Jugend-Weltmeisterschaften 1991

U16 und U18 in Guarapuava (Brasilien)

Über Frankfurt, Madrid, Rio de Janeiro, Sao Paulo und Curitiba erreichten Christian Gabriel, Anetta Günther, Daniel Hausrath, Jens-Uwe Maiwald, Veronika und Clemens Werner das auf 1200 m Höhe gelegene Guarapuava In Südbrasilien. „Guten Tag, Sie sind sicher die deutsche Delegation.” Am Flughafen in Curitiba, das 200 km von Guarapuava entfernt ist, wurden wir mit perfektem Deutsch begrüßt. Das ließ drei Tage vor der Eröffnungsfeier Hoffnungen auf eine gute Organisation aufkommen, obwohl wir mit einiger Skepsis in das überschuldete Entwicklungsland angereist waren. In den nächsten Tagen bestätigte sich der erste Eindruck hundertprozentig: ordentliche Doppelzimmer im Hotel, gute Verpflegung und ein nicht nachvollziehbarer Aufwand an Organisatoren waren die angenehmen Begleiterscheinungen des Turniers. Vier deutschsprechende Betreuer standen zur Verfügung, um unsere Fragen zu beantworten und uns behilflich zu sein. Fast jeden Tag wurde ein Rahmenprogramm geboten, z.B. brasilianische Volkstänze, Charlitos (=Charlie Chaplin) und Rodeo. Zum Picknick am Fluss transportierte man extra Tischtennisplatten herbei. In den Medien wurde ausführlich über alles berichtet, im Fernsehen und im deutschsprachigen Rundfunk kamen auch Interviews mit deutschen Teilnehmern.

Die Infrastruktur in diesem Teil Brasiliens kann fast mit europäischen Verhältnissen verglichen werden, „nur” 15 % der Bevölkerung leben in Favelas. Der Präsident des brasilianischen Schachverbandes, GM Sunye-Neto, hatte mit der Wahl des Austragungsort eine glückliche Hand. Im Gegensatz zu den Millionenstädten musste man in Guarapuava nur Angst vor rücksichtslosen Autofahrern haben.

Auch das Klima war für Europäer angenehm. Der Winter in dieser Region ist an 70 % der Tage vergleichbar mit unserem Altweibersommer: tagsüber sonnig und warm, nachts abkühlend aber nicht kalt. An den übrigen Tagen ist es bedeckt und 8-12° kalt. An solchen Tagen – wir erlebten etwa fünf – fällt unangenehm auf, dass für die Brasilianer „Heizung” ein Fremdwort ist. Ganz hart traf das die Inder, sie hatten nur leichte Sommerkleidung mitgebracht.

Bei der Eröffnungs- wie bei der Abschlussfeier war der Spielsaal überfüllt. Die kleine Stadt hatte große Reklame gemacht, überall waren bis zu hauswandgroße Plakate angebracht. Allerdings mussten die zahlreichen Zuschauer mit brasilianischem Temperament während der Partien immer wieder zur Ruhe gemahnt werden.

Die Spielzeit war etwas ungewöhnlich, nämlich von zwölf bis 18:00 Uhr, Hängepartien ab 21:00 Uhr. An einem kalten Buffet konnten sich die Spieler verköstigen. Die guten brasilianischen Turnierleiter wurden vom erfahrenen tschechischen Delegationsleiter IM F. Blatny unterstützt.

Wir hatten nur wenige Hängepartien und suchten abends häufig Entspannung beim Billardspielen oder Tischtennis. Die Auslosung der nächsten Runde war morgens im Hotel angeschlagen. Das ausführliche Rundenbulletin erschien stets pünktlich am nächsten Tag.

Das U18-Jungen-Turnier war wie üblich sehr stark besetzt. Beispielsweise hatte der Pole Zukubiez als 14. der Start Rangliste noch Elo 2300. Christian Gabriel aus Stuttgart war 13. (2315), Jens Uwe Maiwald aus Dresden 15. (2295). Außer den Sowjets räumte man vor allem noch Sofia Polgar (2430) eine Titelchance ein. Bis zur fünften Runde lag sie auch mit vorne (4/5), musste sich am Ende jedoch mit Rang neun (6/11) zufrieden geben. Die drei Sowjetrussen Sakajew (2495), Kramnik (2490) und Alexandrow (2450) zogen einsam ihre Kreise. Vor der Schlussrunde führte der letztjährige U16-Weltmeister Sakajew, verlor dann aber gegen den Briten Webster (Vierter mit 7,5) und musste Wladimir Kramnik (8,5) vorbeiziehen lassen. Sakajew und Alexandrow (je 8 P.) belegten die Plätze zwei und drei. Christian Gabriel spielte sicher und stark, verlor nur gegen Alexandrow und erkämpfte sich mit 6,5 Punkten den fünften Platz! Jens Uwe Maiwald lag bis zur achten Runde mit 5,5 Punkten ebenfalls sehr aussichtsreich. Er punktete mit Weiß (4/5) erheblich erfolgreicher als mit Schwarz (2/6) und haderte mit seinem Schicksal, die letzten drei Runden alle mit Schwarz spielen zu müssen. Mit sechs Punkten wurde er 12. von 35 Teilnehmern, ein gutes Ergebnis.

Bei den Jungen unter 16 galten Istratescu, Rumänien, Elo 2420 und Almasi, Ungarn mit 2400 als Favoriten. Der Brite Sudrshan Kumaran, laut Setzliste mit 2330 an siebter Stelle, kümmerte sich nicht um Elozahlen und überraschte mit einem Start-Ziel- Sieg. Nach acht Runden hatte er einen Vorsprung von 1,5 Punkten. Trotzdem wurde es am Schluss noch einmal spannend, aber ein Punkt aus den letzten drei Runden reichten dem Engländer indischer Abstammung zum Weltmeistertitel vor Onischuk (SU), Almasi und Har-zui, Israel, die alle 7,5 Punkte erzielten. Daniel Hausrath (Mühlheim) holte fünf Punkte. Er konnte seine Leistungsfähigkeit nicht voll in Punkte umsetzen, da er mit Ausnahme der letzten Runde immer in große Zeit Not kam und dadurch manche gute Stellung verdarb.

Die Jugoslawin Natascha Strizak lag von Anfang an bei den Mädchen unter 18 in Führung. Mit 8,5 Punkten verwies sie die sympathische Tschechin Rebkova (8) sowie Zak (SU) und Csoke (Ungarn) mit je 7,5 Punkten auf die nächsten Plätze. Anetta Günther errang mit sechs Punkten einen guten achten Platz bei 23 Teilnehmerinnen. Sie musste gegen alle sieben vor ihr platzierten Spielerinnen antreten.

Drei Mädchen aus der Sowjetunion und eine jetzt für Israel spielende sowjetische Migrantin waren bei den U 16 - Mädchen eine Klasse für sich. Weltmeisterin wurde Nino Churtsidse (9,5) vor der punktgleichen Kadimowa. Je acht Punkte erkämpften Dubinka und Segal (Israel). Veronika Werner, Karlsruhe spielte wie Anetta meist an den vorderen Tischen und belegte wie sie mit sechs Punkten Rang acht (29 Teilnehmerinnen).

Nach Beendigung des Turniers hatte die deutsche Equipe noch die Gelegenheit, das eindrucksvoller Naturschauspiel der Wasserfälle von Iguacu und den Itaipu-Staudamm zu besichtigen. Die 10 Stunden Aufenthalt in Madrid nutzten wir dazu, im Prado etwas für unsere Bildung zu tun. Als wir schließlich am 2. August müde aber wohlbehalten in Frankfurt gelandet waren, passierte die einzige Panne der dreiwöchigen Reise: einer verwirklichte einen Gedanken, mit dem alle gespielt hatten, nämlich den Brasilienaufenthalt etwas zu verlängern. Es war Jens-Uwes Koffer.