrichten zu uns gelangt sind. Dies zeigt, dass das Bewahren des Vorhandenen nicht vernachlässigt werden darf!

Das DSB-Präsidium muss die Themen und die Richtung vorgeben, aber es darf seinen Mitgliedern nichts überstülpen, sondern es muss den Kontakt mit der Basis suchen und ihre Wünsche einbinden! Ich bin deshalb ganz entschieden der Meinung, dass die notwendigen Veränderungsprozesse im DSB so zu gestalten sind, dass sie sich von unten nach oben entwickeln! Stellvertretend nenne ich dazu die Schaffung neuer Vereinsstrukturen und Initiativen im Schulschachbereich.

Schon vor zwei Jahren, als ich mich erstmals einer Wahl stellte, lautete eine meiner drei Kernforderungen:

"Der Fokus der strategischen Ausrichtung des DSB muss für die nächsten zwei Jahre auf die Konsolidierung nach innen gerichtet werden, um das beschädigte Vertrauen zwischen der DSB-Führung und den Landesverbänden wieder herzustellen und mit gemeinsamen Anstrengungen den Mitgliederbestand zu stabilisieren".

Daran hat sich meiner Meinung nach noch nichts Entscheidendes geändert, und wir wissen alle, wie der Versuch, mehr internationales Gewicht zu bekommen, zu meinem größten Bedauern geendet hat.

Drei Instrumente will ich hier stellvertretend nennen, die ich für geeignet halte, die von mir angesprochenen, notwendigen Veränderungen im DSB mit allen Mitgliedern gemeinsam voranzubringen.

  1. Vereinskonferenzen auf regionaler und überregionaler Ebene. Damit haben wir bereits mit Erfolg begonnen, doch sollten die Vereinskonferenzen flächendeckend den ganzen DSB erfassen. Langfristiges Ziel wäre ein zentraler Vereinskongress, der als attraktives Event gestaltet wird und Ausstrahlungskraft in alle Richtungen entwickelt.
  2. Der DSB tut gut daran ein Verbandsprogramm zu entwickeln, das die wesentlichen Zielsetzungen beschreibt und den Mitgliedern zugleich die Möglichkeit gibt, das Geschehen im DSB aktiv mitzugestalten. Da es sich hier um etwas völlig Neues handelt, setzt die Entwicklung eines akzeptierten Verbandsprogramms umfangreiche Diskussionen voraus, die wir wie schon gesagt auf dem Hauptausschuss im Herbst führen wollen.

    Wer noch zweifelt der bedenke bitte:

    "Wer zu wenig Eigenes hat, wird auf Dauer nicht überleben!"

    Stellen wir uns also der Herausforderung, dem DSB ein eigenes Profil zu geben, das sein Gewicht in der Öffentlichkeit vergrößert!
  3. Der geplante zentrale Bundesligastart in Mülheim bietet dem DSB eine einmalige Gelegenheit, sich mit zahlreichen Fachleuten mit hoher Kompetenz zu treffen. Der DSB sollte deshalb dort präsent sein und eine Zukunftswerkstatt (am besten als ständige Einrichtung) ins Leben rufen, die bei passenden Gelegenheiten tagt und die Weiterentwicklung des DSB vorantreibt.

Wenn man sich die Frage stellt, wo der DSB hin will, darf man drei besonders wichtige Zielgruppen nicht außer Betracht lassen: Die Frauen, die Jugend und die Senioren.

Die Senioren besitzen umfangreiche Erfahrungen und sind dem Schachsport besonders treu. Es empfiehlt sich sehr, dieses Potential in Zukunft auf allen Ebenen stärker zu nutzen! Dabei denke ich nicht nur an den florierenden Spielbetrieb der Senioren!

Ganz anders die Jugend. Hier findet man große Begeisterung und das kreative Potential, um den DSB fit zu machen für die zukünftigen Herausforderungen und um den Kontakt zu den nachwachsenden Generationen zu finden, die erst einmal dauerhaft an den Schachsport gebunden werden müssen. Es versteht sich von selbst, dass ich deshalb für eine wesentlich engere Kooperation zwischen der Deutschen Schachjugend und dem DSB bin, zum Beispiel bei den Zielen der Mitgliedergewinnung und Mitgliederbindung!

Das vielleicht größte Potential für eine Weiterentwicklung des DSB, hier mache ich eine mutige Aussage, sehe ich in der Zielgruppe der Frauen. Wer die gerade beendete Deutsche Meisterschaft erlebt hat, wird nicht bestreiten können, dass sich die mitspielenden Frauen sehr belebend auf die ganze Veranstaltung ausgewirkt haben. Dieses belebende Element fehlt leider vielen Vereinen, die im Umgang mit Frauen grundlegend umdenken müssen, und die notwendigen Impulse dafür können am besten vom DSB in Kooperation mit der DSJ kommen!

Schließen möchte ich mit einem Zitat des Automobilpioniers Henry Ford, das ich Ihnen als Motto mitgebe:

"Zusammenkommen ist ein Anfang; Zusammenbleiben ist Fortschritt; zusammenarbeiten ist Erfolg!"

Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, wenn Sie meine Überlegungen teilen und mir zutrauen, den DSB im Sinne des Gesagten voran zu bringen und zu führen, dann darf ich Sie herzlich um Ihre Stimmen bitten!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.