Friedl Rinder - Ein Nachruf von Wolfgang Unzicker

In memoriam Friedl Rinder

Am 3.Juni 2001 starb im 96. Lebensjahr in München die mehrfache deutsche Frauenmeisterin Friedl Rinder.
Mit ihr ist eine der bedeutendsten Gestalten in der Geschichte des deutschen Frauenschachs dahingegangen.
Erstmals gewann Friedl Rinder den Titel der deutschen Frauenmeisterin 1939 in Stuttgart. Diesen Erfolg wiederholte sie 1949 (gesamtdeutsche Frauenmeisterschaft), 1955, 1956 und 1959. Bei der Weltmeisterschaft der Frauen in Buenos Aires 1939 belegte Frau Rinder unter 20 Teilnehmerinnen den 4. Platz. Neben hervorragenden Leistungen in nationalen und internationalen Frauenturnieren (Teilung des 1. und 2. Platzes in Paington 1956 mit der holländischen Großmeisterin F. Heemskerk, Turniersiege in Amsterdam 1956 und in Kopenhagen 1964, zweite Plätze in Zagreb 1954 und 1955 und in Wien 1956), für die ihr der Weltschachbund den Titel den Titel "Internationale Frauenmeisterin" verlieh, weist ihre Schachlaufbahn auch ausgezeichnete Leistungen in Männerturnieren auf. So erkämpfte sich Friedl Rinder beim Bayerischen Schachkongress in Regensburg 1947 den Titel "Bayerischer Meister".
Nicht nur ihre große Spielstärke, sondern auch ihr stets freundliches, heiteres und lebensbejahendes Wesen, gepaart mit viel Sinn für Humor, erwarb ihr stets die Sympathien aller Schachfreunde.
Friedl Rinder wird uns allen unvergessen bleiben.

Von ihrer Spielstärke zeugen die beiden folgenden Partien:
Weiß: Löffka - Schwarz: Rinder
Zweispringerspiel im Nachzug - C 55
Deutsche Frauenmeisterschaft Seesen 1947
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Sf6 4.Sc3 Spielbar, wenn auch 4.d3 wohl mehr verspricht. 4.- Sxe4 5.Sxe4 d5 6.Lxd5 Danach erlangt Schwarz das bessere Spiel. Gut war 6.Ld3 dxe4 7.Lxe4 Ld6 mit Ausgleich (Tarrasch - Lasker, 3. Wettkampfpartie Berlin 1916). 6.- Dxd5 7.Sc3 Dd8 8.d3 Besser war 8.0-0. 8.- Lg4 9.h3 Lh5 10.g4 Lg6 11.De2 f6 12.Ld2 Dd7 13.0-0-0 0-0-0 14.Le3 Verschlechtert die Lage. Besser war 14.Kb1 14.- Sd4! Erzwingt einen für Schwarz vorteilhaften Abtausch. 15.Lxd4 exd4 16.Se4 Le7 17.Sfd2 The8 18.f3 Da4 19.Kb1 Lf7 20.Sb3 Lf8 21.Dd2 Te5 22.Tc1 Hierauf folgt ein unwiderstehlicher Königsangriff. Richtig war 22.f4, da auf 22.- Lb4 23.Dc1 Ta5 Weiß sich mit 24.a3 ausreichend verteidigen kann. 22.- Lb4 23.c3 Auf 23.Df2 folgt 23.- Ta5 24.a3 Lxa3! 25.Sxa5 (25.bxa3 Dxa3) 25.- Lxb2! 26.Sb3 Lc3! und die Drohung 27.- Da3 entscheidet, da auf 27.Sxc3 dxc3 28.De1 oder 28.Dc5 Schwarz mit 28.- Lxb3 gewinnt. 23.- Ta5! 24.Kc2 Auf 24.Sxa5 folgt Matt in drei Zügen mit 24.- Lxa2+ 24.- dxc3 25.Sxc3 Tc5 Noch stärker war 25.- Lxc3 26.Dxc3 Ta6 mit der Drohung 27.- Tc6; z.B. 27.Kd2 Tc6 28.Sc5 Df4+ und 29.- b6. 26.Kb1 Lxc3 27.Txc3 Txc3 28.Dxc3 Txd3! 29.Dc5Auf 29.Dxd3 folgt 29.- Lg6 29.- Lg6! Nun folgt auf 30.Ka1 Txb3 31.Df8+ Le8 32.Te1 Te3! Weiß gab auf.
Diese Partie erhielt den von der Stadt Seesen gestifteten Schönheitspreis.

Weiß: Rinder - Schwarz: Chaudé de Silans
Spanische Partie - C 99
Europa-Zonenturnier Hercegnovi 1954
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 b5 6.Lb3 Le7 7.Te1 d6 8.c3 0-0 9.h3 Sa5 10.Lc2 c5 11.d4 Dc7 12.Sbd2 cxd4 13.cxd4 Lb7 Die Öffnung der c-Linie in Verbindung mit diesem Läuferzug war zu dieser Zeit sehr populär. 14.d5 Ein guter Zug, der Schwarz zur Umgruppierung seines Damenläufers so gut wie zwingt. 14.- Lc8 15.Tb1! Auf 15.Sf1 könnte 15.- Sb7 folgen, da 16.b4 wegen 16.- a5 wirkungslos wäre. Jetzt kommt aber auf 15.- Sb7 16.b4! a5 17.a3, worauf Schwarz sehr schlecht steht. 15.- Ld7 16.Sf1 Tfc8 17.Ld3 Sc4 18.b3 Sb6 19.De2 Lf8 20.Le3 Lässt eine für Schwarz günstige Wendung zu. Gut war 20.Lg5 mit besserem Spiel für Weiß. 20.- Sbxd5! 21.exd5 e4 22.Ld2 Aktiver und besser war 22.Lg5. 22.- exd3 23.Dxd3 Dc2 24.Dd4! Dieser gute Zug hält die Stellung im Gleichgewicht. 24.Dxc2 Txc2 kostet einen Bauern. 24.- Dxa2 geht nicht wegen 25.Tb2 Da3 26.Lb4. 24.- Dg6 Ein Missgriff. Die Dame steht auf g6 schlecht. Richtig war 24.- Dc5. Weiß hätte aber nach 25.Dxc5 Txc5 mit 26.Se3! seinen gefährdeten d-Bauern behaupten können, da auf 26.- Sxd5 27.b4 gefolgt wäre. 25.Sg3! Tc5? Führt zu klarem Nachteil. Das Beste wäre gewesen, mit 25.- Dc2 den Fehler zuzugeben. 26.Sh4! Dc2 Schwarz kann materiellen Verlust nicht vermeiden. Das bei weitem kleinere Übel war aber 26.- Txd5, obgleich Weiß nach 27.Dxd5 Sxd5 28.Sxg6 hxg6 auf die Dauer die Oberhand behalten muss. Jetzt verliert Schwarz eine Figur: 27.Tb2 Txd5 28.Dxf6!!Schwarz rechnete wohl nur mit 28.Dxd5 Dxb2 29.Dxa8 Dxd2, was in der Tat gute Verteidigungschancen geboten hätte. 28.- Dc8 29.Dc3 und Schwarz gab nach einigen Zügen auf.

Abschließend möchte ich aus einem Brief des Sohnes von Friedl Rinder, Gerd Rinder, an mich zitieren:

Stationen aus dem Loben von Friedl Rinder (20.11.1905 - 03.06.2001)

Geboren und aufgewachsen in der Lenbachstadt Schrobenhausen wandte sie sich früh der Musik zu. Als Schülerin untermalte sie gelegentlich die damals üblichen Stummfilme am Klavier, ihr späteres Gesangsstudium schloss sie mit der Opernstaatsprüfung erfolgreich ab.
Nach ihrer Verehelichung mit einem Münchener Studienassessor spielte und sang sie vorwiegend nur noch im Kreise ihrer Familie, wandte sich dann aber immer mehr dem Schachspiel zu, das sie relativ spät kennenlernte, aber bald mit hoher Meisterschaft betrieb. Ihren ersten Erfolg auf internationaler Ebene erzielte sie unter dramatischen Begleitumständen 1939 in Buenos Aires, wo sie bei der ersten Frauenweltmeisterschaft der Geschichte unter 20 Teilnehmerinnen den 4. Platz belegte, dann aber wegen des inzwischen ausgebrochenen 2. Weltkrieges um die Rückkehr zu ihrer Familie bangen musste. Sie fand gerade noch Platz auf dem letzten Passagierdampfer, der in Richtung Europa auslief und dann in der Straße von Gibraltar von britischen Kriegsschiffen aufgebracht wurde. Erst nach tagelangen Verhören durfte sie weiterreisen. Man hatte sie zunächst für eine deutsche Spionin gehalten, weil man sich nicht vorstellen konnte, dass jemand eine so weite Reise unternimmt, nur um Schach zu spielen.
Der Krieg verordnete ihr eine Zwangspause. Als München wegen zunehmender Bombenangriffe evakuiert wurde, zog sie mit Mutter und Sohn zu ihrer Geburtsstadt Schrobenhausen zurück, schenkte dort einer Tochter das Leben und versuchte in den letzten Jahren des Krieges und den Ersten der Nachkriegszeit ihre Familie durchzufüttern, bis ihr Mann aus französischer Gefangenschaft zurückkehrte. Es war die Zeit der "Zigarettenwährung", die bis 1948 anhielt - und die Zeit der "Trümmerfrauen".
Nun konnte sie endlich wieder Schach spielen. Fast drei Jahrzehnte lang nahm sie erfolgreich an internationalen Turnieren teil und gewann insgesamt fünfmal die deutsche Frauenmeisterschaft. Daneben trug sie auch viel zur Verbreitung des Schachspiels bei, nicht nur im Kreise der "Schachfamilie" Rinder, sondern auch als Gründungsmitglied und langjährige Vorsitzende des Münchner Damenschachclubs, als Organisatorin vieler Schachveranstaltungen vor allem im bayerischen Raum sowie als Unterrichtende im Wahlfach "Schach" an verschiedenen Schulen.
Vor 11 Jahren verlor sie ihren Mann. Obwohl sie in ihren letzten Lebensjahren fast blind und taub war, wollte sie ihre im 3. Stock gelegene Wohnung nicht mehr verlassen und lehnte fremde Hilfe weitgehend ab, vielleicht um anderen nicht zur Last zu fallen. Ein Sturz im Treppenhaus führte zum ersten und einzigen Knochenbruch ihres Lebens. Von den Folgen der anschließenden Operation erholte sie sich nicht mehr.

Wolfgang Unzicker

Quelle: Wiederhergestellt aus webarchive.org: http://web.archive.org/web/20020106062844/www.schachbund.de/Intern/frinder.htm