90.422 Schachsportler betreiben doch keinen Sport?

Von Hans-Joachim Schätz, Präsident des Landesschachverbandes Sachsen erreichte uns nachstehendes Schreiben:

Bundesministerium des Inneren (BMI) kürzt die Fördermittel des Deutschen Schachbundes (DSB) auf „Null“! – 90.422 Schachsportler betreiben doch keinen Sport?

Das BMI gibt jährlich € 130.000.000 (Einhundert und dreißig Millionen!) für den Sport in Deutschland aus und spart nun € 130.000 und somit 0,1 % der Gesamtausgaben beim DSB ein.

Als Begründung führt das BMI aus, daß Schach kein Sport sei. Dem Schachsport fehle die sportspezifische eigenmotorische Aktivität. Dies ist nicht richtig. Natürlich ist Schach Sport.

Die geforderte eigenmotorische Aktivität ist beim Turnierschach gegeben. Der Schachsportler muss seine Körperspannung über viele Stunden kontrollieren, Schockzustände durch unerwartete Züge des Gegners verarbeiten und unter anwachsendem Zeitdruck wohlüberlegte Entscheidungen treffen. Mit jedem Zug muss er die Wirkung eines Steines treffsicher ins Ziel lenken (im höheren Sinne wie bei allen Ballsportarten). Dies erfordert ein optimales Zusammenwirken von Geist und Körper.

Turnierschach ist in der Öffentlichkeit als Spitzensport akzeptiert und als solcher in der Gesellschaft verankert. Spitzenschachspieler können ihre Höchstleistungen nur erbringen, wenn sie sich körperlich fit halten, weil sie sonst den enormen Anforderungen in den meist vier- bis sechsstündigen Turnierpartien nicht gewachsen wären.
Natürlich ist beim Schachsport der geistige Einsatz bei einer Wettkampfpartie höher als der muskuläre. Bei anderen Sportarten ist dies aber auch der Fall.

Vom Sportschützen wird verlangt, daß er sich möglichst gar nicht bewegt, bis er abdrückt und die Kugel in das Ziel lenkt. Trotzdem wird Sportschießen sogar als olympische Sportart anerkannt. Auch für Sportarten wie Sportangeln, Billard oder Golf kommt es offensichtlich überhaupt nicht darauf an, ob und wie viel der Sportler sich bewegt.

Was ist denn dann „Sport“ überhaupt?
Wie der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) auf seiner Webseite darstellt („Was ist Sport?“), hat der Gebrauch des Sportbegriffes in der Öffentlichkeit selbst normativen Charakter.
So hat der Begriff der „Körperertüchtigung“, ursprünglich hauptsächlich auf den Muskelapparat bezogen, im Laufe der letzten Jahrzehnte eine tiefgreifende Umdeutung erfahren. In den Leitgedanken des DOSB wird an mehreren Stellen darauf hingewiesen, dass Körperertüchtigung heute ganzheitlich zu verstehen ist: Der Geist formt den Körper, und der Körper formt den Geist. Schließlich hat der Sportbegriff selbst im Laufe des letzten Jahrhunderts eine grundlegende Wandlung erfahren.

Ursprünglich verstand man unter Sport (von lat. „disportare“ = zerstreuen) eine durch Spaß und Unterhaltung gekennzeichnete Form der Freizeitgestaltung, die sich auch heute noch im Breitensport widerspiegelt. Der organisierte Leistungssport kommt jedoch heutzutage ohne den Wettkampfgedanken und das Streben nach Höchstleistung nicht aus.

Im Ergebnis ist Sport also das, was als Sport anerkannt wird. Der Weltschachbund (FIDE) ist vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Sportorganisation anerkannt. Der DSB erfüllt alle Aufnahmekriterien des DOSB. Der DOSB hat die Förderwürdigkeit des Schachsports ausdrücklich und einstimmig in seiner Sitzung am 06. Dezember 2013 beschlossen. Schach war bei den Olympischen Sommerspielen im Jahre 2000 in Sydney als Demonstrationssportart zugelassen. Die Landesverbände des Deutschen Schachbundes sind in den Landessportbünden als ordentliche Mitglieder integriert.
Anatoli Karpov, Garri Kasparov und Vishy Anand wurden in ihren Ländern zum „Sportler des Jahres“ gewählt. Selbst der Gesetzgeber hat in § 52 II Ziff. 26 Abgabenordnung bestimmt: „Schach gilt als Sport“. Der DSB hat 90.422 (mittelbare) Mitglieder (Stand 01.01.2014), die in Sportvereinen organisiert sind. 90.422 Schachsportler betreiben also nach Ansicht des BMI keinen Sport?
Waren u. a. die Vorstände des weltberühmten Fußballclubs Bayern München e. V. 1980, als sie eine eigene Schachabteilung gründeten, kurzzeitig geistig weggetreten und sehen jetzt endlich ein, daß Schach doch kein Sport ist? Nein, Schach ist nach den obigen Ausführungen Sport!
Das BMI muß seine Entscheidung korrigieren.