In der festlich dekorierten Stadthalle in Ditzingen feierte der Schachverband Württemberg mit Prominenz aus Sport und Politik sein 100-jähriges Bestehen. Am 23. Januar 1910 wurde in der alten Liederhalle in Stuttgart der Schwäbische Schachbund ins Leben gerufen, aus dem der SVW später hervorging. Präsident Bernhard Mehrer konnte zahlreiche hochrangige Gäste begrüßen, darunter auch sein Vorgänger Dr. Hans Ellinger. Besonders erfreut war er über den zahlreichen Damenbesuch und eine Delegation des Badischen Schachverbands.
Feierlich hieß er alle Ehrengäste, Schachfreunde und Ehrenamtliche zu diesem gelungenen und großartigen Festakt in Ditzingen willkommen. Im Namen der Stadt Ditzingen begrüßte Oberbürgermeister Michael Makurath alle Gäste, stellte seine Stadt vor und wünschte dem Schachverband "immer einen guten Zug". DSB-Präsident Dr. Robert von Weizsäcker führte den großen Erfolg des SVW auf die ihn prägende "schwäbische Tüchtigkeit" zurück und betonte im Namen des Deutschen Schachbundes, dass neben dem Engagement für Kinder, Jugendliche und die Schulen vor allem auch internationale Turniere für die Entwicklung des Schachsports wichtig sind. Für die weiteren Herausforderungen wünschte er "weiterhin soviel Elan". Dass der DSB gleich zwei Vertreter zum Festakt nach Ditzingen entsandt hat, begründete DSB-Vizepräsident Dr. Hans-Jürgen Weyer mit den Worten "Bei 50 Jahren wäre nur einer gekommen" und enttarnte sich in seiner sonntäglichen Funktion als Geldbote. "Das Beste kommt doch immer zum Schluss", freute sich Bernhard Mehrer über den willkommenen Geldsegen.
Dieter Schmidt-Volkmar, Präsident des Landessportverbands LSV zeigte sich stolz und betonte, dass die Arbeit im Schachverband hohe Anerkennung genießt und auch weiterhin gefördert und unterstützt wird. "Ich freue mich schon auf die 200-Jahrfeier", meinte er schmunzelnd und hatte die Lacher auf seiner Seite. Wolfgang Fröhlich vom Kultusministerium überbrachte die Glückwünsche des Ministerpräsidenten und der Landesregierung. Er wusste viele unschätzbare Vorteile des Schachspiels aufzuzählen und so wunderte es ihn nicht, dass im "Land der Tüftler und Denker" die Faszination des Schachs so stark ist. Zudem ist unser Land Spitze im ehrenamtlichen Einsatz: es gibt 430.000 Mitarbeiter in den Vereinen! Im Namen der Politik garantierte er Planungssicherheit: "Bei Bildung und Sport wird in Baden-Württemberg nicht gespart!" Da war ihm Beifall sicher. Erst recht, als der Ministerialdirektor unserem Präsidenten die Sportplakette des Bundespräsidenten in dessem Auftrag überreichte. Matthias Müller, Vorsitzender des Sportkreises Ludwigsburg und Vertreter des WLSB, kam zu dem Ergebnis: "Der Schachverband hat in den ganzen 100 Jahren seinen vorbildlichen Charakter nie verloren!" Um die Zukunft macht er sich keine Sorgen, denn "der Schachverband hat noch Visionen!".
Zur Einstimmung für die anschließenden Ehrungen bewies Bernd Grill, dass er nicht nur in Diensten des SV Ebersbach in der Oberliga das Führen der schwarzen und weißen Figuren beherrscht, sondern auch die ganz ähnlich lackierten Tasten auf dem Flügel. Edvard Griegs "Hochzeitstag auf Troldhaugen" jedenfalls begeisterte die Besucher und verlieh dem Festakt eine feierliche und würdige Note. Präsident Mehrer zeichnete dann - stellvertretend für alle ehrenamtlich Engagierten in Verband und Verein - einige verdiente Schachfunktionäre aus, Vize-Präsident Walter Pungartnik dankt den Geehrten für ihren Einsatz. Die bronzene Ehrennadel durfte sich Biserka Brender, langjährige Referentin für das Frauenschach, ans Revers heften. Der Breitensport-Referent des Bezirks Oberschwaben, Bernhard Jehle, erhielt die Ehrennadel in Silber. Er schafft es immer wieder, die Massen für das Schach zu begeistern, vor allem Kinder und Jugendliche. Dasselbe gilt für Roland Meyer, Breitenschachreferent im Schachbezirk Ostalb. Auch ihm wurde die silberne Ehrennadel angesteckt. Golden glänzt fortan das Jackett von Rudolf Sielaff. Mehrere Schach-AGs leitet er seit Jahren in Waiblingen, organisiert Schulschachmeisterschaften und war auch schon Seniorenreferent. Die goldene Ehrennadel war der Dank dafür. Eine besondere Überraschung hatte Michael Klein, Vizepräsident der Deutschen Schachjugend, für unseren WSJ-Vorsitzenden Michael Meier im Gepäck: die silberne Ehrennadel der DSJ. Stellvertretend für den Redakteur der Stuttgarter Zeitung, Gerhard Cordier nahm Harald Keilhack für die berühmte Schachspalte, die seinerzeit vom legendären Theo Schuster aufgebaut wurde, den Journalistenpreis in Empfang. Nach den Ehrungen nahm Herbert Bastian die Gelegenheit wahr, dem SVW im Namen des Arbeitskreises der Landesverbände (AKLV) und auch als Präsident des Landesverbands Saarland, unserem Präsidenten ein Buch "Schach an der Saar" zu überreichen.
Beethovens "Sechs Variationen in D-Dur" mit Bernd Grill am Klavier eröffneten dann das vorzügliche Buffet. "Damit ist der Höhepunkt des Abends bereits überschritten", scherzte Kabarettist und Schachspieler Matthias Deutschmann als "advokatus diaboli" zum Auftakt seines Festvortrags mit dem Titel "Weltkulturerbe Schach". Bissig, humorvoll und gekonnt spannte er einen Bogen von den Ursprüngen des Schachspiels bis hin zur heutigen Elektronisierung durch Riesenprozessoren, Computer, Mega-Datenbanken und Internet. "Verlasse Dich auf Dein eigenes Urteilsvermögen", sollte heute wieder gelten. Mit Anand als Weltmeister kann er daher gut leben, denn "der ist erfreulich normal". Der "bei einem Spezi in vier Stunden im Lokal in Emmendingen mit dem Schach in Berührung gekommene" spätere Zähringer Erfolgsspieler schwärmte für Emil Josef Diemer, der ihn beim Open in Biel beeindruckte: 74 Jahre alt, aber angriffslustig und furchtlos wie immer. Eine historische Partie, bei der Diemer 17 Züge lang (!) nur Bauern zog (und selbstredend gewann!), demonstrierte Deutschmann auf der Leinwand. "Wahnsinn!" Natürlich kann sich ein Kabarettist kleine Seitenhiebe auf (schach-)politische Konstellationen nicht verkneifen. "Es ist wirklich bedrückend: 100 Jahre SVW, 100 Jahre BSV - da hätte man auch gemeinsam feiern können (Applaus, Applaus). Eine Wunde - zwei Verbände. Das gibt es nur im Lazarett Baden-Württemberg (Publikum tobt)." Schach ist ein Weltspiel und die Kunst, die Schönheit der Logik sichtbar zu machen, zitierte Deutschmann einige Schachgrößen aus der Vergangenheit. Dennoch stellte er die heutigen Strukturen mit einem Augenzwinkern in Frage: Spaltung des Weltschachs durch Garri Kaparow, ein FIDE-Präsident, der gleichzeitig Mäzen ist ("Geld ist nicht schmutzig - wurde ja vorher gewaschen")!? Gelacht wurde viel, aber Matthias Deutschmann stellte klar: "Der Spaßvogel aus Freiburg hat es ernst gemeint!"
"Greifen Sie zu!" rief SVW-Ehrenpräsident Hanno Dürr den Festgästen anschließend zu. Die reichhaltige Tombola suchte ihre Gewinner, die von Turnierveranstaltern, Vereinen und einzelnen Schachfreunden gestiftet wurden. Die Lose gingen weg wie warme Semmel und für alle, die mit ihrem Gewinn nicht viel anfangen konnten, hatte Dürr eine geniale Einrichtung geschaffen: die "Tausch-Bar". Nach dem Motto "Suche Schachbuch, biete Turnierfreiplatz" tummelten sich die Tombola-Glücklichen an dieser Bar der besonderen Art. Das fantastische Quartett "Marquart Music" verzauberte diese Pause, wie auch alle zuvor, wieder mit ihrer jazzigen Unterhaltungsmusik und sorge für einen "beswingten" Gang von Losverkäufern und Gewinnern. Vollgepackt mit Gewinnen nahmen die Festgäste dann wieder Platz und erwarteten einen hochphilosophischen und damit anstrengenden Vortrag "Schach als geistige Anregung" von Walter Pungartnik. Doch gegen "Naturtalent W.P." hatten Gähnen, Langeweile und Stirnrunzeln keine Chance. Sein "Matt in einem Zug!" riss die Zuschauer förmlich von den Sitzen. Der österreichische Hiasl, den Pungartnik liebevoll "Pumpernickel" nannte, suchte verzweifelt den Lösungszug, konnte ihn aber trotz Hilfestellung bis zum Schluss nicht finden. Amüsant: Pungartnik spielte nicht nur sich, sondern auch den hilflos umherziehenden "Aussie" mit urkomischem Original-steirischem Dialekt. Brüllen musste man vor Lachen, wenn er wieder seinen "Tirolerhut" aufsetzte: "Jetzt hob i's. 1.Dg2 - jetzt is es mott!" - "Leider wieder nix, Herr Pumpernickel. Ich geb Ihnen noch einen Tipp!" Aber auch eine Geldwette konnte dem bedauernswerten "Steinitz-Fan" aus dem Nachbarland nicht auf die richtige Spur bringen. "Die FIDE erlaubt diesen Zug nicht!" - "I loss mer doch net von einer Frau diesen Zug verbieten!" Ein Gag jagte den nächsten, bis Pungartnik die Lösung 1.bxSa8# bekannt gab und damit endlich die Erlösung des gespielten Spielemessegasts mit Tirolerhut besorgte.
Ein toller Festabend mit einem hervorragenden Programm klang mit musikalischer Unterhaltung durch "Marquart Music" langsam aus. Präsident Bernhard Mehrer bedankte sich bei den Festgästen und bei allen Helfern. Frohgemut schloss er die 100-Jahrfeier und verkündete voller Elan: "Das zweite Jahrhundert kann kommen!"
Harry Pfriender
Pressereferent SVW