21. Juni 2011
Dass ein Science-Fiction-Comic quasi zur Initialzündung für eine neue Sportart wird, dürfte wohl einmalig in der Sportwelt sein. Beim Schachboxen jedenfalls ist das erwiesenermaßen so gelaufen. Die Idee, die Sportarten Boxen und Schach zu kombinieren, fand der Aktionskünstler Iepe Rubingh im Opus "Le Froid Équateur" (Äquatorkälte) des Franzosen Enki Bilail. 2003 organisierte der Niederländer, der seinen Lebensmittelpunkt längst im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg hat, den ersten Schaukampf in der deutschen Hauptstadt. Die danach von Rubingh gegründete World Chess Boxing Organisation (WBCO), deren Präsident er ist, hat selbstverständlich ihren Sitz in der Spreemetropole. Und natürlich finden in Berlin inzwischen regelmäßig internationale Kampfabende statt. So auch am kommenden Freitag, wo es in der Lagerhalle des Tape Club in der Heidenstraße, zum Duell der beiden führenden Clubs im Schachboxen kommt. Die Städte Berlin und London treten in "The battle of the cities" mit ihren besten Kampfspielern gegeneinander an. Im Team des Gastgebers wird dabei Nils Becker stehen. Mit dem 22jährigen Studenten für Energie- und Prozesstechnik an der TU Berlin, der viermal Deutscher Jugendvereinsmannschaftsmeister mit dem SV Glück Auf Rüdersdorf war, sprach Raymund Stolze.
Wie bist Du zum Schachboxen gekommen?
Steve Berger, mit dem ich früher in Rüdersdorf in der Zweiten Schach-Bundesliga gespielt habe, hat mich 2008 zum WM-Kampf zwischen Frank Stoldt und Nikolai Sazhin mitgenommen. Steve war dort Co-Kommentator. Diesen Kampf fand ich so beeindruckend, dass ich mich spontan entschied, es auch als Schachboxer zu probieren.
Wie hat es Dir bei dem Start in die neue Sportart genutzt, dass Du auch aktiver American Footballer gewesen bist?
American Football war ein sehr wichtiger Teil meiner Jugend und hat mich unglaublich gefördert. In meiner Rolle als Teamkapitän beim AFC Erkner Razorbacks und im Auswahlteam Berlin-Brandenburg, genannt "Big East", habe ich gelernt, Verantwortung für die Mannschaft zu übernehmen. Natürlich wurde auch meine körperlich Fitness geschult. Das hat mir den Einstieg ins Schachboxen wesentlich erleichtert, weil es ja ebenfalls ein Vollkontaktsport ist.
Wie sieht Dein Training aus?
Zur Kampfvorbereitung sind es fünf bis sechs Einheiten in der Woche. Montags ist Boxtraining, am Dienstag stehen Joggen und Fitness auf dem Programm, am Mittwoch dann Schachboxtraining. Das heißt konkret teilweise Boxtraining und unter Belastung Schach spielen. Donnerstags ist wieder Joggen und Fitness angesagt, freitags dann eine Stunde Schach und danach Fitnesstraining. Ab und zu, wenn es die Zeit zulässt, jogge ich noch an den Wochenenden. Außerhalb der speziellen Kampfvorbereitung nutzte ich die ganz normalen Trainingseinheiten des Berliner Schachbox-Vereins (CBCB) dreimal die Woche in der Franz-Mett-Sporthalle in der Gormannstraße in Berlin-Mitte.
Nach welchen Regeln findet ein Kampf im Schachboxen statt?
Es sind elf Runden zu absolvieren, wobei es sechs vierminütige Runden im Schach sind, bei der jeder Kontrahent insgesamt zwölf Minuten Bedenkzeit hat, und fünf dreiminütige Boxrunden. Schach und Boxen wechseln sich dabei regelmäßig ab, jeweils unterbrochen von einer 60-Sekunden-Pause zum Umziehen.
Den Kampf kann man sowohl durch technischen Knockout im Boxen als auch im Schach durch Matt oder Zeitüberschreitung des Gegners gewinnen.
Und was passiert, wenn die Schachpartie unentschieden endet?
Dann entscheiden die Punktrichter über den Sieg beim Boxen. Wenn es hier keine Entscheidung gibt, dann gewinnt derjenige, der beim Schach die schwarzen Figuren hatte.
Mit einer aktuellen Elo von 2145 dürfest Du zu den besten Schachboxern auf den 64 Feldern zählen, während Dein kommender Gegner Nick Cornish bei der Weltschachföderation FIDE offiziell nicht geführt ist. Nun wird allerdings nicht klassisches Schach gespielt, sondern eher eine Mischung zwischen Blitz- und Schnellschach. Welche Eigenschaften machen Deiner Meinung nach den idealen Schachboxer aus?
Er sollte im Schach schon Einiges zu bieten haben, da die Community und damit auch die Konkurrenz immer größer wird. Wenn man sich die Ziele sehr hoch steckt, muss man viel Erfahrung mitbringen und in jeder Situation den Überblick zu behalten. Im Training spiele ich daher fast ausschließlich Blitz- und Schnellschachpartien vor allem mit Steve Berger und Arik Braun. Außerdem gebe ich freitags selbst Schachtraining in unserem Verein. Das zwingt mich dazu, mich wieder auf den neuesten Stand der Schachtheorie zu bringen.
Natürlich muss man auch boxerisch Einiges mitbringen, also wirklich hart trainieren. Viele Schachboxer haben bereits enorme Kampferfahrung. So hat der derzeitige Halbschwergewichts-Champion Leo Kraft sogar an Boxweltmeisterschaften teilgenommen.
Wie sieht denn Deine bisherige sportliche Bilanz aus?
Ich hatte bisher 17 Demonstrationskämpfe, das Duell gegen Nick Cornish ist mein zweiter offizieller Kampf. Mein Ziel in einer noch so jungen Sportart kann es natürlich nur sein, einmal um die Weltmeisterschaft zu boxen – und zu gewinnen!
Was die Kampfpremiere von Nils Becker am 9. Dezember 2010 in Festsaal Kreuzberg angeht, so hier Auszüge aus dem Bericht von Iepe Rubingh:
"Vonnemann, der Ältere versus Nils Becker, ist The Next Fight of The Night. Valentin Vonnemann, 26, hat ein Elo-Rating von 1675, ist dreifacher Firmengründer und spielt mit Schwarz. Becker wird als 'Das Absolute Vereinstalent' angekündig...
Der zweite Kämpfer aus der Vonnemann-Dynastie wusste, dass es schwer werden sollte. Sein Gegner hat Rugby-Erfahrung und ist Bundesliga-Schachspieler. In der 2. Schachrunde wird sein Springer gefesselt. Becker liegt sofort im Vorteil. Kommentar Andreas Dilschneider: "Valentin braucht ein K.o." Eine Schachrunde später gibt es einen überragenden Vorteil für Weiß. Beim Boxen landet Becker auch schwere Treffer. Dann manövriert Vonnemann seine Dame nach dem Feld a7. Ein Fehler. Der gegnerische Läufer schlägt die Dame. Vonnemann weiß, dass er alles im Ring geben muss. Er schlägt Becker eine blutige Nase. Noch 57 Sekunden. Vonneman muss Blitz spielen. Aber Becker gibt Schach. Dann fällt das Blättchen der Schachuhr. Game Over..."
Wie lautet Deine Prognose für den Kampf gegen Nick Cornish?
Nick hat sicherlich eine Chance, die 2. Runde und noch mehr zu überstehen. Wenn man aus dem Ring kommt, passieren doch mehr Fehler als wenn man eine normale Schnellschachpartie spielt. Also wenn er mich im Ring sehr unter Druck setzt, könnte es auch mir passieren, dass ich patze. Im Schach werde ich deshalb versuchen, gegen ihn offene Stellungen anzustreben und aggressiv vorzugehen, um taktische Schläge anzubringen. Auf gar keinen Fall darf ich geschlossene Positionen zulassen, denn dann kann sich eine Partie auch in die Länge ziehen und es wird schwer, eine schnelle Entscheidung auf dem Brett zu erzwingen. Aber ich werde mein Bestes geben, um Nick sowohl auf dem Schachbrett als auch im Ring zu dominieren.
Am 14. Mai hast Du mit dem Deutschen Meister im Schach 2009, Arik Braun, der sich jetzt ebenfalls im Schachboxen ernsthaft versucht, in Dänemark einen Showkampf absolviert. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bekam einen Anruf von den Veranstaltern. Da wurde mir berichtet, dass sie planen, erstmals in Dänemark einen Schachboxkampf zu zeigen. Der sollte in Aarhus innerhalb eines Events stattfinden, bei dem ein Schnellschach-Turnier und Boxkämpfe laufen sollten. Dieser offizielle Demonstrationswettkampf war als Höhepunkt vorgesehen. Ein solches Angebot konnte ich nicht ausschlagen. So habe ich Arik Braun gefragt, der ja immerhin Großmeister mit einer Elo von mehr als 2550 ist, ob er denn nicht Lust hätte, mit mir nach Dänemark zu fliegen und gegen mich einen Kampf zu bestreiten. Die Leute in Aarhus waren übrigens sehr überrascht über unsere Leistung im Ring, besonders die echten Boxer unter ihnen.
Und was ist für Dich der besondere Reiz am Schachboxen, dessen Ziel sein "Erfinder" Iepe Rubingh darin sieht, den Sportlern sowohl den Kampfsport Nummer Eins als auch den Denksport Nummer Eins beizubringen?
Für mich ist es das schnelle Fokussieren nach einer Boxrunde auf die Schachpartie und die damit verbundene Schwierigkeit, Körper und Geist miteinander zu vereinen um diese Hybridsportart beherrschen zu können. Es ist deshalb sehr wichtig, die richtige Balance zu finden um erfolgreich zu sein. Und genau diese totale Herausforderung macht für mich den Reiz aus!
Raymund Stolze
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